Einzelbild herunterladen
 
Nr. 7. 23. laljrptg. 1. jlcilngt des Jotmätls" Knlim WIKsM MiMch, w. Januar 1906. l�eicksrag. . Sitzung vom Dienstag, nachmittags 2 Am Tische des Bundesrats: Frhr. v. Präsident Graf Ballcstrcm wünscht glückliches neues Jahr. Auf der Tagesordnung steht die cntwnrfs zur Ordnung des Reic Tilgung der Reichs schuld mit rung der Brau- und Tabak st euer st euer gesetz, zur Aenderung de» Reichs Erbschaftssteuer gesetz. den 9. Januar 1996, Uhr. Stengel. den verehrten Kollegen ein erste Beratung des Gesetz- hshaushalts und zur den Entwürfen zur Aende- gesetze, zum Zigaretten- ! st e m p e l gesetzes und zum Reichsschatzsekretär Frhr.   v. Stengel: Ich habe schon vor den Weihnachtsfcrien mir gestattet, mich im allgemeinen über die Stenervorlagen zu verbreiten. Ich will mich daher heute darauf beschränken, auf einige Einwände der Herren Redner zu antworten, weil ich alles vermeiden möchte, was dazu beitragen könnte, diese Beratung in die Länge zu ziehen. Ich habe in der Hauptsache deshalb ums Wort gebeten, um insbesondere an die Herren Redner derjenigen Parteien, welche die Absicht haben, sich über die Vorlage mit der Regierung zu verständigen, die Bitte zu richten: eS möchte in diesem Stadium der Beratung vermieden werden, sich gegen die eine oder die andere der Steuervorlagen definitiv festzn- legen. Dazu wird in einem späteren Stadium noch immer Zeit sein.(Unruhe und Lachen links.) Wie der Reichskanzler bereits in seinen einleitenden Worten auseinandergesetzt hat, sind alle neuen Steuern mehr oder weniger lästig, widerwärtig und unangenehm. Ich kann es Ihnen daher vollkommen nachfühlen, wenn Sie sich nur mit schwerem Herzen entschlossen haben, den Steuervorlagen, die die verbündeten Regierungen Ihnen unterbreitet haben, näher zu treten. Sie werden aber auch die Ueberzeugung gewonnen haben, daß es in der bisherigen Weise unmöglich weiter- gehen konnte und daß ein Abkommen notwendig war, neue Einnahmequellen für daß Reich zu erschließen. Ich kann bei der gegenwärtigen schweren und ernsten Finanzlage alle staatSerhaltenden Elemente auch in diesem Hause nur bitten, sich mit den verbündeten Regierungen zusammenfinden und eine gemeinsame Arbeit vornehmen zu wollen zu dem Zwecke, ein Werk zu schaffen, das nicht nur für die Gegenwart, sondern auch für die Zukunft dem Reiche Segen bringen soll.(Bravo  ! rechts. Lachen links.) Wie tief der Gedanke von der Notwendigkeit einer Steuer- reform in weite Kreise des Volkes gedrungen ist, das beweist die zahllose Tkasse von Briefen und Zuschriften mit neuen Steuer- Vorschlägen, die mir seit Wochen und Monaten zugehen und durch die der gegenwärtigen Notlage abgeholfen werden soll. Leider »nußte ich es mir versagen, jedem einzelnen Briefschreiber auf alle diese mehr oder minder beachtenswerten Vorschläge zu antworten. (Heiterkeit.) Aber ich wollte diese Gelegenheit nicht vorübergehen lassen, ohne von dieser Stelle aus allen diesen meinen Mitarbeitern meinen wärmsten Dank abzustatten.