Nr. 175. 22. Iahrgaug. 1. WIM des Jormiitte" Kerlim WUlott SounOend, 29. Juli 1905. Der Lippesche Thronfolgestreit vor Gericht. Zu dem gestrigen Bericht sei noch die Rede des Verteidigers nachgetragen: Justizrat Dr. W a l l a ch I.- Esten a. R.: Er bedauere, daß sowohl der Vertreter des Privatklägers selbst den Streit auf das persönliche Gebiet geführt und die Rechtslage so wenig gewürdigt habe. Der Presse stehe wohl kein größeres Recht zu als jedem Privat- manne, sie habe aber zum mindesten dasselbe Recht wie jeder Staatsbürger. Der Angeklagte handelte in voller Wahrnehmung berechtigter Interessen, wenn er als lippescher Staats- bürger und als Parteigänger des Biesterfelder Regentenhauses in der damaligen Zeit der Wahlbewegung Partei nahm. Der Privat- klüger war sein politischer Gegner: er stellte sich wiederum zur Wahl. Er hatte daher das Recht, seine Wahl und damit den Privat- kläger selbst zu bekämpfen. In diese Zeit der aufgeregten Wahl« bewegung fiel die Depesche, die dem Angeklagten als Gefahr für die Jnteresten des lippeschen Regentenhauses und des lippeschen Landes erschien. Dieselbe Auffassung hatte Minister Gevekot und der Landtagsabgeordnete Pastor Streiß. Der Herr Vertreter des Privatllägers habe ja dem Angeklagten dafür den guten Mauden konzediert. Es sei auf die Presse hingewiesen worden; er erinnere daran, daß selbst Blätter wie die.Post", der .Hannoversche Kurier" und die„Rheinisch-Westfälische Zeitung" einer ähnlichen Ansicht Ausdruck gegeben haben. Die Wendung m dem Telegramm.Als besondere Gefahr wird diesseits angesehen" konnte und muhte zu der Annahme führen, die Depesche sei in amtlichem Auftrage geschrieben. Der Angeklagte konnte zu der Auffassung kommen, eine solche Depesche, an den Vizepräsidenten des lippeschen Land- tages gesandt, sei eine Gefährdung der Landesinteresscn und des Re- gentenhauseS, es sei eine Eidesverletzung, die Annahme der Depesche zeuge von antickippeschcr Gesinnung und grenze an Hochverrat. Wenn der Angeklagte dieser Ansicht war, so durfte, ja so konnte er als Vertreter einer großen Parteizeitung dieser seiner Ansicht Aus- druck geben. Der Angeklagte handelte dabei in voller Wahrnehmung berechtigter Interessen. Er durste diese Interessen wahrnehmen als lippescher Staatsbürger, als Redakteur, als Zeitungsbesitzer und als lippescher Parteimann. Wenn der Angeklagte seine Behauptungen für wahr gehalten habe, dann könne er nicht bestraft werden, es sei denn, daß aus der Form und aus den Umständen die Absicht der Beleidigung hervorgeht. Er, Verteidiger, müsse eS auch als unbegründet zurückweisen, daß der Angeklagte unehrenhaft gehandelt habe, als er vor dem Richter eine Unwahrheit sagte. Der An« geklagte konnte und durfte seinen Gewährsmann nicht preis« geben, er wollte andererseits nicht in Zwangshaft wegen Zeugnisverweigerung genommen werden; deshalb griff er zu einer Notlüge. Niemand sei berechtigt, ihm daraus einen Vorwurf zu machen. Hätte der Richter den Angeklagten vereidigen wollen, dann hätte letzterer eben den Eid verweigert und wäre verhaftet worden. Nachdem Herr Stärke den AngeNagten von der Geheimhaltung entbunden hatte, sagte der Angeklagte bei seiner zweiten Vernehmung:.Ich habe die Depesche weder von einem Beamten, noch durch Bestechung, sondern von Stärke erhalten. Nun hat Herr Dr. Kdkulö von Stradonitz erklärt, er habe die Depesche nur als Privatmann gesandt. Ich zweifle nicht einen Augen« blick, daß Herr Dr. Kekulä von Stradonitz diese Auffassung hat, denn er hat ja seine Aussage beschworen; ich behaupte aber, Herr Dr. Kekuls befindet sich in einem bedauerlichen Irrtum. Wäre Herr Dr. von Kekulö als Schaumburg -Lippescher Kammerherr