Nr. 210.
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Vorwärts
9. Jahrg.
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Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.
Virchow
Donnerstag, den 8. September 1892. Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3.
Herrn Rudolf Virchow ist seine Reise nach Rußland übel ausgeschlagen. Die deutschfreisinnige Presse hat ihn
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stande und außerordentlich umfangreich. Als ihnen sind ausgezeichnete Sachkenner, die viele Jahre ich in Moskau war, fand ich z. B. 600 freie Betten und nur im Osten Leben denunzirten Tag für Tag ungefähr 10 Krante. Ebenso vorzüglich sind auch die Spitals- die Schmählichkeit der Verhältnisse, die auch in einrichtungen in Petersburg ." den mit europäischem Firniß versehenen versehenen Städten,
Läsen wir solche Ausführungen in der St. Peters in Warschau , in Petersburg , in Moskau offen zu Tage burger Zeitung", im Brüsseler Nord" oder in irgend einem trat. Herr Rudolf Virchow aber erklärt die Vorkehrungen auf seinem Ausfluge mit gebührender Bewunderung ver- anderen Organ, das unter der Obhut des Geheimraths Rußland's für geradezu großartige", behauptet mit der folgt und die Welt durch ausführliche Bulletins darüber Schischkin steht, gäbe irgend ein Tschinownit, ein Mitglied Sicherheit eines vortragenden Professors, dem kein Hörer unterrichtet, wie„ S. Majestät Rudolf der Einzige" auf der zarischen Bureaukratie, derartige Aufschlüsse, so be widersprechen darf,„ die besten Hilfsmittel" ständen„ reichdem wissenschaftlichen Kongreß in Moskau gefeiert und bei dürften sie keiner Kritik. Wenn aber ein Gelehrter von lich zur Verfügung". Vorkehrungen auf dem Papier, auf Festmählern angetischrednert worden ist, nicht ohne daß der dem Weltrufe Birchow's, der nebenbei liberaler Politiker dem Papier die Hilfsmittel, gerade so wie bei der letzten redelustige Forscher mit muntren Toasts zu entgegnen wußte. ist, sich dazu herbeiläßt, zu Gunsten des östlichen Erbfreunds Hungersnoth, die eine Quelle der Bereicherung war für Nun ist Virchow unbestritten als Fachmann eine Autorität in dieser erstaunlichen Weise abzuwiegeln, trotzdem die fibitzende Beamte, betrügerische Lieferanten, für komplottirende ersten Ranges; wenn seine Fachgenossen dem pathologischen Logik der Thatsachen zu der stracks entgegengesetzten Ansicht Stadtverwaltungen und schurkische Getreidehändler. Was Anatomen, dem Anthropologen huldigen, so hat er dies gebieterisch zwingt, so bietet sich nur eine zulässige Deutung: geschieht, geschieht halb, die Hilfsgelder bleiben kleben in sicherlich verdient. Virchow ist der Weihrauch, den ihm die Chorknaben den Händen des Tschin, der Bureaukratie, vom Gouverneur
Jedennoch Herr Virchow hat sich nicht daran genügen des Despotismus geftreut haben, gefährlich geworden, bis zum letzten Sekretär, und der darbende Bauer begnüge laffen, er, der deutschfreisinnige Reichstags- und Landtags- und den geriebenen Russen ist es gelungen, wieder einmal sich mit ein paar Ropeken, mit Knutenhieben oder der VerAbgeordnete, der in seinen grünen Jahren auch für die einen leichtgläubigen Westeuropäer, nicht den ersten und schickung. Republik geschwärmt hat, was dem fröhlichen Sammler leider nicht den letzten, über den Löffel zu barbiren. Denn Kein Zweifel, was Herr Virchow gesehen hat, war vor merkwürdiger Flugblätter aus dem