st. ss. 23. MMg. i. Cfiidijf Dcg„JormirtD" Srrliitft Pollisliliilt. Reichstag. 43. Sitzung vom Mittwoch, den 14. Februar. nachmittags 1 Uhr. Am BundeSratstisch: Kommissare. Auf der Tagesordnung steht znnächst die Fortsetzung der ersten Beratung des Antrags A l b r e ch t sSoz.s und Genossen, der folgenden Wortlaut hat:„Der Art. 3 der Verfassung deS Reiches enthält folgenden Zusatz: In jedem Bundesstaat und in Elsas;- Lothringen mutz eine auf Grund des allgemeinen, gleiche», direkten und geheimen Wahlrechts gewählte Vertretung bestehen. Das Recht zu wählen und gewählt zu werden haben alle über W Jahre alten ReichSangehörigen ohne Unterschied des Geschlechtes in dem Bundes- staate, in dem sie ihren Wohnsitz haben. Die Zustimmung dieser Vertretung ist zu jedem Bundesgesetz und zur Feststellung des Staats- Haushaltsetats erforderlich." Abg. Bebel sSoz.): Wie zu erwarten war. hat unser Antrag von den verschiedensten Rednern der bürgerlichen Parteien eine scharfe Kritik erfahren. Der Hauptvorwurf geht dahin, dast wir nur agitatorische Zwecke mit unserem Antrage verfolgten. Datz das zum Teil richtig ist, leugne ich gar nicht. Ich behaupte aber, alle Parteien verfolgen mit ihren Initiativanträgen agitatorische Zwecke. Als in den neunziger Jahren die agrarischen Kreise über die herrschende Zollpolitik sehr erregt waren, da haben die Herren bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit ihre Ziele in agitatorischer Weise dargestellt. Ich behaupte ferner, dah das Zentrum mit dem Jesuitenantrag und dem Toleranzantrag ganz ivesentlich agitatorische Zwecke Vbrfolgt. Ebenso stellt der Antrag Nißler. der heute als zweiter Punkt auf der Tagesordnung steht, eine Agitation dar. Die ganze parlamentarische Tätigkeit ist eben eine öffentliche Tätigkeit. Am Schluß der Legislaturperiode legen alle Parteien den Wählern Rechenschaft über ihre Tätigkeit ab. In diesen Rechenschaftsberichten spielen die Initiativanträge eine große Rolle. Was nun die Kompetenzfrage anlangt, so kann gar kein Zweifel darüber herrschen, daß die meisten bürgerlichen Parteien schon wiederholt sich dahin ausgesprochen haben, daß der Reichstag die Kompetenz hat, seine Kompetenz zu erweitern. Als in den Jahren 1801—1892 die Gewerbegesetznovelle kam und darin die Sonntags- ruhe für den Kaufmannsstand ausgesprochen werden mußte, handelte es sich zweifellos um eine Erweiterung der Kompetenz des Reiches. DaS Zentrum hat das damals vollkommen anerkannt. Ich erinnere ferner daran, auf welche Weise die verschiedenen Landtage versucht haben auf die Reichsgesetzgcbuna einzuwirken. Aber das Ganze sollte doch eher die Teile beeinflussen können als umgekehrt. So wurde in der bayerischen Kammer ein Antrag angenommen, einen möglichst hoben Gerstenzoll in den neuen Generaltarif aufzunehmen. Das preußische Herrenhaus hat sich für ein neues ZuchthauSgesctz ausgesprochen. Und Fürst Bismarck hat direkt empfohlen, eS sollte möglichst viel von der Gesetzgebung, die sonst im Reiche gemacht ivürde, in die Landtage verlegt werden.(Zuruf des Abg. v. K a r d o r f f: Die Landtage bezwecken doch nur den Einfluß auf die Regierungen.) Das kommt auf dasselbe heraus.(Zuruf des Abg. Henning: Die Landtage haben dasselbe Recht wie der Reichstag.) DaS be- streite ich la gar nicht.