lotin an einzelnen Punkten Not und Elend mildern, auch bielleicht beseitigen, aber man kann durch Idealismus unmöglich die ganze Fülle von Elend, die auf der Well verbreitet ist. be- seitigen. Wenn aber jemand doch noch auf die Opferherzigkeit des Bürgertums gerechnet hat, dann wären die Ausführungen des Grafen Stolberg-Weniigerode die glänzendste Widerlegung gewesen. (Lebhafter Beifall links.) Man rechnet es in diesen Kreisen dem Grafen Posadowsky einfach zum Verbrechen an, datz er der bürger- lichen Gefellschaft Vorwürfe gemacht hat. Aber Graf Posadowsky hat einfach die Wahrheit über unsere Gesellschaftsordnung ge- sagt. Wenn aber einer aus Ihrer Mitte es einmal wagt, gegen den Stachel zu löcken(Zurufe rechtS: So ist es bei Ihnen.' Heiterkeit) so wird er zurückgewiesen(Zwischenrufe: Kehren Sie vor der eigenen Türk Heiterkeit), wie jetzt Graf Posadowsky durch den Grafen Stolberg. Der Finanzminister von Rheinbaben hat gesagt, das Einkommen der Arbeiter sei schneller gestiegen als das der anderen Schichten. Ich kann das im allgemeinen nicht zu- geben, aber in einigen seltenen Fällen mag es geschehen sein, in Fällen, wo die Löhne vorher ganz hundsmiserabel waren, so daß jetzt ein Unternehmer zu den alten Löhnen leine Arbeiter mehr findet. Aber selbst, wenn es wahr wäre, was will das bedeuten, wenn jetzt ein Landarbeiter, der früher 400 M. bekommen hat, wirklich 600 M. bekommt? Das genügt doch noch immer uicht, um eine menschenwürdige Existenz zu führen. (Beifall bei den Sozialdemokraten und den Freisinnigen.) Wenn das Einkommen der Arbeiter in 17 Jahren von 600 M. auf 000 M. gestiegen ist, also um SV Proz., so ist das ganz«was anderes, als wenn das Einkommen der Minister in einem Jahre von 36 000 M. auf 50 000 M. erhöht wird.(Lebhaftes Sehr richtig I bei den Sozialdemokraten. Unruhe rechts.) Selbst der dümmste Mensch wird zugeben müssen, daß hier die Besserstellung der Minister eine viel weitergehende ist als die des Arbeiters.(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Dazu kommt, daß Sie(nach rechts) dafür sorgen, daß die Arbeiter sich immer weniger für ihren Lohn laufen können. Der Mehraufwand für Lebensmittel»nd für Miete, den die Arbeiter heute gegen früher haben, wiegt dreifach auf, waS sie sich an Mchrcinkommrn durch schwere Kämpfe erworben habei i. Hierr Bassermann hat dann etlvaS ganz übersehen, nämlich die politische Rechtlosigkeit der Arbeiter. Er hat kein Wort da- von.geredet, daß seine Parteigenossen in Sachsen den dortig« r Wahlraub auf dem Gewissen haben; er hat nicht gesprochen von der Wahlentrechtung in Hamburg , in Lübeck und in den thüringischen Staaten, und da wundert er sich, daß der Radikalismus der Sozialdemokratie immer mehr zum Ausdruck kommt, l>aß man von Massenstreiks und dergleichen redet? Ich wundere mich nur, daß Sie sich wundern.(Sehr gut! bei den Sozialden wkraten.) Denn wäre es nicht unnatürlich, wenn es anders wäre? Wie können Sie denn glauben, daß der deutsche Arbeiter, der durch seine Intelligenz, sein Wissen, seine Tatkraft und seine politische Bildung es mit dem Arbeiter eines jeden Landes der Welt aufnelimen kann(Sehr richtig! rechts)... wie können Sie denn glauben, daß dieser Arbeiter sich als Paria, als Helot wird behandeln lassen?(Große Unruhe rechts, Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Ich begreife nicht, wie man angesichts der Wahl- cntrechtung die Stitti haben kann, das zu bestreiten.(Unruhe rechts. Sehr richtig! bei den Sozialdemokralen.) Herrn V. Kardorff hat c3 lebhafte Beschwerde gemacht, daß in Süddeutschland das allgemeine, gleiche und direkte Wahlrecht sich weiter ausbreitet; seinen Parteifreunden ist es dabei heiß über den Rücken gelaufen. Herr v. Zedlitz hat kürzlich im„Tag- einen Artikel veröffentlicht, in dem er auch lebhaft darüber Klage führt, daß Süddeutschland demokrafisiert würde; es sei notwendig, dem vorzubeugen, damit nicht eine neue, Nord- von Süddeutschland trennende Mainlinie entstehe.