»Unser ganze? Leben spielt sich in vollster Oesientlich- keit ab, und wir haben daher nicht einmal das Mittel, geheime Pläne zu fassen und zu hegen. Wir haben keine Verträge zu verbergen, in deren Geheimnis; nur Wenig« eingeweiht sind— wie jenen Vertrag, den der König von Italien nicht zeigen will und nicht zeigen kann. „Im Vergleich mit unserer RednerbühneZ und unserer Presse ist der Hanswurst*) verschwiegen wie das Grab. Vo» unserer Seite ist keine Ueberraschung zu befürchten. Es giebt auf der ganzen Erde kein Land, dem ein Angriffs- krieg so schwer wäre, wie unserem Frankreich . Das ist so offenbar, daß Europa schließlich doch ge- zwungen sein wird, unsere Kriegswuth neben unsere„Fri- volität* und„Leichtfertigkeit" zu den überwundenen und lächerlich gewordenen Verleumdungen zu legen." Dies der Brief. Der Verfasser— einer der namhaf- testen Lehrer an der Pariser Umversität, Professor Lavisse — veröffentlichte ihn dieses Jahr im„Figaro" mit der aus- gesprochenen Absicht, den in Deutschland systematisch ge- nährten Glauben zu widerlegen,„Frankreich ", das heißt »die französische Nation", brenne, vor Gier, behufs Rück- eroberung von Elsaß-Lothringen einen Krieg mit Deutsch - land beim ersten besten Anlaß vom Zaun zu brechen. Wir wollen hier nicht auf die Elsaß-Lothringische Frage eingehen— dazu haben wir an anderem Ort bessere Gelegenheit— indeß selbst zugegeben, daß die Masse der Franzosen den Verlust der„zwei Provinzen" noch nicht verschmerzt hat, so wird Jeder, der den Brief Lavisse's mit Aufmerksamkeit durchliest, doch zugestehenHmüssen, daß gegen die Thatsachen, welche er enthält, ebensowenig wie gegen die Argumentation sich etwas einwenden läßt. Frankreich ist auf dem Wege, sich zu einem demokratischen Freistaate zu entwickeln; ist es heute von diesem Ziele auch noch weit entfernt, so ist es doch Thatsache, daß der Geist der Demo- kratie auch in der französischen Armee schon an Boden ge- wonnen hat. Gewiß ist es von der jetzigen französischen Armee so wenig richtig, dieselbe als das„Volk in Waffen" zu bezeichnen, als es eine lächerliche Uebertreibung ist, die- selbe Phrase aus die deutsche Armee anzuwenden. Auf keinen Fall— darin hat Professor L wisse ganz recht— hat eine einzelne Person in der französischen Armee den Einfluß wie dies bei den Armeen der monarchischen Staaten der Fall ist, und ebenso ist der Einfluß der Offizierskaste auf die Regie- rung des Landes in der französischen Armee nicht so maßgebend wie in den übrigen Armeen der europäischen Großstaaten. Ter demokratische Charakter des französischen Staats und der französischen Armee bildet eine Garantie des Friedens. Dazu kommt noch ein anderes Moment. In Frankreich ist im Durchschnitt die Lebenshaltung eine höhere als in Deutschland , das Volk lebt besser, ist mehr an Komfort, d. h. die Vortheile der Kultur gewöhnt, als in Deutschland — daS ist allen unseren Soldaten während des letzten Krieges ausgefallen. Nun liegt es aber in der Natur der Menschen und der Dinge, daß ein Volk, je höher seine Knlturbedürfnisse sind, desto weniger Freude am Krieg haben kann. Es ist dies von Buckle in seiner »Geschichte der Zivilisation" glänzend, mit zwingender Logik und einem erdrückenden Aufmarsch von Thatsachen nach- gewiesen worden. Kriegslust und die Achtung von kriegerischen Eigenschaften stehen im umgekehrten Verhältniß zum Knlturniveau. Was man»kriegerische Eigenschaften" nennt— Kampflust,„Schneidigkeit" im Draufgehen, Verachtung der Gefahr— ist bei den meisten Thierarten in weit höherem Maße vorhanden als bei den Menschen, und im höchsten Maß bei denjenigen Menschen, welche der Thierhett am nächsten sind. Für einen Menschen, der an ein menschenwürdiges Leben gewöhnt ist und geistige Be- dürsuisse hat, ist der Militärdienst mit seinem