(Große Heiterkeit.) Abg. Speck(Z.): Ueber die Wichtigkeit der Reichsfinanzreform und der Steuer- Vorlage kann niemand im unklaren fein. Die Zukunft des Reiches hängt, wie schon der Herr Reichskanzler ausgeführt hat, von ihrem Schicksale ab. Das wachsende Mißverhältnis zwischen den Ein- nahmen und Ausgaben des Reiches ist ja nicht mehr zu leugnen; es ist aber zu prüfen, ob es wirklich so groß ist, wie die Regierung an- lümmt, und ob eS nicht einen anderen Weg gibt, um es zu bc- seitigen, einen Weg, der mit der sozialen Gesetzgebung des Reiche« besser übereinstimmt. Wir sind es gewöhnt, daß die Finanzlage des Reiche? von den Regierungsvertretcrn bald im rosigsten, bald im schwärzesten Lichte geschildert wird. Als wir über das Flottengesetz berieten, erklärte der damalige Reichsschatzsekretär: um die Finanzen sei ihm nicht bange. Jetzt macht man dagegen grau in grau. Kaum eine Zeit aber war ungünstiger für die Einführung neuer Steuern als die gegenwärtige, in der die wichtigsten Lebensmittel verteuert sind. Aufjeden Fall müßten wir die Garantie haben, daß eventuelle Ueberschüsse der Steuern auch zur Schuldentilgung verwandt werden. Gerade im Reich haben wir diese Garantie aber nicht; es besteht vielmehr die Gefahr, daß etwa vorhandene Ueberschüsse sofort Verwendung finden. Daher wollen wir keine Marl   mehr an neuen Steuern ausgeben, als unbedingt gebraucht werden.(Lachen bei den Sozial- demokraten.) Wir halten weiter daran fest, daß der Reichstag mit dem A 6 des FlottcngesetzeS ein Programm hat aufstellen wollen: daß er eine stärkere Belastung von Gegenständen dcS Maffenkousums für die nächsten Jahre nicht wünscht. Von Steuern, die den Verkehr hindern, sollte man überhaupt absehen. Sie schädigen zweifellos das gesamte wirtschaftliche Leben weit mehr, als sie der Reichskasse nützen.' Auf die Tabaksteuer könnte man nur dann eingehen, wenn es möglich wäre, eine Besteuerung oder Ver- zollung nach dem Werte einzuführen, so daß die minderwertige Ware steuerfrei bleiben könnte. Diese Versteuerung nach dem Wert ist aber heute technisch undurchführbar. Was die Brausteuer anlangt, so ist die Staffelung als ein Fortschritt zu begrüßen. Aber diese Staffelung sollte nicht als Deckmantel für eine allgemeine kräftige Er- höhung der Brausteuer dienen. Es wird dem kleinen Brauer ein sehr schlechter Trost für seine Stcuererhöhung sein, daß er weiß, der große Brauer habe eine noch stärkere Steuererhöhung zu ertragen. Wir begrüßen eS mit Freude, daß die neue Steuer die Zollgrenze des norddeutschen BrausteuergebieteS� beseitigen will, bedauern aber die Rückwirkung auf die Finanzen der süddeutschen Staaten. So ist dieser Gesetzentivurf noch sehr verbesserungsfähig, hoffeullich gelingt noch, dieser Schlange ihre Giftzähne auszubrechen.(Heiterkeit.) Au erster, nicht an letzter Stelle in diesem Steuerbukett hätte die Erbschaftssteuer genannt werden müssen. Freilich erregt sie in- sofern Bedenken, als alle direkten Steuern verfaffungSmäßig für die Eii.zelstaatcn reserviert werden sollten. Man hatdies dadurch zu umgehen versucht, daß man den Ertrag dieser Erbschaftssteuer in erster Linie den Einzelstaaten, und nur subsidiär dem Reiche zukommen lassen will. Die sittliche Berechtigung des Reiches, eine solche Steuer zu erheben, läßt sich nicht abstreiten. Zu befürchten ist nur, daß das mobile Kapital sich der Steuer leichter entziehen kann als da? immo- bile. Als Kautel� dagegen sieht man die Eidesleistung der Erben vor. Aber je häufiger man die Verpflichtung zum Eide   einführt. um so niehr wächst die Möglichkeit des Meineides.(Hört! hört I bei den Sozialdemokraten.) Jedenfalls aber ist die Erbschaftssteuer, auch die sür die Deszendenten, besser als alle Steuern auf Massenbedarfs- artikel.