(Abg. v. Kardorff: Sehr richtig!) Herr v. Kardorff, Sie waren einst anderer Meinung. Sie sind im Jahre 1869 im norddeuffchen Reichstage dafür eingetreten, daß das Wahlrecht der Einzelstaaten sich dem Wahlrecht des Reiches anpasse.(Hört! Hört! links). Herr v. Kardorff wies auf das englische Wahlrecht hin. Dort besteht allerdings ein Wohnungszensus, wonach nur der wählen kann, der eine eigene Wohnung hat. Doch ist dieses Wahlrecht noch weit besser als das preußische. Sie(nach rechts) mögen ja recht haben, wenn Sie behaupten, daß die Sozialdemokratie in England schwach ist. Woher kommt das aber? Die englische Bourgeoisie war so außerordentlich vernünftig, den englischen Arbeitern nach allen Richtungen in weitem Maße entgegenzukommen. England ist ein parlamentarisches Land und da haben sich die Arbeiter bisher gesagt: Tun wir uns zu einer be- sonderen Partei zusammen, so stören wir die bisherigen Partei- gruppierungen und können höchstens Nachteil davon haben. Diese Anschauung ist jetzt allerdings ins Wanken gekommen. Bei den Wahlen im Januar und Februar werden Sie sehen, welche elementaren Erfolg die sozialistische Propaganda hat. Herr v. Kardorff hat in seiner letzten Rede wieder gezeigt, daß er immer den Himmel voller Geigen steht. Er hat gleichzettig be- wiesen, daß wir eine grundverschiedene Auffassung über die maß- gebenden Gesichtspunkte haben. Seine Anschauung ist diktiert von dem sozialen Empfinden seiner Kaste.(Rufe rechts: Des Vater- laudes!) Bisher ist das Vaterland Ihr Vaterland gewesen! (Lebhafter Beisall bei den Sozialdemokraten.) Da begreift man allerdings, daß Sie sich für das Vaterland erwärmen. Erfreulich ist, waS schon der Abgeordnete Bassermann dem Ab- geordneten v. Kardorff gesagt hat. daß auch in unserer Justiz nicht alles so ist. wie cS sein sollte. Auch in dieser Beziehung hat der Herr v. Kardorff ein sehr wertvolles Geständnis gemacht, indem er sagte, das Urteil des Richters werde natürlich durch das Milieu beein- flußt. Da stimmen wir ja überein. Wir haben eine Klassenjustiz, weil wir Richter aus einer ganz bestimmten Klasse, ans der herrschenden Klasse haben.(Beifall bei den Sozialdemokraten.) Weiß denn Herr v. Kardorff auch gar nicht, daß die Kommission zur Vorberatung der Strasprozeßreform einen Entwurf zustande- gebracht hat, der bewirkte, daß ein Schrei des Entsetzens aus- gebrochen ist über dieses Werk, das reaktionärer ist als man e§ für möglich gehalten hätte? Die vornehmste Aufgabe ist es doch. Recht zu sprechen ohne Ansehen der Person. Wenn aber die Rechts- cinrichtungen so geschaffen werden, daß Recht ohne Ansehen der Person nicht mehr möglich ist, dann hat der Staat seine vontehmste Aufgabe preisgegeben, dann hat er sich seinen Aufgaben in einer der wichtigsten Beziehungen unwürdig erwiesen.(Beifall bei den Sozial- demokraten.) Wir leben in einer Periode der Reaktion, das kann mcht be- stritten werden.(Sehr richtig I bei den Sozialdemokraten.) Die Folge der Reaktion ist aber stets die Revolution gewesen. Da, wo die herrschenden Klassen versagten, wenn es sich darum handelte, an den bestehenden Zuständen die bessernde Hand anzulegen, ist die Revolution entstanden. So war es bei der sranzösischen Revolution, so auch bei der Revolution von 1848, und so war es überall, wo Revolutionen ausgebrochen sind. Ich bin überzeugt, daß so, wie sich die Zustände anderswo entwickelt haben, es auch in Deutschland kommen muß. Mit Recht ivird in einer Veröffentlichung darauf hingewiesen, daß man nicht über die