kratischem Firlefanz überbiirdet, daß ihnen keine Zeit zum Ueber- wachen bleibt. Sie müssen täglich ganze Stöße von Dokumenten unterschreiben, ohne sie auch nur durchsehen zu können. So fanden sich z. B. für die Gewährung einer Extravergütung von 3 Lire 23 Schriftstücke, jedes mit mehreren Unterschriften, wobei in dem komplizierten Instanzenweg dieselben Namen immer wiederkehrten. Auch bei größeren Ausgaben findet sich dieser Wust von Dokumenten, nur daß es vollständig unmöglich ist, fich durch ihn durchzufindcn, so daß man die regelmäßige Verwaltung der Gelder nicht feststellen kann. So fand sich z. B. in einer Werkstatt eine Maschine, die nicht im Inventarverzeichnis war und deren An- schasfung gar nicht registriert worden ist. Vielfach ist eS vorgekommen, daß Diebstähle in den königlichen Arsenalen zur Anzeige kamen und daß das gestohlene Gut als dem Arsenal gehörend er- kannt wurde, während weder die Aufsichtöbeamten noch die Bücher irgend etwas iiber fehlendes Material aussagten. Obwohl noch ein Stock von Material vorhanden war, ließ man neues liefern, ganz gegen allen gesunden Menschenverstand. Es herrscht eine Heiden- Unordnung, die so ziemlich jedem erlaubt, zn tun, ivas ihm paßt. Da hier ganz gewaltige ökonomische Interessen im Spiele sind, ist kaum anzunehmen, daß diese Lotterwirtschaft nicht den Boden darstellt, auf dem ein raffiniertes Raubsystem gedeiht. So wurden zum Beispiel bei einer Lieferung von Olivenöl für Maschinen im Betrage von 181(XX) Lire alle Maßnahmen vernachlässigt, durch die der Marineverwaltnng die den SnbmissionSbedingungen entsprechende Beschaffenheit des Oels sicher gestellt werden konnte. Am nllertollsten sind aber die Enthüllungen über die Art, wie bei den Neubauten und Umänderungen der Schiffe ver- fahren wird. Vielfach wird gar kein Boranschlag gemacht. So wurden zum Beispiel nach den Aussagen des Admirals P a I u m b o an dem Kriegsschiff.Lauria" im Laufe von drei Jahren für 396 934 Lire Reparaturen ausgeführt, die um geringeres Geld gc- macht werden konnten, sobald man sich nur vorher klar machte, tvas denn eigentlich erreicht werden sollte. Jedes einzelne Kriegsschif hat so seine lange an Ueberraschnngen reiche Entstehungsgeschichte. So wird z. B. das Arsenal von C a st e l l a m a r e am 27. Dezember 1892 benachrichtigt, daß dort ein Panzerschiff mit den und den Maßen gebaut werden solle. Die ersten Pläne dieses Schiffes, das später den Namen E manuele Filiberto erhielt, kamen im März 1893. Im April 1891 schlug die Arsenaldirektion eine Aende- rung des SchiffsnnnpfeS vor, die vom Minister gebilligt wurde; im Juni desselben JahreS bittet die Werst um die weiteren Entwürfe, erhält aber vom Ministerium die Nachricht, daß keine Entwürfe fertig sind, weil die Firma, die die Maschinen zu liefern hat, noch nichts über die Anbringung der Dampfkessel mitgeteilt hat. Im Sep. tcmber kommen dann die Entwürfe. Im April 1896(I) stellt sich heraus, daß das Schiff einen doppelten Kiel braucht, was ein Mehrgewicht von etwa 12 Tonnen mit sich bringt, die bei dem Bau der Seitenteile wieder eingebracht werden müssen. Im Februar 1397 merkt man, daß fünf Kabinen für die Mannschaft fehlen, im Januar 1899 müssen alle Wohnungen geändert werden, da das Panzerschiff auf einmal andere Kanonen bekommt, als vorgesehen waren. Es zeigt sich, daß die Wasserbehälter für das Trinkwasser zu klein sind i es ist aber zu