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Nr. 89. 28. Jahrgang. 1. KW lies.AmSck" ßrtlinrt KIMotl Freitag, 16. Febrnar 1906. Die Revolution in Rntzland. Neue Bluttaten Väterchens und seiner adelige« Helfershelfer. Während der Oberhenker Orlow, unterstützt von der rigaischen Stadtverwaltung, die jetzt schon seit einigen Wochen über das Wohl der Einwohner in geheimen Sitzungen beschließt, die Pazifoieniiig" Rigas besorgt, durchstreiften seine Horden in den letzten Tagen noch einmal das Land, überall blutige Spnren nach- lassend. So Überstelen nach derJauna Dernas Lopa" die Dragoner unter Leitung der adeligen Kreischefs am 2. Februar zum zweiten- mal die Genieinden Zarnikau, Remberg und Alvern. In Farnikau »vurde der Kutscher D. unter scheußlichen Quälereien daraufhin aus- geforscht, wer im Monat Dezember den Weinkeller der ört- lichen Barone geplündert hätte. O. wußte von der ganzen Sache nichts, konnte daher auch keineMitschuldigen" angeben, dennoch bekam er fünfzig Schläge. Außer an O. wurde die Körperstrafe   noch an a ch t anderen Personen vollstreckt, von welchen eine jede 50 bis 200 Schläge bekam. Die Zeitung fügt hinzu, daß die Bewohner der Umgegend noch einige Stunden später das Gestöhne der Unglücklichen gehört haben. In derselben Zeit besuchte das Militär zum zweilenmal das Gut S t a h m e r n sLivland) und befahl der örtlichen Gemeinde- Verwaltung unter Androhung von Todesstrafe den Buschwächter P. zu verhaften. P. wurde nach Walk gebracht und hier mit vier anderen erschossen. Drei wurden zu Tode geprügelt. In Alt- Schwan enburg sind im ganzen 32 P e r j o n e n, in Tinse 11 erschossen worden, einige wurden blutig geschlagen. Ueberall werden die Exekutionen nach vorher zusammengestellten Listen vorgenommen. Zum Beweise dafür, daß dieie Arbeit von den örtlichen Gutsbesitzern besorgt wird, soll der Umstand dienen, daß vorläufig die nieisten Exekutionen auf den Privatgütern vollstreckt worden sind. Nach langer Zeit haben die örtlichen Barone wieder gute Gelegenheit, auf Rechnung der Revolutionäre sich an ihre persönlichen Feinde zu machen. So überfiel nach dem russischen BlatteRussj" Graf Pahlen-Hofzum berge<Kurland> den Bauernhof der eigenen Gemeinde Runge und legte eigenhändig an demselben das Feuer an/ Der Wirt dieses Gesindes führt im Namen der Gemeinde seit Jahren einen Prozeß mit Graf Pohlen, der von seinen Arendatoren verlangt, sie sollen ihm die Zahlungen in Gold leisten. Die Sache befindet sich im Senate. Jetzt werden aber die Bauern die Lust verloren haben, mit dem Gutsherrn lveitere Prozesse zu führen. Am 6. Febrnar wurde in Groß-Gabrun der lettische Volksdichter I. Deewakczin erschossen. Ueder- Haupt befinden sich unter den in allerletzter Zeit Erschossenen nicht weniger als zehn Volksschullehrer. Die Regierung versucht mit allen Mitteln wenigstens dieTreue" des Militärs sich zu erkaufen. Alle nach den Oftseeprovinzen zur Beruhigung" des Land- und Städtcproletariats geschickten Offiziere bekommen einen vicrmonatlichcn Extrasold vorausbezahlt. Die Sol- baten bekommen jetzt doppelten Sold und größere Fleischportionen. außerdem ist noch kein einziger Fall bekannt, wo die auf den Land- chausseen erschossenenRevolutionäre  " nicht zuerst oder nachher von den Dragonern beraubt worden wären. Der Regierung kommt auch in dieser Beziehung der örtliche Adel zu Hülfe. So wurden von den Ritterschaftsdamen in Dorpat   und auf vielen