Ausbreitung der Sozial- demokratie klagen solle und daß, wenn man nicht ganz andere Wege einschlage, es in Deutschland genau so kommen werde, wie es in Rußland gekommen ist. Machen Sie doch Reformen! In dem stärksten Lande Deutschlands verlangt man seit mehr als 30 Jahren eine Reform des Wahlrechts, ohne daß es zu einer solchen kommt. Windthorst hat schon vor 30 Jahren für Preußen das geheime gleiche Wahlrecht verlangt, aber man hat dort Angst vor diesem Wahlrecht. Der Abg. Graf Stolberg wandte sich in seiner Rede gegen die Ausführungen des Grasen Posadowsky. Graf Posadowsky hat es so dargestellt, als ob ich gesagt hätte, die besitzenden Klassen leisten nichts. Das habe ich nicht gesagt, das kann ich nicht sagen, ich gehöre doch auch zu den besitzenden Klassen.(Heiterkeit.) Ich habe ausgeführt, daß zu dem, was die Flottenvorlage und die neuen Steuervorlagen fordern und überhaupt zu den Ausgaben des Reiches die besitzenden Klassen außerordentlich wenig beitragen im Wer- gleich gegen andere Länder. Der Finanzminister hat die Opferwilligkeft der besitzenden Klaffen gelobt und ans den großen Patriotismus dieser Klassen hingewiesen. Wir haben aber bei der preußischen Steuerreform gesehen, daß man bis zu einem Höchstsatze von 4 Proz. bei der Vermögenssteuer gekommen ist. Das ist das höchste, was man an Patriotismus geleistet hat.(Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Der Finanzminister wies darauf hin, daß 22 Millionen steuerfrei seien, und das hat auf der Rechten eine lebhafte Zustimmung erweckt. Es ist ein trauriges Zeichen unserer wirtschaftlichen Verhältnisse, wenn 22 Millionen Einwohner ein Einkommen unter 900 Mark haben.(Sehr richtig I bei den Sozialdemokraten) Nahezu 12 Millionen Einwohner haben ein Einkommen von 900—2000 M., auch das ist keine glänzende Lage. Gladstone hat einmal im englischen Parlament erklärt, daß der ganze ungeheure Zuwachs von Reichtum und Macht sich ausschließlich auf die besitzenden Klassen beschränkt. Das war ein Mann, der der Wahrheit die Ehre gab. Als 1863 Laffalle seine Agitation begann, wies er in einer Broschüre nach, daß nur 4 Proz. der Bevölkerung ein Einkommen von über 3000 M. habe. Damals wurde er von der ganzen Presse angegriffen. Was hat sich seitdem geändert? Die Einkommen über 3000 M. betragen nicht mehr 4 Proz., sondern 4,45 Proz,, also knapp 4'/z Proz. Also auch hier ist das Wachstum des Reichtums den herrschenden Klassen zu gute gekommen. Vergleicht man die Leistungen der besitzenden Klassen in Preußen mit denen in England, so erscheint doch die Opferfteudigkeit der Preußen in einem ganz andere» Lichte. Ganz ohne Grund spricht man auch von der ungeheuren Opferwilligkeit der Unternehmer in der Arbeiter- Versicherung. Welchen Glanz zeigt heute das Leben! Der ungeheure Aufschwung des Kunstgewerbes zeigt deutlich die Entwickelung der Nation. Wenn heute jemand im Westen von Berlin seinen Freunden ein Essen für 20—30000 Mark gibt, so beweist das doch, welcher Ueberfluß vorhanden ist. Dann wurde sogar die Opferwilligkeit der Gewerkschaften angegriffen I Ungeheure Summen werden von den Arbeitervereinen aufgebracht für Kranken- Unterstützung, Arbeitslosenunterstützung usw. Eine solche Opfer- Willigkeit der Arbeitervereine sollte man preisen! Traurig genug, daß sie nötig ist! Ferner hat man von einem frivolen Elektriker- streik gesprochen. Demgegenüber stelle ich fest: ES ist einfach nicht wahr, daß die Arbeiter der Berliner elektrischen Industrie gestreikt haben: 300 Arbeiter forderten die Erhöhung von 30 Pf. Stunden- lohn auf 33 Pf. Eine andere Arbeiterkategorie wollte statt 38 Pf. 45 Pf. Im ganzen waren nur 500 Arbeiter im Ausstande. Des- wegen wurden nun aber 35 000 Ardeiter ausgesperrt!(Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Wemr so etwas möglich ist, dann haben die Arbeiter vollständig recht, wenn sie mit einem solchen Staatswesen unzuftieden sind.(Beifall bei den Sozial- demokraten.) Um nun auf die Reden der letzten Tage über die auswärtige Politik einzugehen, so stand Herr Bassermann leider auf feiten der- jenigen, die behaupten, in England hege man einen Haß gegen uns wegen unseres Handelsaufschwungs. Ich bedaure ganz lebhaft, daß derartige Behauptungen hier ohne jeden Beweis ausgesprochen werden konnten. Es ist ja gar nicht zu bestreiten, daß hier bei uns in gewissen Schichten, namentlich in den Kreisen des Flotten- Vereins, aufreizende Reden gegen England geführt worden sind. In der englischen Presse wurde es in letzter Zeit fast einstimmig abgeleugnet, daß in England irgend welcher Haß gegen Deutschlands Haiidelscntwickelung vorhanden sei; England habe im Gegenteil das größte Interesse an dem Handel mit Deutschland und an der deutschen Kaufkraft für englische Waren. Ich stimme in diesem Punkte ganz mit den Ansichten des Fürsten Bismarck überein. Fürst Bismarck hat 1880 erklärt, er müsse es ganz entschieden bestreiten, daß irgend ein Grund vorläge, der zu einem Kriege zwischen Deutschland und England führen könnte. Das ist auch ganz meine Ansicht. Nach meiner Ansicht gibt es jetzt ebensowenig irgend einen Grund, der zu einem Kriege mit England führen könnte. Ich behaupte, daß nirgends die gemeinsamen Interessen so innige sind als zwischen England und Deutschland . Wenn es möglich wäre, ein Bündnis, ein FriedensbllndniS zwischen England nnd Deutschland herbeizuführen, so wäre der Friede Europas dauernd gesichert. Und da behauptet der Herr Reichskanzler, ich hätte England durch meine Rede Wasser auf die Mühle geliefert. Das heißt doch in der Tat, mir etwas zuviel zutrauen und die Engländer sehr unter- schätzen, wenn man meint, ich hätte England etwas Neues gesagt. Glauben Sie denn, daß man in England die Flugblätter des Flottenvereins nicht liest und nicht Kennwis nimmt von allen den Reden, die doch die ganze Welt gehört hat und die seit 1895 eine immer deutlichere Spitze gegen England genommen haben?(Sehr richtig I bei den Sozialdemokraten.) Ein englisches Blatt hat geschrieben, daß ich durch meine Rede vor acht Tagen den Interessen der deutschen Nation mehr genützt habe, als der Herr Reichskanzler mit seiner Rede. (Hört! hört! links.) Der Herr Reichskanzler hat erklärt, daß der deutsche Botschafter sich in Marokko als Mandatar Europas geriert habe. Ich nehme an, daß diese Erklärung des Herrn Reichskanzlers in gutem Glauben abgegeben ist. In der ftanzösischen Presse ist aber erklärt worden, daß dem französischen Botschafter ein derartiger Austrag nicht gegeben ist, und der französische Botschafter bestreitet, eine derartige Note abgegeben zu haben. Jedenfalls war die Reise des Kaisers nach Tanger der aller- unglücklichste Schritt in dieser Situation. Daß der Herr Reichs- kanzler jetzt die Verantwortung hierfür übernimmt, versteht sich von selbst. Wäre aber Fürst Bismarck . Fürst Hohenlohe oder Graf Caprivi Reichskanzler gewesen, so wäre diese Reise nicht unter- nommen worden; denn sie widerspricht allen Gepflogenheiten der Diplomatie.(Zuruf rechts: Der Erfolg beweist das Gegenteil!) Nun, daß die Franzosen einen solchen Vorgang nicht zum Casus belli(Grund zur Kriegserklärung) gemacht haben, begrüße ich. Minister Delcassü wollte es ja zum äußersten bringen, und ich konstattere, daß es mein Freund Jrnires war, der in energischer Weise gegen diese Politik Opposition gemacht hat. Vis zur Reise nach Tanger haben wir die M a r o k k o- P o l i t i k des Reichskanzlers voll gebilligt, erst dann änderte sich unsere Auffassung. Der Herr Reichskanzler hat selbst öffentlich erklärt, daß in einer be- stimmten Periode im Frühjahre die Situatton äußerst gefährlich war. Wenn wir gegen eine solche auswärtige Politik Front machen, so handeln wir damit nur im Interesse des Vaterlandes. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Und wie ist denn unsere Stellung überhaupt in allen internationalen Fragen? Wir unterstützen jeden Schritt, der die Knlturnationen einander in Frieden und Freundschaft nähert. Wir würden den Tag als den großartigsten seit vielen Jahrhunderten in der Menschheit ansehen, an dem ein internationales Parlament geboren würde, wo die Vertreter der verschiedenen Kulturnationen sich über Differenz- punkte verständigen.(Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.) Das wäre die großartigste Knltiirerrungenschaft, die ich mir denken kann. Graf Molttke hat vor 31 Jahren das Wort gesprochen:„Wir sind in Europa wohl gefürchtet, aber nirgends beliebt-. Ob wir heute noch überall gefürchtet, lasse ich dahingestellt. DaS eine aber weiß ich: Wir sind nicht nur nicht beliebt, sondern leider vielfach gehaßt! (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Deutschlnnd hat das Signal zur Flottenpolitit mit seiner Ver- ftärkung der Flotte gegeben. Andere Staaten waren gen» bereit ge- wesen, ihre Flottenrllstungen zu vermindern. So hat z. B. der frühere englische Marineminister Goschen erklärt:„Wir sind bereit, unser Neubautenprogramm umzuändern. Wir haben die Bewegung nicht beschleunigt, sondern sind ihr gefolgt; aber ich erkläre Ihne» namens der Regierung, daß, wenn andere Mächte ihre Bauten verringern, wir denselben Weg beschreiten werden." Und noch 1893 hat Chaniberlain erklärt:„Ich sende Ihnen diesen Ausspruch Goschens mit der Erklärung, daß. was der Marineminister damals gesagt hat, noch heute seine Gültigkeit hat." Die eng- tische Regierung ist diesem Grundsatze gefolgt. Sie hat das Flottcnbudget dieses Jahres noch um achtzig Millionen vermindert, und Minister Balfour hat auch den neuen Etat noch um 30 Millionen herabgesetzt.(Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Bemerkenswert ist, daß die Vennehrung der Flottenrllstungen sich in Europa in steigendem Maße vollzieht, obgleich im Jahre 1899 einstimmig zwei Resolutionen auf der Haager Konferenz angenommen wurden, in denen es heißt, es sei eine Be» schränkung der zur Zeit die ganze Menschheit bedrückenden Militär« lasten, die zur Förderung des materiellen und moralischen Wohls der ganzen Menschheit höchst erwünscht sei, zum Studium zu machen. Das Gegenteil von dem Beschlüsse der Haager Konferenz ist ausgeführt worden, obgleich ein zweites Zusammen- kommen jetzt geplant ist. Es ist doch eigentümlich, daß man solchen Beschlüssen zustimmt— und zu Hause geschieht dann das Gegenteil. Wir sind ja im Deutschen Reiche leider in der Er- örterung der auswärttgen Politik noch sehr weit zurück. Meine Partei ist ja die einzige gewesen, die auf die Frage der auswärttgen Politik eingegangen ist. Gegenüber den Acußerungen des Reichskanzlers will ich noch bemerken, daß an demselben Tage, als der Reichskanzler seine Rede gegen mich hielt, der französische Abgeordnete Favre den Antrag gestellt hat, den Ministerpräsidenten Rouvier in Anklagezustand zu versetzen, und an demselben Tage hat mein Parteigenosse Jauros Herrn Delcasss an- geklagt. Ein früherer Botschafter in Berlin hat in einer Revue einen Artikel veröffentlicht, in dem er den früheren Minister Delcasss in der bittersten und blutigsten Weise verhöhnt. Danach kräht in Frankreich kein Hahn. In Amerika wurden die heftigsten Anklagen gegen die Art der Kriegführung auf Kuba erhoben. Dagegen ist alles, was in Deutschland gegen unsere Regierung gesagt wird, das reinste