spät, um da etwas zu ändern, ohne das Schiff zu schwer zu machen, so muffen Destillierapparate an Bord gebracht werden. Vom September 1899 an müssen besondere Maßregeln für die Konservierung des BugS getroffen werden, der anfängt, schadhast zu werden. Ende 1960 ist endlich das Meisterstück fertig nach nur acht Jahren Versuchen und Pfuschereien. Von der„Saint-Bon",„Regina Elena" und„Regina Margherita" erzählt die Kommission ähnlich spannende Ent- ftehungSgeschichten. Die Geschichte von der Umgestaltung der„Jtalia" in ein modernes Panzerschiff übertrifft aber alle anderen an Tragikomik. Nach langem Hin und Her wird diese Umgestaltung beschlossen. Kosten soll sie 9 3ö1 932 Lire. und während der AufsichtSrat der Marine noch zwischen fünf Umgestaltungsprojekten wählen muß. fängt man in T a r a n t o an. das Schiff zu demolieren. Nach einiger Zeit ordnet der Minister B e t t o l o an, die Demolierung einzustellen, es sollen nur die Dampfkessel gewechselt werden. Man studiert und berät und schließlich kommt heraus, die „Jtalia" soll in ein Transportschiff verwandelt werden! Aber auch das soll 2 Millionen kosten. Die Weisen und Schrift« gekehrten finden nun endlich heraus, baß für dasselbe Geld ein neues Transportschiff zu schaffen ist und daß die unglückliche „Jtalia" wegen ihrer Schwerfälligkeit und ihres Tiefganges nicht einmal zum Kohlenschiff zu brauchen ist. DaS„Hangen und Bangen" hat einstweilen 3 Millionen gekostet und heute steht die „Jtalia" auf der königlichen Werft von Taranto , teilweise demoliert, und barrt neuer Erlebnisse, die ihr die Sachverständigleit der Kom- Missionen sicher bereiten wird. Schließlich beschäftigt sich der Bericht mit der im Mittelpunkte des Prozesses Bettolo- Ferri stehenden Frage der Panzer- platten. Bis 1384 wurden diese Platten von auswärtigen Firmen hergestellt; 1884 trat aber die italienische Firma„Stahl- werke Terni " ins Leben, die ein ganz besonders zärtliches Verhältnis mit der Marineverwaltung anknüpfte. Seitdem, hat diese Firma sieben Lieferungsverträge mit der Regierung geschlossen. Darunter einen in der Höhe von 16, einen anderen in der Höhe von 13 Millionen: in den ersten vier Jahren gewährte die Regierung der Firma 16 Millionen Vorschuß! Was nun die Onalität der von der Tenii hergestellten Panzer« platten betrifft, die der. A v a n t i" angezweifelt hatte, so scheint die Terni selbst kein übertriebenes Vertrauen zu ihr gehabt zu haben, denn von Anfang an zeigte sie das Bestreben, ihre Platten der üblichen Prüfung auf ihre Widerstandskraft zu entziehen. Diese Prüfnng vollzieht fich auf verschiedene Weise, aber keine macht eS so schwierig, das Resultat zu fälschen, wie die Prüfung durch abgegebene Schüsse. In der Tat setzte eS die Terni durch, daß im Laufe ihrer Lieferungen nur jede 754. Platte durch Schüsse geprüft wurde, während bei den früheren Finnen(C a m m e l. Brown und Schneider-Creusot) im Durchschnitt eine von 33 Platten dieser Probe unterzogen wurde. Auch handhabte man früher die Prüfung so, daß mau eine beliebige Panzerplatte von den gelieferten aussuchte: die Terni führte jedoch das System ein, daß die zur Probe bestimmte Platte schon als ungehärteter Stahl- block gewählt wird, so daß dann Muße und Gelegenheit vorhanden ist, sie extra für die Probe auszustaffieren. Ferner benutzte man ftir die Probe zehn Jahre alt« Kugeln, so daß die Firma Krupp an den italienischen