ir.269. 22.nr,.,, 1. dtg ImlMg" Ktrlilltt DolksdlM.-""»Ml« S°°«W.M.Die Wahrheit über Kronstadt.Ein förmlicher Platzregen widerspruchsvoller Telegramme überdie Ereignisse in Kronstadt kam in der letzten Woche aus Rußland.Die Grundtendenz der offiziösen Berichterstattung aus dem Zaren-reich trat kraß zutage: die Rebellion in Kronstadt sollte dem West-europäischen Publikum als eine Orgie sinnlos betrunkener Matrosen,als eine Reihe haarsträubender Greueltaten des wütenden Mobs—darunter sollte das Publikum eben die meuternden Matrosen der-stehen—, als ein chaotischer Ausbruch entfesselter verbrecherischer Triebehingestellt werden. Das Arbeite rpublikum freilich in Deutschland, wieanderswo, wußte sehr wohl, was es von dieser Stimmungsmache zu haltenhatte, es ahnte den wahren Zusammenhang der Dinge ungefähr voraus.Jetzt sind wir in der Lage, die Vorgänge in Kronstadt mit dergrößten Genauigkeit zu schildern. Ein Brief aus Petersburg. denwir nachstehend bringen, gibt eine Darstellung der Kronstadter Tage,die in jedem nicht zur Bestie ausgearteten Menschen das Blut infieberhafte Wallung bringen. Ja wohl! Ausschreitungen des Pöbels.ein wirres Chaos sich austobender verbrecherischer Instinkte, Mordund Plünderung wüteten binnen einiger Tage in der gewaltigenSeefestung, die den Eingang zur zarischen Hauptstadt bildet,rauchende Trümmer bezeichnen den Weg, den diesemonströse Orgie geschritten. Aber der bestialische Pöbel,der diese Orgien feierte, waren nicht die Matrosen, nichtdas kämpfende Proletariat Kronstadts, sondern die„schwarzenBanden", diese Werkzeuge der zarischen Schandbuben, die unterMord, Raub. Brandstiftung und Plünderung einen der großartigstenpolitischen Klassenkäinpfe dieser Revolution ersticken und besudelnwollten I... Bei jeder untergehenden Staats- und Gesellschasts-form bilden Korruptton und moralischer Verfall eine naturnotwendigeBegleiterscheinung. Allein, die Hallunken deS zarischen Regimentsentwickeln bei ihren letzten Existenzkämpfen eine so beispiellosezynische Niedertracht, daß sich die erbärmlichen Wichte des anoienregime und sogar die berühmte Gesellschaft des 10. Dezember vonLouis Napoleon gegen sie noch wie eine Galerie antiker Sitten-Helden ausnehmen.Petersburg, 10. November. Mg. Ber.) Die Ereignisse über-stürzen sich jetzt dermaßen, daß es fast unmöglich wird, sie zufixieren. Um Ihnen ein allgemeines Bild von der Lage der Dingezu geben, wollen wir nach der Reihe einige der wichtigsten Er-eignisse näher beleuchten. Oder vielmehr nach der umgekehrtenReihe: Fangen wir mit demjenigen an, was in den letzten Tagenalle Gemüter aufs tiefste erschüttert hat, mit dem grandiosen Auf-stand der Matrosen in Kronstadt.Bereits seit zwei Jahren besteht unter der Marine in Kronstadteine Organisation der russischen Sozialdemokratte, die sich einesgroßen Einflusses erfteut und die Agitation systematisch betreibt.Einen besonders tiefen Eindruck auf die Matrosen Kronstadts hatauch seinerzeit die Rebellion der.Potemkin''-Mannschaft gemacht.Mehrere sozialdemokratische Matrosen aus der Schwarzmeer-flotte� wurden nach jenen denkwürdigen Ereignissen behufsSchwächung ihres„umstürzlerischen" Einflusses nach Kronstadt über-geführt, wo sie natürlich die Agitation noch mehr be-lebten. Schließlich vor kurzem erst ist desgleichen die18. Garde-Equipage aus Petersburg als eine von dem sozialdemo-krattschen Gift infizierte nach Kronstadt„isoliert" worden. DieseEquipage war es auch richttg, die die Losung zum Ausstand gab.Die jüngste Bewegung wurde eingeleitet durch ein Riesen-Meeting, an