(Zuruf des Abg. Henning: Na also!) Ich sage nur, daß der Reichstag das Recht haben müsse, die Er- Weiterung der Kompetenz der Reichsgesetzgebung zu beantragen. Präsident Graf Ballestrem: Ich bitte den Redner doch nicht fortwährend zu unterbrechen. Abg. Bebel(fortfahrend): Die Zentrunrserklärung zu unserem Wahlrechtsantrag war ja sehr platonischer Natur. Sic erklären, Sie wollten warten, bis die Regierung etwas unternimmt. Sic warten doch sonst nicht auf die Initiative der Regierung, wenn Sie etwas wünschen. Ferner machen mich die Worte in der ZentrunlS- erklärung„in entsprechender Weise" stutzig. Das Zentrum scheint also wenig Lust zu haben, konsequent vorzugehen, sondern eS scheint halbe Maßregeln befürworten zu wollen. Am ivenigsten ist das Zentrum in Preußen geneigt, das allgemeine gleiche Wahlrecht zu verlangen. Seit dem Jahre 1874, in welchem der Abg. Windthorst einen solchen stellte, ist er vom Zentrum nicht mehr wiederholt worden. Später hat der Abg. Bachem erklärt, seine Partei würde für einen solchen Antrag stimmen, aber er wolle nicht dafür sprechen. Was sind das für Halb- heilen! Wenn eine Partei sich gegenüber einer Regierung, deren Ab- »eigung gegen das allgemeine Wahlrecht bekannt ist, so ausspricht, dann weiß die Regierung ganz genau, daß sie keine weitgehende Reform zu bringen braucht.— Fenier steht in der Erklärung des Zentrums: Eine Wahlrechtsreform solle in Zeiten der Ruhe und des Friedens vorgenommen werden. Was soll das heißen? Leben wir jetzt nicht in Ruhe und Frieden? Die preußischen Arbeiter haben nunmehr 57 Jahre in Ruhe und Frieden aus das allgemeine Wahlrecht gewartet.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Wenn die Frage nunmehr endlich in Fluß gekommen ist, so ist das der friedlichen Demonstration meiner Partei zu verdanken. Der Krawall in Hamburg darf uns durchaus nicht in die Schuhe geschoben werden, wie eS der Senator Klügmann meinem Parteifreunde Bernstein gegenüber getan hat. Wenn bei den Exzessen am Schoppenstehl in Hamburg wirklich— wie behauptet wurde— einige gswerkschaftlich orga- nisierte Arbeiter beteiligt sein sollten, so werden die Gewerkschaften diese Elemente so schnell wie möglich aus ihren Reihe» stoßen. In der Zeih als diese Krawalle passierten, ist ein Zug von mehreren Tausend Arbeitern vor das HauS des Bürgermeisters gezogen, um diesem eine Ovation darzubringen, weil sich das Gerücht verbreitet hatte, der Bürgermeister sei ein Gegner der Wahlentrechtung. Der Bürgermeister erklärte den Arbeitern, eS werde wohl noch alles gut werde». Nun— leider ist nicht alles gut geworden. Der Wahl- raub ist geschehen. In der Gegend am Schoppenstehl stehen in normalen Zeiten die Polizisten in dreifacher Anzahl als anderwärts. So unsicher ist die Gegend. Wenn nun dort gerade an jenem Tage weit und breit kein einziger Polizist vorhanden war, so darf mau sich über den Exzeß� kaum noch wundern.— Jedenfalls kann man unmöglich der Sozialdemokratie diese Tatsache an die Rockschöße hängen wollen.