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Der Kampf um die neue Berliner   Abdeckerei ist vorläufig z u- Ungunsten Berlins   entschieden worden. Für die alte Ab- deckerei an der Müllerstraße, die der Fiskus endlich eingehen läßt, will bekanntlich der Magistrat dadurch Ersatz schaffen, daß er eine solche Anstalt errichtet. Das ist auch ganz in der Ordnung; denn ein gesundheitlich so wichtiges Unternehmen kann nicht der Gewissen. losigkeit prositgieriger Privatkapitalisten überlassen werden. Aber wohin mit der neuen Abdeckerei? Der Magistrat hat das Berliner  Rieselgut Blankenfelde   dazu ausersehen, mit ihr beglückt zu werden, und er will ihr die weniger übel duftende Bezeichnung Fleischverwertungs- und Fleischvernichtungsanstalt" geben. Unsere Leser erinnern sich der Debatten, die im letzten Winter in der Stadtverordneten-Versammlung darüber geführt worden sind, ob diese Anstalt den Insassen der Heimstätte Blanken  - selbe sowie den Bewohnern der benachbarten Dörfer lästig werden und ihre Gesundheit beeinträchtigen könne. Von sozialdemo- k r a t i s ch e r Seite wurde das als leider sehr wahrscheinlich an- gesehen, von freisinniger Seite und vom Magistrat wurde es be- stritten. Die Bewohner der gefährdeten Orte erhoben gegen den Beschluß der Stadtverordneten  - Versammlung Einspruch beim Nieder-Barnimer Kreisausschuß, und dieser chat nun die Genehmigung zur Errichtung der geplanten Abdeckerei v e r- s a g t. Den Magistrat vertrat vor dem Kreisausschuß der Stadtrat Fischbeck derselbe, der in der Stadtverordneten-Versammlung ebenso ungeschickt wie anmaßend die Warnungen der sozialdemo- kratischen Stadtverordneten als belanglos abzuweisen versucht hatte und höhnisch ihnen erwidert hatte, Berlin  habe es weiter nicht nötig", über die in Spracht kommenden Vorortgemeindensich den Kopf zu zerbrechen". Nor dem Kreisausschuß hat dieser Herr weniger Glück gehabt. Seine Prahlerei mit den Sachverständigen-Gutachten, durch die er auf die freisinnige Stadtverordncten-Mchrheit Eindruck machte, ist hier in ihr klägliches Nichts zusammengesunken, Die Sachverständigen, die zur Verhandlung des Kreisausschusses geladen waren, äußerten sich wesentlich anders, und daraufhin hat der Ausschuß die Genehmigung versagen müssen. Berlin   wird nun gegen diesen ablehnenden Beschluß Beschwerde beim Han. delsministerium einlegen. Wir wollen abwarten, ob es dem Magistrat dort besser gelingt. Für die Errichtung eines vorläufigen großen Erweiterungsbaues des Anhalter Güter-Bahnhofes wird jetzt der größte Stein- metz-Werkplatz im Innern Berlins  , der sich auf eisenbahnfiskalischem Gelände an der Ecke der Uork- und Möckernstraße hinzieht, ab> gebrochen. In der HufbeschlagS  -Lehrschmiede zu Charlottenburg   beginnt der nächste Kursus Montag, den 10. Juli d. I., vormittags 8 Uhr. Meldungen zur Teilnahme sind an den Vorsteher Stabsveterinär a. D. Herr» Brand zu Charlottenburg  . Spreestr. 58, zu richten. Für Aufnahme sind erforderlich: 1. Der Nachweis über Erlernung des Schiniedehandwerks. 2. Ein polizeiliches Führungsattest. 