nicht Rechtsbeistand in dem schwebenden Rechtsstreit, der geglaubt habe, er werde in dieser Streit- angelcgenheit ftir das Recht bis zu seinem letzten Atemzuge kämpfen, dann könnte man es ja vielleicht glauben, er handelte als Privatmann, aber wenn man die vorerwähnten Zeitungen und außer« dem die Tatsache in Erwägung ziehe, daß Herr Dr. Kekule zwei Tage vor Absendung der Depesche mit dem schaumburg - bückeburgischen Minister, Freiherrn v. Feilitzsch in Berlin konferiert habe, dann könne man unmöglich glauben: Dr. Kekule habe als bloßer Privatmann gehandelt. Dr. Kekule hält uns für so naiv, so etwa fährt der Verteidiger fort, wir sollen eS glauben: er habe das Wort:„diesseits" angewendet, um b Pf. zu sparen, er habe ursprünglich geschrieben:.von mir". Ich habe bereits gestern Herrn Dr. Kekule gesagt: er hätte, anstatt„von mir", schreiben können:«sehe an". Ein Mann wie Dr. Kekuls mußte sich sagen: das Wort:.diesseits" kan« nicht so aufgefaßt werden, daß damit der Ansicht eines Privatmannes Ausdruck gegeben würde.„Als besondere Gefahr wird„diesseits" angesehen, wenn Ersuchen an den Bundesrat beschloffen wird, höchstes Gericht durch Reichsgcsetz mit der Entscheidung zu betrauen," so lautete die Depesche. Von wem wurde es als Gefahr angesehen? Doch nur von Bückeburg . Eine solche Depesche schreibt kein Privatmann. Die Depesche ist aber auch an keinen Privatmann gegangen, sondern an den Vize- Präsidenten des lippeschen Landtages und zwar in dem Augenblick, als der lippesche Landtag vor der Entscheidung über die Vorlage 78 stand. Es darf dabei nicht außer acht gelassen werden, daß der Empfänger der Depesche seit Jahren mit Herrn Dr. Kekule in der lippeschen Thronfolge-Streitsache konspiriert und wenige Tage vorher bei Herrn Kekule angefragt hat, ob eS wahr sei, daß die lippesche Regierung in Berlin ein Preßbureau unterhalte. Der Herr Privat- kläger sagte: Der Herr Minister habe sich für die von ihm zum Reichskanzler unternommene Reise rächen wollen. Hat der Herr Privatkläger nicht bedacht, welch schweren Vorwurf er damit gegen den höchsten Beamten seines Landes erhoben hat? Der Angeklagte hatte das Recht, seiner Auffassung, wie geschehen, über die Depesche Ausdruck zu geben. Diese Auffaffung wurde von einem großen Teil des lippeschen Volkes geteilt. Der Angeklagte ist daher wegen der inkriminierten Aeußerungen betreffs der Dicsseitsdepesche frei- zusprechen, da auch aus der Form und den Umständen nicht die Absicht zu beleidigen hervorgeht. Die anderen inkriminierten Aeußerungen sind mit Rücksicht auf die„Verteidigungsschrift" des Privatklägers zu kompensieren, sie sind im übrigen auch in Wahr- nehmung berechtigter Interessen geschehen. £lus Industrie und Handel. Die Zusammenlegung kleiner Grundstücke zu größeren, die an« fänglich nur in der Berliner Innenstadt beobachtet worden war, ist allmählich auch in den äußeren Stadtteilen eine nicht mehr ganz seltene Erscheinung geworden. Der letzte Jahresbericht der städtischen Feuersozietät berichtet über den Abgang von 40 Grund- - stücken, die aus der Grundstücksliste gestrichen werden mußten, weil > sie mit Nachbargrundstücken vereinigt toorden waren. Daran war i die Altstadt sStandesamtSbezirk I), in der im vorhergehenden Jahre . noch 7 bisher selbständige Grundstücke weggefallen waren, jetzt nur noch mit 2 Grundstücken dieser Art beteiligt. Die Frieorichstadt hatte diesmal einen Abgang von 8 Grundstücken. Einen Abgang von 8 Grundstücken weist aber auch die ältere k Luisenstadt(nebst Neu-Cölln) auf, und im Spandauer Viertel schieden 7 Grundstücke aus. Ferner ist selbst das Stralauer Viertel schon mit 6 Grundstücken beteiligt, die Oranienburger Vorstadt