— Jeder, der die Ver- Hältnisse kennt, weiß, daß die Sozialdemokratie in den Hansastädten auch unter dem alten Wahlrecht schwerlich je viel mehr als ein Viertel der Sitze hätte erringen können. Zu einem maßgebenden Einfluß hätte sie es also nicht gebracht, schon weil es 30 M. kostet. das Hamburger Bürgerrecht zu erwerben, und weil man. un> wählen zu können, jahrelang ein Einkomnie» von mindestens 1200 M. versteuern muß. Wohl aber hätte die Sozialdemokratie, wenn sie etwas mehr als ein Viertel der Sitze errungen hätte, den Wahl- rechtsraub, zu dem eine Dreivicrtel-Mehrheit gehörte, verhindern können. Deshalb nahm man schon jetzt jene reaktionäre Maßregel vor. Bei der Cholera dagegen war die sozialdemokratische Organi- sation der Bürgerschaft sehr angenehm. Die Bürgerschaft hatte die hygienischen Einrichtungen der Stadt in einer geradezu schandbaren Weise verwahrlost, so daß diese Seuche in so gesährlichem Maße um sich griff. Die reiche Bürgerschaft floh aus der Stadt hinaus. Als nun an die ärmere Bevölkerung 300 000 Flitgblätter mit hygienischen Vorschriften verteilt werden sollten, war die Polizei hierzu nicht imstande, sondern nahm die Hülfe der sozialdemokratischen Organisation in Anspruch. Diese Tatsache hätte doch der Bürgerschaft die Scham ins Gesicht treiben sollen, als sie vorhatte, der Arbeiterschaft das Wahlrecht zu verschlechtern. Das ist der Dank der Hamburger Bourgeoistel Der Herr Klügmann meinte, die Sozialdeniokratie wolle den Handel ab- schaffen, und das würde Hamburg ruinieren. Ich habe Herrn Klüg- mann immer für einen guten Mann gehalten, und er ist es wohl auch. Daß aber ein gebildeter Mann eine solche Unwissenheit über die Ziele der Sozialdemokratie hier im Parlament änßern könnte, das hätte ich wirklich nicht für möglich gehalten. Da kann man sich ja kaum noch über den furchtbaren Unsinn wundern, den man Tag für Tag in der Presse lesen kann. Ja, denken Sie denn, die Sozial- demokratcn lvollten in der Zukunft von spartanischer schwarzer Suppe leben? Nein, gerade wir sind immer für die Ausdehnung des deutschen überseeischen Handels eingetreten. Wir wollen, daß alle Produkte der Erde billig nach Deutschland eingeführt werden. Wenn bei den Zollkämpfen der vergangenen Jahre eine Partei für den freien Handel eingetreten ist, so war das unsere Partei.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Sogar der„Hainburgische Correspondent" hat ähnliche törichte An- griffe auf die Sozialdemokratie zurückgewiesen. Nicht wir, sondern die neuen Handelsverträge beschränken den Handel. Selbst wenn die Sozialdeniokratie das Heft in den freien Handelsstaaten in die Hand bekommen würde, glauben Sie denn, daß wir dann dort eine Art kleinen ZukunftSstaat einrichten könnten? Das beweist nur wieder, daß Sie von unseren Zielen keine Ahnung haben. Würden wir das tun, so würden schließlich auf Grund des §76 der Verfassung sogar die Preußen in Hamburg einziehen können. Unter den heutigen Verhältnissen könnte eben auch ein Sieg der Sozialdemokratie in einzelnen Teilen des Reiches mir zur Folge haben, daß unsere nächsten Forderungen durchgeführt würden, die am Bestand der bürgerlichen Gesellschaft nichts ändern.— Herr Bassermann hat auch Kompctenzbcdenken gegen unseren Antrag vorgeschützt. Beim Toleranzautrag, der mindestens ebenso in die Rechte der Einzelstaaten eingreift, haben die Nationalliberalen das Bedenken nicht gehabt, nur ihre kulturkämpferischen Traditionen vor- anlassen sie, gegen diesen Antrag zu stinunen. Herr Basser- mann behauptete, die Nationalliberalen seien stets für das all- gemeine Wahlrecht eingetreten. Ii« Sachsen aber sind es die Nationalliberalen in Gemeinschaft mit den Konservativcit gewesen, die 1895 den Wahlrechtsraub verübt haben(Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokralen) auf Grund dessen eS