Nr. 219.
Grscheint täglich außer Montags. Brets pränumerando: Vierteljährlich 3,30 Mart, monatlich 1,10 Mr, wöchentlich 28 Pfg. fret in's Haus. Einzelne Nummer 5 Pfg. Sonntags- Nummer mit illuftr. Sonntags: Betlage ,, Neue Welt" 10 Pfg. Post- Abonnement: 3,30 Mt.pro Quartal. Unter Kreuz band : Deutschland u. DesterreichUngarn 2 Mt., für das übrige Ausland 3 Mit.pr.Monat. Eingetr. in der Poft- Zeitungs- Preisliste für 1892 unter Nr. 6652.
Vorwärts
9. Jahrg
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Fernsprech- Anschlug Amt I, Nr. 4186.
Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.
An die Parteigenossen!
Sonntag, den 18. September 1892.
Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3.
waren zum Theil gar nicht, höchstens aber durch vereinzelte Perfonen vertreten. Was Wunder, daß diese Zurückhaltung fast wie eine Beleidigung empfunden wurde!"
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täten dem Mißtrauen den größten Spielraum zu gewähren und sofort nach dem Schuldigen ausIn Rücksicht auf die zur Zeit noch herrschende Choleragefahr, zuschauen. Das ist der Weg, der im Mittelalter zu welche in einer Reihe von Wahlkreisen die Beschickung des der Anschuldigung der Brunnenvergiftung und zu den Wer könnte da noch widerstehen? Die Stadtbehörden, Parteitages unmöglich macht, hat der Parteivorstand in seiner grausamsten Verfolgungen, insbesondere der Juden, geführt die höchsten Regierungsbeamten, der Bruder des Kaisers heutigen Sitzung beschlossen, den auf 16. Oktober d. J. nach hat. Wir sollten es wissen, daß dieses Mißtrauen schon selbst. Das ist zu viel-- auf dem nationalen Gebiete leicht über das Ziel hinaus- Und tiefer Schmerz erfüllt Herrn Virchow , daß wir Berlin berufenen Parteitag zu vertagen.") Der Zusammentritt schießt und daß es in internationalen Verhältnissen auf deutschen Barbaren so unkundig sind der eigentlichen Kulturdes Parteitags erfolgt, sobald in allen Wahlkreisen die Möglich lange Zeit die Empfindlichkeit der Völker erregt." sprache, des Russischen . teit gegeben ist, Delegirte zu wählen und zu entsenden, und werden die Genossen hiervon rechtzeitig benachrichtigt werden. Berlin , 15. September 1892.
Mit sozialdemokratischem Gruß
Der Parteivorstand.
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" Es ist eine traurige Erfahrung", schluchzt er, daß die russische Sprache nirgends weniger gepflegt wird als in Deutschland ."
" Selbst in unseren russischen Grenzprovinzen sind die Menschen, welche russisch sprechen oder auch nur leſen können, mit der Laterne zu suchen. Als ich neulich in Eydtkuhnen zur Bescheinigung der Zollabfertigung eine russische Rech nung vorzeigte, ergab sich, daß keiner der Beamten sie lesen konnte. Auf diese Weise wird das unmittelbare Ver ständniß zwischen den Grenznachbarn un möglich. Aber auch tiefer im Lande ist man einzig und allein auf Uebersehungen und Auszüge angewiesen, und man wird abhängig in seinem Urtheil von der guten oder schlechten Absicht der Mittelspersonen, oft genug auch von der Lückenhaftigkeit ihrer sprachlichen Kenntnisse. Nicht ohne Bitterkeit brachte eine geistreiche Dame, die Gräfin Uwaroff, die Präsi dentin der Moskauer archäologischen Gesellschaft, auf dem Kongreß diesen Mangel an internationaler Höflichkeit zur Sprache und gab der Hoffnung auf eine Besserung Ausdruck."