dem Zehntausende von Matrosen teilnahmen und woMatrosen gleichfalls als Redner austraten. ES wurden die be-sonderen Beschwerden der Mattosen sowie die allgemeine politischeLage des Reiches besprochen. Schließlich wurde eine Liste derForderungen angenommen, die aus 18 Punkten bestand, darunter: dieVerkürzung der Dienstzeit von 7 aus 5 Jahre, die Erhöhungdes Gehalts von 22'/, Kopeken lzirka 50 Pf.) monatlich(!) auf vierRubel, bessere Verpflegung, menschenwürdige Behandlung seitens derOffiziere, sodann: Rede- und Pccßfreiheit, Vereins- undVersammlmigsrecht, Gewissensfreiheit, allgemeines gleiches direktesWahlrecht zur gesetzgebenden Körperschaft usw. Die grandiose Ber-sammlung erklärte sich zugleich für die Notwendigkeit, an demallgemeinen politisch-revolutionären Kampfe des Proletariats in ganzRußland teilzunehmen, um den Sturz des Absolutismus herbeizuführen. Nach Schluß der Versammlung, in der die begeistertsteStimmung, aber zugleich die größte Ruhe und Ordnungherrschte, formierten sich die Mattosen zu einem Massenzug undmarschierten mit sozialdemokrattschen Fahnen und Gesang revo-luttonärer Lieder, immer in der größten Ordnung, durch die Stadt.An dem Meeting sowie an dem Umzug der Matroien hatte aucheine Anzahl Artillerie-Soldaten teilgenommen. Gleichdarauf wurden aus diesem Grunde von den Militärbehörden Ver-Haftungen vorgenommen. An die ungeheure Masse der Matrosentoagte man sich nicht heran, aber 40 Artillerssten sollten nach PeterS-bürg abgeführt und hinter Schloß und Riegel gesteckt werden. Daskonnten die Matrosen nicht dulden. Zusammen mit Hafen-arbeitern begaben sie sich zum Bahnhof, verhinderten die Ab-sührung der Kameraden von der Arttllerie und befreiten sie.Dabei hat zwischen Matrosen und Arbeitern einer- und den Soldatenandererseits eine förmliche Schlacht stattgefunden, die jedoch insofernziemlich unblutig verlaufen ist, als die Soldaten zumeist selbstschwankend waren und nicht aus die Matrosen feuern wollten.Als so die Mattosen den Sieg davontrugen und die Haltungauch der Landttuppen als höchst unzuverlässig sich erwies, ttatensofort die Organisatoren der„schwarzen Hunderte" ins Werk: ander Spitze der als„lvundertätiger Priester" mit dem Hofe und derHofkamarilla in Verbindung stehende Pope Johann von Krön-st a d t, mit ihm andere Popen und die höheren Offiziere.Sie fingen eilig an, das Lunipenproletariat, Spitzel. Souteneure,verkleidete Polizisten zusammenzutrommeln. Im Nu kain eine„patriotische Kundgebung" zustande: vornweg das Zarenbild undsingende Popen, hinter ihnen eine Prozession sänitlicher Lumpen unddes Abschaums von Kronstadt, die meisten besoffen dank dem vonoben erhaltenen Judasgclde. Die fromm- patriotische Prozessionendete... mit der Zerstörung der Schnapsläden und der Privat-Häuser. Die„Ordnungsstützen" plünderten und stahlen wie Raben.Diese Lumpenprozession wurde mit offener Absicht dirett gegeneinen ruhigen und ordentlichen Umzug der Matrosen und der Hafen-arbeiier aetührt. Zwischen beiden kam es zu einem Zusammenstoß.Da die Matrosen aber tüchttg auf das Gesindel dreinhieben, wurdenschleunigst aus Petersburg zwei Regimenter regulärer Truppenherbeigeholt. Die Lumpen sollten selbstverständlich nur zur Pro-vokation dienen, die Niedermetzelung der Matrosen hatten die Sol-baten zu besorgen. Es kameit ein Regiment Dragoner und einRegiment berittener Garde— mit Maschinengewehren. Dochauch hier wiederholte sich die frühere Erfahrung: die Truppenschwankten, die Soldaten wollten nicht schießen und ließen sichohne Widerstand entwaffnen. Auf