uns bis jetzt nur init Mühe möglich gewesen ist. einen einzigen Sozialdemokraten in den sächsischen Landtag zu bringen. Sie haben einen Zensus von 600 M. beschlossen. So wenig 600 M. ist. so gibt es doch Hundert- tauseitde von Arbeitern in Sachsen , wie Ihnen Förster gestern nach- gewiesen hat, die unter 600 M. Einkommen haben. Ebenso sind in Hamburg und Lübeck die Nationalliberalen für die Be- schränkung deS Wahlrechts eingetreten, und Sie selbst, Herr Bassermann, sind in Baden erst durch die Konkurrenz des Zentrums gezwungen, für das allgemeine Wahlrecht einzutreten. In Bayern waren es die Liberalen aller Schattierungen, die am längsten gegen das allgemeine Wahlrecht gekämpft haben.— Durch die Einführung der Proportionalwahl, für die wir immer eingetreten sind, könnten Sie eS vermeiden, daß z. B. Hamburg nur Sozial- demokraten in den Reichstag schickt und die großen Handelsherren unvertreten bleiben. Wie wir es gar nicht bestreiten, daß Sic auch manchmal einen guten Gedanken haben, so hätten Sie eS anerkennen können, daß auch bei uns sich gute Gedanken finden(Heiterkeit), datz auch wir gelegentlich„erzieherisch" auf Sie wirken könnten. Deshalb hätten Sie unseren Gedanken der Proportional- wähl längst einführen können.— Es heißt, wir feien das Hindernis der sozialen Gesetzgebung. Aber wer das Bürgertum kennt, der weiß, daß es für Sozialrcform, von einzelnen rühmlichen Ausnahmen abgesehen, niemals allzu warm eingetreten ist. Bis- marck hat das ja anerkannt, indem er gesagt hat: nur die Furcht vor der Sozialdemokratie sei die Ur- fache der sozialpolitischen Gesetzgebung gewesen.(Widerspruch rechts.) Sie werden das Zitat im Lause der Debatte noch wörtlich zu hören bekommen! Ein Korrespondent der nationalliberalen„Neuen Züricher Zeitung", ferner ein nationallibcraler Professor in Heidelberg haben sich ganz ähnlich ausgesprochen, lind als Bamberger unsere Wahlhülfe brauchte, da hieß eS in seinem Flugblatt, man könne im Reichstage sehr gut mit den Sozialdemokraten zusammenarbeiten. Aehnlich geschah eS seitens der Nationalliberalen in Köln , als wir dort noch die schwächste Partei waren. Und soll ich Sie erst an das Wahlkompromiß in Baden erinnern? Da haben Sie, da haben die Landsleute und Parteigenossen des Herrn Bassermann sehr gern unsere Wahlhülfe in Anspruch genommen. Bei den nächsten Wahlen werden wir einmal diese schönen Zeugnisse derKompromißpolitik sammeln und den Wählern vor Augen führen, wenn wieder einmal in blutigen Flugblättern gegen uns gehetzt wird. Sie loben die mildere Tonart der süddeutschen Sozialdemo- kratie, aber sollte dies nicht vielleicht durch eine bessere Behandlung seitens der bürgerlichen Parteien entstanden sein? Freilich— die Vorfahren des Herrn Bassermann hatten immer Angst vor deit Revolutionären . Daher der Ausdruck:„Baffermannsche Gestalten".(Große Heiterkeit.) 1848 hat das Bürgertum die polnische Erhebung genau so beglückwünscht, wie wir die russische Revolution beglückwünschen. Aufgabe eines liberalen Mannes wäre eS gewesen, sich zu fragen: Was sind denn die Ursachen dieser Revolution? Selbstverständlich denkt auch in Rußland kein Sozialdemokrat daran, schon jetzt den Zukunftsstaat einzurichten. Die Sozialdemokratie kämpft dort für die konstituierende Versammlung, für die Verfassung, also für dasselbe Ziel, das einst die Vorfahren des Herrn Bassermann in