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einem Dutzend realtionar-benMter WMrechtsborschläge für Zeit- Verschwendung erklären wird. Wozu plötzlich die Schwenkung, nachdem jahrzehntelang die sozialdemokratischen Abgeordneten von allen Deputationen ausgeschlossen worden sind? Die Arbeiterschaft be- trachtet sie nur als eine Verlegcnheitskonzession, die mit der Neben- absicht gemacht wurde, die Wahlrechtsbewegung zu stauen. Aber es kommt auf den Koni der Sache an. Die Konservativen haben im Landtag die Zweidrittelniehrhcit. Auf sie und nur auf sie kommt es an, ob, wie und wann eine Wahlrechtsreform zu stände kommt; sie werden jedoch nur im äußersten Notfalle und auch nur gezwungen auf eine Aenderung des Wahl- rechts eingehen, deshalb suchen sie mit allen Mitteln die Aenderung zu verschleppen. Wollten sie selbst jetzt ernstlich eine Aenderung, so müßten sie sich längst klar sein über das Wesen und den Umfang derselben, andernfalls wären sie geistig ja noch rückständiger als sie allgemein eingeschätzt werden. Denn um der schillernden Augen der Nationalliberalen willen sind sie nicht auf diese Deputationsmachen- schaft verfallen, obwohl sie damit die alte Methode verfolgen, die Nationalliberalen wieder für einen reaktionären Wechselbalg mit zu engagieren. Das konnten sie jedoch jederzeit ohne Deputations- komödie schon viel früher haben, denn die nationalliberale Wahl- rechtsräuberei ist von der konservativen nicht zu unterscheiden. Daß eine weitere Verschleppung beabsichtigt ist, geht auch ans der einfältigen Ankündigung hervor, es sei eine außerordentliche LandtagSsession für die Wahlrechtsänderung in Aussicht genommen. Das glaubt kein Mensch, denn das würde eine Extra- kampagne gegen die Wahlrechtsräuber hervorrufen. Und um dem neuen Minister Grafen Hohenthal recht bald ein parlamentarisches Debüt zu ermöglichen, beruft man auch keine Extrasession des Land- tages ein. Mit solchen Wippchen versucht man das betrogene und entrechtete Volk hinzuhalten, ein neuer Beweis, wie boden- los niedrig die herrschende Sippe denkt, die Staat und Volk ausbeutet und unterdrückt. Daß die Deputations- komödie den Minister Metzsch nicht davon entbindet, dem Landtage schleunigst eine Wahlrechtsreformvorlage zu unter- breiten, ist klar. Aber eS entspräche ganz dem Charakterbilde dieses Ministers, wenn er abginge, ohne diese Zusage eingelöst zu haben. Das Volk durchschaut auch den neuesten Wahlrechtsreformschwindel und wird ihn dem Konto der Wahlrechtsränber mit in Anrechnung bringen._ Die bayerische Wahlreform endgültig gesichert. München , den 5. Februar 1906.(Privatdepesche des Vorwärts".) In der Plenarsitzung der Kammer der Reichs- röte vom 5. kam endlich die Wahlrechtsvorlage zur BeHand- lung. Die Generaldebatte eröffnete Prinz Ludwig, der im großen und ganzen seine bereits bekannten Ausführungen im Ausschuß wiederholte und den Reichsräten dringend einp- fahl, mit Rücksicht auf die kolossale Mehrheit, die sich bei den letzten Wahlen für die Wahlrcform ergeben habe, dem Bei- spiel der Abgeordnetenkammer zu folgen und der Vorlage einstimmig z u z u st i m m c n. Alle Wünsche in bczug auf Abänderung von Einzelheiten müsse mau jetzt zurückstellen vor der großen Frage, ob es gelingen werde, endlich ein Ge- fetz zustande zu bringen, das Ruhe im Lande schaffe. Es handele sich nicht darum, ein Gesetz für ewige Zeiten zu schaffen, sondern nur um das, was jetzt inöglich fei. Rcichsrat Frei­herr von Würtzburg verbreitete sich über die Vorzüge einer berufs ständischen Vertretung, die er für die ideale Volksvertretung halte, erklärte sich aber berert, der Vorlage ebenfalls seine Zustimmung zu geben. Der liberale