Gütern Kur Livlands   zu Weihnachten Chri st bäume für die Dragoner gebrannt. In Mit au vertauschten die Dragoner ihre wollene Leibwäsche, die sie von den adeligen Christkindern bekommen hatten, nachher gegen Branntwein. DaS icheußlichste hat sich aber der kurländische Gouverneur K n j a s e f f erlaubt. Nach der Schlacht bei Tuckum   wurden die Leichen der gefallenen Dragoner nach Mitau   gebracht. Der Henker >mjaseff, der zusammen mit den Baronen O. und E. Grothuß jetzt über das Leben der kurländischen Baueni entscheidet, zeigte die Leichen. deuen Ohren und Nasen abgeschnitten worden waren. dem versammelten Militär und wollte auf diese originelle und zu- gleich bestialische Art den Haß der russischen Soldaten gegen die Letten steigern. Nachher gelang es dem sozialdemokratischen Komitee durch Stachfragen unter den in Tuckum stationierten Infanteristen festzustellen, daß alle Leichen unverstümmelt verladen worden sind. Das find die Mittel, deren sich russische Regierungsbestien in den Ostseeprovinzen bedienen. Reichstagsabgeordneter v. Maitz an sollte doch das Material genauer sichten, mit dem er gegen die rusfische Revolution im Reichstage zu Felde zieht. Die Ursache der Greueltaten im Kaukasus  . Da die Greueltaten im Kaukasus   trotz der ununterbrochenen Truppensendungen noch immer nicht aufhören wollen, so bildete sich kürzlich ein armenisch  -tatarisches Koniitee, das sich zur Aufgabe ge- stellt hat, die Ursachen der fortgesetzten Greueltaten festzustellen. Schon nach kurzer Beratung ist dieses armenisch  -tatarische Komitee auf Grund des ihm vorliegenden reichen Materials zu nachfolgendem äußerst bemerkenswerten Schluß gekommen: Die armenisch tatarischen Ztoistigkeiten im KaukastiS sind hervorgerufen und werden unterstützt durch die Regierungsprovokation, die eine gegen revolutionäre Bewegung der un« to i s s e n d e n Masse bezweckt. Diese Zwistigkeiten vergrößern sich durch den Kampf um die ökonomische Herrschaft der Bourgeoisie beider Nationen, durch die Befürchtungen der Becks und der Gutsbesitzer derselben Nasionen um ihre Privilegien und die Herrschast, soivie durch die engnationalistischen Tendenzen eines Teiles der Ortsintelligcnz. Da die sogenannten Friedenskommissionen, die keine ernste Stütze im Volke haben, und die eingeführte Form der Selbstverteidigung der Nationalitäten gänzlich verfehlt sind, so schlägt das arnienisch-tatarische Komitee vor: die Organisation des Bauerntums und der arbeitenden Massen, die Schaffung einer inter  - nationalen Miliz, sowie eine Organisation gemischter demokratischer Verwaltungen durchzuführen, wodurch der ganze Kaukasus   beruhigt toerden könnte. Furcht vor neue» Waffenlaiidnngen. DaS russische Marineministerium entsendet demnächst nach Kinn- land eine speziell ausgerüstete Scheeren expedit.ion. Letztere soll in erster Linie eine genaue Untersuchung der finnländischen Scheeren vornehmen, worauf neue Karten und Pläne herausgegeben toerden. Riga  , 14. Februar. Heute vormittag drangen einige Leute in oie Wohnung einer jüdischen Witwe ein und knebelten deren Dienerin. Hierauf ermordeten sie die Witwe, plünderten die Wohnung und brachten sich dann in Sicherheit. Heimarbeit-Rnsstellttng. Holzindustrie. Der Deutsche Holzardeiterverbaird hat sich durch eine Anzahl von Erzeugnissen verschiedener Zweige der Holzindustrie, soweit sie Heimarbeit ist, an der Ausstellung beteiligt. Eine von dem gc- nannten