KricgSminister schrieb, um ihn auf die Wert- losigkeit solcher Proben aufmerksam zn machen. In einem Falle wurden sogar die Projektile, mit denen man die Terniplatten prüfte, von der Terni selbst geliefert! So hat eS denn 23 Jahre gedauert, bis man dahinter kam, daß die nationalen Panzerplatten an Härte und Widerstandskrast hinter denen der anderen Länder zurückstehen, obwohl sie viel teurer sind als die der ausländischen Finnen. Infolge dieses Umstände?, der sicher den maßgebenden Stellen Nicht verborgen geblieben wäre. wenn man ihnen nicht sehr diel— Goldfand in die Augen gestreut hätte, befindet sich also die mit so ungeheuren Opfern erbaute italienische Kriegsmarine in einem Zustande der Inferiorität gegen- über den anderen Ländern. Und weil Ferri das gesagt und im„Avanti" veröffentlicht hat, soll er nun vierzehn Monate ins Gefängnis. Diejenigen aber, die diese Verhältnisse herbeigeführt, die wüsteste Unordnung, Ziellosig- keit und Unredlichkeit in der Marineverwaltung einreißen gelassen haben, die fitzen weiter in Amt und Würden. Solche wunderbare Blüten zeitigt der Patriotismus der Bankiers und der Aktionisten. Die folgerichtige Verfassung. Der Entwurf Bulygins betreffend Schaffung einer„Volks- Vertretung" schließt, wie„Nowosti" zuverlässig erfährt, Israeliten von jeder Beteiligung an der Volksvertretung aus, weil es nicht folgerichtig sein würde, sie bei dem Bestehen die Rechte der Israeliten beschränkender Gesetze zur Ausübung des Wahlrechts oder gar zur Mitarbeitnng in der Volksvertretung zuzulassen. Die Folgerichtigkeit dieser russischen„Verfassung" besteht also darin, daß Rechte aus dem Grunde verweigert werden, weil sie bisher nicht existierten. Da nun alle Russen bisher der elemen- taren Grundrechte entbehren, wäre eS ebenso wenig folgerichtig, diese Russen an der Wahl der Volksvertretung mitwirken zu lassen. In der Tat wird diese Verfassung auch folgerichtig lediglich Kischinew und den Petersburger Blutsonntag in ein System bringen und die schon bisher herrschende Kaste unter der Firma einer„Volks- Vertretung" aufs neue bestätigen. Jede Erweiterung der Rechte für das Volk in seiner Gesamtheit wäre nicht folgerichtig!— Griechenland . Ein Racheakt. Der frühere Ministerpräsident DelyanniS ist seinen Verletzungen erlegen. Der Mörder Delyainiis war wegen Tötung seiner eigenen Frau zu 18 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Er erNärte heute bei der Verhaftung, er habe sich an DelyanniS wegen der vor einiger Zeit von DelyanniS herbeigeführten Schließung der Spielhäuser rächen wollen. Die Minister halten heute abend eine Beratung ab. Der König kehrt von seinem Land- aufenthalt nach Athen zurück.— Die soziale Zusammensetzmtg der sozialdemokratischen Wählerschaft Deutschlands . Vor einiger Zeit veröffentlichte unter diesem Titel Dr. R. B l a n k- Berlin im„Archiv für Sozialwissenschaftcn" eine statistische Sttidie, in der er aus der Betrachtung der Wahlergebnisse von 1893 und 1933 in Verbindung mit der Gewerbezählung von 1895 den Nach- weis zu ftihren versucht, daß in der Sozialdemokratie bereits ein starker Prozentsatz von Wählern aus bürgerlichen Kreisen enthalten fei und woraus er dann weiter folgert, daß dadurch die Partei in ihrer Politik stark beeinflußt und allmählich zu einer allgemeinen Volkspartei, zu einer Koalitionspartei werde, die den reinen Klaffen- charakter auf die Dauer nicht bewahren