Reichs- rat v o n A u c r nahm seinen im Ausschuß schon abgelehnten Antrag wieder auf. Der Artikel 14 sei so zu fassen, daß im ersten Wahlgange statt der relativen die absolute Mehrheit und im zweiten Wahlgange die r e l a- t i v e Mehrheit entscheiden solle. Gegen diesen Antrag wandte sich entschieden der Minister des Innern, Graf von Feilitzsch , der geltend machte, daß dadurch das Zustandekommen des ganzen Ge- fetzes wiederum verhindert werden könne. Er betonte im übrigen, die Regierung lege ein Gewicht auf die Annahme dieser Vorlage, denn die Wahlrechtsfrage»verde nicht zur Ruhe kommen, aber es sei sehr zweifelhaft, ob man in Zu- k u n f t die K a u t e l e n erreichen werde, die jetzt im Gesetz enthalten seien, namentlich die Hinaufriickung des iv ahlfähigen Alters auf 25 Jahre, die ein- jährige Angehörigkcit und die Steuer- l e i st u n g. Der vorliegende Entwurf sei von k o n s e r- v a t i v e n Grundsätzen getragen. Es sei besser, die Wahlreform jetzt zu gewähren, als sie später sich ab-' zwingen zu lassen. In der weiteren Debatte wurde von mehreren Reichsräten noch behauptet, die Bedeutung der Wahlrcchtsfrage sei künstlich aufgebauscht worden. Der Reichsrat Freiherr von F e r d I i n g c n erklärte, die Vor- läge werde vielfach falsch gedeutet, man scheine doch anzu- nehmen, daß die Reform eine demokratische Tendenz zeige, während sie in Wirklichkeit von einer k o n s e r- vativen Tendenz getragen sei. Die Bewirtung der Entscheidung durch die relative Majorität im ersten Wahl- gange sei notwendig, um das Abschließen unmorali- scher Wahlbündnisse zu vermelden, wie man dies bei den letzten bayerischen Landtagswahlen und bei den badischen Wahlen gesehen habe. Die absolute Majorität fei nur für die Sozialdemokratie von Vorteil, die bei den Stichwahlen das Zünglein an der Wage bilde und dadurch größere Bedeutung gewinne, als ihr mit Rücksicht auf die Vorgänge in anderen Ländern gebühre. Es wäre nicht richtig, wenn man jetzt das Gesetz zu Fall bringe und die Frage der Wahlreform wieder in die Agitation werfe. In der Spezialberatung wurde dann der Antrag Auer mit großer Majorität abgelehnt, und schließlich kam die ganze Vorlage einstimmig zur Annahme. Damit ist die Wahlreform in Bayern endgültig gesichert. Noch eine Ausweisung ist aus dem rheinisch-westfälischcu Jndustrierevier zu melde». Ein österreichischer Genosse in Essenberg wurde vom Amtsgericht in Mörs wegen Nugblattverbreitung zu 5 Mark Geldstrafe verurteilt. Dann wurde er zur Polizei vor- geladen, wo ihm die Ausweisung mitgeteilt wurde. Er habe sich lästig gemacht, andere Gründe brauche man ihm nicht anzugeben. ivurde ihm gesagt. Es liegt System in der Sache. Alle Ausländer, die sich irgendwie in Partei und Gewerkschaft beteiligt habe», erfreuen" sich einer scharfen Beobachtung durch die Polizei. Mögen sie auch noch so ruhige Leute sein, sie werden ausgewiesen. Weitere 757 Mann für Südwestasrika! Hamburg , S. Februar. Hier sind 57 Ofsizere und höhere Militärbeamte sowie 700 Unteroffiziere und Mannschaften mit 800 Pferden eingetroffen, die auf den Postdanrpferi!Gertrud Woer- mann" undLulu Bohlen" nach Deutschsüdwestafrika eingeschifft werden sollen. Die Verabschiedung des Transportes erfolgt heute nach- mittag 4 Uhr durch den Brigadekommandeur Generalmajor von der Groeven. Die Abfahrt findet heute nacht um 12 Uhr statt DasVerl . Tagebl." berechnet die Kosten des südwestafrikanischen Krieges bereits auf 350 Millionen Marl ! Dabei bringt es diesfreisinnige" Blatt fertig, das General- stabswerk über diesen unsinnigen Kolonialkrieg zur Verbreitung in den Volksschulen zu empfehlen! HiielancL Frankreich . Die Fromme»? Der Untersuchungsrichter