(Sehr richtig! links.) Die Herren von der Rechten, die sonst immer alle Steuern mit Freuden begrüßen, streuben sich gegen die Erbschaftssteuer, insbesondere gegen den Gedanken der Deszendenten- besieuerung. Sie werden nur der Sozialdemokratie Wasser auf ihre Mühle leiten, wenn Sie dep Löwenanteil der Erbschaftssteuer aus die Schultern der kleinen Erben wälzen wollen. Auch der preußische Finanzminister ist dagegen ausgetreten, daß die Deszendenten besteuert werden sollen; das sei VermögenSschmälerung. Aber schmälert er nicht gleichfalls daS Vermögen, wenn er auch von den kleinen Vermögen die Zusatzsteucr erhebt? Ich will die Deszen- dcntensteuer nicht in den Vordergrund schieben, ich habe auch gegen sie große Bedenken; aber doch müssen wir auch auf sie zurückgreisen, wenn es uns dadurch gelingen kann, die indirekten Steuern zu ver- Das eine Drittel der Erbschaftssteuer, das den Einzelstaaten überwiesen werden soll, bietet nnS keinen Ersatz für die Abschaffung der Matrikularbciträge. Die Einzelstaaten müssen, ganz abgesehen von der Erbschaftssteuer, an der Finanzgebarung de« Reiches interessiert bleiben. Denn auf die Dauer wwd keine Finanzreform dein Reiche aufhelfen, wenn nicht eine sparsame Wirtschaft im Reiche Plav   greift. UevrigenS verlangt das Reich von den Einzelstaaten jetzt nur einen Teil dessen zurück, was es ihnen früher in reichlicherem Maße hat zuteil werden lassen. Vor allem aber scheint mir, als ob die Re- gierung die steuerpolitische Situation verkennt. Sie legt dem Reichstage ein Konglomerat gänzlich unznsammciihäugender Steuern vor und setzt ihm dann die Pistole auf die Brust: Friß, Vogel, oder stirb! Ader wenn der Reichstag diese SIeuervorlagen nun nicht, wie die Regierung wünscht, als einheitliches Werk betrachtet und an- nimmt? Eine Auflösung dieses Parlaments des allgemeinen Wahlrechts unter der ParoleNeue Steuern!" würde ja nur der äußersten Linken Vorschub leisten. Jedenfalls soll keinUltimatum" uns abhalten, die SIeuervorlagen gründ- lich zu prüfen. Seinen Appell an die Opferwilligkeit hätte der preußische Finanzminister lieber als an den Reichstag an s i ch und seine Kollegen oder an das preußische Herrenhaus bei seiner Stellungnahme gegen die Reichserbschaftssteuer richten sollen. Wir haben jedenfalls keine Veranlassung, um der schönen Augen der Regierung willen ihr irgend etwas zu bewilligen. Hat sie doch wichtige Reichstagsbeschlüsse, z. B. den Toleranzantrag, gänzlich un- beachtet und unbeantwortet gelassen.(Unruhe bei den National- liberalen.) Wenn wir also der Regierung die Hand zur Verständigung bieten, so geschieht es nur, weil das Reich tatsächlich neuer Steuern bedarf, und weil wir vom Bundesrat ein weiteres Entgegenkommen erwarten, als er bisher gezeigt hat.(Beifall im Zentrum.) Abg. Singer(Soz.): Ich will nicht über die Reichsfinauzreform im allgemeinen, sondern im wesentlichen nur über die ReichSerbschaftsstcuer sprechen. Die anderen Steuern werden von anderen meiner Fraktionsgenosscn behandelt werden. Zunächst nur einige Ausführungen im Anschluß an das, was wir eben von dem Herrn Borredner gehört haben. Wir sind mit ihm der Meinung, daß der Reichstag in der Lage sein muß, von Jahr zu Jahr zur Deckung der notwendigen AuS- gaben Matrikularbeiträge zu erheben. Diese Matrikularbeiträge sind die einzige Sicherheit, die der Reichstag dafür hat, daß die Einzelstaaten im Bundesrat den Forderungen, die von bestimmter Seite, namentlich in bezug auf Militär- und Marineausgaben, erhoben werden, die' notwendige Festigkeit entgegensetzen. Weiter kann ich nur wünschen, daß die Auffassung, die der Vorredner zum Schluß vorgetragen hat, auch bei seinen Freunden bis zur Verabschiedung der Vorlage vorhalten möchte.