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Ueber die Frage des allgemeinen Wahlrechts referierte Genosse E m m e l- Mülhausen. Er erörterte die gegen- würtige Lage und die Bestrebungen auf Aenderung der staatsrecht- lichen Verhältnisse. Die Stimmung, die während der Erörterung dieses Punktes herrschte, bewies, daß die Parteigenossen allerorts gesonnen sind, den Kampf um die Erringung des allgemeinen Wahl- rechts mit aller Energie zu führen. Auf Anregung der Mülhauscr Genossen wurde beschlossen, am Sonntag vor dem Zu- sammentritt des Landes-AusschusseZ im ganzen Lande Demonstrationsversammlungen für das albgemeine Wahlrecht zu organisieren. Die Konferenz war von LS Teilnehmern besucht die ein­zelnen Orte waren nur durch wenig Delegierte vertreten. In den Landesvorstand wurden gewählt: Peirotes, Dr. G. Weill und Aöhle-Strastburg(geschaflsführender Ausschuß). Emme! und Martin-Mülhausen, Schleicher und Voortmann-Metz  . Die 20 M Mark-Affäre aus dem Kergarbeiterffreik vor Gericht. Gestern wurde vor dem Essener   Schöffengericht über die bekannte Verleumdung verhandelt, die von einen, Teil der bürgerlichen Presse über die Verwendung von Geldern verbreitet ist, die angeblich für den Bergarbeiterstreik gesammelt, aber für andere Zwecke verwendet seien. Das Ergebnis der Verhandlung war, daß der'Betlagte entschieden bestritt, die ans Grund seiner Autorität von den Ordnuiigsleulen verbreitete Mär behauptet zu haben. Einem Zeitungsartikel, der in ähnlicher Weise sich ordnungSretterisch aussprach, billigte das Gerichi Wahrnehmung berechtigter Interessen zu. Das Gericht kam dadurch um die von den Klägern lebhaft begehrte eingehende Veweisauf- nähme herum und zu einem auffallenden Freisprach. Ueber die Verhandlung geht uns der nachstehende Bericht zu: Als Kläger   traten der Abgeordnete Sachse als Vorsitzender und Bergmann Horn als Kassierer deS Bergarbeiterverbandes auf. Verklagt ist der Redakteur derEssener Volks- zeitung" sZentrumsblatt) H a n k a m e r. Der Beklagte soll während der Vorbereitungen zur letzten Essener   Reichs- tagswahl in einer Wählervcrsainmlung in Stoppenberg   bei Esse» behauptet haben, die Vereinsleitung habe aus der Verbandskasse von den Unterstiitznngsgeldern, die für die streikenden Bergleute ein- gegangen waren, 20 000 M. für die russische revolutionäre Bewegung gespendet. Zwei Tage später ist ferner in derEssener Volks- zeitung" ein Artikel erschienen, in dem gesagt war, daß vom sozial- demokratischen Parteivorstand mit Vorwissen und unter Zustimmung des Bergarbeiter- Verbandsvorstandes 20 000 M. von den Unter- siützungSgeldern nach Rußland   geschickt worden seien. Die Kläger  legen dar, daß beide Behauptungen des Beklagten der Wahrheit wider- sprechen. Der Beklagte bestreitet, die Aeußcrnng in der Wähler- Versammlung, wie sie oben wiedergegeben ist, getan zu haben. Von den Klägern sind sechs Teilnehmer jener Versamnilung als Zeuge» geladen, die die Behauptung der Kläger stützen sollen. In dem Artikel derEssener Volkszeiiung" war die angebliche Sendung der StreikunterslützungSgelderStaub an den arnicn Bergleuten", Dieb- stahl genannt und als Förderung des Umsturzes charakterisiert worden. Die Sache hat hier damals ungeheures Aufsehen erregt. Am Tage vor der Reichstagsstichwahl wurden von der Zentrums- Partei überall Flugblätter plakatiert, in denen die Affäre die Haupt- rolle spielte. In diesem Prozesse vertritt Rechtsanwalt Dr. Viktor Niemcyer, der