hat am Sonnabend in Paris verschiedene Mitglieder des KleruS, welche an den Exzessen bei der Inventaraufnahme beteiligt waren, verhört. Zeugen bestätigten, daß mehrere der angeschuldigten Priester nicht nur den Widerstand organisiert, sondern auch selber Tätlichkeiten gegen die Vertreter der Behörden begangen hätten. Finnland . Ein Borbild! Die aus Helsingfors eingetroffenen Blätter ent- halten einen Entwurf für die neue finnische Volksvertretung. Da- nach soll der Landtag ans einer Kammer mit wahrscheinlich 200 Mit- gliedern bestehen. Die Mitglieder des Landtages sollen ans drei Jahre gewählt werden. Für die Wahlen sollen außer den im Wahl- gesetz festgelegten Bestimmungen noch folgende Regeln gelten: Wahl- berechtigt sind alle finnischen Bürger, sowohl Männer als auch Frauen, welche über 21 Jahre alt sind. Von der Wahl ausgeschlossen sind diejenigen Personen, die sich nicht im Besitz der bürgerlichen Rechte befinden. Wählbar sind alle Personen mit 2S Jahren, in Ausnahme- fällen mit vollendetem 24. Jahr. Ein Abgeordneter kann nur in dem Wahlkreis gewählt werden, zu dein er gehört. Strenge Maß- nahmen werden gegen Wahlbeeinflussung getroffen. Die Landtags- Mitglieder erhalten 1400 Mark Diäten jährlich. Während der laufen- den Periode gewählte Abgeordnete erhalten, wenn sie mindestens S0 Tage Abgeordnete waren, 5 Mark täglich. Amerika. Ein Rcformgesctz für den Konsulardieitst in fremden Ländern wurde vom Kongreß angenommen. Es wird damit eine größere Auswahl unter den für den Konsulardienst Besähigten erreicht und diesem Dienste messen die Amerikaner große Wichtigkeit bei. )Ziis dev Partei. Noch in Untersuchungshaft. Ueber die Beschwerde gegen den die Haftentlassung des Genossen Perner ablehnenden Beschluß deS Landgerichts ist noch nicht entschieden. Bei dieser Gelegenheit teilen wir mit, daß unsere derMärkischen Volksstimme" entnommene An- gäbe unzutreffend war, daß die Weitergabe der Beschwerde vom Amtsgericht an das Landgericht der Strafprozeßordnung zuwider nicht innerhalb drei Tagen erfolgt sei. Genosse Cramer sendet uns folgende Zuschrift: D a r m st a d t, den 4. Februar 1300. An der Tatsache, daß ich im Austrag des VereinsGarten- vorstadt-Vereinigung am hohle» Weg" beim Großherzog war, ist selbstredend nichts zu ändern. Und dieses Schreiben soll auch nicht bestimmt sein, an dem bereits seitens desVorwärts" und einer Anzahl anderer Parteiblätter erfolgtem Urteil und wegen des in den nächsten Tagen erfolgenden Strafvollzugs irgend um Milderung nachzusuchen. Nur will ich an dem von Ihnen angezogenen Artikei desOffenbacher Abendblatt" einiges richtig stellen. Außer demOffenbacher Abendblatt" hatte ich auch derFrank- furtcr Volksstimme" in ziemlich demscll'en Wortlaut geschrieben. Letztere kam nach meinem Schreiben zu ganz anderen Schluß- folgerungen als dasAbendblatt ". Es ist möglich, daß diese inein Schreiben mit dem ihr übersandten Manuskript eines diesbezüglichen Vortrages von Prof. Olbrich, den sie sicher nicht verstanden, zu- sammengemengt und so die Farben von Ruß und Blut erfunden, die das gräßliche Zerrbild, welches meine Hinrichtung darstellt, benötigte. Die Begegnung desroten Ulrich" mit dem Großherzog ist bei dem Blatt eine Tat, die den ungeteilten Beifall der Genossen für sich hatte, dagegen die Entrüstung der Scharfmacher hervorrief. Der Gang Cramcrs zum Großherzog, der einen ganz bestimmten Auftrag seitens einer Anzahl Leute und eine eng begrenzte private und kommunale Sache umfaßte, die jeden Argwohn, als könne hier etwas zum Nach­teil der Partei geschehen, ausschließt, ist die frevelhafteste Tat, deren sich ein Sozialdemokrat schuldig machen konnte. Und doch ist die