mit 3 Grund« stücken, die Rosenthaler Vorstadt mit 2 Grundstücken. Auf die übrigen Standesamtsbezirke, die den äußersten Rand des Stadtgebietes bilden, entfällt nur je 1 Grundstück. In den letzten fünf Jahren sind 183 Grundstücke durch Bereinigung mit Nachbargrundstücken ausgeschieden. Davon lagen allein in der Altstadt 50 Grundstücke und in der Friedrichstadt 41, sodaß im Jahrfünft 1889/1904 diese beiden Stadtteile allein mit der Hälfte beteiligt waren. Der deutsche Außenhandel in Baumwolle und Baumwollwaren hat in der ersten Hälfte des laufenden Jahres zwar nicht die Gewichtsziffern erreicht wie im ersten Halbjahr 1904, doch kann er deshalb keineswegs als ungünstig bezeichnet werden, besonders nicht, wenn man die Rückwirkung der Preistreibereien an den ameri- kanischen Baumwollbörsen mit in Betracht zieht. Die Einfuhr betrug in den ersten sechs Monaten dieses Jahres zwar nur 2 614 686 Doppel- zentner gegen 2 716 433 Doppelzentner im gleichen Zeitraum des Vor- jahres, aber dieser Ausfall ist hauptsächlich durch den Minder- import von Rohbaumwolle verschuldet, da die deutschen Spinnereien in der Erwartung, daß die Hausse an den amerikanischen Börsen zusammenbrechen wird, vorläufig noch mit dem Einkauf von Baum- wolle zurückhalten. Eine Abnahme der Baumwollverarbeitung und des Absatzes von Garnen und Geweben darf daraus nicht gefolgert werden; im Gegenteil, die Ausfuhr von Baumwollgarnen und Baumwollwaren nach dem Auslande hat eine beträchtliche Steige- rung erfahren. Nach einer Zusammenstellung der„Köln . Ztg." ergeben sich nämlich für die Ein- und Ausfuhr folgende Gewichts- Ziffern: 1905 1904 1903 Doppelzentner Rohbaumwolle(einschließlich Abfälle und Watte).. 2 481 800 2 567 549 2 546 847 Baumwollgarne..... 98 887 112 312 100 105 Baumwollwaren..... 33 999 35 572 83 867 Zusammen 2 614 686 2 715 433 2 680 819 Die der deutschen Industrie zum Verbrauch zur Verfügung stehende Menge Rohbaumwolle(Einfuhrüberschuß) berechnet sich für den an- gegebenen Zeitraum auf 2 123 124 Doppelzentner gegenüber 2 193 304 Doppelzentner und 2 207 084 Doppelzentner in den beiden Vorjahren. Bei der Ausfuhr ist die Zunahme der Baumwollwaren-AuSfuhr ein besonders erfreuliches Zeichen. Es wurden in der ersten Jahres- Hälfte ausgeführt: Rohbaumwolle(einschließlich Abfälle und Watte).. Baumwollgarne..... Baumwollwaren..... 1905 1904 1903 Doppelzentner 358 676 56 871 235 145 374 245 48 077 224 360 839 763 61 853 228 369 Zusammen 650 692 646 682 629 985 Stellt man bei der wichtigsten Ausfuhrgruppe, den Baumwollwaren, Einfuhr und Ausfuhr gegenüber, so ergibt sich ein Ausfuhrüberschuß von 291 146 Doppelzentner im laufenden Jahre gegenüber 188 792 Doppelzentner und 194 502 Doppelzentner in den beiden Vorjahren. Zur Lage des ArbeitSmarkteö in England und Frankreich . Die Besserung der wirtschaftlichen Lage, die sich seit Anfang des laufenden Jahres in fast allen wichtigeren Jndustneländern zeigt, hat im Juni weitere Fortschritte gemacht. In England fiel die Arbeitslosenziffer von 5,9 Proz. im Juni 1904 auf 5,2 Proz. im laufenden Jahre. Im Vorjahre war sie im Juni um 1,4 Proz. gestiegen. Besonders gut ist die Metall- und Maschinenindustrie beschäftigt, die Zahl der Arbeitslosen fiel fast in allen Zweigen deS Eisen- gewerbeS; die Arbeiter konnten in mehreren Bezirken, wie in Cleveland , mit Steigerungen des Wochenlohnes den Monat ab- schließen. Im Schiffbau war die Beschäftigung flott. In der Textilindustrie ist die Beschäftigung ebenfalls befriedigend; der Markt ist zwar nicht sehr belebt, doch sind die Fabrikanten im Web- stoffgewerbe reichlich mit Aufträgen versehen und halten fast durchweg den vollen Betrieb aufrecht. Die