Kandidat dernationalen Parteien" bei der letzten Wahl die sozialdemokratischen Kläger, während Dr. Bell dem Be- klagten zur Seite steht. Vorsitzender ist Assessor Kobbe: Der Angeklagte Hankam er erklärt, er habe in der Versammlung in Stottenbcrg nur gesagt, daß der Berliner   sozialdemokratische Parteivorstand 20 000 M. von den Geldern, die ursprünglich für die streikenden Bergleute bestimmt waren, an die russischen Revolutionäre gesandt habe. Er habe sich dabei auf den offiziellen Parteitagsbericht berufen. Schon dieser Hin- tveis auf das offizielle Protokoll schließe aus, daß er vom Bergarbeiter-Verbandsvorstand gesprochen habe. Außerdem seien von ihm Zeugen zur Stelle gebracht, die es auch bekunden würden. Namens der Kläger   erklärt Abg. Sachse, daß auch Zeugen da wären, die bekunden würden, daß Hankamer vom Bergarbeiter-Vorstand gesprochen habe. Zeuge Bergmann Witt, Vertrauensmann des alten Verbandes, bekundet, in der Ver- sammlung habe Herr Hankamer davon gesprochen, daß die Sozialdemokratie die Arbeiterinteressen schädige und auf einen Zwischenruf aus der Versammlung habe er weiter gesagt, daß der Vorstand des Bergarbeiter- Verbandes 20 000 M. für die russischen Revolutio­näregespendet habe. Er Zeuge habe gerufen: D a s werden Sie zu beweisen haben. Hankamer habe ge- antwortet: Lesen Sie den Bericht des Parteivorstandes von Jena  . Auf Befragen des Abg. Sachse bekundet der Zeuge, daß er die Aeußerung Hankamers gleich am nächsten Tage dem Vorstände des Berg- arbeiter-Verbandes berichtet habe. Rechlsanw. Bell: Wenn andere Zeugen das Gegenteil bekunden, wollen Sie dann nicht wenigstens die Möglichkeit eines Irrtums zugeben? Zeuge Witt: Ich bleibe dabei. daß Hankamer vom Bergarbeilervorsland geredet hat. Zeuge Berg- mann Schuckerdt: Ich habe ebenfalls die Aeußerung Hankamers über den Bergarbeitervorstand gehört. Zeuge Witt hat sich N o t i z e n g e in a ch t. Ich war nur 10 Minuten in der Äersamm« lung, da ich hinausgeworfen bin.(Heiterkeit.) Kläger Abg. S achse: Schon vor der Hauptwahl die Aeußerung Hankamers liegt zwischen Haupt- und Stichwahl ist der Vorwurf, daß Bergarbeitergelder nach Ruhland geschickt seien, von anderer Seite erhoben und zurück- gewiesen worden. Zeuge Bergmann Waßkönig: Hankamer habe vom Berg- arbeitervorstande, nicht vom Parteivorstande gesprochen. Zeuge Pfarrer Lintzel, aus Stoppcnberg hat die Versammlung geleitet. Der Redner Hankamer sei häufig unterbrochen worden. Hankamer habe gesagt: Sie werden staunen, wenn ich Ihnen erzähle, daß sozialdemokratische Streikgelder nach Rußland   geschickt worden sind. Genau könne er sich auf den Wortlaut nicht besinnen. Ob Hankamer den Berg- arbeitervorstand genannt hat, könne er nicht genau sagen. Angekl. Hankamer: Habe ich nicht auf das Parteitagsprotokoll ausdrücklich Bezug genommen? Zeuge Pfarrer L i n tz e n: Dessen entsinne ich mich. Berichterstatter R i e ck aus Essen hat in der Versamm- lung in der ersten Reihe gesessen. Hankamer habe gesagt, die Sozialdemokraten haben noch keinen Knlturfortschritt unterstützt, aber für die russischen Revolutionäre können sie 20000 M. aus- werfen. Da erfolgte der Zwischenruf: Lüge! und Hankamer sagte: Sehen Sie sich das Jenaer   Parteitagsproiokoll an. Rechlsanw. Niemeyer: Ihrer Erinnerung nach war also nicht von Streikgeldern die Rede? Zeuge: Nein, soweit ich mich entsinne nicht. Aus Befragen Hankamers bestätigt der Zeuge, daß er ihm unaufgefordert gesagt habe, die