1. Beilage zum„Vorwärts" Berliner Volksblatt.Ur. 202.Dienstag, den 30. Angnst 1892.9. Jahrg.Don der Cholera.Dem Kaiserlichen Gesundheitsamt wird amtlichgemeldet, daß in Hamburg am 27. August 128 Erkrankungenund bb Todesfälle, am 28. August 445 Erkrankungen mit 182Todesfällen an Cholera stch ereigneten._ In Altona zählte man am 27. August 22 Erkrankungennnt 11 Todesfällen, am 28. August(von Mittag bis Mitternacht)17 bezw. 9, in Kiel am 27. August 1 bezw. 1. sonst im Regie-rungs-Bezirk Schleswig: Elsdorf 1 bezw. 1. Elmshorn 1bezw. 1, Blankenese 1 Erkrankung, Hemme am 23. August 1;im Regierungsbezirk Lüneburg: Harburg am 27. August 2bezw. 1, in A l t e n w c r d e r mehrere Erkrankmigen mit 3 Todes-fällen, in Ehestorf 1 Erkrankung, in Oelsen 1 Erkrankung.I» Lauenburg kamen am 23. August 4 Erkrankungen, 1 Todes-fall vor. in Schwarzenbeck 1 bezw. 1. In Perver,Regierungsbezirk Magdeburg, Kreis Salzwedel, erkrankte am28. August 1 Person; in B e r l i n starb eine Frau an demselbenTage. Im Großherzogthum Oldenburg starben am 23. Augustzu D e l m e n h o r st 2. im Großhcrzogthum Mecklenburg-Strelitzstarb am 28. August in Priegert eine Person. In allendiesen Fällen scheint es sich um Einschleppung ans Hamburg zuhandeln.In Hamburg sind am Freitag. 26. August. 416 Personenan der Cholera erkrankt und 156 Personen gestorben. AmSonnabend, 27. August, wurden bis Mittags 12 Uhr 123 Per-soncn als erkrankt und 55 als gestorben gemeldet. Ter Straßen-verkehr ist, wie„W. T. B." berichtet, erheblich stiller geworden.I» ollen Kirchen haben am gestrigen Sonntage aus Anlaß derdie Stadt heimsuchenden Epidemie Bittgebete stattgefunden. AmSonnabend wurden aus einigen Häusern sämmtliche Mitgliedereiner Familie nach den Lazarethen verbracht. Zum Transport derLeichen, wozu die vorhandenen Leichenwagen nicht ausreichten,werden jetzt auch große Möbelwagen benutzt. In der Stadtbilden sich zahlreiche Hilfsvereine, von denen zur Zeichnung vonGeldbeiträgen aufgefordert wird. Die Krankheit scheint sich vonder Hafengegend mehr nach dem Innern der Stadt und nachdem Landgebiet zu verpflanzen, während am Hafen eine Abnahmeder Seuche bemerkbar ist. Regierungsrath Dr. Rahts vom Kaiser-lichen Gesundheitsamt ist nach Berlin zurückgekehrt. In 20 Turn-hallen der Stadt und der Vorstädte sind Tesinsektionsapparateausgestellt zur unentgeltlichen Desinfektion von Kleidernund Betten. Daselbst werden auch Mittel zur Desinfektionvon Wohnungen gratis verabfolgt. Die Bahnhöfe sind von Ab.reisenden überfüllt. Am gestrigen Sonntage erhielten Vergnü-gungsreisende nach Harburg weder aus der Eisenbahn noch aufDampfschiffen Fahrbillets. Die unterclbische Eisenbahn hattesämmtliche Sonntags-Sonderzüge vom Fahrplan abgesetzt. DieHaniburger Bürgerschaft ist auf heute zu einer Extrasihung ein»berufen um einen dringlichen Antrag des Senats auf Bewilligungvon Geldmitteln für außerordentliche Maßregeln zur Bekämpfungder Cholera zu berathen. Die Polizei hat alle Lustbarkeiten, andenen eine größere Menschenmenge theilnimmt, sowie Versamm-langen verboten; bei Beerdigungen ist es dem Leichengefolge nichtgestattet, das Haus, in dem die Leiche liegt, zu betreten. DieSchulen sind geschlossen.In Harburg wurden am Sonnabend 2 Erkrankungen anCholera konstalirt: bei einem Arbeiter und einein Handwerks-burschen, welche aus Hamburg gekommen