tollen Jahre nicht es versteht sich am Rande, daß einem Rudolf Virchow , den trefflich. Aber was und wie viel hat er denn gesehen? Was unbekannt ist. Herr Virchow also ist aus dem Reiche des wir als politischen Gegner auf das Entschiedenste be- auf der großen Heerstraße zu schauen ist, in dem GebietsZaren zurückgekehrt als Lobredner de 3 offiziellen tämpfen, als Ehrenmann und Gelehrten aber schätzen, eine ausschnitt, der am meisten der westlichen Kultur erschlossen Rußlands . Einem Mitarbeiter der deutschfreifinnigen mala fides, eine böse Absicht, nicht zuzutrauen ist. ift, in der Residenzstadt Petersburg, in der Residenzstadt Berliner Zeitung "( fiche Nummer 209 vom Herr Virchow , dessen Reise figualifirt war, hat offe Mostau. Und wohlgemerkt, immer unter verständnißinniger 7. September), der gekommen war, ihn wegen der Cholera bar ein ähnliches Schicksal gehabt, wie einst die russische Führung sah er nur das, was man ihn sehen zu befragen, hat er sein Herz erschloffen. Hören wir, was Raiserin Katharina II. , die bei einer Fahrt durch ihre lassen wollte. er über Rußlands Schutzmaßregeln zur Bekämpfung der Lande an der Heerstraße blühende Dörfer, fröhliche Land- Er sah Potemkin'sche Dörfer. Wie er dazu kommt, Seuche gesagt: leute, Glück und Wohlstand erblickte, ohne zu ahnen, daß nachdem er im Fluge einen kleinsten Theil des russischen Die Borkehrungen, welche in Rußland zur Bekämpfung dies Alles nur eine Komödie war, daß ihr Günstling Reichs in a mtlicher Beleuchtung gesehen, schlankder Cholera, sowie zur Vorbeugung einer Verschleppung ge- Potemkin durch vorausgeschickte Leute die lachenden Weiler weg zu verallgemeinern, wo es sich handelt um ein Gebiet troffen worden sind und noch immer neu getroffen werden, find aus Theaterdekorationen aufschlagen und die tanzenden von 22 397 460 Quadrat- Kilometern, das wissen die Götter geradezu großartige; es stehen überall die besten Bauern durch gepreßte Leibeigene darstellen ließ. Unter und die schlauen Russen. Hilfsmittel reichlich zur Verfügung. Man kann dem sorgenden Auge der russischen Behörde machte Herr Wenn Rudolf Virchow nicht ein so rührend harmloser fagen, daß die Russen in gewiffer Beziehung Virchow seine Studienreise, wie vor ihm so Mancher fie Dilettant wäre in allem, was Wirthschaftspolitik und soziale weiter sind, als wir hier in Deutschland und Berlin . Allerdings giebt es gewisse Gebiete, so die Wolga unternommen hat, wenn nicht ein scharfsichtiger smarter Statistik betrifft, mit welcher Schärfe müßte man sein Urtheil Gouvernements, wo die Seuche furchtbar grassirt, und Yankee wie Kennan oder ein skeptischer Engländer wie über die russische Cholerastatistik geißeln! So miserabel die wo Bieles zu wünschen übrig ist. Aber dort findet eben die Mackenzie Wallace den Schleier von sibirischen Gräueln Statistik des festländischen Europas überhaupt, die Krankheit bei der durch Hungersnoth geschwächten Bevölkerung und russischer Mißwirthschaft reißt. russische ist die allerelendeste, künstlich zurechtgemacht, den günstigsten Boden, und auch die Deutschen wären da Alle unabhängigen und unbefangenen Berichterstatter Lug und Trug, für den Sozialpolitiker unbrauchmachtlos, oder würden nicht mehr thun können, als von Seite wir verweisen nur auf die Schilderungen in Frei bar, berüchtigt vom Kap der guten Hoffnung bis Rußlands geschieht. Vor allem aber muß anerkannt werden, Rußland ", obwohl