in demBeobachter" gegebene Darstellung der Ver- sammlung sei unrichtig. Kläger   Abg. Sachse: Was war denn imBeobachter" unrichtig? Zeuge: Das Hankamer von Streik- gelden, gesprochen hat. Vors.: Daß hat aber Hankamer selbst zugegeben. Rechtsanw. N i e m e y e r gibt folgende Er- klärung zur Sache ab: Herr Hankamer hat die Sendung von 20 000 M. nach Rußland   als einen Raub an Gewerkschastsgelden, bezeichnet. Der Sachverhalt ist der: Nachdem der Streik beendet und die Sammlungen der Siebenerkommission bereits geschlossen Ivaren, gingen beim sozial- demokratischen Parteivorstand noch Gelder ein. Der Vorstand machte öffentlich bekannt, daß er die Gelder dem urspünglichen Zwecke nicht mehr zuführen könne und das Geld der Partei lasse ii verantworten werde. Außerdem wurde jeder einzelne Spender gefragt, ob er mit der Ueber- tv eisung seiner Spende an die Parteikasse ein- verstanden sei. Ich beantrage, den Kassierer der sozialdemo- lratischcn Partei, Herrn ReichStags  -Abgeordneten Gerisch-Berlin  darüber als Zeugen zu bemehmen. DaS Gericht lehnt die Ladung des Zeugen ab und schließt die Beweisaufnahme. Rechtsanwalt Nie meyer stellt aus dem JenaerPartei- tags-Protokoll fest, daß die Gelder nicht für die russischen Revolutionäre, sondern für die Opfer der russischen Revolution ge- spendet worden sind. Der Angeklagte hat in wenig ehrlicher Weise behauptet, die Gelder seien für die Revolution gegeben worden. Rechtsanwalt Niemeyer hält durch die Beweisaufnahme für fest- gestellt, daß Hankamer in der Versammlung in Stoppcnberg von dem Bergarbeitervorsiand, nicht von dem sozialdemokratischen Partei- vorstand gesprochen hat. Drei Zeugen haben das einwandSfrei bekundet. Pfarrer Lintzen konnte sich nicht mehr erinnern; Bericht- erstatter Ricck wußte die Hauptsache nicht mehr, daß nämlich von Streikgeldem die Rede war. Damit sei dem Bergarbeilervorstand der Vorwurf der Unterschlagung gemacht worden. Auch in dem mknininierlen Zeitungsartikel sei die Möglichkeit, daß der Berg- arbeitervorstand an den vom Parteivorstand begangenen Unter- schlagungen mitschuldig sei, aufrechterhalten. Er beantrage eine Strafe, die dem schweren Vorwurf ent'preche. Rechtsanwalt Blell beantragl die Freisprechung des Beklagten   Hankamer; weil sich Hankamer ausdrücklich auf das Jenaer   Protokoll bezogen, sei es psychologisch unwahrscheinlich, daß der Beklagte vom Vorstande des Bergarbeiterverbandes gesprochen habe; aber auch die Beweis- aufnähme habe durchaus nicht klar ergeben, daß Hankamer nicht vom Parteivorstande gesprochen habe. Auch der Artikel der Essener Volkszeitung" enthalte keine Beleidigung des Berg- arbeitervorstandes. Es seien tatsächlich Gelder. die ur- sprünglich für die armen Bergleute gesammelt wären, nach Rußland   geschickt worden. In dem Protokoll von Jena   sei mit keiner Silbe erwähnt, daß das Einverständnis der Spender für die Sendung nach Rußland   eingeholt ist. Es sei auch zu bezweifeln, daß jeder einzelne Spender um sein Einverständnis gefragt worden sei, da mancher Geldspender wohl nicht zu ermitteln wäre. R.