(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) DaS gewöhnliche Bild ist ja das, daß nach solchen Versprechungen dcS Zentrums die Vorlagen mit gewohnter Gründlichkeit in der Kommission geprüft Iverden, daß aber dann trotz deS Entschlusses, nur das unbedingt Notwendige zu bewilligen, schließlich die Vorlagen in der Regierungsfassuug mit Zustimmung des Zentrunis angenommen werden.(Sehr wahr! bei den Sozial- demokraten.) In bezug auf die Erbschaftssteuer weicht unsere Auf- fassung weit von der des Herrn Vorredners ab. Wenn das Zentrum in der Tat glaubt, die Steuern, die durch den Mund des Herrn Vorredners perhorreSziert worden sind, ersetzen zu wollen durch eine Erbschaftssteuer, dann muß es an diese Erbschaftssteuer ganz andere Grundsätze anlegen, als sie der Herr Vorredner vorgetragen hat. Mit einer Erbschaftssteuer, wie er sie haben will, lassen sich die Forderungen, für die das Zenwum durch seine Kolonial-, Marine- und Militärpolitik selbst den Boden geschaffen hat, nicht decken. Für uns ist die Erbschaftssteuer die einzig annehmbare von all den vorgeschlagenen, und wir hätten gewünscht, daß die Regierung sie an die Spitze gestellt und ihren Betrag auf die Summe, die überhaupt verlangt wird, erhöbt hätte. Wir sind, wie wir das wiederholt ausgesprochen haben, der Meinung, daß auf dem Wege der Rcichseinkonmien-, Reichsvermögens- und Reichscrbschaftssteuer die notwendigen Ausgaben im Reiche auf- gebracht werden können. Wir wünschen, daß die ReichSerbschafts- steucr so hoch erhoben wird, daß sie zugleich die indirekten Steuern nach Möglichkeit überflüssig macht.(Lautes Lachen rechts. Ruf: Auch noch!) Hier tut die Regierung aber nichts anderes, als daß sie neben einer großen Anzahl unerträglicher Steuern, die not- wendige Lebensmittel deS Volkes verteuern und den Verkehr be- hindern, zum Spaß eine Schemsteucr unter dem Namen einer direkten Steuer hinsetzt, welche dem Deutscheu Reiche die lächerliche Summe von 48 Millionen einbringen soll.(Sehr richtig I b. d. Sozialdemokr.) Wir behalten uns vor, in der zweiten Lesung oder eventuell in der Kommission Anträge in der von mir bezeichneten Richtung ein- zubringen, aus denen hervorgehen wird, wie wir uns de» Vorgang denken, daß man gleichzeitig mit der Bewilligung der Reichs- erbschaftSsteuer die von mir bezeichneten indirekten Steuern beseitigen kann. Ich will auch noch darauf hinweisen, daß namhafte bürger- liche Nationalökonomen sich für eine hohe Erbschaftssteuer aus- gelprochen haben, weil es vielfach so hingestellt wird, als sei die Erbschaftssteuer, oder wenigstens die hohe Erbschaftssteuer, ein Ausfluß des Sozialismus. Das ist aber ganz und gar unrichtig. Professor Conrad in Halle sagt z. B. in seinerFiuanzwissenschaft" l8V9, daßso lange noch keine genügende Progression in den Ver- mögen?- und Einkommenssteuern besteht, eine_ hohe Erbschafts­steuer das beste HülfSmittel" sei. Auch andere bürgerliche National- ökonomen haben sich in dem Sinne ausgesprochen, daß weil gerade infolge der Erbschaften die Einkommensteuerverhältnisse des Volke? so ungleich seien die schwächsten der Volksgenossen durch eine Besteuerung der großen Erbschaften entlastet werden sollen. Sieht man sich einmal das Verhältnis der direkten zu den in- direkten Steuern an, so kommt mau zu ganz anderen Resultaten, als wie sie der preußische Finanzminister hier borgetragen hat, so daß man eigentlich nicht begreifen kann, wie er im stände war, hier öffentlich im Hause solche Zahlen anzugeben. Das Verhältnis der direkten Steuern zu den indirekten beträgt nämlich in Preußen 17,8: 82.2. in England 35,03: 54,94. in Frankreich   27.11: 72,89. In Frankreich   ist das Verhältnis schon sehr ungünstig, aber noch immer nicht s o ungünstig wie in Preußen. In Oesterreich   stehen den 29,4 Proz. direkten 70,6 Proz. indirekte Steuern gegenüber, in Rußland   12,1 Proz. direkten 87.9 Proz. indirekte. Preußen-Deutsch  - land hat also auch auf steuerlichem Gebiete den Vorzug, Rußlands  intimster Bundesgenosse zu sein ein Vorzug, um den die Kultur- weit es allerdings nicht beneidet.