3. Der Nachweis, daß das 19. Lebensjahr vollendet ist. Die Kursusaebühr beträgt 49 M., die Prüfungsgebühr 10 M. Anträge auf Freistellen. welche in beschränkter Anzahl bei nachgewiesener Unbemitteltheit ver- geben werden können, sind besonders beizufügen. Der frühere Verleger derVolks-Zeitung", Herr Emil Cohn  , ist Mittwoch abend, 72 Jahre alt, gestorben. Herr Cohn war an mehreren Wohltätigkeitsinstituten, u. a. im Asylverein für Obdachkose tätig. Er hat sich die Hochachtung aller derer zu erwerben gewußt, die ihm jemals näher getreten sind. Eine Bande junger Einbrecher, die sich namentlich zur Plünderung von Ladenkassen und Böden zusammengetan hatten, wurde von der Kriminalpolizei festgenommen. Zwei ihrer Mtglieder, die Gebrüder Julius und Kurt Neuber, gehörten bereits zu den Oberspreeräubern, die vor einigen Jahren ein kleines Schreckensregiment führten, be- waffnet in die Gastwirtschaften anr Wasser eindrangen, u. a. in Rübezahl" am Müggelsee eine noch jetzt dort als Sehenswürdigkeit aufbewahrte Haustür beim Angriff auf die einsam wohnenden Wirtsleute mit Flinten- und Revolverkugeln durchlöcherten, und nach langwierigen und mühevollen Nachforschungen von Kriminalkommissar Danrm endlich unschädlich gemacht wurden. Kurt Neuber blieb auf freiem Fuße, weil er damals das strafmündige Alter noch nicht er- reicht hatte. Sein älterer Bruder Julius wurde zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt, später aber als lungenkrank aus der Straf- anstalt entlassen. Die beiden Neuber, die bei ihren Eltern in der Straßmannstraße gemeldet waren, hatten sich mit einem wohnunas- losen Paul Rißmann und einem gewissen Reinhold Siebenhaar, der bei seiner Mutter in der Naunynstr. 8 wohnt, zu gemeinsamen Diebstählen vereinigt. Während Kurt Neuber seiner Arbeit nachgehen und der kranke Julius im Friedrichshain   die frische gesunde Luft genießen sollte, heckten alle vier den Tag über bei Siebenhaar in der Wohnung Einbruchspläne für die nächste Nacht aus. In der vorletzten Nacht hatten sie es auf die Kasse eines Geschäfts für Gas- und Wasseranlagen in der Kommandantenstr. 53 abgesehen. Ein Sohn des Geschäftsinhabers aber sah vom Fenster eines Obergeschosses aus, wie sie sich mit Nachschlüsseln an der Tür zu schaffen machten, vertrieb und verfolgte die Einbrecher mit Hülfe anderer Leute und sorgte für ihre Fest- «ahme. Durch Beobachtung des jüngeren Neuber entdeckte die Kriminalpolizei auch den Schlupfwinkel in der Naunynstraße, und nachdem sie hier Beutestücke aus verschiedenen Einbrüchen gefunden und beschlagnahmt hatte, bequemten sich die Verhafteten zu ewem Geständnis. Die Auflösung desKluvS von 1900", der in der letzten Zeit in der Oeffentlichkeit vielgenannt wurde, steht angeblich unmittelbar bevor, da die Erhaltung des Klubs, die etwa 200 000 M. jährlich erfordert, nach Abschaffung des Kartenspiels kaum möglich ist. Das vorhandene Vermögen soll unter die noch vorhandenen 160 Mit- glieder verteilt werden, eventuell wird der Klub in einen bloßen Geselligkeitsverein umgestaltet werden und einen anderen Namener- halten. Den Hauptbestandteil des Klubvermögens bildet das Klub- hauS Bellevuestr. 18a, das einst für 800 000 M. gekauft wurde, aber jetzt zumindest eine Million Marl   wert ist. Es ist nur niit 700 000 M. belastet. Auch die Einrichwng des Klubs, die 260 000 M. gekostet hat, ist von erheblichem Werte, sodaß bei einer Auflösung des Klubs den einzelnen Mitgliedern noch recht erhebliche Anteile zufallen dürften. Zwei schwere Automobilunfiille werden vom gestrigen Tage ae- meldet. Als gegen 4 Uhr nachmittags die neunjährige Sophie Wichert vor dem Hause Veitstr. 