Der 22. Januar
Was raunt und rauscht und rollt und tost wie raschen Stromes Schollengang, Wie toller Brandung Wellenschlag, wie wilder Windsbraut Hochzeitssang? Bläft von der Bolotnaja her Ostfrost, der in den Lüften klingt, Und überm breiten Newskydamm die unsichtbare Barfe schwingt?
Der Frost ist's nicht; melodischer tönt's, wenn die magischen Saiten schwirrn, Und seufzend über Petersburg des Aethers Eiskristalle klirrn. Dumpf braust es und das Pflaster dröhnt wie unter ratterndem Geschirr. Jett hallt's wie schwerer Massentritt, wie tausendfältig Stimmgewirr.
Und sieh', dort wälzt dem Heerwurm gleich, der zahllos flutet übers Land, Die Menge fich myriadenfach zur Winterburg am Newastrand. Sie füllt den gähnenden Prospekt und überspült den weiten Plan Borm Zarenschloß und schwillt und wächst und bricht lawinengleich sich Bahn.
Was treibt das Volk zum Zarenschloß? Entstieg es endlich dem Verlies Der tausendjähr'gen Finsternis und zieht mit Flinte, Dolch und Spieß, Mit Bomben und mit Dynamit, den heil'gen 3orn im Angesicht,
3um Straßenkampf um Menschlichkeit, um Freiheit, Gleichheit, Recht und Licht?
Was zaudert's noch und stürzt sich nicht in Rotten auf's Rosatenkorps, Und schlägt mit scharfer 3immrerart in Splitter des Palastes Tor, Und stürmt, ein lohend Flammenmeer, brandlegend durch das Riesenschloß Und räuchert wie die Füchse aus den Zaren und den 3arensproß?
Was zaudert's noch? Weh'n ihm voran die blutigroten Fahnen nicht, Die Banner der Erlösungsschlacht, die der Enterbten Ketten bricht? Grinft dort auf hoher Stange nicht mit wirrem, windzerzaustem Schopf, Der Rache schreckliches Symbol, ein abgeschlag'ner Schergenkopf?
Du irrst: Die Schar ist waffenlos und naht in frommer Prozession, Im Bittgang um Gerechtigkeit, demütig nur dem Zarenthron. Die Kirchenfahnen weh'n voran, nicht Freiheitsbanner rot und wild, End jenes abgeschlag'ne Saupt ist ein geweihtes Seil'genbild.
Was aber soll vor dem Palast in dichten Reih'n der Leibkosak, Was Probraschenskys Grenadier, feldmarschgemäß mit Sack und Pack, Was beim gerichteten Geschütz der Grenadier im Schwarzlammpelz? Empfängt der 3ar sein treues Volt mit Bajonetten und Schrapnells? Der Bar empfängt sein treues Volk angftschlotternd nach Tyrannenart, Geborgen hinterm Pikenwall, von hundert Bütteln wohl bewahrt, Umhegt von Schranzen und Lakai'n, den Spottgeburten seiner Gunst, Ulmnebelt vom 3äsarenwahn und feiler Pfaffen Weihrauchdunst.
Jezt voreinander, Brust an Brust, steht Arbeitsmann und Grenadier, Es stockt der Maffe zähe Flut vor dem lebendigen Spalier. Laut grollend ruft den 3aren man. Es knackt der Bahn am Flintenschloß Und zur Attacke bäumt sich schon das schäumende Kosakenroß.
Da drängt fich aus der Menge vor ein Jüngling, zart und bleich und schmal, Ein halbverhungerter Student, und schreit hinauf zum Kaisersaal: Saft du kein Ohr mehr für dein Volk in seiner fürchterlichsten Not, Verstockter Sar, so zeige dich und schieß es mit Kartätſchen tot!"
,, Laß die Gewehre knattern, laß die donnernden Geschüße spei'n, Lind mäh' nach guter Schnitter Art, ein rascher Senter, Reih'n um Reih'n! Doch pfusche nicht und laß uns nicht verstümmeln erst in langer Qual Durch flatschender Nagaiten Schlag und trummer Säbel schwanken, Stahl!"
Es hört's kein 3ar. Der Leibkosat lacht in den Schnurrbart breit und kalt. Die Gier tierischer Grausamkeit schielt aus der Augen schiefem Spalt. Schon senkt die Lanze er zum Stoß, da sprengt heran ein Adjutant Vor der Kosaten lange Front und heischet barsch zum Volt gewandt:
Zurück, zurück, den Platz geräumt! Nur fünf Minuten habt ihr Zeit! Kein Widerspruch! Die Infant'rie steht auf Befehl zum Schuß bereit! Zurück, zurück, den Plaz geräumt, bevor die erste Salve kracht, Und auf des 3aren streng Geheiß der Prozession ein Ende macht!"