könne. Mit den Schlüssen Dr. Blanks beschäftigt sich Bebel in Heft 37 der„Neuen Zeit", indem er ihnen entgegentritt. Die Zahlenresultate Blanks sind gewiß unsicher und anfechtbar, indessen kann darauf nicht weiter eingegangen werden. Nur sei bemerkt, daß Blank die Stimmen, die uns aus Landarbeiterkreisen zugefallen sind, nicht ge« nügend berücksichtigt und dadurch wahrscheinlich zu einem zu hohen Prozentsatz bürgerlicher Wähler in unserer Partei kommt. Das behandelt auch Bebel. Er geht dann ferner auf die Behauptung Blanks ein, daß der Anteil bürgerlicher Elemente in der Partei stark im Wachsen sei und weist demgegenüber darauf hin. daß sich ja neue bürgerliche Parteien gebildet haben, die zu- nächst die Elemente aus den sich zersetzenden klein- und mittelbllrger- lichen Schichten aufnehmen und dort, wo sie austreten, auch uns die Stimmen aus diesen Schichten abnehmen, und sagt dann am Schlüsse dieser Betrachtung: „Die Macht der sozialen Interessen tritt immer klarer hervor und wird immer ausschlaggebender für die Parteibildung, nicht nur für die bürgerlichen Parteien, sondern auch ftir die Sozialdemokratte. Eine Aenderung für die Sozialdemokratie wird erst eintreten, wenn die dem Untergang oder immer prekärerer Existenz verfallenden Mittelschichten zur Erkenntnis kommen, daß die ganze Handwerker- und MitielstandSretterei für die Katze ist. Diese Erkenntnis kommt: sie muß kommen, weil feststeht: die Proletarisierung der Masse der Gesellschaft nimmt zu und nicht ab: das Kapital demokratisiert sich nicht, sondern eS wird immer plutokrattscher, und der Liberalismus wird nicht demokratischer, sondern reanionärer. Mit einem Worte: die Klassengegensätze verschärfen fich. Selbst dort, wo bisher diese Klassengegensätze in minderer Schärfe zu tage traten. So ist die Sozialdemokratie in Baden und Württemberg wider den ausgesprochenen Willen eines Teiles ihrer Führer zu einer schrofferen Stellungnahme gegen die bürgerlichen Parteien übergegangen. In Bayern würde die gleiche Erscheinung zu tage treten, würde die Partei in dem Kampfe um em gerechtere« Wahlrecht nicht zu einem unnatürlichen Wahlkartell mit dem Zenttum gezwungen. Ueber den Gegensatz der Interessen und der Anschauuiigen täuscht man sich in Bayern in keinem der beiden Lager. Und sobald ein neues Wahlgesetz errungen ist. wird der Kamps zwischen Zentrum und Sozialdemokratte mit einer Schärfe ausbrechen, wie nur irgendwo. Auch die großen Klassenkämpfe der letzten Jahre, voran der Crimmitschauer- und der Bergarbeiterstreik, und die Stellung, welche zu denselben die verschiedenen Parteien einnahmen, lassen über diese Tatsache keinen Zweifel. Wenn jemals die Versöh- nungs- und Vermittelungsmelodien zwischen Arbeiterklasse und einemTeil der bürgerlichen Klassen, wie sie vor einigen Jahren hier und da in unseren eigenen Reihen gesungen wurden, sich als schrille Disso- nanzen erwiesen, so hier." Bebel tritt dann in eine Untersuchung über die soziale Entwicke- lung, die zu einer Konzentration des Kapitals und einer Vermehrung der Unselbständige» führt. Diese werden uns in steigendem Maße zugeführt. Dann sagt er weiter: „Wird die Sozialdemokratie in den Parlamenten immer mehr zum Sprachrohr aller Geschädigten und Bedrückten— woraus Blank schließt, daß sie immer mehr den Charakter einer Volkspartei, einer Koalitionspartei annehme—, so nicht, weil sie bürgerlich demo- kratischer wird, sondern