(Vielfaches Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Selbst wenn man andere, für Preußen günstigere Berechnungsarten zugrunde legt, z. B. die günstigste, die von Adolf Wagner, so beträgt der Steuerbetrag pro Kopf der Bevölkerung 17,7 M.. wozu man aber mindestens noch 10 M. indirekter Steuern pro Kopf aus den Ueberschüssen der Eisen- bahnen zurechnen müßte. Von jenem Steuerbetrage ent- sielen auf direkte Steuern 25.21 Proz., auf indirette 74.79 Proz. In den anderen Teilen Deutschlands   steht eS etwas, aber nicht viel besser. Dieses Verhältnis ruft dringend nach einer Steuer- «form, die die direkten Steuern ins Gleichgewicht mit den indirekten bringt, d. h. die direkten Steuern so erhöht, daß die indirekte», wenn nicht ganz beseitigt, so doch erheblich herabgesetzt werden können. (Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Nun einige Bemerkungen über die Erbschaftssteuer selbst. Auch hier haben bürgerliche Rationalökonomen schon immer die Ansichten vertreten, denen auch wir anhängen, nämlich, daß die Erbschaft«- steuer ganz anders hohe Sätze enthalten müßte, als die Regierung und das Zentrum jetzt fordern. So verlangt zum Beispiel Adolf Wagner, daß die Erbschaftssteuer progressiv und zwar nach oben ganz erheblich steigend, erhoben werden soll, gleichviel ob das Ver­mögen aus Grund der gesetzliche» Erbfolge oder infolge testamentarischer Bestimmung übergeht, und daß diese Erbschaftssteuer sich abstufen soll einmal nach dem Verwandtschaftsgrade, dann nach der Höhe des ErbschaftsteilS oder Legats, daß sie endlich die nächsten Verwandten. Aszendenten und Deszendenten ebenfalls, wenn auch niedriger, treffen soll. Die Regierung macht nun zur Bedingung der Aufrecht- erhaltung ihrer Vorlage, die wie gesagt die lächerlich geringe Summe von 48 Millionen aus der Erbschaftssteuer ziehen will: daß wir die anderen 200 Millionen indirekten Steuern mitschlucken l Dieser so- genannten.Unteilbarkeit" der Steuervorlagen stehen wir ent- schieden feindlich gegenüber, genau so wie der Vor- redner. Wenn aber der Vorredner wegen dieses Verlangens mit besonderer Schärfe gegen die großindustrielle und konservative Presse polemisiert hat, so hat er doch unter denen, die nur gezwungen und widerwillig an die Erbschaftssteuer herangehen, seinen eigenen Partei- genossen, den Abg. Herold, vergessen, der am 13. März 1905 im preußischen Abgeordnetenhause erklärte:Meine politischen Freunde haben zu dieser Frage zwar noch keine Stellung genommen, aber unzweifelhaft bestehen gerade gegen die Erbschaftssteuer außerordentlich große Bedenken."