diese Weise blieb der Sieg auffeiten der Matrosen und der Hafenarbeiter, die sich auch derMaschinengewehre bemächtigt hatten. Aufs äußerste erbittert durchdie infame Hetze der Offiziere, die ganz offen die„schwarzenHunderte" ausstochelten, richteten die Matrosen nunmehr dieMaschinengewehre gegen das OffizierSkasmo, eröffneten ein Born-bardement auf die Forts und bentächttgten sich eines Panzerkreuzers.Die Lage wurde für die Offiziere und die Popen höchst prekär. Sieverkrochen sich in größter Angst. Zwei Tage lang waren die Ma-trosen die Herreu der Stadt. Und doch passierte in diesen 48 Stundenaar keine Ausschreitung, nicht der geringste Uebergriff gegen diefriedliche Bevölkerung. Inzwischen hatten aber die Häupter der„schwarzen Hunderte" auch ihren Plan ins Werk gesetzt:plötzlich entstand ein furchtbarer Brand in der Stadt. DasPolizcigesindel hatte an zweiunddreißig Stellenauf einmal Feuer angelegt. Nicht bloß verkleidete,sondern sogar uniformierte Polizisten wurden dabei gesehen, wie sieFeuer anlegten. Es entstand eine schreckliche Panik, ein unbeschreib-liches Chaos. Die Bevölkerung floh in wilder Angst nach Peters-bürg. Hier stürmten die Bürger in die Redaktionen und erzähltendas Vorgefallene, wobei sie schworen, daß kein einziger Matrosebei den Brandstiftungen beteiligt war, die Einwohnerschaft Krön-stadts wisse ganz genau, daß das Feuer von Regiernngsagenten an-gelegt wäre. Zugleich begann das Gesindel natürlich wie immerzu stehlen, zu plündern, besoffene Banden dieser'„Ordnungs-stützen" überfielen Privatwohnungen und feierten Orgien. Beidiesem allgemeinen Tohuwabohu rückte eine ganze Division regulärerTruppen aus Petersburg ein. es entstand eine blutige Schlacht, inder die Matrosen und die Hafeitarbeiter schließlich„besiegt"wurden....Diele Schlacht und dieser Sieg in Kronstadt muß neben dendenkwürdigen Siegen der Zarischen Schurken in Kischinew und inOdessa von der Geschichte verewigt werden. Aber eins ist wenigstensklar: heutzutage hält sich die Zarenregierung an der Macht nichteinmal durch die nackte Gewalt der Bajonette, denn auch diese ver-sagen. Den Thron der Romanows unterstützen heute als die letztentreuen Pflaster: der besossene Polizeispitzel und der plünderndeSouteneur.Huö der Partei.Die Organisationen und der„Borwärts"-Konfiikt.Eine Bezirksführer-Konferenz de« sechsten Berliner Wahlkreisestagte am Dienstag und nahm folgende Resolution an:Die am 14. November im Kolberger Salon tagendeKonferenz der BezirkSsührer des sechsten Preises sieht in demVorgehen deS Parteivorstandes sowohl wie der Preßkommissiongegen die sechs„VorwärtS"-Redakteure eine unbedingte Not-wendigkeit.Sie verwahrt beide Instanzen gegen den Verdacht, als hättensie eigenmächtig in dieser Sache gehandelt.Die Konferenz erklärt ferner, baß die Funktionäre im Sinne undunter voller Zustinimung der Mehrzahl der organisierten Berliner Ge«nossen, diesen Schritt unternommen haben, ersucht aber alle Ge-nosscn im Gesamttnteresse Abstand zu nehmen von den allzulangen, unleidlichen, gegenseitigen Auseinandersetzungen, welchenicht imstande sind, die Gesamtheit aufzuklären, sondern nur siezu verwirren.Von den 250 anwesenden Bezirksführern stimmten nur zweigegen diese Resolution, aber auch nicht, weil sie etwa mit demSinne derselben nicht einverstanden waren, sondern nur, weil siesich von einer Stellungnahme in einer öffentlichen Versammlungdieses und der anderen Berliner Wahlvereine noch mehr ver-sprechen.Der Sozialdemokrattsche Verein, Distrikt Schkeuditz, nahm ineiner Versammlung am Sonntag