weil bürgerliche Demokratie und Liberale immer mehr versagen und die Sozialdemokratie deren Mission mit- erfüllen muß. Außerdem tritt der politisch reaktionäre Charakter unserer Staatseinrichtungen und StaatSgcsctzgebung stets schärfer hervor und zwingt die Sozialdemokratie, einen besonders großen Teil ihrer Kraft und Tätigkeit der Bekämpfung dieser Tendenzen zu widmen. Aus dem Umstand, daß die Sozialdemokratie aus dem Erfurter Programm den Satz ihres früheren Programms:„Der Sozial- deniokratie gegenüber find alle anderen Parteien eine reaktionäre Masse" fortließ und Liebknecht dieses auf dem Erfurter Parteitag damit motivierte, daß dieser Satz falsch sei, glaubt Blank auch eine Tcsavouicrung deö„Kommunistischen Manifestes" und von Marx und Engels herauslesen zu können. Das ist wieder ein Irrtum. ES waren gerade Marx und Engels, die den zitierten Satz als falsch bekämpften; er widerspricht auch dem„Kommunistischen Manifest", in dem es heißt: In Deutschland kämpft die kommunistische ijstirtei, obald die Bourgeosie revolutionär auftritt, gemeinsam mit der Bourgeoisie gegen die absolute Monarchie, das feudale Grundcigcn- turn und die Kleinbürgcrei. Sie unterläßt aber keinen Augenblick, bei den Arbeitern ein möglichst klares Bewußtsein über den feind- lichen Gegensatz zwischen Bourgeoisie und Proletariat herauSzu- arbeiten.... Der fallen gelassene Satz war ein Diktum Schweitzers, der durch ihn im Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein Geltung erlangte, und aus dessen Aufnahme in das Gothaer Einigungsprogramm im Jahre 1875 die Vertreter des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins Wert legten, ein Wunsch, dem sich die Gegenseite fügte. War aber der Saß bisher falsch, fo muß leider konstatiert werden, daß He immer schwächlicher werdende Haltung der bürgerliche» Partei«» ihn zur Wahrheit zu machen droht. Durch die bereits hinlänglich charakterisierte falsche Auffassung kommt Blank auch dazu, den Fall Göhre als einen Beweis anzu- sehen für den von ihm behaupteten Gegensatz zwischen sozialdemo» kratischer Wählerschaft und Fraktion einerseits und Parteivorstand und Parteitag andererseits. Dieses Urteil zeigt, daß ihm die Natur des Falles Göhre fremd ist. Was lag denn demselben zugrunde? Göhre hatte, verärgert durch gewisse Vorgänge auf dem Dresdener Parteitag, ohne die Parteigenossen seines Wahlkreises, die feine Kandidatur aufgestellt und für dieselbe gearbeitet hatten, zu fragen, das Mandat niedergelegt und damit die Partei zu einer Neuwahl genötigt, die schwere Opfer an Zeit, Geld und Kraft erforderte. Kurze Zeit darauf nahm er, als sei nichts geschehen, eine Kandidatur für ein erledigtes Mandat eines anderen Kreises an. Ueber diese Art der Verfügung über Mandate und Kandidaturen entstand in der Parteileitung wie in der gesamten Partei einschließlich der Fraktion eine große Mißstimmung. Zum erstenmal in der Ge» schichte der Partei trat der Parteivorstand dieser Handlungsweise entgegen, unterstützt von der Fraktion. Die Angelegenheit wurde in der bekannten Weise erledigt; sie ist heute endgültig abgetan, und einer erneuten Kandidatur Göhres steht nichts mehr im Wege. Auch in dem Umstand, daß die Partei sich 1891 sozialdemo- kratische Partei, statt früher sozialistische Arbeiterpartei nannte, sieht Blank einen schwerwiegenden Grund für seine Auffassung von dem immer mehr verschwimmenden Charakter