sind. Beide wurdenim Krankenhause auf's Strengste isolirt.In Altona find vom Freitag zum Sonnabend 32 Personenan der Cholera erkrankt und 15 gestorben. Tanzmusiken warendort wie in Hamburg gestern untersagt. In Altona sind dieSchulen noch nicht geschlossen, aber fast leer.In WandSbeck sind am Sonnabend 7 Erkrankungen und4 Sterbefälle, in dem benachbarten H i» s ch e n s e l d e 2 Erkrankungen und 1 Todesfall an asiatischer Cholera vorgekommen.Die Schulen in Wandsbeck wurden geschlossen. In Hinschenfeldewird eine Baracke erbaut.In Kiel wurden der Polizeibehörde bis Sonnabend Mittag4 Cholerafälle, sämmtlich ans einer Haniburger Familie, ge-meldet; hiervon starben eine Frau und ein Kind.In Bremen sind bis heute, Montag. 13 cholera-verdächtige Personen in das Lazareth eingeliefert worden.Bei acht von ihnen wurde die asiatische Cholera fest-gestellt. Eine davon ist bereits gestorben. In den übrigenFällen ist die Untersuchung noch nicht beendigt.Wie„D. B. H." aus Oldenburg meldet, ist in Delmen-Horst eine aus Hainburg dort eingetroffene Frau an Cholera er-krankt, nachdem ihr Kind vorher daran gestorben war.In H a l l e a. S. sind, wie unter dem heutigen Datum ge-meldet wird, in die Jsolirbaracke der königlichen Universitätsklinik zwei cholera verdächtige Kranke eingeliefertworden, darunter ein aus Hamburg Zugereister.In Antwerpen stellte die Medizinalkommission 21 Er-kranlungen und 9 Todesfälle an Cholera fest. Bisher sind nurMatrosen und Schiffsleute davon ergriffen. Die Kommissionbehauptet, die Krankheit sei durch das Schiff.St. Paul" ausHavre eingeschleppt.In Amsterdam starb heute wahrscheinlich infolge vonCholera ein Heizer des von Hamburg hier eingetroffenen undbei Ainuiden in Quarantäne liegenden Schiffes„Urania".In Paris sind dem„Gaulois" zufolge am Sonntag etwa20 Cholerakranke in die Pariser Krankenhäuser eingeliefertworden. Dr. Peter erklärte auf ein an ihn gerichtetes Interview,die a s i a t i s ch e Cholera sowohl wie die Cdolora nostrasseien gleichzeitig in Paris"aufgetreten und kämen daselbst gleich-zeitig vor. Die Epidemie sei in einein Asyl in Nanterre ent-standen.In Havre sind am Sonnabend 45, am Sonntag 71 Per-sone» unter cholcraartigen Erscheinungen erkrankt. Davon sindam Sonnabend 13, gestern 25 Personen gestorben. Die Temperaturhat sich merklich abgekühlt.In L e Maus sind bis heute drei Cholerafälle gemeldetworden.Wie aus St. Petersburg, 23. August gemeldet wird,ist nach amtlicher Mittheilung die Cholera nunmehr auch imGouvernement L u b l i n aufgetreten; es erkrankten daselbst biszum 26. d. M. 14 Personen, 7 starben. Am 26. d. M. erkranktenbeziv. starben in den Gouvernements S s a m a r a 1129 bezw. 521,Ssaratow 339 bezw. 121 Personen, im Dongebiet er-krankten am 26. und 27. d. M. 823 und starben 556 Personen.In Kronstadt sind am 25. d. M. keine Erkrankungen undkeine Todesfälle infolge von Cholera mehr vorgekommen.Aus L o n d o n. 29. August, meldet„W. T. B.": Die Frau,welche in dem Stadtviertel Lambeth am Freitag von derasiatischen Cholera befallen sein sollte, leidet in Wirklichkeit aneiner anderen Krankheit.— Bon dem vor Gravesendin Quarantäne liegenden Hamburger Dampfer„Gemma" ist einweiterer Cholerakranker ausgeschifft worden.— InGlasgow wurde bei z w e i von Hamburg kommenden krankenAuswanderern in einem Hotel garni die Cholera konstatirt;sie wurden ins Hospital geschafft, während die anderen Aus-Wanderer der Beobachtung unterstellt wurden.