Spinner nahmen zuin Teil Austräge nur zu längeren Lieferfristen an. da ihre Fabriken voll beschäftigt waren. Nicht ganz so lebhaft wie in England, aber immerhin be- friedigend war die Beschäftigung in F r a n k r e i ch. Im Kohlenbergbau war die Förderung der Jahreszeit entsprechend ziemlich matt; nur imLoire- Becken herrschte lebhaftere Tätigkeit. Dagegen war da« Eisengewerbe flottbeschäftigt. Besonders gut sind die Fahrrad- und Automobil-Fabriken mit Aufträgen versehen. Recht rege war im Juni auch die Bautätigkeit. Der Geschäftsgang im Textilgewerbe war gegen Mai wenig der- ändert. Bei den Baumwollfabrikanten liefen zahlreiche Bestellungen ein, so daß die Fabriken auf längere Zeit hinaus gut beschäftigt sind. Die Betriebe der Streichgarnspinnerei haben gut zu tun; da- gegen ist in der Fabrikation von Wollgarnen eine Ermattung ein» getreten. Bei den Lyoner Seidenfabrikanten gingen im Juni die lusträge reichlich ein._ GcwerkrchaftUcbcö. „Post"-Esclei. Die Beurteilung der Arbeiterbewegung geschieht in der Redaktion der„Post" nach einem bestimmten Schema, so wie etwa die„briefliche Behandlung" bei den Heilmittel- schwindlern. Kommt den„Post"-Redakteuren irgend ein Stück Arbeiterbewegung zur Beurteilung unter ihre Finger, so schlagen sie einfach die ihnen vom seligen Stumm hinterlassene Tabelle nach und flugs sind sie mit ihrem Urteil fertig. Nach berühmter Eisenbartmanier macht man dann die sozial Blinden gehen und die politisch Lahmen wieder sehen! Obenan steht in den Tabellen der„Post"-Politikpsuscher offenbar: Arbeiterbewegung— Werk der Verhetzung. Ob sich die Arbeiterschaft polittsch, ob sie sich gewerkschaftlich betätigt, eine andere Erklärung dafür als die Tätigkeit von„Agitatoren und Hetzern" vermag sich die„Post" nicht zu denken.— Hinter dem Stichwort Streik aber heißt es: Werk der Sozialdemokratie. Es hat noch keinen Streik gegeben, den die„Post" nicht am letzten Ende auf diese zurückgeführt hätte. Man konnte einigermaßen neugierig sein, wie sich unter diesen Umständen das Blatt zu dem Streik der indifferenten „königlichen" Bergleute in Barsinghausen verhalten würde, der gerade durch das Eingreifen des Bergarbeiter-Verbandes sein Ende gefunden hat. Wir hätten uns diese Neugierde sparen können: Die„Post" läßt von den Stummschen Ueberliefe- rungcn nicht; nur verwertet sie dieselben so plump, daß der selige Stumm sich im Grabe andauernd um seine Achse drehen muß. Hoch originell ist die Beweisführung dafür, daß auch in diesem Falle die Verhetzung von außen in das Bergrevier von Barsinghausen getragen sein muß. Die Leute forderten nämlich auch Beseitigung der U e b e r s ch i ch t e n. Bei einer Saisonkohle nun, wie der Deisterkohle, sagt die„Post", ließe sich ohne Ueberschichten gar nicht auskommen, wenn Produktton und Absatz im Gleichgewicht gehalten werden sollen. Des- wegen könnten die Bergleute selbst zu solchen Forderungen gar nicht gekommen sein.— Merkwürdige Kohle, diese Deisterkohle, die offenbar einige Aehnlichkeit mit frischem Spargel oder lebenden Blumen haben muß, sodaß sie erst kurz vor dem Konsum gebrochen werden muß. Vielleicht aber sind die Bergleute des Barsinghausener Reviers doch etwas besser über die Natur der Kohle unterrichtet, als die Herren in der Redaktion der„Post", vielleicht wissen sie auch ohne Verhetzung von außen, daß man Kohlen aufzubewahren und deswegen die Produktion sehr wpyl auch ohne Ueberschichten dem Konsum anzupassen vermag.' Hoch originell aber ist wirklich der Reinfall der„Post"- Esel bei der Art, wie sie sich die Beendigung des Streiks plausibel zu machen versuchen. Bekanntlich fand kurz vor Beendigung des Streikes unter anderem auch eine