26 in Tegel   den Fahrdamm über- schreiten wollte. lief sie gegen das in mäßiger Geschwindigkeit sich nähernde Automobil des KommerzieuratS B o r s i g, in welchem sich der Besitzer mit seiner Frau befand. Oblvohl der Chauffeur den Kraftwagen sofort zum Stehen brachte, gelang es ihm doch nicht, ein Unglück zu vermeiden. Die Kleine wurde von dem Automobil er- faßt, dessen Räder ihr über den linken Oberschenkel hinweg- gingen. Herr Borsig ließ die Verunglückte, die einen Schenkelbnich erlitten hätte, zunächst zu einem Arzte und von dort nach Anlegung eines Notverbandes nach dem Paul Gerhardt- Stift transportieren. Nach Angabe von Augenzeugen trifft den Chauffeur kein Verschulden. Ebenfalls von einem Automobil überfahren wurde auf der Falkenberger Chaussee in Weißensee   der 11jährige Schüler L. Der Chauffeur fuhr, ohne sich um den Verletzten weiter zu bekümmern, davon. Der Knabe, dessen Verletzungen sich glücklicherweise als ungefährlich herausstellten, wurde nach der elterlichen Wohnung ge- bracht. Die Saison der Prehkohlenbrände ist angebrochen. Kein Tag vergeht jetzt, an dem die Feuerwehr nicht derartige Brände zu be- seitigen hatte. In dieser Woche hatte sie allein an etwa zehn verschiedenen Stellen zu tun. Die Ablöschung solcher Brände ist oft sehr zeitraubend, weil die Kohlenhausen regelrecht umgestapelt werden müssen. In den meisten Fällen liegt Selbstentzündung vor und sind auf solche Weise schon häufig große Brände entstanden. Me Ursache der Selbstentzündung ist nun gewöhnlich aüf mangel­haft« Lagerung der Kohlen zurückzuführen. Hin und wieder end zünden sich mit Kohlen beladene Eisenbahnwagen, sobald diese Kohlen einige Tage in den Waggons lagern und den heißen Sonnen- strahlen ausgesetzt sind. Beim Verladen solcher Kohlen können allerdings keine besonderen Vorsichtsmaßregeln getroffen werden. Anders steht es jedoch bei der Herstellung von Kohlenlagern auf Kohlenplätzen im Freien und in Kohlenkellern. Hier ist unbedingt erforderlich, daß zur Verhütung von Selbstentzündungen Lustschächte durch die Kohlenstapel geführt werden. Das Polizeipräsidium hat schon wiederholt auf dieses einfache Mittel hingewiesen. Auf etwa zwei Meter Entfernung müssen durch die Kohlenstapel Ventilations- kanäle, sowohl in seiner ganzen Länge, wie auch in der Höhe und Tiefe, angelegt werden. Man kann sie sehr leicht auf die Weise herstellen, daß man auf die angegebene Entfernung zwei Preßkohlen mit 6 Zentimeter Zwischenräumen flach als Läufer, über dieselben gleichfalls zwei Preßkohlen mit denselben Zwischenräumen als Binder legt und dieses Verfahren durch den ganzen Stapel fortsetzt. Dadurch entstehen dann ein senkrechter und zwei sich kreuzende horizontale Kanäle. Die auf diese Weise verursachte Lufterneuerung erscheint als geeignet, Selbstentzündung der Preßkohlen zu ver- hindern. Eine Omnibnslinie durch Ripdorf vom Blücherplatz bis zum Ringbahnhof wird demnächst in Betrieb genommen. Die behörd- liche Genehmigung zu dem neuen Verkehrsunternehmen ist bereits eingegangen. Bereits vor Jahren hat schon eine derartige Omnibus- linie bestanden, mußte aber, da sie sich nicht rentierte, eingehen. In- zwischen ist die Bebauung und die Einwohnerzahl Ripdorfs erheblich fortgeschritten. Feuerbericht. Donnerstag ftüh kam in der Köpmckerstraße 190 in einer Wohnung Feuer aus, das aber in kurzer Zeit erstickt werden konnte. Mehr Arbeit gab es dann in der Gotzlerstraße 35/36. Bei Ankunft der Löschzüge stand dort ein großer Holzschuppen in Flammen. Es mußte mit zwei Schlauchleitungen tüchtig Wasser ge- geben werden, um. die Gefahr zu beseitigen. In der Triitstraße 42 brannte abends der Fußboden in einer Küche, während in der Alexandrinenstraße 59 ein Feuer abgelöscht werden mutzte, das durch Hinfallen eines Spirituskochers entstanden war. Auch an Preß- kohlenbränden, die jetzt ihre Saison haben, fehlte eS in