Bielmehr verlangt die gute Sitte, die Frage nach dem Schuldigen zu vertuschen und zu unterdrücken, sich zum Mitschuldigen der Urheber einer öffentlichen Kalamität und dadurch zu einem Förderer des internationalen Vertrauens zu machen. Ist es nicht Brunnenvergiftung, gesichts der greuelvollen russischen Zustände, des Massenelends und der Verheerungen der Seuche die schmachvolle, verdammenswerthe Mißwirthschaft des selbstherrlichen ReNoch einmal Herr Virchow . giments als die Grundbedingung jener erschreckenden Erscheinungen festzustellen? Gebührt sich nicht jene Politik Noch immer kann sich Her: Rudolf Birchow, der neu- des Verhehlens und Verschweigens, die von dem Grundübel gewonnene Lobredner des offiziellen Rußlands , nicht genug die Aufmerksamkeit ablenkt und sentimental die Folgen bethun in schwungvollen Hymnen auf das Barenreich. In der lagt, anstatt die Ursachen ins hellste Licht des unbarmBarth'schen Wochenschrift:„ Die Nation"( Nr. 51 vom herzigen Tages zu rücken? Nur die Finsterniß des Mittel17. September) veröffentlicht er einen Aufsatz:" Einige alters, heute noch mächtig über zahllose Köpfe, verschuldet internationale Gedanken", die auf die Kläglichkeit des es, daß der Zarismus auf die Anklagebank gesetzt wird, da berufenen Interviews den Skandal eines mit Namens es sich doch geziemte, den Henkern der Freiheit, den unterschrift versehenen Panegyritus auf den Barismus fetzen. Schergen, die Sibiriens Goldbergwerke mit unglücklichen Wird erst jeder deutsche Säugling an der Bruft einer Nicht genug damit, daß Herr Rudolf Virchow , soeben be- Berbaunten bevölkern und die Vorkämpfer der Volksrechte russischen Amme gestillt, kann jeder Schuljunge die ftätigt als Rektor der Universität Berlin, seine öden Lob in der Peter- Paulsvefte in Wahnsinn und Tod treiben, be- russische Nationalhymne ohne Anstoß fingen, trägt Ban hudeleien wiederholt, gewidmet der Wahrheitsliebe der geistert den Bruderkuß zu geben. Rudolfuschka Virchow erst russisch vor, ist erst die reichsrussisch- amtlichen Cholerastatistit, trauert er, ein begeisterter Mißtrauen gegen Wen? Gegen die Regierung, deren gesetzliche Bestimmung getroffen, daß die Kenntniß des Neophyt der Geheimlehre Väterchens", wehleidig über das Beauftragte Meuchelmörder gegen politische Gegner dingen, Russischen die Vorbedingung für die Mündigkeit des deutMißtrauen", das seit Jahren gegen die russische Regie- deren Spießgesellen mit Dolch und Pistole für zarische schen Bürgers sei, dann stürzen alle Schranken zwischen uns rung genährt worden ist, daß sie die Wahrheit verheimliche Strebungen fämpfen, die den Rubel rollen läßt von Teheran und dem Erbfreund im Osten. Und keine geistreiche und daß ihre Beröffentlichungen nur einen Theil der Wirt bis Brüssel , die Verträge bricht und Urkunden fälscht, die Dame", man denke eine Gräfin, braucht mehr bitter über lichkeit darlegen". Rudolf Virchow weiß es besser:" Nach daheim die Freiheit knebelt und die Hauptstüße ist der den Mangel an internationaler Höflichkeit" zu klagen. den aus den besten Quellen geschöpften Nachrichten," de internationalen Reaktion? Mißtrauen gegen ein Reich, das Kraft dieser Vorstellung sind die politischen, wirth. tlamirt er, glaube ich sagen zu dürfen, daß dieses Mißtrauen auf die Sklaverei der Massen gegründet, als erdrückender schaftlichen, sozialen Gegenfäße, die den in Bezug auf die Cholera unbegründet war." Aus den Alp die europäische Kulturentwickelung hemmt und lähmt, Konflikt zwischen dem zarischen Rußland und West besten, d. h. doch aus amtlichen Quellen schöpfte