Verbände herausgegebene kleine Schrift:Bilder aus der Heimarbeit in der H o l z i n d u st r i e" gibt manche wertvollen Ausschlüsse über die Produltionsmethode und die Lage der Arbeiter in den betreffenden BKuftzzweigen. Es sind einige Gewcrbszweige dabei, die nicht gerade Holz, oder doch nicht nur Holz verarbeiten, deren Arbeiter aber zum Organisationsgebiet des Holzarbeiterverbandes gehören und deshalb hier eingereiht sind. Spielwaren aus Holz werden im sächsischen Erzgebirge   an- gefertigt. Es handelt sich hier um andere Arsikel wie die im Mcininger Oberland erzeugten Spielwaren, die in Nr. 20 des Vorwärts" besprochen wurden. Das Elend der erzgebirgischen Spielwarcnmacher ist aber genau so trostlos, wie die Verhältnisse der Heimarbeiter des Meininger Oberlandes. In Eppendorf und einigen anderen Orten werden Puppen. möbcl, Puppenstuben, Festungen und dergleichen angefertigt. In diesem Spezialzweige ist die Produktion zum Teil Heim-, zum Teil Fabrikarbeit. Durch Maschinen wird das Holz soweit bearbeitet, daß nur noch die einzelnen Teile zusammengesetzt werden brauchen. Das Zusammensetzen wird zum großen Teil in der Heimarbeit ver- richtet. Die Fabrikarbeiter nehmen die Teile mit nach Hause. Dort nageln und leimen Frau und Kinder die Sachen zusammen, auch der Mann hilft nach Schluß der Fabrik, abends und Sonntags, bei dieser Arbeit.. In Seiffen  , Heidelberg, Steinhübel, Ein- s i e d c l und den umliegenden Dörfern werden Artikel erzeugt, die ganz oder teilweise Drechslerarbeiten sind. Hier herrscht ausschließlich Heimarbeit, für die der Arbeiter sämtliches Material selbst zu be- schaffen hat. Die fertigen Sachen verkauft der Heimarbeiter, natürlich zu unglaublich niedrigen Preisen, an den Verleger, der es sich wohl zunutze zu machen weiß, daß der Hunger den Spielwarenmacher zwingt, seine Erzeugnisse um jeden Preis loszuschlagen. Diese armen Hungerleider, deren ganze Existenz in der Hand eines Kauf- manncs liegt, gelten den Behörden gegenüber als selbständige Hand- werker. Sie halten sich auch wohl selbst für solche, wenigstens die Angehörigen eines Spezialzweiges, die Reifendreher, die zur Zeit, als der Holzarbeiterverband seine Erhebungen vornahm, gerade daran waren, eine Zloangsinnung zu gründen. Wenn die Reisen. dreher sich als selbständige Handwerksmeister fühlen, so mag das darin seinen Grund haben, daß sie nicht urnuittelbar für den Ver­leger arbeiten, sondern ein Halbfabrikat herstellen, welches sie an andere Heimarbeiter verkaufen, die daraus fertige Ware produzieren. So ein'Reifendreher mietet nämlich in einer Fabrik eine durch Dampf getriebene Drehbank. Da dreht er aus selbstgekauftem Holz Reifen. Der Heimarbeiter verarbeitet diese Reifen in der Art, daß er sie in Stücke spaltet, genau so, wie man einen Napfkuchen in Stücke schneidet. Je nach der Form, die der Dreher dem Reifen gab, zeigen die abgespaltenen Stücke die Umrisse bald dieses, bald jenes Tieres, die nun vom Heimarbeiter fertiggestellt und dann oft auf stundenlangen Wegen zum Verleger geschleppt werden, der den ihm gut dünkenden Preis dafür zahlt. Bei der Herstellung dieser Artikel ist ohne Ausnahme die ganze Familie beschäfsigt. Selbst Kinder bis zu vier Jahren herab müssen mithelfen. So wird Tag für Tag in 16-, 18-, 20stündiger Arbeitszeit geschuftet, und selbst der Sonntag ist selten ein Ruhetag. Hinsichtlich der Arbeitszeit stehen die Neifenmacher wohl ein wenig besser