mechanischen, nicht blos geistlosen sondern geisttödtenden Drill und mit dem Aufenthalt in der Kaserne, dieser Bastille des Körpers und des GeisteL, eine weit schlimmere Folter, ein weit größeres Opfer als für Jemand, der in noch weit kultur- widrigeren oder wenigstens von der Kultur weit weniger »beleckten" Verhältnissen herangewachsen ist, als der Militärdienst sie ihm bietet. In Deutschland ist die Zahl *) Der HanZwurst'— Pollichrnelle— der französischen Bühne ist geschwätzig wie eine Elster und indiskret wie ein Backfisch. »Das Geheimnib des Hanswursts"— I« sparst du Polichinelle — ist ein Geheiminst, das von allen Straßendächern verkündet wird. Unser Wagen war vorgefahren; wir mußten einsteigen, und Rosa drängte mich vorwärts; Tilling führte die Hand an die Mütze und wollte zurücktreten. Da machte ich eine heftige Anstrengung und sagte mit einer Stimme, die mir selber ganz fremd klang: „Sonntag zwischen zwei und drei werde ich zu Hause sein." Er verneigte sich stumm, und wir stiegen ein. »Du mußt Dich erkältet haben, Martha," bemerkte meine Schwester, als wir davonfuhren;„Deine Aufforderung klang furchtbar heiser. Und warum hast Du mir diesen schwermüthigen Stabsoffizier nicht vorgestellt? Ich habe noch selten ein weniger aufheiterndes Gesicht gesehen." ** Am bestimmten Tage und zur bestimmten Stunde ließ sich Tilling bei mir anmelden. Vorher hatte ich in die rothen Hefte folgende Eintragung gemacht: »Ich ahne, daß der heutige Tag über mein Schicksal entscheiden wird. Mir ist so feierlich und bang, so süß er- wartungsvoll zu Muthe. Diese Stimmung muß ich in diesen Blättern firiren, damit, wem; ich einst nach langen Jahren darin blättere, ich mir recht lebhaft die Stunde in's Gedächtniß zurückrufen könne, welcher ich jetzt so be- wegt entgegensehe. Vielleicht kommt.es ganz anders, als ich denke— vielleicht auch genau so.... jedenfalls wird es mich einst interessiren, zu sehen, wie weit Voraussicht imd Wirklichkeit sich deckten.---- Der Erwartete liebt mich— das bewies mir sein am Sterbelager der Mutter geschriebener Brief; er ist wiedergeliebt— das muß ihm das Röslein im Todtenkranz verrathen haben... Und nun kommen wir zusammen— ohne Zeugen— im Innersten bewegt— er trostbedürftig— ich vom Wunsche zu trösten durchdrungen: ich glaube, es wird gar nicht viel Worte geben... Thränen in unserer beider Augen, zitternd vereinte Hände— und wir werden uns verstanden haben... Zwei liebende, zwei glückliche Menschen— ernsthaft, weihevoll, leidenschaftlich, andächtig glücklich— während in der Gesellschaft die Sache gleichgiltig und trocken etwa so verkündet wird:»Wissen Sie schon? die Martha Dotzky hat sich mit Tilling verlobt— eine Derer, die in der Kaserne mehr Komfort und bessere Nah- rung finden als bei sich„zu Haus" eine sehr große, wäh- rend sie in Frankreich vergleichungsweise gering ist. Thatsache ist es— und Jeder, der in Frank- reich sich unter dem Volke bewegt, kann sich leicht davon überzeugen, daß die Abneigung gegen den Kriegs- dienst in Frankreich allgemein ist und daß in allen Klassen der Gesellschaft die militärische Dienstpflicht als eine überall schwere, drückende Last empfunden wird. Kein Zweifel, die Chauvinisten sind in Frankreich noch nicht ausgestorben, sie sind jedoch gewiß rncht zahlreicher als in Deutschland , und gewiß weit weniger einflußreich. Jedenfalls haben die Befürworter der neuen großen Militärvorlage kein Recht, sich aus die Kriegslust der Frau- zosen zu berufen. Freilich, ob Recht, ob Unrecht, das ist gleichgiltig für Leute, die in der Politik nur Macht- und Jnteressenfragen kennen. In der Angst der Bourgeoisie vor dem Proletariat haben sie einen starken Bundes- genossen, und erst wenn der Sozialismus den Klassenkampf beendigt und die Klassenherrschaft gebrochen hat, wird das Wohl des Volkes in Wirklichkeit oberstes Gesetz sein und auf den Trümmern des Kapitalismus und Militarismus der Völkerfriede erblühen. Vottttfcho Aeverstrvk. Berlin , den 6. September. Das Mokochspiel. Mit dem Vexiren ist's noch immer nicht zu Ende. Ende dieses oder Anfang des nächsten Monats— sagt Herr Pindter— soll die Wahr- heit über die neue Militarvorlage gesagt werden. Also noch einen Monat lang wird fortgelogen. Und nachher vermulhlich auch noch; denn die Wahrheit ist für den Moloch und seine Priester tödtliches Gift.