Deutschland auf deinsetben Wege erstrebten. Und sie können nicht bestreiten, daß die Unterdrückung und die Unfreiheit in Rußland Iveit schliminer sind, als sie in Deutschland waren. Um das, was heute in Ruß- land die Revolutionäre wollen, zu unterstützen, dazu braucht man nicht einmal freisinnig, dazu braucht man nur ein fühlender Mensch zu sein. Wir wollen, daß endlich auch dort im Osten ein moderner Kulturstaat cittsteht. Und daß dies Streben die lebhaftesten Sympathien der Arbeiter aller kultivierten Länder findet, ist nur selbstverständlich. Welche ungeheuere Wirkung hat schon die französische Revolution auf die Nachbarstaaten ausgeübt— eine rein bürgerliche Revolution! Selbst Kaiser Wilhelm hat eS ausgesprochen: Die große französische Revolution ist der AnsgangSpuilkt unserer ganzen modernen Eniwickcluiig gewesen. Wenn jemals ein wahres Wort gesagt worden ist, so dieses Wort des Kaisers. Und was sagte der angeblich unpolitische Goethe, der als Schlachten- bummler der Schlacht von Valuy beiwohnte:„Von heute an be- ginnt ein neuer Abschnitt in der Weltgeschichte." Und wer will be- streiten, daß die Revolution von 1832 der Anstoß gewesen ist zu Revalutiouen in ganz Europa , in Spanien , in Oesterreich-Ungarn , in Deulscbland? Ihre Folge war der 18. März in Berlin , jeuer 13. März, der Preußen in die Reihen der konstitutionellen Staaten brachte. Auch diese Revolution war eine rein bürgerliche. Freilich — wenn man heute die Epigonen jener Revoluttonäre— die Mngdan und Baffermann— ficht, dann möchte einem das Herz in die Hosen fallen.(Sehr wahr! und Heilerkeit bei de» Sozialdemo- kraten.) Sie verbrennen, was Ihre Väter und Großväter an- gebetet haben.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Heute hat das Bürgertum mir noch Sinn für den Erwerb, nicht mehr für politische Freiheit und für das Recht. Herr Bassermann zitierte hier allerlei Stellen aus der sozialdemokratischen Presse. Wenn ich sie aber mit alle dem vergleiche, waS das Bürgertum früher, in der Zeit voi� 1848, geschrieben hat, so sind das zahme Lüftchen gegenüber einem Sturmwinde. Wenn man das alles, was ein Hoffmaun v. Fallersleben , ein Herwegh, ein Prutz usw. gedichtet haben, Ihnen vorlesen würde, so würden Ihnen die Haare, soweit sie noch welche besitzen, zu Berge steigen!(Heiterkeit!) Den Aus- druck tme „der Pöbel auf den Thronen" war da etwas ganz Gewöhnliches. Der vor zwei Jahren verstorbene Nationalliberale Wilhelm Jordan hat gedichtet: „Wie soll das Volk zum Kampf die Schwerter wetzen. Solang es an ein Jenseits-Leben glaubt?" (Hört l hört I bei den Sozialdemokraten.) Auch der Nationalliberale Herr v. Dingelstedt hat ähnliche Sachen gedichtet. Der Hohn und Spott über Fürsten . Monarchie. Kirche, Geistlichkeit, den früher die liberale Presse gebracht hat, den werden Sie in der sozialdemokratischen Presse niemals finden. Als das Bürgertum in seiner oppositionellen Periode war, erlitt eS ja denn auch die härtesten Verfolgungen. Es war die Zeit der so» genannten Demagogenverfolgung. Man denke, was Fritz Reuter gelitten hat! Scharenweise'mußten die Liberalen über den Ozean ziehen, oder sie kamen ins Zuchthaus oder entrannen ihm nur, wie Richard Wagner , mit Not und Mühe. Selbst der Magistrat von Berlin feierte einst die Märzgefallenen. Heute— denkt er ja anders. (Sehr richtig! und Heiterkeit bei den Sozialdemokraten.) Im heiligen Köln wurde noch 1849 ein feierliches Requiem für Robert Blum abgehalten. Miquel bot sich einst als junger Mann Marx gegen- über an, Bauernaufstände organisieren zu wollen. Aber selbst 10 Jahre später als gefestigter Mann, im Jahre 1863, als Führer des National« Vereins sagte er: Wenn vie Hohenzollern nicht Vernunft atiuchmcii, werden wir ihnen das Schicksal der Bourbonen bereiten und ihnen die Arbeiter auf den Hals heben."