Nr. 300. 22. Jahrgang.
3. Beilage des Vorwärts" Berliner Volksblatt. Sounabend, 23. Dezember 1905.
Aus der Frauenbewegung.
Mehr Agitation unter dem weiblichen Proletariat. Ungemein hoch gehen überall die Wogen der Politik. In den Parlamenten, weit mehr aber noch draußen in den Massen. Wie tönnte es auch anders sein? Zwei Hauptmomente im gegenwärtigen politischen Leben, die vollständig entgegengesetter Natur find, wirten aber auf die Massen in gleicher Richtung: die russische und die preußisch deutsche Reattion. Beide peitschen die Massen geradezu auf aus ihrer Lethargie, stacheln auf zur intensiveren Beteiligung am Klaffenkampf. Die russischen Freiheitskämpfer, Märthrer und Helden rufen unser Staunen, unsere höchste Anerkennung und Bewunderung wach, fie entfachen durch das Beispiel revolutionärer Tatkraft und Energie, bas sie geben, unsere Begeisterung, unseren Kampfesmut. Umstrahlt von dem Glutschein der russischen Revolution, erscheinen aber auch alle die veralteten, rückständigen Einrichtungen in Preußen Deutschland um so grotesker, und in jenem Schein empfinden bor allem die Enterbten und Getnechteten um so brüdender alles Unrecht: die maßlose Ausbeutung gepaart mit der Rechtlosigkeit.
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Muß nicht die Bevölkerung der einzelnen Bundesstaaten die Borenthaltung des allgemeinen direkten und gleichen Wahlrechts zu den Landtagen als ein um so größeres Unrecht, als eine um so brennendere Schmach und politische Degradation empfinden, angesichts der Tatsache, daß das russische Proletariat den Wechselbalg von Verfassung, den Nitoläschen ihnen gnädigst" gewähren wollte, ihm zerrissen bor die Füße warf und ganze Arbeit berlangte? Muß nicht die Röte der Scham und der Empörung dem deutschen Proletariat die Wangen färben, angesichts der reaktionären Fassung und der noch reaktionäreren Auslegung und Handhabung der buntscheckigen Vereins- und Versammlungsrechte, grund dessen die Arbeiter und noch weit mehr die Arbeiterinnen wie Unmündige und Jdioten behandelt oder gleich Verbrechern förmlich unter ständige Polizeiaufsicht gestellt werden?
Müssen die Massen es nicht als einen unerträglichen Zustand empfinden, daß ihre Wortführer in der Presse und in Versammlungen
Sonntag bis 8 Uhr geöffnet.
unausgesezt das Damoklesschwert der strafrechtlichen Verfolgung Just diese Zeit der Gärung und allgemeinen Regsamkeit, sie über ihrem Haupte schwebend wissen? darf nicht ungenutzt in bezug auf die Aufklärung der proletarischen Und zu all' der Rechtlosigkeit unseres Volkes die Ausbeutung Frauenwelt vorübergehen. Jeder, der von uns mitten im Kampfe, der Arbeitskraft durch das goldhungrige Unternehmertum, das jeden in der Agitations- und Organisationsarbeit steckt, weiß aus ErVersuch seiner Lohnsflaven, den gar zu fargen Lohn nur um ein fahrung, daß in solchen Zeiten die Maffen sehr empfänglich find für weniges zu erhöhen, die gar so kurze Sklavenrast um ein weniges das geschriebene und gesprochene Wort, das der Aufklärung dient, zu verlängern, mit den brutalsten Gewaltmaßregeln zu unterdrüden das aber auch aufruft zur Mitarbeit, zum Mitopfern. bersucht. Welches Maß von Empörung muß nicht z. B. die Herzen unserer thüringischen und sächsischen Arbeitsbrüder und Schwestern beseelen, die zu 40-50 000 ausgesperrt wurden, weil sie den Zehn stundentag und ein paar Pfennige mehr Lohn verlangten, während an so vielen Orten Rußlands die Arbeiterschaft trugiglich den Acht stundentag reklamiert. Dazu die schier unerträgliche Belastung durch das verwerfliche System der indirekten Besteuerung, deren Erträgnisse in der Hauptsache dem blutgierigen, völkerfeindlichen und völkerverderbenden Militarismus und Marinismus geopfert werden.