-A. N i e m e y e r erwidert: die Behauptung, daß Gelder, die für die Bergleute bestimmt waren, nach Rußland   geschickt worden sind, ist unwahr. Die Gelder sind eingegangen, nachdem die Sammlung bereits geschlossen war. Man hat die anderweite Verwendung bekannt gemacht und noch obendrein die Spender gefragt. Angeklagter Han­kamer erklärt noch, daß es ihm ganz fern gelegen habe, eine Be- Häuptling wider besseres Wissen aufzustellen. Der Vorsitzende verkündet nach längerer Beratung folgendes Urteil: Der Angeklagte ist freizusprechen.' die Kosten werden den Privatklägern auferlegt. Der Borwurf, anvertraute Gelder zu anderen Zwecken verwandt zu haben, ist ein sehr schwerer, aber es ist nicht erwiesen. daß der A n g e- klagte den Privatklägern den Vorwurf ge- macht hat. Die Zeugenaussagen widersprechen sich zum Teil, die Sache ist also nicht genügend aufgeklärt. Soweit die Versammlungsrede in Betracht kommt, hat der Angeklagte auch sicher den Privatklägern, die in ihrem Privat- leben durchaus ehrenhafte Männer sind, keinen Vorwurf als Privatpersonen machen wollen. Was den inkriminierten Artikel derEssener Volkszeitung" anlangt, so stand dem Angeklagten der Schutz des Z 193 des Strafgesetzbuches zur Seite. Es mutzte deshalb auch hier Freisprechung er- folgen. Daran, ob der Beklagte verurteilt oder freigesprochen ist, wird sicherlich den Klägern wenig gelegen sein. Wohl aber lag ihnen, wenn einmal der Prozeß eingeleitet war, an der Feststellung des von ihrem Vertreter unter Beweis gestellten Sachverhalts. DaS Gericht hat diese Beweisaufnahme für überflüssig erachtet. Wir dürfen nicht daran zweifeln, daß das Gericht nach bester Ueber- zeugung angenommen hat, es sei nicht voll erwiesen, daß der Angeklagte die von ihm bestrittene, von einwands- freien Zeugen bestätigte Behauptung aufgestellt hat. Freilich ist uns ebenso wenig zweifelhaft, daß ein Sozialdemokrat unter gleichen Uinständen für überführt erachtet wäre. Das Gericht hat ferner dem Angeklagten durch eine der sonstigen Rechtsprechung über Anwendung des K 193 Strafgesetzbuch widersprechenden Aus- legung des Z 193 den Schutz der Wahrnehmung berechtigter Interessen zugebilligt. So sehr wir für eine Ausdehnung des Schutzes des Z 193 Strafgesetzbuch sind, vermögen wir doch eine Rechtsprechung nicht zu billigen, die just in einem Falle den§ 193 Strafgesetzbuch zur Anwendung bringt, in dem schon die Form des Artikels die beleidigende Absicht seines der Wahrheit widersprechenden Inhalts klar erweist. Die Berufungsinstanz wird wohl klar legen, ob in der Tat im Ruhrrevier, wo alle möglichen Aeußerungen von Sozialdemokraten für beleidigend erachtet werden, unverschämte gegen Sozial- demokraten ausgestoßene Verleumdungen aber straffrei bleiben, weil dem Verleumder die Wahrnehmung berechtigter Interessen zugute gehalten und der Beweis der Verleumdung abgelehnt wird. Gerichts-Leitung. Schutz gegen haltlose Anklagen. Mit welcher Leichtigkeit manch- mal Anklagen erhoben und aufrecht erhalten werden, zeigte eine D i e b st a h ls- Anklage, die gestern den Rentier D. vor das hiesige Schöffengericht führte. Der Angeklagte, ein Hansbesitzer in Wilmers- darf, war beschuldigt, in dem Kassenraum einer hiesigen Bank vier Hundertmarkscheine, die der Beauftragte einer hiesigen Firma dort verloren haben will, sich angeeignet zu haben. Am 4, Oktober er- hielt der bei der Firma Radday u. Co. beschäftigte Lehrling H. den Auftrag, 6000 M, in Papiergeld bei der Diskontogefellschaft und 7100 M. bei der Berlinischen Bodengesellschast einzuzahlen, DaS Geld wurde ihm richtig zugezählt und er legte es in zwei Abteilungen in seine Brieftasche, Nachdem er das Geld bei der Diskontobank richtig abgeliefert hatte, oegab er sich nach dem Kassenraum der Bodengesellschast und zählte am Schalter die dort abzuliefernden 7100 M. auf. Da sah er zu