(Hört! hörtl bei den Sozial« demokraten.) Bismarck hat im Jahre 1863 die liberalen Zeitungen denn auch tüchtig verfolgt. Leider versäumte eS damals die Fortschrittspartei, die Frage des allgemeinen Wahl- rechts in die VerfassnngSkämpfe hineinzuwerfen. Und heute sehen wir, wie ebenfalls die Freisinnigen in Hamburg in konmmnalen Vertretungen gegen das allgemeine Wahlrecht anftteten. Der alte Ziegler hat mir selbst einmal im Vertrauen erklärt, als die Freisinnigen sich besonders feige benommen hatten:„Wenn Ihr 'mal die Macht habt, hängl Ihr unS allesamt an die Laterne"— das Hab' ich ihm denn auch versprochen.(Große Heiterkeit.) Heute treten ja die Freisinnigen für die Sozialdemokratie, welche doch dieselben freiheitlichen Forderungen vertritt, nicht einmal bei den Stichwahlen ein. Wir wissen genau, daß wir bei den nächsten Wahlen die gesamten bürgerlichen Parteien geschlossen gegen unS haben werden. Davor fürchten wir uns nicht. Je klarer die Situation, desto besser für unS, Die Herren von der bürgerlichen Linken können sich gar nicht schlimmer kompromittieren, als wenn sie für die Konservativen eintreten.(Lebhaftes Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Nun hat sich auch Graf Pofadowsky am letzten Mittwoch ver- anlaßt gesehen, zu unserem Antrag Stellung zu nehmen. Er hat sehr richtig betont, daß Fürst Bismarck aus seinen Erfahrungen in der Konfliktszeit in Preußen zur Gewährung des allgemeinen Wahlrechts kam. 1863 waren noch eine ganze Reihe anderer Konservativer für das allgemeine Wahlrecht in Preußen.— Graf Pofadowsky sagte. daS deutsche ReichStagSwahlrecht sei das radikalste. DaS ist unrichtig. In der Schweiz , in Nordamerika besteht keine Beschränkung des passiven Wahlrechts, und das Wahlrechtsalter tritt bereits mit 20'resp. 21 Jahren ein. Sehr charakteristisch war die Aeußerung des Grafen Pofadowsky: Wenn die Arbeiter Einfluß im preußischen Parlament haben wollten, müßten sie erst politisch reifer werden und sich auf Forderungen beschränken, deren Erfüllung politisch möglich sei. Das heißt nicht mehr und nicht weniger, als daß Graf Pofadowsky von den deutschen Arbeitern verlangt, daß sie ihr gegenwärtiges politisches GlaubenSbekeimlniS vollkommen verleugnen. Wie man im Mittelalter keinem das Staatsbürgerrecht einräumte, der nicht auf dem Boden der Kirche stand, so will man jetzt keinem Arbeiter die politischen Rechte geben, wenn er nicht auf dem Boden der bestehenden Gesellschaft steht— das ist der Sinn der Worte des Grafen Posadowsly. Wenn er das Schmähliche, daß er in der dritten Klasse wählt, nicht empfindet, dann ist das seine Sache, aber die hunderttausend Arbeiter, die vor dem Geldsack zurückgestellt werden, empfinden eS als Unrecht. Der Staatssekretär scheint einen Republikaner als menschliches Ungeheuer anzusehen. Aber wir haben doch in Deutschland drei Redubliken, und der Herr StaatSselretär kommt im Bundesrat sehr gut mit ihren