Kinderspiel. Der Reichskanzler hat in seiner Rede direkt von Landes- verrat gesprochen, den ich unter dem Schutze der Immunität be- gangen habe. Ich bestreite auf das alleremschiedenste, daß in meiner Rede ein Satz enthalten ist, der so ausgelegt werden kann. Der Reichskanzler hat auch darauf hingewiesen, daß ich in Konstanz in ähnlicher Weise gesprochen hätte. Nun, mir ist diese Rede nicht mehr im Gedächtnis, aber sie ist offiziell von Polizei- beamten aufgenommen worden, und es ist bisher keine Anklage erfolgt. Warum nicht? Da sprach ich nicht unier dem Schutze der Immunität. Gegenüber den Angriffen des Reichskanzlers auf meine Partei bin ich verpflichtet, noch auf die Hauptstelle meiner Rede einzugehen. Ich führte aus. daß, was das russische Volk gezeigt habe, unter Umständen auch die Völker Westeuropas ihren Herrschern zeigen könnten; sie ließen sich in keinen Krieg mehr hetzen, sie müßten wissen, was durch den Krieg erreicht werden solle, und nur wenn sie das Ziel billigten, seien sie für den Krieg zu haben, anders nicht mehr. Auch wir wollten uns nicht jede Provokation gefallen lassen, auch wir nicht deutsches Land aufgeben. Aber es gäbe niancherlei andere Gründe, aus denen Kriege herbeigeführt würden. Diese Auffassung mag Ihnen(nach rechts) ja nicht gefallen, aber es ist die Auffassung der internattonalen Sozialdemokratie, die einhellig der Meinung ist, daß allerdings auch in der auswärtigen Politik daS Volk nicht mehr wie eine Hammclherde geführt und verschachert loerden könne.(Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemolraten.) Das Recht der freien Entscheidung werden wir uns unter keinen Umständen nehmen lassen.(Erneute Zustimmung.) Auf einer andern Stelle wies ich auf die allgemeine Teuerung und Arbeitslosigkeit hin, die ein europäischer Krieg zur Folge haben werde, und warf die Frage auf, ob angesichts dieser schrecklichen Not das Volk sich mir nichts dir nichts in einen solchen Krieg werde hineintteiben lassen. An einer dritten Stelle zog ich dann die Schlußfolgerung: Wenn Sie wollen, daß die deutschen Arbeiter freudig für ihr Vaterland eintteten, so machen Sie sie zu gleichberechtigten Bürgern, zu gleichberechtigten Menschen.(Stürmischer Beifall bei den Sozialdemolraten.) Das ist eine Auffassung, die die ganze Sozialdemokratie Deutschlands bis auf den letzten Mann teilt.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Bei Ihnen liegt es, diese billigen, gerechten, selbstverständlichen Forderungen zu erfüllen — oder nicht. Wenn Sie es aber nicht tun, so werden Sie alles weitere zu verantworten haben.(Sehr wahr I bei den Sozial- demokraten.) Der Reichskanzler gab die Erklärung ab: so lange er auf seinem Posten stehe, werde er zu verhindern wissen, daß die Sozial- demokratte irgend welchen Einfluß auf die auswärtige Politik Deutsch- lands gewinne. Die sollte nicht in der Hasenheide gemacht werden. Daß die auswärtige Polittk Deutschlands nicht in der Hasenheidc gemacht wird, wissen wir auch.(Heiterkeit.) Aber was will denn Fürst Bülow dagegen Machen, daß wir uns auch um seine auswärtige Politik kümmern, in unserer Presse und in Versammlungen, selbst in der Hasenheide. Oder will er einen neuen Paragraphen im Strafgesetzbuch vorschlagen, der unter Gefängnisstrafe ver- bietet, daß über die auswärtige Politik des deutschen Reiches gesprochen wird? Ob er es erlaubt oder nicht erlaubt, daß wir uns um die auswärttge Politik Deutschlands kümmern, das machen wir, wie wir wollen. Als Bürger dieses Staates, die alle Lasten und Pflichten zu erfüllen haben, werden wir uns das selbst- verständliche Recht nicht nehmen lassen, uns nicht nur um die iirnere, sondern auch um die äußere Politik Deutschlands zu kümmern, die oft noch viel gefährlicher ist als die innere.(Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokralen.) Und wenn Sie(nach rechts) das„Landes- verrat" nennen, nun, im nächsten Jahre können die Herren von der Rechten das große 100jährige Jubiläum eines nie dagewesenen Landes- Verrats feiern, nämlich der Zeit, da preußische Adlige die Festungen Magde« bürg, Spandau , Küstrin , Stettin usw. in der schmachvollsten, feigsten Weise dem auswärtigen Feinde ausgeliefert haben.(Sehr gut! links.) Einen solchen Vaterlandsverrat hat die deutsche Sozial» demokratie niemals begangen, einen solchen Vaterlandsverrat werden Sie ihr niemals nachweisen können.(Bravo I bei den Sozialdcmo» kraten, Unruhe rechts.) Sollte Deutschland je in einen Krieg mit Frankreich und Eng- land verwickelt werden, so wäre das ein großes Unglück; denn über unsere Bundesgenossen habe ich so meine eigenen Gedanken. ES spricht nicht gerade für unsere Uebercinstimmung mit den uns verbündeten Mächten, daß wir uns von der gemeinsamen Flotten- demonstration gegen die Türkei so vollständig fern gehalten haben. (Hört I hört! und Lachen rechts.) Ich will gar nicht darüber sprechen, ob diese Flottendemonstratton an sich gut und nützlich ist. Aber ich bemerke, daß Deutschland der einzige Groß- jtaat ist, der bei dieser Flottendemonstration nicht beteiligt ist, während unsere Bundesgenossen, Italien und Oesterreich, teilnehmen!— Nun hat der Herr Reichskanzler von den russischen Verhältnissen gesprochen. Ich protestiere im Namen meiner russischen Parteifreunde dagegen, daß der Reichskanzler ihnen Mord und Brandstistting vor- geworfen hat. Die Morder und Brandstifter waren ganz andere Leute, das waren Werkzeuge der russischen Regierung(Unruhe rechts), die von der Sozialdemokratie nach Möglichkeit von Mord und Brand- Itistung abgehalten wurden.(Lachen rechts.) Das waren Werkzeuge jener russischen Regierung, mit der die unserige, so viel ich weiß, noch immer gut Freund ist. In Rußland gilt daS alte Wort:„Hier herrscht der Despotismus, gemildert durch den Meuchelmord."(Sehr richtig: links.) Ich erinnere an Paul L, Peter Hl., Paul Ell. 1 Wer hat seine Hand im Spiel gehabt bei der Ermordung Stambulows in Bulgarien ? Wer hatte seine Hand im Spiele bei der Ermordung des letzten Obrenowitsch in Serbien ? (Sehr richtig I links.) Wer hatte seine Hand im Spiele beim Boxer- aufstand in China ? Das waren ganz andere Leute als die Sozialdemokraten.(Lebhafter Beifall bei den Sozialdemokraten.) Welchen Eindruck nmcht das Säbelgerassel, wenn man nach dem Osten blickt? Hat daS Auswärtige Amt zu Repressalien gegriffen wegen der fortgesetzten Grenzverletzungen, die sich russische Soldaten in geradezu unerhörter Weise zuschulden kommen ließen? Wenn in Haitt ein Deutscher ein paar Wochen ins Gefängnis gesteckt wird, dann wird gleich ein Schiff in Bewegung gesetzt. An der Ostgrenze können Tag für Tag die unerhörtesten' Grenzverletzungen vor- kommen, und in Berlin in der Wilhelmstraße regt sich kein Mensch darüber auf. Wenn ein Mann der Wissenschaft, wie Regierungsrat Martin auf Grund seiner Studien eine Schrift ver» öffentlicht mit der Tendenz:„Die russischen Finanzen sind schlecht", dann wird sofort die„Norddeutsche Allgemeine Zeittmg" mobil ge- macht, um den deutschen Kapitalisten klar zu mache», daß die russischen Finanzen ganz gut sind. Die Mordtaten gegen unschuldige Menschen hätten längst für ganz Europa Veranlassung sein sollen, ein ernstes Wort mit Rußland zu reden. Sind die russischen Machthaber nicht mehr imstande, Mord und Brand fernzuhalten, dann haben sie jede Existenzberechtigung verloren, dann soll die ganZe Kulturwelt gegen eine solche Regierung Front machen. In Odessa sind
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