seiner Ueberraschung, daß vier Hundert- marscheine fehlten. Der Schreck fuhr dem jungen Mann so in die Glieder, daß er, ohne sich danach rimzutun, ob die Scheine etwa an die Erde gefallen seien, das Geld wieder einsteckte und nach Hause eilte, um seinem Chef Mitteilung von dem Vorgefallene» zu machen. Nach kurzer Zeit wurde von der Kasse der Bodeogesellschaft bei Naddatz u, Co, angeklingelt und der Lehrling H. aufgefordert, schleunigst nach der Kasse zu kommen. Als er dort erschien, erfuhr er folgendes: Zu derselben Zeit, als H. sein Geld aufzählte, ist auch der Angeklagte D. in dem kleinen Kassenraum anwesend gewesen und nach dem Weggange des H, an den Scbalter getreten, um eine Summe von 2800 M, an den Kassierer zu zahlen. Als er sich dann ent- fcrnt hatte, teilte ein anderer Angestellter dem Kassierer mit, daß es ihm aufgefallen sei, daß D. sich vor dem Schalterraume gebückt und etwas was wie Kassenscheine ausgesehen in seine Tasche gesteckt habe. Der Kassierer erklärte darauf, daß ja soeben erst ein junger Mann 400 M. vermißt habe, und nun wurde der Verdacht auf .den Angeklagten Rentier D. gelenkt, die fehlenden 400 M., die möglicherweise an die Erde gefallen sein konnten, gestohlen zu haben. Der Verdacht führte schließlich zur Erhebung der Anklage. Der so schwer Beschuldigte wehrte sich energisch gegen den schmählichen Verdacht. Er gab ohne weiteres� zu, daß er sich vor dem Schalter gebückt und zwei Hunderlniarkscheine auf- genommen habe, versicherte aber, daß diese ihm selbst herunterge- fallen und sein Eigentum gewesen seien. Er halte an jenem Tage 2800 M, zu zahlen; 2600 M. hatte er von Hanse   mitgenommen und in ein Kuvert gesteckt, zwei Hundertmarkscheine holte er sich noch von der Deutschen Bank und steckte sie gesondert in ein Kuvert. Als er das Geld herausholte, um es am Schalter aufzuzählen, sind nach seiner Angabe die beiden Hundertmarkscheine heruntergefallen, er hat sie aufgehoben und auf die anderen Scheine ge- gelegt. Gegen die Richtigkeit dieser Darstellung ließ sich nichts ein- wenden. Der Angeklagte erschien absolut nicht belastet, zumal der Lehrling H. im gestrigen Termin versicherte, daß er den An- geklagten in dem Kassenraume gar nicht gesehen, sondern einen ganz anderen Mann bemerkt habe, der dort auf- und abgegangen sei. Der Staatsanwalt hielt bei der ganzen Sitliation den Angeklagten des Diebstahls an den vier Hundertmarkscheinen für überführt und beantragte einen Monat Gefängnis.   Rechtsanwalt Dr. Heine- m a n n erklärte dagegen, daß er bei dieser gänzlich versagenden Beweisführung dem Angeklagten Unrecht tun würde, wenn er es für nötig hielte, auch nur ein Wort noch zu dessen Verteidigung zu sagen. Der Gerichtshof hielt dafür, daß der Angeklagte nicht belastet erscheine, ja daß auch nicht ein Schatten v o n V e r d a ch t auf ihm ruhe. Es sei ganz leicht möglich. daß der Lehrling H. die Scheine schon beini Abliefern des Geldes aus der Diskontobank verloren habe, daß sie ihm sonstwie abhanden gekommen feien, oder daß der von ihm bemerkte fremde Mann sie sich angeeignet habe. Rärselhaft sei es, daß der junge Mann, als er das Fehlen von 400 Mark bemerkte. nicht das Natürlichste und Nächstliegende getan, das heißt auf dem Fußboden vor dem Schaller nachgesehen hat, ob die Scheine dort etwa liegen. Der Gerichtshof erkannte auf kostenlose Frei» s p r e ch u n g des Angeklagten, Außerordentlich zu bedauern ist, daß in Fällen Ivie dem verhandelten gegen