— Nachrichten ausM id d l e b o-ro u g h zufolge ist dort ein englischer Matrosevon einem aus Hamburg angekommenen Dampfer an der Choleragestorben.Ueber Choleragefahr und Nbsperrungsmaß-regeln wird berichtet:In Braunschweig ist wegen der Choleragefahr dasSedanfest verboten worden.Die Badeverwaltung von H e i l i g e n d a m m hat be-schloffen, von Hamburg, Altona und anderen von derCholera infizirten Orten ankommende Fremde nicht auf-zunehmen.Wie„W. T.-B." aus Westerland(Sylt) meldet, werdenauf Anordnung der Behörde sämmtliche dort landenden Reisen-den auf ihren Gesundheitszustand untersucht. Zugleich ist eineGesundheitskommifsion ernannt worden, welche die sorgfältigsteHandhabung aller sanitären Vorschriften überwacht.Kopenhagen. 28. August. Nach amtlicher Feststellungist bis heute Abend 9 Uhr kein Fall von asiatischerCholera hier vorgekommen. Vormittags wurde ein ver-dächtiger Kranker in das Epidemie-Hospital eingebracht; dieUntersuchung konstatirte aber, daß es sich nur um Cholerinehandelte.Wien, 23. August. Der„Wiener Zeitung" zufolge hat dieRegierung die Einfuhr und Durchfuhr von Hadern, altenKleidern, altem Tanwerk, gebrauchter Leibwäsche, gebrauchtemBettzeug, ferner von frischem Obst, Gemüse, Fischen, ausgenommenin Blechbüchsen, und rohen Thierprodukten aus Hamburg undAltona verboten. Die Statthalterei von Böhmenund die Landesregierung von Schlesien sind vondem Minister des Innern ermächtigt, bei Annäherung der Choleraan die österreichische Grenze vorerst in den Eisenbahn-Grenz-stationen mit direktem Anschluß an Deutschland, sodann auch inden Grenzstationen ohne Schienenanschluß an Deutschland ärzt-liche Revisionsstationen für Reisende undGepäck zu errichten und eventuell die Reisenden auf denGrenzübergangsstraßen strenge zu überwachen.Rom, 27. August. Durch eine heute veröffentlichte Ver-ordnung wird die Einfuhr von Lumpen, gebrauchtenKleidern und Bettzeug, soweit sie für den Handel bestimmt sind,aus Rußland, der europäischen Türkei, Frankreich und Deutsch-land verboten.Athen, 27. August. Für Herkünfte aus Hamburgist eine elftägige Quarantäne ab 24. d. M. angeordnet.In Frankreich unterliegen alle aus deutschen Häfenankommende Schiffe bis nach vollständiger Desinfektion derQuarantäne.Vnvkeinnrkivilhkcn.Leipzig. Lassalle-Feier. Unter großer Betheiligungder hiesigen arbeitenden Bevölkerung fand am gestrigen Sonntagdie Laffalle-Feier statt. Dieselbe war arrangirt worden: für dieAltstadt im Pantheon, für den Ostbezirk in beiden Gasthöfen inPaunsdorf, für den Südbezirk in der Goldene» Krone in Conne-mitz, für den Westbezirk im Weißen Roß in Knautkleeberg undfür den Nordbezirk im Goldenen Helm i» Eutritzsch. Mit 15 999Festtheilnehmern ist die Zahl jedenfalls nicht zu hoch gegriffen, dennes war ein Wogen und Drängen auf den zu den Festlokalenführenden Straßen. Der lVerlauf war überall ein vorzüglicher;Nur aus Paunsdorf wird über eine Szene berichtet, die durchden Uebereifer des Obergendarms entstand. Die allgemeine guteLaune mochte ihm schlechte Laune beigebracht haben und so spracher die fürchterlichen Worte aus: er werde dafür sorgen, daß beiden nächsten Festen nicht nur mehr Gendarmerie, sondern auchMilitär reqnirirt werde. Die Genoffen setzten ihm auseinander,daß sie sich auch dann nicht in der Abhaltung ihrer Feste störenlaffcn würden. Abends zogen die Festtheilnehmer heim, die Kindermit Lampions. Die lange» Züge rother Lampions machten einenimposanten Eindruck.