einstimmig folgenden Antrag an:Die Versammlung erklärt sich mit dem Vorgehen der sechs,.Vorwärts"-Redatteure und mit der Schreibweise des.HalleschenVolksblattes" in dieser Sache nicht einverstanden. Die Versamm-lung erklärt, daß diese Schreibweise nicht den Anschauungen derParteigenossen entspricht.Der Sozialdemokrattsche Wahlverein zu Nauen beschäftigte sichmit der Affäre eingehend in einer Versammlung, die gleichfallsam Sonntag stattfaitd. Zum Schluß wurde folgende Resolutionangenommen:„Die heuttge Wahlvereinsversammlung verurteilt ganz ent-schieden die Handlungsweise respektive Schreibweise der sechsRedakteure und spricht dem Vereinsvorstand ihr volles Ver-trauen aus."Eine Berichtigung soll folgende Zuschrift sein:Wir bitten, folgende Berichtigung der VorstandserklLnmg(inNr. 264 des„Vorwärts", 1. Beilage) aufzunehmen:Es ist unwahr, daß die Frankfurter„Volkssttmme"„takt-loS genug war. sofort" nach dem Artikel der sechs Redakteure am22. Oktober„in heftiger, gehässiger Weise" Parteivorstand undPreßkommission anzugreifen,„noch ehe sie genau wußte, wiedie Dinge sich zugetragen hatten."„Wahr ist vielmehr,1. daß die Nedattion der frankfurter„Volksstimme" mit ihrerStellungnahme in der„Vorwärts"-Affäre gewartet hat bis Montag,den dreißigsten Oktober, an welchem Tage sie gleichzeitig mit demAbdruck der Borstandserwiderung ihre erste Stellung zur Sacheöffentlich nahm.2. Wahr ist, daß weder diese erste Notiz, noch der zweiteauSfübrlichere Artikel vom 3. November„in heftiger, gehässigerWeise" Vorstand oder Preßkoinmission angriff. Zum Beleg dafürfolgen die beiden Nummern mit der Bitte anbei, unsere blau an-gestrichenen Artikel abzudrucken und damit den Lesern des„Vor-wärtS" ein eigenes Urteil über die„Heftigkeit und Gehässigkeit"unserer Stellungnahme zu ermöglichen. Bisher sind diese Artikelnur in abfälliger Weise erwähnt, aber nicht mitgeteiltworden.3. W a h r ist also, daß die Redaktion der„Volksstimme' erstgeurteilt hat, nachdem sie genau wußte, was der Vorstand densechs Redakteuren zu antworten hatte.Mit ParteigrußRedaktion der„Volksstimme".Quarck. Quint. W. Schmidt. ZielowSky. Grumbach.Wilhelm Zander.Diese etwas umständlich stilisierte„Berichtigung" will also, wennwir sie recht verstehen, zweierlei entgegen der Vorstandserklärungbehaupten: 1. daß die Redaktion der Frankfurter.Volksstimme"nicht vor der ersten Erividerung des Vorstandes und der Preß-kommission in dem Konflikt Stellung genommen, vielmehr„bis Montag, den 30. Oktober" damit gewartet habe, und 2. daßdann diese ihre Stellungnahme nicht geschehen wäre„in heftiger,gehässiger Weise" gegen Vorstand und Preßkommission.Demgegenüber genügt es, ein einfaches kurzes Kalendariumaus dem„Vorwärts" und der Frankfurter„Volksstimnie" zusammen-zustellen, wobei wir uns auf die kritischen Tage des 27.— 31. Oktoberbescbränken können. Sehen wir danach zu, wie die Dinge inWahrheit verliefen:Am 26. Ottober erschien im„Vorwärts" die„Aufklärunz"der Sechs, im Anschluß daran die Erklärung der Vorstandes, die mitder Mahnung schloß, die Parteigenossen sollten mii ihrem Urteil bisnach der erfolgten Publikation der Denkschrift warten. Beides wirdder. V o l k s st i m in e" am selben Tage in einer tendenziösenForm von ihrem Berliner Korrespondenten telegraphisch übermittelt,dieser tendenziösen Uebermittlung hängt die Redaktion nochöfort eine kleine Anrempclung für den Borstand an.Am 27. und 28. steht im„Vorwärts" nichts überdie Affäre, dagegen bringt gerade an diesen beiden Tagendie ganze Parteipresse, soweit sie mtt revisionistischen