die siaatsanwaltlichen und richterlichen Beamten wegen grober Fahrlässigkeit nicht mit Er- folg cingeschrillen werden kann, weil das Oberverwaltungsgericht einer Schadenersatzklage den weiteren Fortgang versagen und damit die Beamten zuungunsten der geschädigten Bürger dem ordentlichen Gericht entziehen kann. Nehmt Euch vor Kautionsschwindlcrn in acht! Trotz der häufigen Warnung vor Kautionsschwindlern werden die Hoffnungs  - seligen nicht alle, die in der Etwartung, ein Auskommen zu finden, ihre mühsamen Ersparnisse als Kaution an ihnen Unbekannte fort- geben. Das zeigte wieder die gestrige Verhandlung gegen denKaufmann" Gustav Grabitz wegen Betruges in zwei Fällen vor der zweiten Strafkammer des Land- gerichts I. Ende vorigen Jahres erließ der Angeklagte, der mit dem Strafgesetz schon auf den verschiedensten Gebieten in Konflikt gekommen ist, in bürgerlichen Blättern mehrere Inserate, nach welchen er Filialleiter für sein Konfitürengeschäft suchte. Durch ein Inserat in einer Provinzzeitung wurde ein in Wriezen   wohnhaftes Fräulein Zerbe auf die gute Gelegenheit, schnell Geld zu verdienen, aufmerksani und trat mit dem Angeklagten in Verbindung. Es kam ein schriftlicher Vertrag zustande, nach welchem sie gegen Stellung einer Kaution von 500 M. Filialleiterin wurde. Die in Geschäftsangelegenheiten nicht sehr erfahrene Z, kam jedoch garnicht erst in die Lage, die Stellung anzutreten. Als sie schließlich ein gewisses Mißtrauen veranlaßte. ihr mühsam erspartes Geld zurück- zuverlangen. machte der Angeklagte allerlei Ausflüchte und zahlte nach vielem Drängen 340 M. Den Rest von 160 M. hat Fraulein Z. niemals wiedergesehen. Die 340 M. hatte sich der Angeklagte durch ein neues Schwindelmanöver verschafft. Der Handlungs- aehülfe Janitzki hatte sich auf ein neues Inserat gemeldet und eben- nlls 800 M. Kaution gestellt. Der Angeklagte hatte sein Geschäft in den besten Farben geschildert und erklärt, daß er keinerlei Schulden besitze. Tatsächlich war er über und über verschuldet, mit den 800 M, bezahlte der Angeklagte an Fräulein Zerbe 340 M., den Rest verwendete er zu seinem Privatgebrauch. Erst nach vielen Be- mühungcn gelang es schließlich 300' M. von dem Angeklagten zu erlangen. Das Urteil lautete auf 6 Monate Gefängnis. Die 28 Fehler der Buchhalterin. Einen ganzen Handwagen mit den gesamten Geschäftsbüchern ließ am Montag der Kaufmann Sch. bei dem Kaufmannsgericht vorführen, um in der Verhandlung dem Gerichtshofe 28 Fehler seiner Buchhalterin zu beweisen, mit denen er ihre sofortige Entlassung wegen völliger Unfähigkeil begründete. Die Klägerin M. verlangte 180 M. Gehalt für zwei Monate. Die Beisitzer nahmen als Männer der Praxis genaue Einsicht in die vor- gelegien Bücher, Die gerügten 28 Fehler bestanden aus Rasuren und kleinen Schreibfehlern, Einer der Beisitzer erklärte: Ich bin früher auch lange Jahre Buchhalter gewesen, ich habe aber auch Fehler gemacht. Durch die Beweisaufnahme wurde ferner festgestellt. daß die Klägerin beim Eintritt die Bücher in einer höchst unordentlichen und rückständigen Führung vorfand, und daß sie während der Arbeit vielfach fortgerufen wurde. Glänzende Zeugnisse aus früheren Stellungen standen zu dem seitens des Be- klagien erhobenen Borwurf völliger Unfähigkeit in direktem Gegen- sntz, Das Kaufmannsgericht verurteilte die beklagte Firma zur Zahlung von 180 M, Trotz der 28 Fehler könne von völliger Unfähigkeit keine Rede sein; einer Buchhalterin