— Bemerkt sei noch, daß die Polizei denVertrauensmännern verboten hatte, Entree zu erheben. EineFestrede war nur im Pantheon gestattet. woselbst GenosseR ö t h i n g über das Leben und Wirken Laffalle's sprach. Allesin Allem kann das Fest— den Verhältnissen entsprechend— alsdurchaus gelungen bezeichnet werden.*•Polizeiliches, Gerichtliches ic.— S t a ß f u r t. Unser Parteigenosse Aug. Heine-Halber-stadt wurde wegen Beleidigung zu 299 M. Geldstrafe verurtheilt,weil er einen Gendarm seitwärts angesehen hat. GenosseJulius Große, welcher im Zuhörerraum desV e r h a n d l u n g s s a a l e s anwesend war und einerothe Uhrkette trug, wurde dieser halb zu3 Tagen Haft verurtheilt und sofort inhastirt.Uolrnlev.Der Qberprasident der Provinz Brandenburg bringtzur öffentlichen Kenntniß, daß er für den Stadtkreis Berlin nachAnhörung des Magffirats vom 1. Januar 1893 ab als Geld-betrag für den gewöhnlichen Tagearbeiter festgestellt habe:1. Für mannliche Personen über 16 Jahren 2,79 M.,2.„ weibliche.. 16„ 1,59„3.„ männliche. unter 16„ 1,39„4.„ weibliche„, 16„ 1,99„Die vorstehenden Sätze bilden von dem angegebenen Zeit-punkte ab den Maßstab, nach welchem bei der Gcmeinde-Kranken-Versicherung(§ 4) das Krankengeld(§ 6) und die Versicherungsbeiträge(8 9) und bei den eingeschriebenen und sonstigen Hilfs-kassen ohne Beitriltszwang(8 75), von der Gemeindc-Kranken-Versicherung und von der Verpflichtung einer nach Maßgabe derVorschriften des Gesetzes errichteten Krankenkasse mit Ausnahmeder Knappschaftskassen beizutreten, befreit sein sollen, dasKrankengeld den in den betreffenden Gemeinden beschäftigtenPersonen zu gewähren ist.Der erste Fall der asiatischen Cholera in Berlin istnunmehr amtlich und zwar durch die Cholerakommission, welcheSonnabend Abend um 6 Uhr im Reichsamt des Innern zu-sammentrat, konstatirt worden. Die an der asiatischen CholeraErkrankte ist die Gastwirtbsfran Marie Frohnert aus Hamburg,dortselbst am 19. März 1852 gebore». Die F. erkrankte sofortnach ihrer Ankunft in Berlin, wohin sie mil ihrem Gatten ge-flüchtet, in einem Hotel der Louisenstraße. Die Erkrankung derF. ist jedoch keine lebensgefährliche, die Patientin be-findet sich, wie wir auf unsere Anfrage erfahren, im Kranken-hause Moabit, wohin sie mit ihrem Gatten gebracht wurde, aufdem Wege der Besse r-ung. Die Gefahr einerWeiterverbreitung der Seuche durch diesenFall ist aber nicht vorhanden, eine Uebertragnng desAnstecknngsstoffes hat nicht staUgesunden, alle Persouen, welchemit der Erkrankten in Berührung gekommen, sind sofort inQuarantäne genommen und es ist bis jetzt noch kein zweiterFall der Cdolsra asiatica konstatirt worden.Trotzdem haben die Behörden geglaubt, den Bewohnern derStadt Berlin die Meldung des Auftretens der Cdolera asiaticanicht vorenthalten zu dürfen und an den Anschlagssäulen sindamtlicherseits Verordnungen und Verhaltungsmaßregeln währendder Cholerazeit erlassen werden.Auf Beschußfasfung der Cholerakommission wird einesanitäre Kontrolle der Häuser Berlins von Montagab stattfinden, und zwar durch die Polizei; überall, wo sich Miß-stände in gesundheitlicher Beziehung