den letzten 24 Stunden nicht. So hatte die Wehr auf dem Güterbahnhofe der Ostbahn, in der Dorlstraße 35 und in der Blumenstrahe 16 derartige Brände zu unterdrücken. Die übrigen Alarmierungen, die dann noch aus der Turmstraße 43, Dresdenerstraße 68, Landsberger Allee 126 und noch aus einigen anderen Orten einliefen, waren durchweg auf ganz geringfügige Anlässe zurückzuführen. Kyritz-Pyritz in neuer Auflage. Dem Leben gegenüber ist die Bühne entsetzlich konservativ. Sie tischt immer noch Typen auf, die längst zu den Gefilden der Seligen hinübergegondelt sind, weil sie in der heutigen Welt keine Existenzmöglichkeit mehr haben. Hierzu gehört auch der biedere Provinzler, der aus Kyritz   nach Berlin  kommt, um hier den verfluchten Kerl zu spielen und Abenteuer zu erleben, von denen seine lüsterne Phantasie bis dahin nur einen blassen Schimmer hatte. Heute, wo eigens Theaterzüge fahren, wo der Kyritzer, der es dazu hat. sich am Ende ein Auwmobil leistet, ist eine Fahrt nach Berlin   gleichgültiger und weniger umständlich a.ls ehedem ein Besuch in der nächsten Kleinstadt. Vielleicht hat die Leitung des Lustspielhauses sich von dieser Einsicht bestimmen lassen, als sie gestern Willens Posse  Kyritz-Pyritz" neu angetüncht im karikierten Kostüm der fünfziger Jahre auf die Bühne brachte. Diese Rückdatierung der vor vielleicht 25 Jahren zuerst aufgeführten Posse ging nicht ohne herbe Anachronismen vor sich, wie denn auch im Zuschauer Zweifel auftauchten, ob die kleinstädtische Welt von dunnemals wirklich im Punkte der Aus- schweifungen so bescheiden gewesen ist, wie ihre Vertreter. Stadt- kämmerer, Apotheker und Bäckenneister auS Kyritz  , sich geben. Es war der Vergleich mit der Tatsache angebracht, daß heute etwa am Landbündlertag von seinen Teilnehmern ganz andere Genüsse verschmäht werden, von den einen, den wirklichen Bauern, weil sie nüchtern rechnen müssen, und vow den anderen, den mit dem Munde Notleidenden, weil sie sich an den Gaben deS Cafe Keck und der Amorsäle schon in ihrer ersten Dummejungenzeit den Magen ver- darben haben. So mag denn das Wort des Dichters gelten:Was sich nie und nirgend hat begeben, das allein veraltet nie!" Die Darstellung war mit kluger Berechnung auf eine sanfte Harmonie gestimmt, in die sich jeder der Mitwirkenden fügte, selbst die Soubrette Frau Mendt, die eben erst vom Apollo-Theater hinweg engagiert war, um die Rolle des Stratzeufegerjungen inBerliner Luft" mit der des kecken Sekundaners Emil zu vertauschen. Gerickts-�eitung. Der alte Bäckermeister-Brauch. Am Mittwoch spielte sich wieder einmal eine Episode auS dem gewerkschaftlichen Kanipfe der Bäcker vor den Schranken des Gerichts ab. Bekanntlich forderte der Bäckerverband beim vorjährigen Streik von jedem Meister, der die Forderungen der Arbeiter anerkennen wollte, daß er dies durch Unterzeichnung einer ehrenwörtlichen Erklärung bekräftige. Wenn die Unterschrift gegeben war, er- hielt der betreffende Meister ein Plakat, worin den Kunden mitgeteilt wurde, daß er die Forderungen bewilligt habe. Ein solches Plakat erhielt auch der Bäckermeister Lude, Warschauerstr. 