Wirkung beider Handlungen so eng verwandt wie ein siamesisches Zwillingspaar. Keiner von unS hatte die persönliche Eitelkeit, mit dem Großherzog engere Bekanntschaft zu machen. Ulrich konnte die Einladung des Großherzogs, ich den Auftrag meiner Mitglieder ab- lehnen; beides wäre aber in den Augen dritter Personen lächerlich erschienen. Woher hat denn dasOffcnbacher Abendblatt" die Ent- dcckung, daß Prof. Olbrich mit ferner Idee so lange fabuliert hat, bis er die kleinen Besitzer damit angesteckt hatte? Wahrheit ist, daß diese Idee nahezu ein halbes Jahr Geheimnis der Mit- glieder lvar, bis Herr Olbrich als Sachverständiger zugezogen wurde. Tatsache ist, daß, wenn wir uns mit unserem Gartenvorstadt- Projekt nicht geregt hätten, demnächst in einem anderen, weniger günstigen Gebiet Darmstadts ein Bauquartrer nach altem Muster eröffnet und die Mittel der Stadt dort festgelegt worden wären. Daß wir mit unserem Projekt das Richtige getroffen, beweist die Aufregung der Hausbesitzer Darmstadts . Was soll aber nun da- mit gesagt sein, daß wir den Grotzherzog um Ein» schränk ung eines Stückes Selbstverwaltungs- recht der Gemeinde ersucht hätte»? Die Redaktion desO. A.-B." sollte doch schonjo viel in Hessen gelernt haben, daß sie wissen müßte, daß eS Selb st Verwaltung der Ge­meinden in Hessen so gut wie gar nicht gibt. Jede Anlegung oder Veränderung eines Bauquartiers, jedes neue Ortsstatut, jede Abweichung von der Allgemeinen Bauordnung und der Ortsbau- statute bedarf der endgültigen Genehmigung des Ministeriums und es ist nicht selten, daß Meinungsverschiedenheiten zwischen beiden Verwaltungen entstehen, wobei die Meinung des Großherzogs selten unberücksichtigt bleibt. Unsere Bauverwaltung bewegt sich meist in alten rückständigen Bahnen, wogegen der Großherzog fortschrittlichen Ideen huldigt. Und auf Fortschritt darf unser Gartenswdtprojckt sicher Anspruch erheben. Und dafür die Mitwirkung des Groß- Herzogs angerufen zu haben ist ein Verbrechen? Dann setzt den Scheiterhaufen zurccht. Ich bin mit meinem Gewissen darüber im Reinen. Was soll aber ein Appell an die Masse des werk- tätigen Volles in dieser Sache jetzt schon für einen Zweck haben? Das würde ich mir gefallen lassen, wenn das Projekt durch alle Instanzen abgelehnt ist. Ueber die Frage eines selbständigen kompromißfreien Vorgehens bei den nächsten Stadtverordnetenwahlen kann sich das Offenbacher Abendblatt" beruhigen. Ein Kompromiß bei den nächsten Stadtverordnetenwahlen ist in Darmstadt vollständig aus- geschlossen. Ob die Partei dabei gut fahren wird, muß man ab- warten. Nun wäre ich im wichtigsten mit demOffenbacher Abendblatt" fertig, nur eine noble Tat muß ich ihm noch anmerken. Das rasche und harte Urteil, welches derVorwärts" in seiner letzten Nummer über mich gefällt hat, konnte nicht rasch genug im Abendblatt " zum Abdruck kommen. Mit großen und fetten Buch- staben ist es den Genossen in Hessen bekannt gegeben worden. Das genügte aber noch nicht. Es mußte noch ein weiteres Scheit Holz auf den Stoß gelegt werden, indem dem schon vomVorwärts" an- gezogenen Beschluß der Reichstagssraktion die Teilnahme am Bureau des Reichstags betreffend die Tatsache zugefügt wird, daß ich auch nochdeu Besch lußderLa-rdtagsfraktion ignoriert hätte. Also:Ich danke dir, Gott, daß ich nicht bin wie andere Leute, oder auch wie dieser Zöllner." Ich kann dasOffenbacher Abendblatt" beruhigen auch wegen der Aufforderung, daß jetzt die WahlkreiZörganisatiizn sprechen müsse, denn Ich habe mich bereits bei meinem ordentlichen Richter gemeldet. Balth. Cramer" Die Zuschrift wendet sich, wie unsere Leser sehen, in der Haupt-- fache gegen dasOffenbacher Abendblatt". Wir