(Sehr richtig! rechts und im Zentrum. Vielfaches Hört! hört! links.) Sehr interessant war die Stellungnahme des preußischen Landtages, in dem neben den Konservativen auch die Zentrumspartei   so stark vertreten ist. Man nahm dort eine Resolution an, in der der Mi- nister von Rheinbaben gebeten wurde, unter allen Umständen gegen die Bestimmung der Ehegatten und Deszendenten einzutreten. Diesem Wunsche hat ja der Bundesrat auch Folge geleistet, msofern, als Eheleute und Deszendenten wirklich steuerfrei sollen ausgehen. Die wirkliche Absicht der Resolution aber war wohl die, daß man durch Einziehung der Erbschaften von Ehegatten und Deszendenten den Ertrag der Steuer auf ein so geringes Maß hinabzuschrauben hoffte, daß sie dann überhaupt als nicht lohnend verworfen würde. Unsere Stellungnahme und die des Zentrums zu den Steuervorlagen ist eine grundsätzlich ver- schiedene. Wir wollen grundsätzlich für das Reich nur die direkten Steuern, das Zenwum aber will die indirekten Reichseinnahmcn bei- behalten, und nur als Aushülfe nimmt eS die Erbschaftssteuer. Denn wenn man, wie das Zentrum, zusammen mit der Regierung und den Konservativen es tut,, Ehegatten und Deszendenten, also 75 Proz. der Erben, ausnimmt, dann kann man mit dem Rest, den 25 Proz., natürlich nicht den Mehrbedarf des Reiches decken. Noch ärger als das Zentrum benimmt sich die konservative Presse und, soweit ich sehe, die konservative Partei. DieBerliner Neuesten Nachrichten", dieses Organ der Großindustriellen, nannte den Gc- danken einer Deszendentenbesteuerung einepolitische Unsittlichkeit" und fragte,ob denn daS öffentliche Gewissen schon so verwahrlost" sei, daß nicht nur die Sozialdemokratie, sondern auch bürgerliche Parteien für diesenentschlossenen Eingriff in die Taschen der Reichen" zu haben seien I Diesen Vorwurf aber richtete das Blatt tatsächlich auch gegen mehrere Einzelstaaten. Denn es besteht in mehreren derselben ja bereits eine Descendenten- besteueruug. Das mußte ein Blatt, dem man sogar Fühlung mit der Regierung nachsagt, doch wissen! In einem ähnlichen Tone äußerte sich auch dieKorrespondenz des Bundes der Landwirte". Diese Korrespondenz drohte sogar damit, daß mit der Erbschafts- steuer der Steuerhinterziehung Tor und Tür geöffnet werde, indem die Vermögen bet Lebzeiten an die Kinder gegeben werden würden. Auch der Redner der konservativen Reichstagsfraktion hat ähn­liche Ausführungen gemacht. Herr v. Richthofen erklärte am 7. Dezember vorigen Jahres, die Erbschaftssteuer sei seiner ganzen Partei äußerst unsympathisch. Von einer Besteuerung der Ehegatten und Kinder könne überhaupt nicht die Rede sein.. Das wäreder erste Schritt zum Kommunismus". Da zeigt sich aber, daß jede Matz- regel, die geeignet wäre, auch die besitzenden Klassen steuerlich etwa» schärfer heranzuziehen, von konservativer Seite aus sofort als Schritt zum Kommunismus" bezeichnet wird.. Während in England pro Kopf der Bevölkerung an Erbschaft»- steuer 9,70 M., in Frankreich   8,01 M. gezahlt werden, beträgt die Erbschaftssteuer in Preußen pro Kopf der Bevölkerung nur 0,32 M. (Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Nun wird eS Sie interessieren, zu hören, wie wir uns eigentlich die Erbschaftssteuer denken. Wir wollen, wie gesagt, daß die Steuer- ganz andere Erträge bringt als die von der Regierung vorgeschlagenen und daß sie dabei doch den Grundsatz, den das Zentrum ausstellt, daß die Schultern der Schwachen geschützt werden müssen, in vollem Maße erfüllt. Wir wollen die Erbschaftssteuer progressiv gestalten. Erbschaften bis zu einem bestimmten Werte sollen frei blelben, es soll dann angefangen werden mit einem Steuersatze von 1 Prozent, der sich allmählich steigert und bei den ganz großen Erbschaften von einer Million auf 20 Prozent steigt. Ebenso sollen Erbteile je nach dem Grade der Verwandtschaft mit verschiedenen Prozentsätzen be- steuert werden. Schließlich wülischen wir eine obligatorische Be- steuerung aller Hinterlassenschaften. In der Kommission werdeu wir