Die Menge murrt und rührt sich nicht und auf die Kirchenfahne schwört Ein Arbeitsmann:„ Wir weichen nicht, bevor uns nicht der 3ar gehört! Wir fordern nur Gerechtigkeit, Gerechtigkeit und trock'nes Brot. Schießt! Beffer als der Bunger ist, der ewige, ein schneller Tod!"
„ Wir weichen nicht", murrt dumpf das Volk. Da winkt der Schergen General Und ein Raketenschuß sprüht auf, der Mörder leuchtendes Signal: Daß überall in Petersburg , wo's Volk sich in den Straßen staut, Man's auf des 3aren Blutbefehl erschießt, zerstampft, zusammenhaut.
Verzischt ist der Rakete Gischt. Es murrt das Volk und rührt sich nicht. Kommandoworte schwirr'n umher und plötzlich in die Kniee bricht Wie zum Gebet die Infant'rie und stemmt an's Kinn den Büchsenschaft. Die Salve kracht und Reih' um Reih' stürzt wie von Sensen hingerafft.
Schuß folgt auf Schuß. Fünf Salven gab das Militär und zielte gut. Fünf Reihen wälzen röchelnd sich in Eis und Schnee und Schlamm und Blut. Fünf Reihen eng gepferchten Volks! Dem klafft die Brust, dem barft die Stirn, Dem quillt's Gedärme aus dem Bauch, dem spritzt auf's Pflaster das Gehirn.
Dem hänget schlapp am Stumpf das Bein, dem schoß zu Brei man Sand und Arm, Dem rieselt's aus zerfloff'nem Alug' auf Bart und Wange klebrig warm. Dem schlug abprall'nder Kugel Wucht das Zahngehege aus dem Mund, Der liegt, getroffen in das Herz, sanft schlafend wie auf blumigem Grund.
Fünf Salven gab das Militär. Kein Schreckschuß fiel, ein jeber traf. 3weitausend schoß zu Krüppeln man, zweitausend in den ew'gen Schlaf. Nicht weicht das Volt, zu Sülfe eilt's den Brüdern, die man hingestreckt Wie auf der Sofjagd Sirsch und Reh, wo Tier an Tier den Rasen deckt.
Zu Hülfe eilt's den Wimmernden; doch wieder tönt Kommandowort Und wieder ruft ein Offizier:" Zurück!" Und schußbereit zum Mord Sebt der Soldat den Büchsenlauf und wieder gellt der Feuerschrei End wieder knattert Salv' auf Salv' und mähet wieder Reih' um Reih'.
Jetzt endlich weicht das treue Volt, gehetzt vom Leibkosakentroß, Der wütend die Nagaita schwingt herab vom strupp'gen Steppenroß, Das auf den toten Leibern tanzt und wild die blut'ge Masse stampft, Wo sterbend der Verwundete sich unterm Suf zusammenkrampft.
Achttausend blieben. Wann gab je, wo auf umstelltes Wild man schoß, So große Strecke eine Jagd, als diese Jagd vorm Winterschloß? Die Menschenjagd auf's treue Volk, das bittend zu dem 3aren kam, Und Kirchenfahn' und Seil'genbild mit auf den frommen Bittgang nahm!
Der 3ar fist noch am Frühstückstisch und schaukelt auf den Knien den Sohn. Da meldet ihm der Adjutant, daß unterdrückt die Rebellion, Daß sich das brave Militär geschlagen einfach wunderbar Mit blut'gen Köpfen heimgeschickt für immer der Empörer Schar.
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Inbrünstig dankend küßt der 3ar gerührt sein Lieblingsheil'genbild Und drückt die Sand dem Adjutant und schaut so froh, so kindlich mild. Und weshalb nicht? Ist doch sein Herz von drückend schwerer Last befreit. Gerettet ist der Sarenthron. Sein Schuhherr, Gott, sei benedeit!"
O lächle nur, du bleicher Sar. Du siehst nicht, wie sie sich erhebt Gespenstisch aus dem Leichenfeld und über's Land gespenstisch schwebt Und riesengroß das ganze Reich mit Riesenfittichen überspannt Vom Eismeer bis zum Kaukasus, vom Amur bis zum Dünastrand!
Du siehst nicht, wie sie riesengroß in fürchterlicher Majestät Aus der Gefall'nen dampf'gem Blut und eis'gem Todeshauch ersteht! Du siehst nicht, wie die Riesenhand sich krallt um beinen Sarenthron End ihn in tausend Trümmer schlägt die russische Revolution!
Richard Wagne
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