er seine und, eine stete Gefahr für Frieden und Fortschritt, die ganze europa bedingen, fortgeblasen wie eine Federflocke. Nicht Weisheit darüber, daß das Mißtrauen unbegründet war, Welt bedroht? Ein Thor, der diesem Zarenthum nicht ein der Barismus ist der Feind: kann Jeder erst eine russische wenigstens in Bezug auf die Cholera". Kein Offiziöser, grenzenloses Vertrauen entgegenbringt, mag es im Dunkeln Rechnung lesen, so ist die Verbrüderung da. Warum nicht der seine Waschzettel aus Petersburg erhält, fein russischer der Statistik oder der Verschwörungen munkeln. Qu'im- gleich Deutschland umstempeln in eine hinterrussische Staatsrath tann glühender die Ehrlichkeit und das offene porte? Was liegt daran? Satrapie, den Pobedonoszew und seinen Gesellen russifizirt Wesen einer Regierung vertheidigen, die in der ganzen Aber warum soll der Radikalismus in Virchow' s Männer vom Wirbel zu den Zehen? Nicht darauf kommt es an, Welt als Fälscherin und Lügnerin mit gutem Grunde be- brust nicht schmelzen, wie der Gebirgsschnee in der Juli- für die Emanzipation des russischen Volks zu thun, was rüchtigt ist. sonne, vor der Gnadensonne, die ihm in Petersburg , in möglich, russisch parliren ist die Hauptsache, wenn die Moskau aufging? " In Mostau war die Elite nicht bloß der einheimischen Behörden der Stadt, die höchsten Regierungsbeamten", wenn Gelehrten, sondern auch zahlreicher Amateurs zu den Kon- der Bruder des Kaisers selbst" zugegen Löst Virchow spielend die schwierigsten Fragen intergreffen erschienen. Aus den fernsten Provinzen, aus Sibirien , aus Taschtend, vom Kaufafus waren sie zusammengeströmt. nationaler Politik, so bescheidet er sich, deutscher Professor, Die Behörden der Stadt, die höchsten Regie- preußischer Hochschulen- Rektor, vor den höchsten Leitern der rungsbeamten, der Bruder des Kaisers selbst, Politit". der das Amt des Generalgouverneurs führt, waren in den Wir sind außer Stande, die Gedanken der höchsten Leiter Sigungen zugegen. Nur die großen Kulturvölker Europas der Politik zu durchschauen, und wir vermögen daher nur in
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Ist es in der That der Gelehrte von Weltruf, der liberale Politiker, der Vertreter des 2. Berliner ReichstagsWahlkreises, u. f. w., der die Kühnheit hat, zur größeren Ehre des schmählichen Barismus zu schreiben:" Es ist eine schlimme Unfitte, bei öffentlichen Kalami
In geftriger Nummer stand infolge eines Druckfehlers verlegen".
Feuillefon.
Nachdrud verboten.)
Die Waffen nieder!
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versucht daß ich die beiden Ereignisse, den Krieg und Daseinslust in heftigen Schmerz. Ich war die krante Martha meine Niederkunft mit einander verwechselte; mir war, als Tilling, deren neugeborenes Kind gestorben, deren Mann wären Kanonen und blanke Waffen ich fühlte deutlich in den Krieg gezogen war... Seit wann? Das wußt' die Bajonnetstiche das Werkzeug der Geburt, und als ich nicht. läge ich da, das Streitobjekt zwischen zwei aufeinander los- Lebt er? Sind Briefe da? Depesch en?" war meine stürmenden Armeen... Daß mein Gatte fortgezogen, wußte erste Frage. ich; doch sah ich ihn in Gestalt des todten Arno, während Ja, es hatte sich ein ganzer kleiner Stoß von Briefen Friedrich an meiner Seite, als Krankenwärterin verkleidet, und Telegrammen angesammelt, welche während meiner Sen filbernen Storch streichelte. Jeden Augenblick erwartete Krankheit angelangt. Zumeist waren es nur Anfragen über ich die platende Granate, welche uns alle. Drei- Arno, meinen Zustand, Bitten