geltend machen, soll sofortAbhilfe geschaffen werden. Das Polizeipräsidium hateinem Industriellen Hierselbst, welcher beabsichtigte, eine söge-nannte„Hausapotheke" gegen die Cholera in Handel zubringen, den Vertrieb dieses Artikels veir boten,da die Behörde annimmt, daß etwaige Käufer eines solchen mitMedikamenten zweifelhafter Art gefüllten Wandschränkchens beivorkommendem Cholerakrankheitssall unterlassen dürften, dieHilfe eines Arztes in Anspruch zu nehmen und dadurch derWeiterverbreitung der Seuche Vorschub geleistet werden könne.Ein Gerücht, welches von einem zweiten Fall asiatischer Cholerawiffen wollte, bestätigt sich glücklicherweise nichtl AmSonnabend Abend erkrankte der 52 jährige Arbeiter StolzeStraußbergerstr. 7a unter choleraverdächtigen Erscheinungen. EinArzt war in der Nacht nicht aufzutreiben(?) und so erhielt St.erst am Sonntag Mittag ärztliche Hilfe; dieselbe kam leider zuspät, gestern Nachmittag" um 4 Uhr verstarb der Patient, beiwelchem Brechdurchfall konstatirt wurde. Die Leiche ist gesternMorgen nach dem Schauhause geschafft, das Haus Straußberger-straße 7a auf polizeiliche Anordnung gründlich desinfizirtworden.Die Hausbesitzer werden bei der jetzigen Choleragefahrim„Grundeig." zur peinlichsten Sauberkeit in Haus und Hofaufgefordert. Auf den Höfen ist oft nicht Alles, wie es seinsollte. Insbesondere ist Seitens der Hausbesitzer und ihrer Ver-treter daraus zu achten, daß die Spulwässer nicht in die Hof-brunnen oder in deren Nähe ausgegossen werden. Ebenso solltejeder Hausbesitzer die sorgfältigste Desinfektion der Müllkästen,der Hofklosets und Pissoirs, wie überhaupt die Reinhaltung derHöfe und Flure aufs Strengste überwachen.Der Wahlverein für den dritten Wahlkreis hielt dieLaffallefeier am Sonntag im Seeschlößchen zu Friedrichshagen ab.Die meisten Theilnehmer erschienen erst des Nachmittags. Etwa799 Personen füllten das lieblich am Müggelsee gelegene Lokal,welches aufs Reichste mit rothen Flaggen dekorirt war. Bis zumallgemeinen Ltaffeekochen, das natürlich auch hier nicht fehlendurfte, amüsirte sich Jeder auf seine Weise. Daraus ging esgemeinschaftlich in den Wald, wo gespielt wurde. Sanges-geübte Genoffen, Mitglieder verschiedener Bereine desArbeiter-Sängerbuudes, ließen die schönsten der Arbeiterliederertönen, selbstverständlich solche bevorzugend, die dem Mannegewidmet sind, dessen Andenken das Fest galt. Unter Trommel-klang— ein Tambourkorps hatte sich ebenfalls eingefunden—und Gesang trat man dann den Rückzug nach dem Lokal an, umden Leib zu stärken. Mittlerweile senkte sich der Abend herab,das nöthige Dunkel für den Kinder-Fackelzug verbreitend.Voran das Korps der Trommler, zogen die Kleinen, verstärktdurch einige sehr große Kinder, mit ihren Pappfackel», dieein röthliches Licht über den Garten ergoffen, durchdenselben und machten dann in der Glashalle Halt.Genosse Braunschweiger hielt hier eine kurze, kernigeAnsprache, in der er aus die Bedeutung des Tages hin-wies und mit welcher er sich hauptsächlich an die Kinder wandte.Nachdem die Sangesbrüdcr noch einige Lieder zum Besten ge-geben, trat Muse Terpsichore, welche die Tanzlustige» schonwährend des ganzen Nachmittages im Saale vereint hatte, vollin ihre Rechte. Um l9Ve Uhr hatte das harmonisch verlaufeneFest sein Ende erreicht. Ein Hoch auf die internationale Sozial-demokratie, nach