Redakteurenbesetzt ist, die Elaborate der jetzt hinlänglich gekennzeichneten Lichter-'cldcr Meinungsfabrik, vermischt mit den„Informationen" der Sechs;die„ B o l k S st i m m e' tut darin aber noch ein übriges: sie bringtam 27. Oktober wieder ein völlig einseittg und absichtlich gefärbtesTelegramm ihres m-Korrespondenten aus Berlin über die Jnhibierungder„Post"-Notiz und am 28. Oktober spricht die Redaktion selbstbereits von einem„beispiellosen Skandal", von allerlei furchtbaren„Gerüchten", die„kursieren"(sie vergaß aber hierbei den Wegdes„Kursierens" anzugeben: Lichterfelde— Frankfurt a. M.), und inderselben Nummer des 28. Oktober bringt sie einen Artikel desDr. Südekum, der an böswilliger Entstellung zugunsten der Sechsso ziemlich das Stärkste bringt, was diese aufklärende Zeitepocheüberhaupt brachte. Es ist das der Artikel Südekums, der die Partei-presse in der Provinz und die Genossen auf die Barrikaden zurVerteidigung ruft mit dem wörtlichen Sturmruf:„Hier nütztes nichts, den Mund zu spitzen, hier muß gepfiffen werden".So verhielt sich und verfuhr die Frankfurter„Volks-st i m m e" bereits am 26., 27. und 28. Oktober, aber erst am31. Ottober wurde die erste Denkschrift des Vorstandes und der Preß-kommission veröffentlicht.Aus dieser attenkundlichen Darstellung ergibt sich, daß diesesechs Unterzeichner der vorstehenden„Berichtigung" entweder nichtgewußt haben, was sie unterzeichnen, oder daß ihr Gedächtnis nicht14 Tage zurückreicht, und daß sie sogar zu— bequem waren.ihr eigenes Organ noch außer ftir den 30. Oktober und 3. Novembernachträglich! nachzulesen. An dieser durch nichts wegzuwischendenBlamage sind diese sechs Genossen selbst schuld; w i r bedauerndiese Blamage sogar bis zu einem gewissen Grade, denn in denletzten Tagen hat sich die„Volkssttmme" in der Affäre merk-würdig loyal zu benehmen bemüht und auch aus die be— währte Kraftihres Berliner m-Korrespondenten scheint sie, soweit wir sahen, jetztso ziemlich zu verzichten.Ein Brief deS Genoffen Heine, des Abgeordneten für dendritten Berliner Wahlkreis, an die Gruppenführer des Kreises mitfolgendem Wortlaut wird der„Leipz. Volksztg." aus Berlin zur Ver-fügung gestellt:Berlin NW. 52, den 10. November 1905.Alt-Moabit 10B.Werter Genosse lIch sende Ihnen heute als Drucksache 16 Stück der letztenNummer der„Neuen Gesellschaft" mit einem Artikel von mir„Der„Vorwärts" und die Berliner Genossen"und bitte Sie. diese Hefte an die zu Ihrer Gruppe gehörigen Ge-nossen zu verteilen.Es liegt mir daran, daß die Genossen aus diesem Artikelvon meiner Auffassung der Sache möglichst bald Kenntnis er-langen; deshalb habe tch den Artikel geschrieben.Mit ParteigrußWolfgang Heine.Wir haben von jeher auf dem Standpunkte gestanden, daß dieParteigenossen eines Kreises ihren Abgeordneten recht genaukennen sollen, und insofern begrüßen wir das Vorgehen des GenossenHeine aus das lebhafteste, nur glauben wir nicht, daß auch ohne denbesonderen Artikel des Genossen Heine irgend jemand im drittenBerliner Wahlkreise oder sonstwo im Zweifel gewesen iväre, aufwelcher Seite in diesem Literatenkrakeel dieser Parteigenosse stehenwürde.Personalien. Zu dem von uns in der vorigen Nummer wieder-gegebenen Gerücht, daß Genosse G r a d n a u e r in die Redaktion der„Sächsischen Arbeiter-Zeiwng" in Dresden eintteten werde, teilt unsGradnauer mit, daß es ihm völlig unbekannt ist, wie das Gerüchtentstanden ist, und daß er keinerlei derarttge Besprechungen mit denDresdener Parteigenossen gehabt hat.Kommunalwahlen. Einen Sieg errangen unsere Genossen beider