um tägliche, um möglichst stündMehrere Wochen schwebte ich zwischen Leben und Tod. Friedrich und mich zersplittern sollte, damit das Kind zur liche Benachrichtigung. Dies natürlich nur, so lange der Mein Kind war am Tage seiner Geburt gestorben. Der Welt kommen könne, welches bestimmt war, über Dänewig, Schreiber an Orten sich befand, wo der Telegraph ihn ermoralische Schmerz, den mir der Abschied von dem ge- Schlesstein und Holmark zu regieren. Und das Alles reichen konnte. liebten Manne verursacht hatte gerade in dem Zeitpunkt, that so unsäglich weh und war so überflüssig.. E3 Man wollte mir nicht gleich erlauben, die Briefe mo ich aller Kräfte bedurft hätte, um den physischen mußte doch irgendwo Jemand geben, der es hätte ändern Friedrichs zu lesen; es hätte mich zu sehr aufregen und Schmerz zu bewältigen durch den war ich widerstands- und aufheben können, der diesen Alp von meiner Brust und erschüttern können, meinten sie, und jetzt, da ich kaum aus unfähig geworden, und es fehlte nicht viel, so wäre ich von der ganzen Menschheit mittelst eines Machtwortes hätte dem Delirium erwacht, mußte ich vor allem Ruhe haben. unterlegen. abwälzen können- und die Sehnsucht verzehrte mich, diefem So viel konnten sie mir sagen: Friedrich war bis jetzt unMeinem armen Manne mußte der Arzt, seinem Jemand mich zu Füßen zu werfen und zu flehen: Hilf ab versehrt. Er hatte schon mehrere glückliche Gefechte durcheidlichen Versprechen gemäß, den traurigen Bericht schicken, aus Barmherzigkeit, aus Gerechtigkeit hilf ab! Die gemacht. der Krieg müßte bald zu Ende sein; der Feind daß das Kind gestorben und die Wöchnerin in Todes: Waffen nieder- nieder! behauptete sich nur noch auf Alsen ; und war dies einmal gefahr sei. Mit diesem Ruf auf den Lippen erwachte ich eines genommen, so würden unsere Truppen- ruhmgekrönt Was die Nachrichten betraf, die von ihm anlangten, Tages zum Bewußtsein. Mein Vater und Tante Marie heimkehren. so konnten mir dieselben nicht mitgetheilt werden. Ich standen am Fuße des Bettes, und beschwichtigend sagte mir So sprach mein Vater tröstend auf mich ein. Und tannte niemand und delirirte Tag und Nacht. Ein sonder der erstere: Tante Marie erzählte mir meine eigene Krautheitsgeschichte. bares Delirium. Ich habe davon eine schwache Erinnerung Ja, ja, Kind, fei ruhig, alle Waffen nieder-" Es waren muu mehrere Wochen seit dem Tage ihrer Anin das zurückgekehrte Bewußtsein mit hinübergenommen Dieses Wiedererlangen des Jchgefühls nach langer funft vergangen, welcher zugleich der Tag war aber dies mit vernünftigen Worten wiederzugeben, wäre Geistesabwesenheit ist doch ein eigenthümlich Ding. Zuerst welchem Friedrich schied und an welchem mein Kind geboren mir unmöglich. In dem anormalen Wirbel des fiebernden die frohe erstaunte Wahrnehmung, daß man lebt, und dann wurde und starb... Daran war mir die Erinnerung ge Hirns bilden sich eben Begriffe und Vorstellungen, für die gespannte, an sich selber gerichtete Frage: wer man blieben, aber was dazwischen lag: des Vaters Ankunft, die welche die dem normalen Denken angepaßte Sprache teine eigentlich sei. laufenden Nachrichten von Friedrich, der Verlauf meiner Ausdrücke hat. Nur so viel kann ich andeuten- ich habe Aber die plötzlich mit vollem Lichte herein re hende Krankheit- von dem allen wußte ich nichts. Jetzt erst das phantastische Zeug in die rothen Hefte einzuzeichnen Antwort auf diese Frage verwandelte mir die eben er vachte erfuhr ich, mein Zustand sei ein so schlimmer gewesen, daß
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