m ü s s e, wenn der Chef fehlerfreie Arbeit verlange, die Möglich- keit zum ungestörten Arbeiten gegeben werden, was aber hier keineswegs der Fall gewesen sei. Auch der schlechte Zustand der Bücher bei Ucbernahme seitens der Klägerin, die drei Monate rückständige Buchführung nachzutragen und noch die laufende Arbeit zu erledigen hatte, sei ein schwerwiegender Ent- schuldigungsgrund. Es sei im Gegenteil anzuerkennen, daß sie die Ueberlastung ohne gravierende Fehler bewältigt hat. DaS vergessene Ländche» vor dem Reichsgericht. Zwischen der belgischen Provinz Liittich und dem Regierungsbezirk Aachen   an der Bahnlinie nach Verviers   liegt ein eigenartiges Staatengebilde. Neutral-Moresnet  (sprich: Moreneh) genannt. Moresnet ge- hört nicht zu Deutschland  , auch nicht zu Belgien  . Es bildet eine so- genannte selbständige Republik, freilich mit mehrerenaber". Das 330 Hektar große Ländchen hat etwa 3500 Einwohner. Ein Bürger- meistcr und 10 Ratsherren regieren die Republik  , haben aber wenig zu sagen: die Eingeborenen sind militärfrci. Von den Einwohnern sind aber rund'/e Belgier   und'/a Preußen. Diese die Preußen seit 1875 werden zum Militärdienst herangezogen. Als Gerichte fungieren belgische und preußische. Die Frage, welches Recht das preußische Gericht in An- Wendung zu bringen habe, beschäftigte am Montag das Reichs- gcricht. Das Landgericht Aachen   halte in Strafsachen das deutiche Gesetz in Anwendung gebracht. Die Reichsanwaltschaft ver- trat dieselbe Ansicht. Das Reichsgericht hob aber die Urteile auf, weil der cods pönale von 1814 in Anwendung zu bringen sei. Die Entscheidung dürfte als zutreffend zu erachten sein. Seit 1875 müssen freilich die nach Moresnet   gehenden Preußen dienen. Moresnet   selbst ist aber nie preußisch geworden. Es war im 18. Jahrhundert zu Oesterreich   gehörig. 1793 kam eS zu Frankreich  und verblieb dort bis zum Jahre 1815. Da Belgien   und Preußen wegen des damals ertragreichen Galmcibergwerks das Ländchen haben wollten, beide aber nur darin einig waren, daß es nicht zu Frankreich   gehören solle, so wurde durch Vertrag vom 16, Juni 1816 eine gemeinsame belgisch  -preußische Hoheit über das Ländchen Moresnet koustituiert. Das Bergwerk war Ende der 30er Jahre erschöpft. Darauf wurde im Jahre 1341 die oben skizzierte Verwaltung dem Ländchcn eingeräumt. Wenn sich nun der Dreibund MoreSnet-Belgieu-Preußcn nicht anders besinnt, bleibt Moresnet   unter den 1814 für Moresnet   gültigen Strafgesetzen, das ist der code pönal mit seinen teilweise drakonischen Vorschriften und langen Verjährungsfristen. Venmlckres. Leichenschacher. Wie wir vor 14 Tagen mitteilten, ist in einer Versammlung der Hamburger Staatsarbeiter behauptet worden, die Verwaltung eines Hamburger Staatskrankenhauses treibe mit Zu- stimmung des Senats einen schwunghaften Handel mit Leichen und anatomischen Präparaten, die kistenweise an die Universitäten ver- schickt würden, uird daß es vorgekommen sei, daß Leidtragende einem Sarge folgten, in dem sich statt einer Leiche Schutt und Steine be­fanden, Genosse E. Fischer richtete in der letzten Sitzung der Burger- schast eine Anfrage an die bürgerscbafilichen Mitglieder des Kranken- Hauskollegiums, ob der Behörde diese Anschuldigungen bekannt ge- worden seien. Dr. Roth erwiderte, auch andere Städte liefern Leichen und Präparate an die Universitäten: bezüglich der Anschuldi- gungen werde sich Herr Schönberg(der Redner in der erwähnten