gemeinschaftlichem Gesänge der Marseillaise, gabdas Zeichen zum Ausbruch.Die Lassalle-Feier, welche vom sozialdemokratischen Wahl-verein für den sechsten Berliner Reichstags-Wahlkreis am27. d. M. veranstaltet worden war, hatte sich trotz Cholera undBrechdurchfall und trotz Sonnabend einer regen Betheiligung zuerfreuen und verlief in ungetrübtester Weise. Der gewählte Fest-ansschuß hatte Alles aufgeboten, die Feier zu einer wohl-gelungenen zu gestalten und alle Theilnehmer zu befriedigen. InErmangelung eines ausreichenden gemeinsamen Festlokales warenunter Berücksichtigung der einzelnen Bezirke des Kreises vier Lokalegewählt worden zur Abhaltung der Feier und zwar„Zum Schult-heiß"(früher„Eiskeller"),„Moabiter Gesellschaftshaus", Knebel(Gesundbrunnen) und„Jägerhaus"(Schönhauser Allee). DieGärten und Säle dieser Lokale waren den Tendenzen des Festesentsprechend mit Fahnen und Emblemen ic., sowie der Bedeutungdes Tages entsprechend mit Lorbeerkränzten Lassalle-Büsten sinn-reich geschmückt. Begünstigt vom besten Wetter, waren dieFrauen mit den Kinder» schon Nachmittags zahlreichst zum„Familien-Kaffeekochen" eingetroffen und genoffen den braunenTrank und das Gartcnkonzert mit Behagen und Vergnügen,während die Männer der Arbeit erst zu späterer Abendstundean ihre Erholung denken konnten. Die Hauptanziehungskraftübte der„Schultheiß"(Eiskeller) aus. Dieses Lokal war seitseiner jetzigen Umgestaltung zum ersten Male Arbeiterzweckendienstbar, erhielt somit durch die Laffalle-Feier eine würdigeWeihe und hatte im Bewußtsein dieses ein besonders festlichesKleid angelegt. Saal und Garten waren aufs reichste geschmückt.Hier hatte auch das Vereinsbanner seinen Ehrenplatz er-halten. Ernst und mahnend begrüßte es an derEingangspforte die tausende Proletarier, welche kamenund den großen Garten in feiner ganzen Fassungskraftfüllten. Auch das„Moabitcr Gescllschaftshaus" hatte sich einesBesuches von mehreren Tausend Personen zu erfreuen, und warendie kleineren Lokale,„Knebel" und„Jägerhaus", ebenfalls ent-sprechend besucht. Das gebotene Programm war ein recht reich-haltiges. Konzert, Theater, Spezialitäten. Gesangsvorträge,lebende Bilder und Tanz waren wohl geeignet, den einzelnenGeschmacksrichtungen Rechnung zu tragen. Daneben fehlte esnicht an sonstigen Belustigungen aller Art. Elf Gesangvereinehalfen das Fest verschönen, und zwar die Gesangvereine„Nord",„Kaiserscher Männerchor",„Glück zu",„Hilaritas",„Gesund-brunner Männerchor",„Maiglöckchen",„Unverdrossen",„Nord-stern",„Stcinnelke",„Vergißmeinnicht" und der„Steinmetzen".Im„Schultheiß" hielt der Abgeordnete des Wahlkreises,Wilhelm Liebknecht, die Festrede. So war, wie gesagt, seitensdes Festausschusses Alles aufgeboten worden, die Feierzu einer ivürdigen zu gestalten. Ohne des Ausschussesdaznthun indessen sorgte der neckische Zufall dafür, daß es auchan der höchst nothwendigen, manchen Leuten höchst begehrens-werthen„Explosion" nicht fehle. Abends ging nämlich ein kurzerRegenschauer hernieder, so daß sich ein starker Andrang nach demSaale bemerkbar machte. Mitten in diesem Gedränge ertönteplötzlich ein großer Krach, die anwesenden Polizeiagenten wittertenbereits„Dynamit"— doch ach! es war wieder einmal Nichts!Ein Händler mit rothen Kinderballons war mit seiner lnftigewWoare einer Gasflamme zu nahe gekommen, die Ballons