es leicht wäre, eine ganze Reihe von nach Christiania . Die russische Regierung, in ewiger Gelddaß die Russen von Anfang an nichts ver Gewährsmännern aufzuführen- brandmarken die schauder Klemme, heuer noch in ärgerer Verlegenheit wie je, auf der fchwiegen, nichts verheimlicht haben. Von Seite der dortigen Behörden wurden regelmäßige Berichte haften Zustände des Barenreichs, die Massenarmuth, die Jagd nach Kredit, lüstern nach einem Bump, wie ein Backüber den Stand der Krankheit publizirt, und den statisti- Spitbüberei einer verlotterten Beamtenschaft, die verlogen, fisch nach dem ersten Kuß, modelt die Ziffern nach Willfchen Daten fann man nach meiner Ansicht beftechlich, verderbt bis ins innerste Mart, die Unfähigkeit für, malt die Dinge rosenroth, zaubert euch Produktion, Glauben schenten; freilich ist der Werth derartiger des Selbstherrscherthums auch nur zu Palliativ- Reförmchen. Ausfuhr und Einfuhr, Steuerergebnisse und Einkommens statistischer Angaben in solchen Zeiten ja immer ein Es steht urkundlich fest, daß das Barenreich, ausgehungert, verhältnisse so wunderschön, daß es eine Lust ist, diese berelativer, und bei dem ehrlichsten Bestreben der Behörden, die auf dem Gipfel des Elends durch die letzte Mißernte, be- rauschenden Zahlen zu lesen, turz, sie sucht für ihre Anleihen wahre Zahl der Erkrankungen und Todesfälle zu ermitteln, drückt durch eine höchst peinliche wirthschaftliche Krisis, un- und ihre Unternehmungen den Grund nach Kräften zu wird es noch immer ungenauigkeiten geben. Der ganze Westen Rußland 3 ist gegenwärtig feuchenfrei. Von zählige Seuchenheerde aufweist, und in dem Hunger und ebnen. In der That, eine wahrheitsliebende Statistit, diese Eydttuhnen bis Petersburg , also auf einer Strecke, zu deren Schmuß, der Verkommenheit der Volksmasse und der Ver- russische, die uns mit verzücktem Augenaufschlage zulifpelt, Durchfahrung man zirka 18 Stunden braucht, ist mir von derbniß der Herrschenden die Cholera wunderbare Bundes- die Gesammtzahl der russischen Prostituirten betrage Cholerajällen nichts bekannt geworden. Budem find die genossen besitzt. Die Korrespondenten der nicht im russischen einer Bevölkerung von rund 108 843 192 Köpfen- 17 603, Spitäler alle in einem vorzüglichen 3u- Solde stehenden westeuropäischen Blätter und unter während der Sittenpolizeibericht für Berlin 12 497 der
Feuilleton.
Nachorua verboten.)
Die Waffen nieder!
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Eine Lebensgeschichte von Bertha von Suttner . Als er nun in die Nähe kam und zu uns herübersalutirend, sich mit unserem Wagen kreuzte, da erwiderte ich seinen Gruß nicht nur mit einem Kopfnicken, sondern mit lebhaften Winken. Im selben Augenblick war ich gewahr, daß ich da etwas unpassendes und Ungerecht fertigtes gethan.
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Sie schüttelte den Kopf: Nein Niemand."
„ D Du Arme!"
Wir fuhren noch zweis oder dreimal die Allee auf und nieder. Aber denjenigen, nach welchem meine Blicke jetzt spähend umhersuchten, sah ich kein zweites Mal. Er hatte den Prater wieder verlassen.
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bei
Stimmung, welche die Sehnsucht nach einsamer Pußta mit fich bringt."
" Ach was," meinte Ronrad, je trüber die Stimmung, desto mehr soll man zerstreuung suchen. Ein Abend im Rarltheater wirkt jedenfalls erfrischender, als tagelange beschauliche Einsamkeit."