Kräfte, die schlummern, werden dann weit leichter geweckt als sonst. Der Klaffeninstinkt reift gleichsam über Nacht zum Klassenbewußtsein. Alle unsere Genossinnen, die im Dienste der Partei tätig sind und dabei denken wir nicht etwa nur, nicht einmal in erster Linie, an die fleine Schar unserer Rednerinnen, o nein! wir denten in erster Linie an all die fleißigen, opferfreudigen, treuen Genoffinnen, die von vielen ungekannt und ungenannt, die so wertvolle und unentbehrliche Kleinarbeit unermüdlich leisten haben sicher gerade in der letzten Zeit mit uns oft das Gefühl gehabt: Hätten wir statt der einen Zunge doch deren zwanzig, statt der zwei Hände und Nicht genug, daß monatelang das Volk zu Nutz und Frommen Beine doch deren vierzig, um mehr schaffen, mehr arbeiten, mehr der Ochiengrafen und schweinezüchtenden Minister unter der Fleisch agitieren zu können, um die schier unermeßliche Fülle von Agitations not gelitten hat und heute mehr denn je leidet, nicht genug, daß material bewältigen zu können. Aber an vielen Orten haben wir das Inkrafttreten der neuen Handelsverträge, die eine weitere noch feine solcher Mitarbeiterinnen. Wo uns Mitarbeiterinnen fehlten, müßten die Genossen, enorme Belastung der Massen bringen, vor der Tür steht; an der weiteren Plünderung unserer Taschen sollen in Zukunft, in sollte die örtliche Parteileitung helfend ein noch erhöhterem Maße als bisher, auch die Kanouentönige und greifen. Die Notwendigkeit einer intensiveren Agitation unter dem weibBanzerplattenfabrikanten teilhaben.( Siehe die Flottenvorlage.) Und als Weihnachtsgeschenk überreicht der Herr v. Stengel ein wunderschön lichen Proletariat auch an diesen Orten wird von niemand bestritten Wahrlich die Schafsgeduld des werden. Zudem erweisen die oben gemachten Ausführungen diese gebundenes neues Steuerbukett. deutschen Michel müßte endlos sein, würde ihn all dieses und noch Notwendigkeit aufs neue. In einem späteren Artikel werden wir deshalb die Art, das so vieles andere mehr, nicht geradezu aufreizen zum Kampf gegen Ausbeutung und Unterdrückung. So ist die Luft gleichsam gesättigt Wie" dieser Agitation erörtern. Es gilt für uns lediglich Louise 8iek. mit dem Zündstoff der Unzufriedenheit. denselben nugbar zu machen für unsere Allgemeinbewegung, im In Freireligiöse Gemeinde. Sonntag, den 24. Dezember, vormittags besonderen aber auch für unsere Frauenbewegung. legterer Beziehung sollte mehr geschehen als dies in jüngster Beit 8 Uhr, im Rathause, Saal 109, Eingang Jüdenstraße: Bersammlung. Freireligiöse Vorlesung. Um 10%, Uhr vormittags in der Schul- Aula, der Fall gewesen ist. . Frankfurterstr. 6: Vortrag des Herrn Adolf Stern : Hingabe und Charakterstärke." Montag, den 25. Dezember, vorm. 10%, Uhr, ebendaselbst Festvortrag" des Herrn Prof. Dr. Albert Gehrke. Dienstag. den 26. Dezember, vorm. 10%, Uhr, ebendaselbst Festvortrag des Frl. Ida
Bei allen Veranstaltungen seitens unserer Genossen, mögen diese der Agitation im allgemeinen, mögen diese der Erkämpfung uns bisher vorenthaltener Rechte dienen, sollte man es nicht unter lassen, sich auch besonders an die Frauen zu wenden.
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