Ver- sammlung der Bergleute im Zechenhause statt. Diese Tat- fache muß der„Post" als Erklärung für die schnelle Be- endigung des Streiks dienen. Sie schreibt: „ES war eine sehr vernünftige Maßnahme der Werksleitung, bei der entscheidenden Bergarbeiterversammlung den Einfluß der fremden Agitatoren und Hetzer auszuschließen. Das hat seine guten Früchte getragen. Der Friede ist wieder zustande gekommen und die Bergarveiter haben sich anscheinend davon überzeugt, daß es ihren Interessen nicht dienlich ist, sich von fremden Agitatoren ins Schlepptau nehmen zu lassen, denn eine öffentliche Versammlung inr Restaurant„Klosterstollen" unter der Leitung des Sekretärs des Bergarbeiter-Verbandes, welche nach der entscheidenden Versammlung im.Zechensaale" stattfand, war äußerst schwach besucht und eine zweite, 2 Stunden später anberaumte mußte ganz ausfallen." Man sieht, das Rezept ist sehr einfach: Ist der Streik das Werk der Verhetzung fremder Agitatoren, so trenne man die Verführten von diesen und der Streik ist beendet l Schade nur, daß sich die Sache in Wirklichkeit um- gekehrt zugetragen hat. Die von der Bergbehörde in- szenierte Komödie einer Versammlung war von nur'zirka 320 Bergleuten(bei einer Belegschaft von zirka 1900) besucht. Die Abstimmung daselbst ergab die Ablehnung der Arbeits - aufnähme mit überwältigender Majorität! Die Fortsetzung des Streiks, der schließlich unter großen Opfern nur noch günsttgen Falles hätte versumpfen können, erschien den herbei- gerufenen Führern des Bergarbeiter-Verbandes jedoch taktisch nicht ratsam, und eine nach der Versammlung im Zechenhause abgehaltene selbständige Versammlung der Streikenden beschloß nach Befürwortung des Bergarbeitcrverbands-Sekretärs Hufe- mann einsttmmig die Wiederaufnahme der Arbeit am Donnerstag früh. Wenn daher die„Post" weiter sagt, es sei kein Wunder, „daß die Sozialdemokratie und die mit ihr an einem Strange ziehende demokrattsche Presse wenig davon erbaut ist. daß der gesunde Sinn der Bergarbeiter endlich über die agitatorische Verhetzung von auswärts den Sieg davon getragen hat", so ist sie, wie man sieht, in jeder Beziehung auf dem Holzwege. Der gesunde Sinn der Bergleute hat mit der Beendigung des Streiks wenig zu tun. Dieses war ein taktisches Meisterstück der„auswärttgen Agitatoren". Deswegen ist auch kein Anlaß für Arbeiterfreunde» über den Ausgang dieser Bewegung wenig erbaut zu sein. Der Streik ist eine Niederlage der unorganisierten Arbeiter, aber ein Erfolg des Organisations- gedankens, der unter diesen Leuten jetzt nicht mehr aus- gerottet zu werden vermag. Berlin und tlmg«g-end. Arbeitsniederlegung wegen nlangelnder Schutzvorrichtungen. Auf dem Neubau in der Mantcuffelstraße 60 verlangten die Maurer wiederholt, daß die llnfallverhütungsvorschriften mehr Beachtung finden möchten. Der Polier gab als Entschuldigung an, es mangele an Rüstzeug. Der Bau war bereits bis zur 2. Etage fertiggestellt, aber nirgends waren Schutzdächer vorhanden. Es ist lediglich einem glücklichen Ungefähr zuzuschreiben, daß bis dato trotz mchrmakigcn Herabfallens von Materialien niemand verletzt wurde. Am 20. Juli verlangte die P o l i z e i die Anbringung von Schutzdächern, die dann auch, aber nur in der unzureichendsten Weise, angebracht wurden. Am Donnerstag verlangte der Kontrolleur der Berussgenossen- schaft energisch Abhülfe; auch fühlte sich der Baudeputicrte ver- pflichtet, den Kontrolleur auf die bestehenden Mängel aufmerksam zu machen, was den beiden Policren nicht verschwiegen blieb. Ob- gleich im Laufe der Woche Maurer neu eingestellt waren, ent- ließ man nun gestern plötzlich 8 Maurer, darunter den Bau- deputierten und diejenigen, welche