der Partei. Da Schreiber dieses den neuen Namen vorschlug, kann er wohl auch am besten Auskunft über die Motive zu dieiem Vorschlag geben. Unter der Herrschaft des Sozialistengesetzes hatte sich allerlei„Sozialismus" herausgebildet; man sprach in dem bürgerlichen Lager von christ- lichcm Sozialismus, von Regierungssozialismus— unter Hinweis auf die Vcrsichcrungsgesctzgebung—, von konservativem Sozialismus usw. Demgegenüber war eine klare Unterscheidung notwendig. Sozialdemokratisch wagte sich niemand zu nennen, so wurde der Name Sozialdemokratie, der sich der Kürze halber längst einge- bürgert hatte, gewählt. Dieser Name verhinderte aber auch, daß sich andere Elemente als solche, die das Ziel der Partei billigten, ihr anschlössen. Daß diese Namensänderung besondere Kämpfe hervor- gerufen habe, wie Blank angibt, ist uns nicht bekannt. Blank sieht auch einen tiefgehenden Unterschied zwischen der Theorie und der Praxis der Partei, und zitiert zu diesem Zwecke eine mißverstandene Aeußerung Liebknechts; auch sei die Partei eine opportunistische Partei. Untersuchen wir. Die Theorie befaßt sich mit den Grundanschauungen der Partei über das Wesen von Staat und Gesellschaft; die Praxis befaßt sich zunächst mit der Bekämpfung beziehentlich der Umgestaltung der Einrichtungen und Zustände in Staat und bürgerlicher Gesellschaft. Die Theorie umfaßt die Be- gründuna des Zieles, die Praxis besaßt sich mit dem Wege zum Ziele. Sollen Theorie und Praxis übereinstimmen, so darf die Handlung mit der Theorie nicht im Widerspruch stehen; die Hand« lungen, die auf Beseitigung oder Aenderung gewisser Einrichtungen abzielen, müssen im Hinblick auf das Ziel erfolgen. Kämpfe ich z. B. für ein freies Vereins- und Versammlungsrecht, so kämpfe ich für eine bürgerliche Forderung, die scheinbar mit der sozialistischen Theorie und unserem Endziel nichts zu tun hat. Aber indem ich dieses freie Vereins- und Versammlungsrecht erreiche, erleichtert es mir die Propaganda, für eine ganze Reihe anderer Forderungen, die auf dem Wege zum sozialistischen Endziel liegen, und die Pro- paganda für dieses selbst. Hier steht also Praxis und Theorie im Einklang und nicht im Widerspruch. Die politische Taktik der Partei besteht in der Anwendung der richtigen Mittel; sie muß prüfen, ob diese auf dem Wege zur Verwirklichung des Zieles liegen, und sie muß alles verwerfen, was von ihrem Endziel abführt oder den Weg dorthin erschwert oder verdunkelt. DaS Endziel muß der Lettstern, der Kompaß für ihr Handeln sein. Blank dürfte es schwer fallen, nachzuweisen, daß die Tätigkeit der sozialdemokratischen Partei nicht konsequent dieser Taktik ent- fpricht. Gewiß, eS kommt bei dieser Taktik mancher in unsere Reihen, der unser Endziel nicht billigt. Es sind dies die sogenannten Mitläufer. Aber die Tatsache, daß die Partei sich konsequent bleibt und stetig wächst, zeigt, daß mit der Zeit aus den Mitläufern über- zeugte Genossen werden. Wohl kommt eS auch vor, daß der Wahl- kämpf hier und dort nicht mit der nötigen Schärfe und klaren Her- vorhcbnng der Grundsätze der Partei und ihres Zieles geführt wird. Aber was hier die Genossen versäumen, lzolen in der Regel die Gegner nach, die nicht unterlassen, die Grundsätze und Ziele der Partei in der abschreckendsten und häßlichsten Gestalt den Wählern vor Augen zu führen. Wer dann trotzdem einen sozialdemokratischen Kandidaten wählt, der