27. Als der Verbandsleitung Ende März d. I. bekannt wurde, daß Herr Lude die geforderten Lohn- und Arbeitsbedingungen nicht mehr gewähre, ließ sie ein Flugblatt in der Nähe der Ludeschen Bäckerei verbreiten. In dem Flugblatt wurde mitgeteilt, daß Lude trotz seines Ehren- Wortes geringere Löhne zahle als die geforderten, daß er länger arbeiten lasse, als die Bundesratsverordnung gestatte, und daß er seine Gesellen wieder in Kost und Loais habe. Herr Lude ließ darauf ebenfalls ein Flugblatt verbreiten, worin er sich gegen die Behauptungen des Verbandes wendete, und dieser beantwortete die Ludeschen Ausführungen in einem zweiten Flugblatt, in dem unter anderem auch von Un s au b e rke it e n in der Ludeschen Bäckerei die Rede ist. Schneider und H e tz s ch o l d vom Bäckerverbande, welche für die Flugblätter verantwortlich sind, wurden daraufhin von Herrn Lude mit einer Privatbeleidig ungsk läge bedacht. Die beiden Flugblätter tragen die UeberschristBäckermeister-Ehrenwort" und machen Herrn Lude den Bruch seines Ehrenwortes zum Vorwurf. Herr Lude behauptet dagegen, er habe kein Ehrenwort gegeben und was er zum Beweise dessen vor Gericht sagte, das ist recht bezeichnend für das Verhalten, welches ein Teil der Bäckermeister angesichts des Stteiks für augebracht hielten. Herr Lude sagte nämlich, als er sah, daß die Kundschaft nur bei den Bäckermeistern kaufte, die das bekannte Plakat hatten, habe er seine Fran nach dem Verbandsbureau der Bäcker geschickt, damit sie auch ein solches Plakat hole. Unterschrieben habe er nichts, auch seine Frau habe keine Unterschrift gegeben. H e tz s ch o l d betonte dem- gegenüber, da Herr Lude das Plakat erhalten hatte, so müsse er oder ein beauftragter Vertreter van ihm die ehren- wörtliche Verpflichtung unterzeichnet haben, denn anders könne er kein Plakat erhalten haben. Herr Lude behauptet auch, er habe zwar anfangs die Forderungen bewilligt, sie aber schon nach drei Tagen zurückgezogen, Demgegenüber verwies Hetzschold darauf, daß die Bäckerei des Herrn Lude ein volles Jahr lang in der vom Verbände imVorwärts" veröffentlichten Liste der geregelten Betriebe gestanden habe, ohne daß Lude, obgleich er seine Be- willigung zurückgezogen haben will, dagegen Einspruch erhob. Weiter machten die Angeflagten geltend, daß vor der Herausgabe der Flugblätter mit Herrn Lude verhandelt worden sei, um ihn zur Jnnehaltung der geforderten Lohn- und Arbeitsbedingungen zu be- wegen. Bei dieser Gelegenheit habe aber Herr Lude zu dem Verbandsvertreter Schneider gesagt:Ihr seid wohl ver- rückt, was ich im Mai vorigen Jahres zugesagt habe, daS soll ich jetzt noch halten?" WaS die in den Flugblättern behaupteten Tatsachen betrifft, so sagte ein Zeuge au», er habe zur fraglichen Zeit bei Herrn Lude gearbeitet und habe für einen Wochenlohn von 13, später 14 M. und halbe Kost täglich 13 bis 14 Stunden arbeiten müssen. Ueber die behauptete Unreinlichkeit sagte derselbe Zeuge, er habe einmal im B a ck m e h l einen Zigarren st ummel gefunden, der nur vom Meister Lude herrühren konnte, weil dieser bei der Arbeit zu rauchen pflege. Der Zeuge glaubt mehrmals bemerkt zu haben, daß Herr Lude in daS kochende Fett, worin Pfannkuchen ge- backen werben sollten, spuckte. Als der Zeuge einmal ganz genau aufpatzte, habe er dieS ganz be stimmt gesehen. Die Angeklagten bemerkten hierzu, diese Prozedur sei eine Probe, um festzustellen, ob das Fett kocht. Eigentlich solle man diese Probe mit einigen Tropfen Wasser machen. Wer aber zu bequem sei, um Wasser herbeizuholen, der spucke wohl nach altem Brauch in das Fett. Das Gericht verurteilte jeden der beiden Angeklagten zu einer Geldstrafe von 100 M. und erkannte auf Veröffentlichung des Urteils imVorwärts", dem VerbandsorganDer Bäcker" und dem MeisterorganVerl  . Bäcker-Zeitung". In der Begründung führte der Vorsitzende aus, den Angeklagten sei der Schutz des§ 193 zu- gebilligt worden. Da aber aus der Form, in