— Laut einem Telegramm aus Budapest ist heute in dem „Pcster Lloyd" ein Brief aus Berlin erschienen, der sich über die dränende Militärvorlage wie folgt ausspricht: „Die Angelegenheit werde schon seit Jahr und Tag in den zuständigen militärischen und politischen Kreisen verhandelt. Da nach genauen Berechnungen der Dreibund über un- gefähr ei'ne Million Soldaten weniger ver- fügt als Frankreich und Rußland zusammen, so muß sich das Deutsche Reich, yhne Rücksicht darauf, daß es treuer Freunde gewiß ist, und daß keine unmittel- baren Kriegsgefahren drohen, militärisch so stark machen, als es nur irgend kann; und daraus rechtfertigen sich weiter die vorbereitenden Arbeiten, die seit ahr und Tag ohne Schwankungen in mannigfachen praktischen ersuchen und erneuten Berathungen auf ein bestimmtes Ziel hin durchgehalten worden sind. Aus der Aufzählung der Hauptzwecke, die verfolgt werden, ergiebt sich schon ein wesentlicher Theil des Inhaltes der Vorlage. Die Zweck« sind: 1. Vermehrung der ausgebildeten Truppen; 2. Ver- jüngung der Feldarmee; 3. Befestigung der Wehrkraft, ins- besondere durch neue Kadres. Was die Regierung nun fordert, wird zum Theil unter der Schätzung bleiben, die vor 2 Jahren General Vogel von Falckensteiu anstellte, im Ganzen aber ungefähr an 30 Millionen Mark heranreichen. Neue Kadres sind bestimmt, die Mannschaften, die nur zum Arbeiterdienst ausgehoben werden, die sogenannten Nonvaleurs, zu vereinigen und im Kriege besondere Funktionen zu übernehmen. Die Einrichtung bezweckt vor aklern, die volldieuenden Mannschaften von allen Verrichtungen zu entlasten, die mit der kriegsmäßigen Ausbildung nichts zu thun haben, und so die ausschließliche Verwendung der abgekürzten Dienstzeit aus die militärische Er- ziehung zu ermöglichen. So der„Pest « Lloyd". Wir haben es hier mit einem Schatten zu thun, den die von dem Reptil der „Norddeutschen" angekündigte„wahrheitsgetreue Denkschrift" vor sich her wirft. Neu in der Mittheilung ist die muthige Enthüllung des Ziels. Der Dreibund hat eine Million Soldaten zu wenig. Das bankrotte Italien und das ziemlich ebenso bankrotte Oesterreich, können die Million natürlich nicht stellen. Bleibt Deutsch - land, das noch nicht ganz so arg auf dem Hund ist, und daher die fehlende Million stellen muß. Eine Million Soldaten mehr? Das ist nicht gelogen. Und gut, daß wir es wisse». Was über die K o st e n gesagt wird, ist weniger glaubwürdig. Das„zum Theil unter der Vogel von Falckenstein'schen Schätzung",»im Ganzen aber ungefähr an 80 Millionen" ist eine höchst verdächtige Wendung und miserable Partie."... Es ist zwei Uhr und fünf Minuten— jetzt kann er jeden Augenblick eintreten— Die Glocke... dieses Herzklopfen, dieses Zittern, ich fühle, daß--" So weit war ich gekommen. Die letzte Zeile ist mit beinahe unleserlicheu Buchstaben gekritzelt, ein Zeichen, daß „dieses Herzklopsen, dieses Zittern" keine bloße rhetorische Figur war. Voraussicht und Wirklichkeit deckten sich nicht. Tilling verhielt sich während seines halbstündigen Besuches ganz zurückhaltend und kalt. Er bat mich um Verzeihung für die Kühnheit, welche er gehabt, an mich zu schreiben; ich möge dieses Beiseitesetzen der Etikette der Unzurechnungsfähigkeit zu gute halten, welche einen Menschen