dürste die Feuerprobe bestanden haben. Allerdings jst die Partei auch, borridile ckictu, eine oppor» tunistische Partei. Aber jeder Mensch, der nicht mit dem Kopfe durch die Wand rennen will, ist ein Opportunist, und eine Partei, die im Kampfe für ihr Ziel nicht den Umständen, das heißt den sich ihr entgegenstehenden Hindernissen Rechnung trägt, wäre verloren. Daher ist auch die Unterscheidung zwischen radikal und opportunistisch hinkend und häufig falsch. Der Opportunismus darf aber nicht ein- gebildeten Hindernissen oder Hemmnissen zum Opfer fallen, er darf nicht zu Vertuschungen und Täuschungen greifen, er darf keine Ver- Mischung oder Ucberbrückung vorhandener Gegensätze versuchen, er darf endlich nie vergessen, auszusprechen das, was ist, sonst wird er zum Parteiverderb und Parteiverrat. Wo die Grenzlinie, die innegehalten werden muß, liegt, darüber kann Streit entstehen, und das ist dann der Kampf über die Takttt. Hier ist«S der Klassen» kampfstandpunlt, der als Kompaß dient und sehr rasch Klarheit bringt." Die„Freie deutsche Presse", das Organ der sogenannten Frei- sinnigen BolkSpartei, liefert gleich den Beweis für die Richtigkeit der Behauptung Bebels, daß Demokratie und Liberale immer mehr versagen und daß die Sozialdemokratie ihre Aufgaben mit erfüllen muß. Indem sie sich mit dem Aufsatze Blanks und der Kritik Bebels beschäftigt, zieht sie daraus nicht etwa den Schluß, daß es für den Freisinn in seinem Interesse hohe Zeit wäre, sich nochmals aufzurasscn zu einer volkstümlichen, wahrhast freisinnigen Politik; sie zieht daraus vielmehr nur die Lehre, daß sie den liberalen Illusionisten jjurust: da seht Ihr, mit der„Mauserung" war eS wieder nichts. Der Bebel sagt eS Euch ja, und die anderen haben eS auch schon immer gesagt, die Sozialdemokratte ist und bleibt eine Klassenpartei und die Herr- lichkeit des liberalen Blocks ist ein Traum! Wenn die Herrlichkeit des Liberalismus nur auf dem Traume beruht, daß die Sozial- demokratie ihren Klassencharakter aufgeben könnte, dann kann der Liberalisnrns natürlich je eher je besser einpacken oder vielmehr, dann hat er schon eingepackt._ Die Kriegstrompete gegen Norwegen zu blasen beginnen jetzt einige ultrareaktionäre schwedische Blätter. DaS hauptstädtische Geschwisterpaar„StockholmSbladet" und„Aya Dagl. Allehanda" schreibt: „Der schwedische außerordentliche Reichstag muß verlangen, daß Norwegen auf Verhandlungen über Umorganifatton oder Auflösung der Union eingeht. Weigert sich Norwegen zu verhandeln oder diesen außerordentlichen Rechtsstreit einem unparteiischen Schiedsgericht zu überweisen. da»n tritt die Situation ein, daß unser gutes Recht mit Vlut und Leben verteidigt werden soll, wenn nötig wird, und unsere Staatsleiter müssen sich danach einrichten. .Göteborg » Astonblad" hat bereits einen Kriegsplan ferttg und will nichts Geringeres, als den nördlichen Teil Norwegens erobern. „Des Nachdrucks wegen" sollen die wichttgsten norwegischen Häfen gesperrt werden und Trondhjem soll, wenn möglich mit, k ö n i g s- treuen norwegischen" oder mit schwedischen Truppen besetzt werden.— Wo man die„königstreuen" Norweger hernehmen will, die sich zu solchem Vaterlandsverrat bereit finden, daS ist jedenfalls RedaktionSgeheinmiS des Blattes. Im übrigen ist das Blatt wohl dafür, daß mit der revolutionären Regierung in ihrer Eigenschaft
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