der die Flugblätter gehalten waren, die Absicht der Beleidigung hervorgehe, mußte eine Verurteilung erfolgen. Es sei auch auf eine milde Strafe erkannt, weil die Angeklagten aus idealen Motiven gehandelt haben. Der Tranmzustand der Frau Leußer. Das war die Frage, die die sechste Straflammer de? Land- gerichts l gestern in einer Strafsache gegen die Kaufmannsfrau L e u tz e r zu entscheiden hatte. Frau L. ist eine 54 Jahre alte, bis- her unbescholtene Frau, die seit vielen Jahren in gemeinnützigen Vereinen tätig ist. Das Schöffengericht hat sie seinerzeit des Dieb- stahls für schuldig erachtet und zu 2 Wochen Gefängnis verurteilt und folgenden Sachverhalt als festgestellt erachtet Am 2. März mittags bestieg die Angeklagte einen ziemlich voll besetzten Omnibus, der durch die Landsbergerstraße führt. Nachdem sie ihr Fahrgeld bezahlt hatte, fühlte sie kurz nachher einen an ihrem Fuß liegenden Gegenstand, hob ihn auf und steckte ihn in die Tasche. Einige Zeit darauf begann eine ihr gegenübersitzende Arbeiterfrau K. zu klagen, sie hatte, als sie ihr Fahrgeld bezahlt hatte, ihr Portemonnaie, in welchem sich ein von der Sparkasse abgehobener Betrag von 100 M. befand, in ihre Markttasche, gesteckt und zu ihrem Entsetzen war das Portemonnaie verschwunden. Ihre neben ihr sitzende kleine Nichte fing ebenfalls an laut zu weinen und die gesamten Insassen inter  - essierten sich lebhaft für den Fall. Man faßte unwillkürlich in die eigenen Taschen, Frau L. soll sich aber damit begnügt haben, zu fragen, ob denn Frau K. das Portemonnaie wirklich noch im Omnibus gehabt habe, was entschieden bejaht wurde. Ein Mitfahrer sagte schließlich, daß das Portemonnaie, wenn es im Omnibus noch vorhanden gewesen, doch auch noch da sein müsse und schlug vor, daß sämtliche Insassen bis zu Ende der Strecke mitfahren und sich dann gemeinsam zur Polizei zwecks Leibesvisitation begeben sollten. Als Fraue L. dann nach einer Weile den Omnibus zum Aussteigen anhalten lassen wollte, erhob eine Mitfahrende Einspruch dagegen und äußerte, daß Frau L. verdächtig sei, da sie, wie wahrgenommen worden sei, sich gebückt habe. Der Schaffner erklärte daraus, daß er die Dame ersuchen müsse, bis zur Endstation mitzufahren. Kurz vor der letzteren griff Frau L. in ihre Kleidertasche und brachte zu allgemeinem Erstaunen das vermißte Portemonnaie zum Vor- schein und übergab es der Berliererin mit den Worten: Da ist Ihr Portemonnaie.   Das Schöffengericht hatte auf Grund dieses Tat- bestandes, der im allgemeinen auch in der zweiten Instanz bestätigt wurde, einen Diebstahl als vorliegend angenommen. Die Angeklagte hatte versichert, daß, als sie den am Fußboden liegenden Gegenstand aufgenommen, sie geglaubt habe, es sei ihr eigenes Portemonnaie, welches sie wohl aus Verschen neben ihre Rocktasche gesteckt gehabt habe. Erst als sie sich erhoben, um auszusteigen, habe sie gefühlt, daß ihre Rocktasche auffallend schwer war, sie habe hineingefaht und zu ihrem Entsetzen bemerkt, daß sie zwei Portemonnaies dort be» herbergte. Das Schöffengericht war aber der Ansicht, daß die An- geklagte in dem Augenblick, als die Arbeiterfrau laut über ihren Verlust klagte, wohl daran hätte denken müssen, daß sie selbst kurz vorher ein Portemonnaie aufgehoben und daß sie bei reinem Ge- wissen wohl sofort wie die übrigen Mitfahrenden in ihre Tasche gefaßt und das Portemonnaie sofort gefunden haben würde. DaS Verhalten der Angeklagten erschien dem Schöffengericht aber als ein Schuldbewcis, ebenso die Tatsache, daß der Ehemann