in so schmerzlichen Augenblicken befallen kann. Dann erzählte er mir noch einiges von den letzten Tagen ilild aus dem Leben seiner Mutter; aber von dem, was ich erwartet hatte— kein Wort. Und so wurde auch ich immer zurückhaltender und kälter. Als er sich zum Gehen erhob, machte ich keinen Versuch, ihn zu halten und forderte ihn auch nicht auf, wiederzukommen. Und als er draußen war, stürzte ich wieder zn den noch offen liegenden rothen Heften hin und schrieb den unterbrochenen Satz weiter: „Ich fühle, daß— alles ans ist... daß ich mich schmählich getäuscht habe, daß er mich nicht liebt und jetzt auch glauben wird, daß er mir ebenso gleichgiltig ist, wie ich ihm. Beinahe abstoßend habe ich mich benommen. Ich fühle— er kommt nie wieder. Und doch enthält die Welt keinen zweiten Menschen für mich! so gut so edel, so geistvoll ist keiner mehr— und so lieb wie i ch Dich gehabt hätte, Friedrich, so lieb hat Dich keine Andere, Deine Prinzessin— zu der Du zurückgekehrt zn sein scheinst — schon gewiß nicht. Mein Sohn Rudolf, Du sollst mein Trost und mein Halt fein. Fortan will ich von Frauen- liebe nichts mehr wissen; nur die Mutterliebe soll mir Herz und Leben ausfüllen... Wenn es mir gelingt, einen solchen Mann aus Dir zu bilden, wie jener einer ist— wenn ich einst von Dir so beweint werde, Rudolf, wie riecht entschieden nach mehr. Doch da? ist nebensächlich. Die Hauptsache ist: Eine Million Soldaten mehr! Deutsches Volk hast Du verstanden? Eine Million Soldaten mehr!— Staatsanwalt Nomen macht Schule. Das Depefchenbureau»Herold" berichtet aus Breslau , 6. Sept.: Der Redakteur der sozialistischen»Voltswacht", Thiel, hatte fich vor der Ferien-Strafkanimer wegen Preßvergehens heute zu verantworten. Bor der Vernehmung der Entlastungs- zeugen verwarnte Landgerichtsdireklor Schmidt dieselben folgendermaßen: Es ist mir bekannt, daß die sozialistisch« Parteileitung ihren Mitgliedern empfohlen hat, überall da, wo Sozialisten als Angeklagte vor Gericht stehen, Meineide zu schwören, um die Angeklagten zu entlasten. Der Ver- theidiger des Angeklagten protestirte energisch gegen diese Be- haupt'ung. Ein Gleiches lhut auch die heutige Nummer der „Volksmacht". Sie schließt ihren Artikel:»Landgerichts- direktor Schmidt wird demnächst Gelegenheit haben, den Wahr- heitsbeweis für seine Behauptung anzutreten." Nachdem über diese infame Verleumdung uns«« Partei sich nachgerade alle anständigen Leute und Blätter in tadelnder Weise geäußert haben, verlohnt es sich für uns wohl kaum mehr der Mühe, den albernen Schwätzereieu des Herrn Landgerichtsdirektors eine größere Aufmerksam- keit zu schenken. Was unsere Partei auf diese Wieder- auswarmung der alten Lüge zu erwidern hat, das werden unsere Breslau « Genossen in gebührender Weise besorgen. Von der Braustener. Die„München « Neuesten Nachrichten(Nr. 406 vom 6. d. Mts.) melden:»Ein preußischer Steuerkontrolleur besucht gegenwärtig die bayerischen Malzaufschlägereien und erhebt bei diesen wie direkt bei den größeren Brau-Etabliffements Informationen über die Erhebungsweise und die Wirkung des bayerischen Malzaufschlages. Man bringt diese Informationsreise mit der etwaigen Absicht in Verbindung, auch für dre norddeutsche Biersteuer-Gemein- schaft das bayerische Mal�ansfchlags- System in Anwendung zu bringen." D« 100 Millionen der Militärvorlage bekommt man durch V«thenerung noth- wendiger Lebensmittel. Steuerzahler, seid aus der Hut!— „Frivol".