nähere Anträge stellen, um zu beweisen, welche Partei denn eigentlich mit der direkten Besteuerung Ernst zu machen gedenkt. Was die einzelnen Bestimmungen der Vorlage anlangt, so kann ich mich ganz kurz fassen. Der Vorschlag, daß Erbschaften bis 300 M. steuerfrei bleiben sollen, scheint uns nicht annehmbar. Wir glauben, daß das Richtige getroffen wird, wenn wie in England Erbschaften bis 2000 M. frei bleiben. Fürstliche Familien von der Erbschaftssteuer zu befreien, dafür liegt nach unserer Meinung absolut kein Anlaß vor. Ich sehe nicht ein, warum ein Fürst, der seine Apanage vom Lande bekommt, nicht, wie jeder andere Beamte, auch Erbschaftssteuer bezahlen soll.( Sehr richtig l bei den Sozial- demokraten.) Und ebensowenig sind wir dafür zu haben, daß in der Vorlage für die Stiftungen zu kirchlichen Zwecken ein be- sondereS Vorrecht geschaffen wird. Merkwürdig ist, daß jetzt kein Gesetz gemacht werden kann, bei dem nicht unsere Agrarier ihre Liebesgabe verlangen.(Sehr richtig! bei den Sozial- demokraten.) Und hier haben sie sie nicht einmal verlangt, sondern die Regierung bringt sie ihnen durch die Begünstigung des immobilen Kapitals auf dem Präsentierteller entgegen! Diese erneute Bc- günstigung des Großgrundbesitzes machen wir natürlich nicht mit. Einverstanden sind wir mit dem Punkte in der Vorlage, wonach auch Vermächtnisse unter Lebenden besteuert werden sollen. In dieser Beziehung möchte ich einen kleinen Beitrag zu den Steuer- Projekten der Regierung liefern, der beweisen soll, daß auch wir nicht ganz unfruchtbar in der Erziehung sind. Wir schlagen vor, auch Mitgiftcu, die bei der Verheiratung gegeben werden, unter den BegriffSchenkungen unter Lebenden" aufzunehmen. Daß die Mitgift eine Schenkung ist, werden die Herren nicht leugnen können, sie müßten sonst die Ehe fiir ein Geschäft halten, bei dem die Mitgift keine Schenkung. sondern eine Bezahlung bedeutet. Auf diese Weise werden auch die Kreise der Aristokratie zur Steuer herangezogen, die mit der Finanz- Welt sonst zwar nicht gerne zu tun haben, aber wenn eS sich um eine große Mitgift handelt, doch mit ihr in nähere Verbindung treten. Wir empfehlen diese Anregung der Kommission. Nach diesen Grundsätzen werden wir uns bemühen, in der Kommission die Erbschaftssteuer auszugestalten. Gelingt daS, so würde das eine Finanzresorm sein, die nicht auf der Auspowerung der breiten Massen durch indirette Steuern beruht, sondern auch die besitzenden Klassen in entsprechendem Maße heranzieht. DaS wäre dann ein kleiner Schritt zur Besserung der Lebens- und Arbeits- Verhältnisse der Arbeiter.(Lebhafter Beifall bei den Sozial- demokraten.) Abg. Anfing(natl.): Selbstverständlich kann ich die Stellung mein« politischen Freunde zu den Steuervorlagen in dieser ersten Lesung nur ganz im allgemeinen darlegen und muß ihnen die definitive Entscheidung in allen Einzelheiten für später vorbehalten. Die bisherige Defizit- und Pumpwirtschaft muß aufhören! Und zwar muß ganze Arbeit gemacht werden I Wir dürfen nicht in wenigen Jahren vor derselben Kalamität stehen I Eine planmäßige Til- gung der Reichsschuld ist eine alte Forderung unserer Fraktion. Nicht in der Höhe, sondern in dem raschen, unabsehbar starken Anwachsen der Reichsschulden liegt die Gefahr, der wir entgegentreten müssen. Zur Deckung des Defizits schlägt nun die Regierung acht neue Steuern vor. Zu diesen Steuervorlagen soll der Reichstag zwar BesierungSvorschlage machen, aber nicht die eine annehmen» die ander« ablehnen dürfen bei Strafe des Scheiterns