hätten den Genossen Cramer gebeten, sie diese m zu übersenden, wenn wir unser: Offcnbacher Parteiorgan nicht größtenteils als Quelle benutzt hatten. Die Notiz in derFranksurtcr Volksstimme", die wir uberjehew. hatten, stellt sich kritisch allerdings auf einen andere» Standpunkt als wir und die Mehrzahl der Parteiblätter; ihr Taftachenmaterial entspricht durchaus dem, was unseren Lesern schon bekannt rst. DasOffenbacher Abendblatt" sagt noch weiter, nachdem es unsere Kritik mitgeteilt hat: Es ist noch ein anderer erschwerender Umstand nachzutragen. Cramer gehörte bis vor kurzein der sozialdemokratischen Fraktioir des Landtags an. Im neuen Landtag, dessen Mitglied Cramer freilich nicht mehr ist, Ivurde derselben Fraktion die bisher voir ihr innegehabte Vertretung im Kammerpräsidlum wider allen parlamentarischen Brauch verweigert, einzig deswegen, weil che, Kandidat Genosse Ulrich ablehnte, zu Hofe zu gehen. Crem, er hat sich daran nicht gestoßen allerdings hat er als Privatmann" so gehandelt. i, Als wir unseren Artikel schrieben, auf den sich anscheinend derVorwärts" stützt, drückten wir uns weniger scharf aus, wie es die Sache gebot: wir berücksichtigten nämlich immer noch, daß irgeitd ein Umstand uns entgangen sei, der mildernd wirke. Aber es kam keine Berichtigung. Und also muß alles wirklich sich so verhalten, wie wir es schilderten. Nun soll die Part ej- organisation des Wahlkreis e s Stellung nehmen. Nun noch ein paar Worte, welche uns die Zuschrift C r a m e r s au uns auszusprechen nötigt: Genosse Cramer erblickt darin für sein Vorgehen einenmil- dernden Umstand", daß es eine Selbstverwaltung der Gemeinde in Hessen so gut wie gar nicht gibt. Jede Anlegung oder Veränderung eines Bau» quartiers, jedes neue Ortsstatut, jede Abweichung von der all- gemeinen Bauordnung und der Ortsbaustatute bedarf der end» gültigen Genehmigung des Ministeriums...." Leider ist dieser Zustand kein spezifisch hessischer, sondern typisch für fast ganz Deutschland . Diese Beschränkung der Selbst- Verwaltung wird von allen unseren Genossen bedauert, die irgendtvo in der Gemeindeverwaltung tätig sind. Kann denn Cramer aber gar nicht einsehen, daß er mit seinem Gang zum Großhcrzog die Berechtigung dieses Systems anerkannte? Daß er ein Prinzip stützen half, das die Parteigenossen überall zu bekämpfen genötigt sind? Die Befreiung der Arbeiterklasse wird nur das Werk der Arbeiter selbst sein und die Beseitigung von öffentlichen Mißständen das Werk des aufgeklärten Volkes. Gegen das Geldsackprotzentnm der Bourgeoisie ruft die Sozialdemokratie nicht die Macht der Souveräne an, sondern sie weckt durch Schilderung der Mißwirtschast den Unmut der Massen. Entweder ist auch in Hessen die Sozialdemokratie ein not- wendiges Produkt der ökonomische» EntWickelung und der einzige Hebel, dem Proletariat die Türe zur politischen und ökonomischeil Freiheit zu öffnen dann bedarf man des Grotzherzogs nicht. Oder aber in Hessen regelt der Großherzog alles zum Besten dann braucht es keine Sozialdemokratie> Dann, Genosse Cramer, müßten wir ehrlicherweise abdanken und uns und dem ganzen Volke die Opfer und Lasten ersparen, die der Kampf zwischen deni andrängenden Neuen und dein sich verteidigendeu Alther­gebrachten naturnotwendig der Menschheit bringen muß. Wir sind aber überzeugt, daß dieser Kampf notwendig ist, weil dem Proletariat weder die politische noch die ökonomische Freiheit ohne Zutun als reife Frucht in den Schoß fallen tverdcn. Soziales. Die Entsetzung deS Borstandes der Remscheider Ortskrankenkasse und die Amtsenthebung des Kassengehiilfen Koch durch den Ober- bürgermeister ist ein Unikum unberechtigten Eingriffs in die Selbst- Verwaltung der Krankenkassen. Nach 8 45 des Kraiikenversichcrniigs- gesetzes überwacht die Aufsichtsbehörde die Befolgung der gesetzlichen und statutarischen Vorschriften und kann dieselbe durch Androhung, Festsetznng und Vollstreckung von Ordnungsstrafen gegen die Mitglieder des Kassenvorstandes erzwingen. Ferner besagt der achte Abschnitt des Kr.