Bürgerausschußwahl in Furtwangen. Sie waren mit über70 Stimmen Mehrheit in der Lage, der Zenttumsliste standzuhaltenund behielten dadurch die schon bisher innegehabten 12 Mandate.Somit ist wieder das frühere Verhältnis hergestellt, wonach die samt«lichen 20 Sitze der 8. Klasse uns gehören.Stockholms„Social-Demokraten", das Hanptorgan der schwedischenSozialdemokratie, hatte am Montag sein zwanzigstes Lebensjahrerreicht. Die erste Nummer der periodischen Zeitschrift„Social-Demokraten" erschien am 13. November 1335 als ein kleines un-scheinbares Blatt, das von einem kleineu Kreise opferfreudigerParteigenossen verbreitet wurde. Nun ist daraus ein großes, inder Regel mindestens vier Seiten mit je sieben Druckspaltenumfassendes Tageblatt geworden, das in 21 000 Exemplarenerscheint. Das zwanzigjährige Bestehen des Blattes wurde amSonntag von den Parteigenossen Stockholms im Volkshause ge-feiert. Der Genosse August Palm, der älteste bekannte Agitatorder Sozialdemokratie in Schweden, und Hjalmar Branting,„Social-Demokratens" Hauptredakteur, hielten die Festreden undgaben eine Uebersicht über die EntWickelung des Blattes selbst wieüber seinen Einfluß aus die Gestaltung der politischen VerhältttisseSchwedens.poUreillcde», Ocricbtliches utto.Eine verunglückte Aktion. Durch einen Artikel in der„Reußi-schen Tribüne" vom 11. Mai sollte Genosse Leven die Freifrauvon Raven-Ben st in Langenorla beleidigt haben. DieFreifrau erblickte die Beleidigung in einer Kritik darüber, daß sie indie Wohnung eines Arbeiters eingedrungen war und dessen Sohngeschlagen hatte. Wegen dieses Schlagens ist die Freiftau vomSchöffengericht in Kahla zu 10 M. Geldstrafe verurteilt worden.'Ihre Berufung gegen das Urteil wurde vom Landgericht Altenburgverworfen. Das hat die Dame jedenfalls veranlaßt, den Straf-antrag gegen den Genossen Leven zurückzuziehen, nachdem bereitsTermin zur gerichtlichen Verhandlung angesetzt war. Das Ver-fahren ist seitens des Gerichts jetzt eingestellt worden. SämtlicheKosten hat die Freifrau zu tragen.Soziales.Für Selbstverwaltung der Krankenkassen, gegen MugdaniSmnS nahmam Sonntag in Köln eine äußerst zahlreiche Versammlung vonKraukenkassemnitgliederu Stellung. In der Versammlung waren aufEinladung erschienen: Reichstagsabgeordueter Trimborn undBeigeordneter Dr. Fuchs als Vertreter der Aufsichtsbehörde. WaSdie Herren hören mußten, davou werden ihnen noch monatelang dieOhren klingen. Herrn Trimborn erklärte man. daß man zuihm kein Vertrauen habe, weil er in den Parlamentenseine Pflicht gegenüber den vcrgewalttgtcn und von der Re-gierung an den ärztlichen Vereinen ausgelieferten Kölner Kranken-kassen nicht getan habe. Im Reichstage habe er überhauptdas Wort nicht genommen, und im Landtage sei der scharf-macherische Minister Möller den Kölner Kassen mehrgerecht geworden als er, der Sozialpolitiker, der das Vor-gehen der Kölner Regierung für„formell und materiell berechtigt"erklärt habe. Herr Trimborn stand eben auf seilen der Kölner Aerzte.Hätte er es mit diesen verdorben, so wären sie leicht in der Lage,an der Partei Trimborns Rache zu üben. In der zweiten Wähler-klaffe wird entschieden, ob im Kölner Rathaule das Zeuttum oderder„Liberalismus" die Mehrheit hat; und in der zweiten Klassesprechen die Aerzte ein gewichtig Wort, da sich die beiden Parteienbei der Stadttatswahl zweiter Klasse in Köln in zienilich gleicherStärke gegenübcrstrhen. Die Rechtfertigungsversuche TrirnboruSfanden bei der Versammlung keinen Anklang. Seine verlegeneRabulisterei wurde mit Gelächter aufgenommen.