Vertretern aus. Und selbst Fürst Bismarck hat sich seinem Vertrauten, Busch, gegenüber als innerlichen Republikaner bekannt; alle seine Erfolge den Fürsten gegenüber verdanke er diesem seinem inneren Glauben! Die Nationalliberalen waren selbst früher Republikaner! die „Kölnische Zeitung " hat das noch im Jahre 1892 betont und geschrieben, die Nationalliberalen seien jetzt „Bernunftmonarchisten" geworden. Aber wenn die Zustände so weitergehen, so sammele sich solche Unzufriedenheit in den Herzen der Liberalen, daß man nicht wissen könne, waS daS eines Tages noch geben»verde. Der RepnblikaniSmuS ist ein Ideal; gegen ihn kann man mit Straf- bestimmungen ebenso wenig vorgehen als etwa gegen die Welt- anschauung deS Atheismus. Nur ivenn etwa ungesetzliche Maß- nahmen ergriffen würden, kann der Staat dagegen vorgehen. Nun wollen Sie aber doch nicht behaupten, daß der gegenwärttge Staat und die gegenwärtige Gesellschaftsordnung etwas so Ideales darstelle», daß man sie nicht mehr verbessern kann. Gerade so wie da« Bürgertum einst den Feudalstaat allmählich überwunden hat, so wollen wir die Monarchie allmählich überwinden. Was wir jedoch jetzt fordern: daS allgemeine Wahlrecht, das müssen Sie als gerecht anerkennen. Sie müssen also mit uns für diese gerechte Reform stimmen oder Sie müssen zugeben, daß Sie die eigentlichen Revolutionäre sind. Preußen soll in Deutschland vorangehen? DaS ist cinc elende Phrase. In Sllddeutfchland denkt man gerade das Gegenteil; die süddeutschen Abgeordneten und die Herren vom Zentrum nicken mir zu. Preußen hat seine Führung in Deutschland verloren. Es hinlt heute hinten dran. Am 21. Januar hat der preußische Staat ganze Armeekorps gegen uns aufgeboten. Der preußische istaat zitterte vor unS ivie Espenlaub.(Unruhe rechts. Beifall bei den Sozialdemokraten.) Die preußische Regierung sah das eigene Volk im Aufruhr, obgleich es nur von feinem Versammlungsrecht Gebrauch machen wollte. Da hat der preußische Staat sich vor der ganzen Knlturwelt bis auf die Knochen blamiert. Vizepräsident Graf Stolbcrg: Herr Abgeordneterl Sie haben gesagt, der ganze preußische Staat habe sich blamiert.(Stürmisches Sehr richtig I bei den Sozialdemokraten.) Ich rufe Sie deshalb zur Ordnung. Abg. Bebel(fortfahrend): Die Soldaten werden gedrillt, auf Brüder und Schwestern zu schießen. Wir aber haben an Straßen- demonstrationen gar nicht gedacht. Auf dem Berliner Parteitag wurde ein dahingehender Vorschlag mit großer Mehrheit abgelehnt. Unsere Wahlrechtsdemonstration hatten wir übrigens schon int Jahre 1904 geplant. WaS sich aber jetzt am 21. Januar gezeigt hat, daS hat das Hohngelächtcr der ganzen Welt erregt. Wovor der preußische Staat sich fürchtete, das waren die sozialdemokratischen Stimmzettel.(Sehr richtig! bei den Sozial- demokraten.) Ter einzig Vernünftige auf der RegiernngSseite am 21. Januar, das war die Berliner Polizei. Ehre, dem Ehre ge» bnhrt.(Heiterkeit.) Mein Gerechtigkeitsgefühl zwingt mich, dem Verhalten der Polizei am 21. Januar auch an dieser Stelle Meine Allerhöchste Anerkennung auszusprechen.(Stürmische, immer wiederholte Heiterkeit im ganzen Hause.) Abev das hat sich ja immer gezeigt: tvenw die Polizei sich zurückhält, bleibt alles ruhig; denn das Auftreten der Polizei hat au und für sich etlvas Aufreizendes. Aus meiner Per« I
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