-V.-G.: So lange der Vorstand oder eine Gcneralversamm- lung nicht zustande kommt oder die Organe der Kasse die E r f ü l l u n g ihrer gesetzlichen oder statutenmäßigen Obliegen- heilen verweigern, kann die Aufsichtsbehörde die Befuguisse und Ob- liegenheiten der Kassenorgane selbst oder durch von ihr zu bestellende Vertreter auf Koste » der'Kasse wahrnehmen. Die Verfügung des Oberbürgermeisters, durch welche der Ober- bürgermeister von diesem Recht Gebrauch macht, ist sehr lang. Sie lautet: Aus Anlaß des Ausscheidens der bei der Allgemeinen Orts- Kraitkcnkasse bis zum 30. September vorigen Jahres fest angestellt gewesenen Kassenärzte sind folgende, eine gesetzwidrige Geschäfts- sührung und grobe Unzuverlässigkeit der die Verwaltung der Kasse beherrschenden Mehrheit des Vorstandes criveisendc Tatsachen er- mittclt worden: 1. lim das die Aerzte in vollkommener Abhängigkeit von der Mehrheit des Kasscnvorstandes haltende System der so- genannten bemnteten Kassenärzte aufrecht zu erhalten und nach außen hin gerechtfertigt erscheinen zu lassen, hatte der Vorstand eine das Wohl der Kassenmitglieder hintansetzende Berbilligung der ärztlichen Versorgung dadurch zu erstreben gesucht, daß er möglichst lvenig Aerzte anstellte und diese durch Handhabung der Lmidmannschen Rezeptrevision zur Verschreibung möglichst billiger Heilmittel fortgesetzt drängte. Eine große Anzahl von Kassenmitgliedern hat sich deshalb namentlich wegen ungenügender ärztlicher Versorgung gezwungen gesehen, die hier frei praktizierenden Aerzte auf besondere eigene Kosten zu konsultieren und sich von diesen behandeln zu lassen- Dadurch ist das vielgerühmte System der beamteten Aerzte ciner großen Anzahl von Kassenmitglicdern sehr teuer zu stehen ge» kommen. 2. Um die unzureichende ärztliche Versorgung der Kassen- Mitglieder und die Ueberlastung der Kassenärzte der Aufsichts- behördc gegenüber zu verschleiern, hat der Vorstand, als an ihn am 3. März 1904 die Aufforderung erging, von den Kassenärzten die über ihre Tätigkeit geführten Listen der drei letzten Jahr- gänge einzuziehen und hier einzureickicn. in dem Schreiben vom 5. März 1904 die Angabc gemacht, die Aerzte hätten die Vor- lcgung der Kranken-Journale abgelehnt. Indessen ist festgestellt. daß die Aerzte sich teils einer derartigen Aufforderung des Vor- standes nicht erinnern können, teils haben sie ausdrücklich dem Unterzeichneten gegenüber erklärt, daß sie einer derartigen Auf- forderung des Borstandes Folge geleistet haben würden. 3. Der Anfsichtsbehörde gegenüber war der bei der Kasse angestellt gewesene Heildiener Clemens nur als Heilgehülfe bc- zeichnet worden, während er tatsächlich kranke Mitglieder zur seil ständigen Heilbehandlung überwiesen erhielt, obwohl die Kassen- Mitglieder geniäß§ 6 Nr. 1 des Krankenversicherungs-Gesetzes Anspruch aus ärztliche Behandlung haben. Clemens erhielt in der Hauptsache dafür, daß er einmal in der Wvche hier einen Nachmittag Sprechstunden abhielt, jährlich 3000 M., also für den Sprechnachmittag 00 M., eine Summe, deren Höhe in keinem Verhältnis schon zu der angeblichen Stellung des Clemens als Heilgehülfe stand. 4. Um weiterhin der Aufsichtsbehörde gegenüber die Tätig» keit des Clemens zu verschleiern, und weil das Krankengeld nur auf eine» von einem Arzt ausgestellte» Krankenschein gez»b»t