der Angeklagten am nächsten Tage der Arbeiterftau 5 M. angeboten hat, damit sie aus der Sache nichts weiter mache. In der Be­rufungsinstanz wiederholte die Angeklagte ihre Darstellung erster Instanz mit der Versicherung, daß sie während des Gesprächs über das verlorene Portemonnaie gar nicht mehr daran gedacht habe, daß sie sich gebückt hatte, weil sie eben fest davon überzeugt gewesen sei, ihr eigenes Portemonnaie aufgehoben zu haben. Der An- geklagten wurde von zwei Seiten das beste Leumundszeugnis ge- geben, insbesondere gab ihr der Rabbiner Dr. L i p s ch ü tz, der sie aus seiner seelsorgerischen und gemeinnützigen Tätigkeit seit vielen Jahren kennt, das Zeugnis einer ehrlichen Frau, die sich große Ver- dienste auf dem Gebiete der Krankenpflege erworben habe. Der Hausarzt der Angeklagten, Dr. Fischer, teilte mit, daß die An- geflagte eine schwere Operation durchgemacht hatte und erst am 14. Februar aus dem Krankenhause entlassen worden war. Der Arzt hat an ihr wiederholt ein abnormes physisches Verhalten, Apathie und Jndiffentismus, gewissermaßen eine Art Traumzustand wahrgenommen. Nervenarzt Dr. P l a c z e k begutachtete, daß die Angeklagte unzweifelhaft in einem Zustand vorübergehender Zer- streutheit, vorübergehender Gedankenleere und klimakterischer Me- lancholie gehandelt habe. Auf Grund dieser Gutachten und der daran geknüpften Ausführungen des Rechtsanwalt Weinberg und Justizrat W r o n k e r erkannte die Straflammer unter Auf- Hebung des ersten Urteils auf Freisprechu n g der Angeklagten. Der Gerichtshof verkannte nicht, daß mancherlei Momente gegen die Unschuld der Angeklagten zu sprechen scheinen, er hielt es aber nicht für widerlegt, daß sie geglaubt hat, ihr eigenes Portemonnaie auf- zuHeben. Daß sie gesehen hat, wie Frau K. es fallen ließ, sei nicht festgestellt. Als die Verliererin dann über ihren Verlust klagte, habe sie wohl nicht daran gedacht, daß sie möglicherweise ein fremdes Portemonnaie in der Tasche haben könnte, erst später habe sie die» gemerkt und sich aus Scham über die fatale Situation in dieser ungeschickten Weise benommen, die sie verdächtig erscheinen ließ. Vermiscktes. Die Ruhestörungen in Köln   am Chlodwigsplatz wiederholten sich Mittwochabend in höherem Maße als an den Tagen vorher. Die Polizei trieb schließlich die Menge auseinander, wobei mehrere Personen verletzt wurden, auch einige Frauen wurden schwer ver- wundet. Eine Anzahl Ruhestörer wurden verhastet. Für den katholischen Feiertag befürchtet man noch größere Ausschreitungen. weshalb die Polizei für die Abendstunden die umfangreichsten Vor- kehrungen gettoffen hat. KottbuS, 22. Juni. Ein seit Sonnabend nachmittag vermißter 15jähriger Knabe aus Meura   bei Senstenberg wurde ermordet unter Spreu verdeckt bei Drochow aufgefunden. Er ist von einem Berg- mann verschleppt worden, der nunmehr des Lustmordes verdächtig verhaftet wurde. Ueber eine Eisenbahn-Katastrophe in Amerika   ist abermals zu berichten: Der Chicago   New Dork Expreß der Lake Shore-Eisen» bahnlinie traf Donnerstag bei Mentor(Ohio  ) auf eine offene Weiche und entgleiste. Der Zug ging in Trümmer und wurde durch aus- brechendes Feuer teilweise zerstört. Dreizehn Personen wurden getötet, zwanzig verwundet. Der Zug lief, als er von dem Unglück betroffen wurde, mit einer Schnelligkeit von 70 Meilen in der Stunde. Verantw. Redakteur:»ranz Rehbrin, Berlin  . Lür den JnseratwfcU ver<mtw.:TH. Glesse, Berlin  . Druck u.»erlag: Borwätt» Buchdruckerei u. Verlagsanstalt Paul Singer& Co.. Berlin   SW.