für Abhülfe der bestehenden Mißstände eingetreten waren. Die Wiedercinstellung von 3 der Entlassenen wurde vom Polier im Beisein der Organisations- Vertreter rundweg abgelehnt. Darauf legten sämtliche auf dem Bau beschäftigte Maurer , außer 6, die mit den bestehenden Ver- Hältnissen zufrieden sind, die Arbeit nieder. Sie verzichteten darauf, auf einem derartigen Bau weiter zu arbeiten und erwarten von jedem organisierten Maurer, daß er den Bau meide, bis auch dort geordnete Zustände geschaffen sind. Die allgemeine Lohnbewegung der Fahrstuhlarveiter ist beendet. In der am Donnerstag abgehaltenen Versammlung der Fahrstuhl- arbeiter wurde die Situation folgendermaßen �dargestellt: Die Firmen mit Motorfahrstühlen haben mit Ausnahme von dreien die Forderungen der Arbeiter anerkannt. Die drei Firmen, welche nicht bewilligt haben, kommen aber zurzeit für die Bewegung nicht m Betracht, weil sie fast gar keine Arbeiter beschäftigen. Die kleinen Firmen mit Fahrstühlen anderer Systeme haben bisher schon höhere Löhne gezahlt. Etiva 700 Fahrstuhlarbeiter sind zu den durch Ver- träge festgehaltenen Forderungen beschäftigt. Der Erfolg der Be- wegung kann als ein durchaus befnedigender angesehen werden, um- somehr, als dies die erste allgemeine Lohnbewegung ist, welch« die noch junge Branche der Fahrstuhlarbeiter geführt hat. Was jetzt noch nicht erreicht Igerden konnte, wird zu einer anderen Zeit sicher nachgeholt werden. Ein zweite? Mal werden die Unternehmer eine solche Bewegung nicht an sich herantreten lassen, sondem eine Vereinbarung m,t den Arbeitern abschließen.— Aus diesen Gründen beschloß die Versammlung, die allgemeine Bewegung als beendet zu erklären, und hinfort bei allen Firmen, welche die Forderungen nicht innehalten, nur durch Bausperren vorzugehen. Ferner beschloß die Versammlung, bei der Firma Rietsch zu einer Zeit, wo sie alle ihre Fahrstühle in Betneb hat, aufs neue die Forderungen zu stellen und dafür einzutreten. Oeutkches Reich. Den Breslauer Metallarbeitern ist eine Aussperrung an- gedroht. In einer Erklärung an die bürgerliche Presse teilen die Unternehmer folgendes mit: „Die Hartnäckigkeit, mit der die Organisatton der Arbeitnehmer immer und iminer wieder bestrebt ist, Lohntarife behufs Verein- baning von Minimalsätzen, Akkordgarantten, Herbeiführung der neunstündigen Arbeitszeit, sowie tarifliche Bindung überhaupt, zu erzielen, zwingt die Arbeitgeber, energisch Stellung gegen diese Bestrebungen zu nehmen, da Handel und Industrie durch die fort- währenden für diese Zwecke in Szene gesetzten partiellen Streiks beunruhigt und in ihrer gedeihlichen EntWickelung gehemmt werden. Aber nicht nur die Arbeitgeber, auch die Arbeitnehmer sind die Geschädigten. Besserung der Lohn- und Arbeitsverhältnisse können nicht durch Zwang und Tarif erreicht werden, das kann nur erzielt werden durch Steigerung der Leistungsfähigkeit industrieller Unter- uehnuingen, für welche eben auch die Leistungen der Arbeitnehmer einen bedeutenden Faktor darstellen.— Zurückgehende Werke, Werke, die keinen Absatz haben, die nicht Hervorragendes leisten, können nichts verdienen, können also auch nicht die Löhne aufbessern. Trotz der in Erscheinung getretenen weitgehenden Bereitwillig- keit der Arbeitgeber, den Wünschen der Arbeitnehmer entgegen- zukommen, soweit dies möglich ist, trotzdem laufend Lohnerhöhungen, bessere Bezahlung der Ueberstunden, Verkürzung der Arbeitszeit in den hiesigen Betrieben vorgenommen lvorden sind, haben es die Organisationen doch vorgezogen, durch Verhängung von Streiks bei einzelnen Fabriken, welche dmch die Ausiofuvg hierzu bestimmt
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