„Eine Frivolität" nennt es die„Kreuz- Zeitung ", daß ein rheinifches Blatt angesichts der Cholera« gefahr das Aufgeben der großen Manöver„fordert". Das Blatt hätte wohl in Ehrfurcht ersterbend d'rum betteln sollen? Sehr lieb ab« wäre uns, wenn die„Kreuz-Zeitung " einmal darlegen wollte, worin die„Frivolität" eines solchen Verlangens bestehen soll. Jedenfalls sind wir so„frivol", dasselbe für durchaus berechtigt, das Gezeter der„Kreuz- Zeitung " hingegen für höchst»frivol" zu erklären. Es ist ebenso„frivol", wie weiland d« Versuch Pindtu's in der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung", den Hitzschlag und die Todesmärsche d« Soldaten als Theile eines spartanischen Erziehungs- Systems hinzustellen. Gewiß, der Soldat soll nicht verzärtelt werden— andere Menschen auch nicht—, aber Leben und Gesundheit ohne Nothwendigkeit aufs Spiel setzen, das ist„frivol". Ist das Vaterland angegriffen, gut, dann gilt es btos den Einen Zweck: den Feind zu überwinden, Leben und Ge- sundheil zählen nicht; allein im Frieden, beim Exerzieren, od« im bloßen Scheinkrieg, um nicht zu sagen Theaterkrieg, sind Leben und Gesundheit jedes Soldaten ebenso heilig, wie die eines jeden anderen Menschen, und wer bei solchen Gelegenheiten das Leben und die Gesundheit der Soldaten nicht heilig hält, für dessen Handlungsweise ist der Aus- druck»Frivolität" sogar noch viel zu mild.— Daß den brutalen Kamaschenknöpsen der»Kreuz- Zeitung " ein kleiner Dämpfer aufgesetzt ist, zeigt die nach- stehende Notiz. Kaisernrnnöver und Cholera. Offiziös meldet die „Norddeutsche Allgemeine Zeilung"(Nr. 415 vom 6. Sep- tember), daß der A u s s a l l der Kaisermanöver beim 8. und 16. Armeekorps beschloffen worden sei. Unter den jetzigen Verhältnissen, während eine furchtbare Seuche Deutschland bedroht, ist die einzig wirksame Maßregel der Ausfall aller Manöver, da die Aufhäufung großer Menschen- massen eines der besten Hilfsmittel zur Verbreitung der Cholera ist. Treffend schreibt Dr. Sigl im»Bayerischen Vaterland"(Nr. 202 vom 6. d. M.); „Haben vielleicht unsere Medizinalbehörden hier den jener seine Mutter beweint, so werde ich mein Ziel«reicht haben." Eigentlich eine thörichte Einrichtung, das Tagebuch- schreiben. Diese stets wechselnden, zerfließenden und neu erstehenden Wünsche, Vorsätze und Anschauungen, welche den Laus des Seelenlebens bilden, durch aufgeschriebene Worte verewigen zu wollen, das ist ein verfehltes Beginnen und bringt dem älteren nachlesenden Ich die immerhin be- schämende Erkenutniß der eigenen Veränderlichkeit. Hier standen nun ans demselben Blatte und unter demselben Datum zwei so grundverschiedene Stimmungen verzeichnet: uerst die zuversichtlichste Hoffnung— daneben die voll- tändigste Entsagung und die nächsten Blätter sollten doch wieder ganz' Neues berichten... Ter Ostermontag war vom herrlichsten Frühlings- wetter begünstigt und die an diesem Tage hergekommener- maßen stattfindende Praterfahrt— eine Art Vorfeier des großen Ersten- Mai-Korso, fiel besonders glänzend ans. Ich weiß noch, wie dieser Glanz, diese Fest- und Lenzwonne, die mich da umgab, mit der Traurigkeit kon- trastirte, welche mein Gemüth erfüllte. Und doch— ich hätte meine Traurigkeit nicht hergeben wollen— nicht wieder so heiteren, dabei aber leeren Herzens sein, wie vor etwa zwei Monaten, als ich Tilling noch nicht kannte. Denn wenn meine Liebe auch allem Anschein nach eine unglückliche war, so war es doch Liebe— das heißt eine Steigerung der Lebensintensität: dieses warme, zärtliche Gefühl, welches mein Herz schwellte, so oft das theure Bild mir vor das innere Auge trat— ich hätte es nimmer missen mögen. Daß ich den Gegenstand meiner Träume hier im Prater, mitten im Gewühle weiblicher Fröhlichkeit zu Geficht be- kommen würde, erwartete ich nicht. Und doch: als ich ein- mal zerstreut die Blicke nach der Reitallee schweifen ließ, sah ich von weitem, die Allee in uns«« Richtung herab« galoppircnd, einen Offizier, in welchem ich sogleich— ob- schlm mein kurzsichtiges Auge ihn nur undeutlich ausnahm — Tcllmg erkannte. (Fortsetzung folgt).
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