" Das Beste, um Sie aufzurütteln, lieber Tilling," Einige Tage später, um die Nachmittagsstunde, trat sagte mein Vater, wäre wohl ein frischer, fröhlicher Tilling bei mir ein. Er traf mich jedoch nicht allein. Mein Krieg- aber leider ist jetzt gar keine Aussicht dazu Vater und Tante Marie waren auf Besuch gekommen, und vorhanden; der Friede droht sich unabsehbar auszutaußerdem befanden sich noch Rosa und Lilli, Konrad Alt- dehnen." haus und Minister Allerdings" in meinem Salon. Was das doch für sonderbare Wortzusammensetzungen Ich hatte Mühe, einen Ueberraschungsschrei zu unterdrücken; find," konnte ich mich nicht enthalten zu bemerken:„ Krieg der Besuch kam mir so unerwartet und so freudig erregend fröhlich; Friede und drohen." zugleich. Aber mit der Freude war es bald vorüber, als „ Allerdings," bestätigte der Minister, der politische Tilling, nachdem er die Anwesenden begrüßt und sich auf Horizont zeigt vor der Hand noch keinen schwarzen Buntt; meine Einladung mir gegenüber niedergesetzt hatte, in faltem doch es steigen Wetterwolfen mitunter ganz unerwartet Tone sagte: rasch auf, und die Chance ist niemals ausgeschlossen, daß Differenz einen Krieg zum Ausbruch bringt. Das sage ich Ihnen zum Trost, Herr Oberstleutenant. Was mich anbelangt, der ich Kraft
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" Wem hast Du solche Zeichen gemacht?" fragte meine Schwester Lilli: War es etwa Papa?... Ah, ich sehe," fügte sie hinzu, da spaziert ja eben der unvermeidliche Ich bin gefommen, Ihnen meine Abschiedsaufwartung eine wenn auch geringfügige Konrad dem galt Deine Handverrenkung?" zu machen, Gräfin. Ich verlasse in den nächsten Tagen Dieses rechtzeitige Erscheinen des unvermeidlichen Wien ." Konrad" tam mir sehr gelegen. Ich war dem treuen Auf lange?"" Und wohin?"" Und warum?" Und meines Amtes die inneren Angelegenheiten meines Landes Better dankbar dafür und bethätigte diese Dankbarkeit wieso?" fragten gleichzeitig und lebhaft die anderen, während Sofort: ich stumm blieb. „ Schau, Lilli," sagte ich, er ist doch ein lieber Mensch Vielleicht auf immer.- Nach Ungarn . Zu einem und gewiß nur wieder Deinetwegen hier Du solltest Dich anderen Regiment versehen lassen.-Aus Vorliebe für die seiner erbarmen, Du solltest ihm gut sein... D, wenn Du Magyaren," gab Tilling nach den verschiedenen Seiten Tüßtest, wie süß es ist, Jemanden lieb zu haben, Du würdest Bescheid. Dein Herz nicht so verschließen. Geh, mach ihn glücklich, den guten Menschen."
Lilli schaute mich erstaunt an.
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Wenn er mir aber gleichgiltig ist, Martha?" " So liebst Du vielleicht einen anderen?"
Indessen hatte ich mich gefaßt.
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Das war ein rascher Entschluß," sagte ich möglichst ruhig. Was hat Ihnen denn unser Wien zu Leid gethan, daß Sie es auf so gewaltsame Weise verlassen?"
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Es ist mir zu lebhaft und zu luftig. Ich bin in einer
zu verwalten habe, so müssen meine Wünsche allerdings nur nach möglichst langer Erhaltung des Friedens gerichtet sein; denn dieser allein ist geeignet, die in meinem Reffort liegenden Interessen zu fördern; doch hindert dies mich nicht, die berechtigten Wünsche derer anzuerkennen, welche vom militärischen Standpunkt allerdings"
Geftatten Sie mir, Exzellenz," unterbrach Tilling, für meine Person gegen die Zumuthung mich zu verwahren, daß ich einen Krieg herbeiwünsche. Und auch gegen die Unterstellung zu protestiren, als dürfe der militärische Standpunkt ein anderer sein, als der menschliche. Wir ünd da, um,