da. Die gemietete Dampfkraft wird ihnen nur 11 bis 12 Stunden täglich geliefert, je- doch besorgen sie die Vorrichtung des Holzes vor oder nach der Arbeitszeit, so daß der Arbeitstag immer noch übermäßig lang ist Wie die ausgestellten Artikel zeigen, verdienen die erzgebirgischen Spielwarcnmacher Stundenlöhne von 2 bis 4 Pf. Dabei ist jedoch nur die Arbeit der vollbeschäftigten Personen, aber nicht die der kleinsten Kinder, welche nicht anhaltend arbeiten, mitgerechnet. Eine Familie, bestehend aus Mann, Frau und drei großen sowie ein bis zwei kleinen Kindern kann demnach in einem 16stündigen Arbeitstage 1,60 bis 3,20 M. verdienen. Selten werden höhere, oft aber noch geringere Löhne erzielt. Daß unter solchen Umständen die Lebenshaltung der Arbeiter eine geradezu elende ist, braucht nicht erst gesagt zu werden. Kartoffeln und LeinÄ bilden die Hauptnahrung. Berücksichsigen wir dazu noch die miserablen Wohnungsverhältnisse, wo Werkstatt, Wohn- und Schlafstube meist ein und derselbe Raum ist, so haben wir eine ungefähre Vorstellung von dem trostlosen Fammerdasein der erzgebirgischen Spielwaren- arbeiter. Musikinstrumente werden im sächsischen Vogtlonde hergestellt. Der Ort K l i n g e n t h a l ist Mittelpunkt für die Fabrikation von Zieh- und Mundharmonikas. Die Arbeit an diesen weit ver- breiteten Volksinstrumenten geschieht nur zum steinen Teil in Fa briken, überwiegend wird sie durch Heimarbeiter angefertigt. Der Produktionsprozeß ist im allgemeinen der, daß die Bestandteile pct Harmonikas von verschiedenen Spezialbranchen der Heimarbeiter angefertigt werden, während in der Fabrik die Instrumente zu- sammengesetzt und verpackt werden. Die in der Hausindustrie der richtete Teilarbeit ist bis ins kleinste gegliedert. Demzufolge ist auch die Frauen- und Kinderarbeit eine sehr ausgedehnte. Das Material, welches der Heimarbeiter verbraucht, hat er selbst zu liefern. Ost kommt es vor, daß er an Lohn kaum so viel erhält, als ihm das Material gekostet hat. Den höchsten Verdienst unter den Harnwnikaarbeitern haben die Stimmer und Richter. Sie ver- dienen in der Woche zu 84 bis 00 Arbeitsstunden 14 bis 18 M. Um diesen Verdienst zu erreichen, muß aber eine Frau oder ein größeres Kind etwa 40 Stunden wöchentlich gewisse Vorarbeiten besorgen. Während hier immerhin noch ein Stundenlohn von 14 Pf. heraus- kommt, sehen wir in anderen Zweigen der Harmonikafabritation, daß männliche Arbeiter Stundenlöhne von 8 bis 10 Pf. und Kinder gar nur 3 bis 4 Pf. erzielen. Nur wenige Beispiele seien Hier angeführt: Zwei Männer, eine Frau und ein Kind arbeiten ge- meinsam Mi der Herstellung von Mundharmonikas. Sie kommen auf einen gemeinsamen Wochenverdienst von 19 M., der sich auf 102 Arbeitsstunden verteilt. Das Einschlagen von Stiften in die Stimmplatten und Aufstecken der Stimmfedern auf die Ssifte ist Kinderarbeit. So ein 5lind verdient in 42 Arbeitsstunden 2 bis 2,50 M. Ein Grifsinacher arbeitet mit seiner Fran zusammen. Beide verdienen gemeinsam 15 M. in der Woche, die für jeden von ihnen 72 Arbeitsstunden hat. Demnach bringt es also das Ehepaar auf einen gemeinsamen Stundenverdienst von 20 Pf. Ebenso traurig wie die Verhältnisse der Harmonilaarbeiter ist die Lage der Arbeiter, welche mit der Herstellung von Saiten.  i n st r u m e n t e n, hauptsächlich Geigen, beschäftigt sind. Auch dieser Industriezweig wird im Vogtlande betrieben. Der Hauptort für die Produktion ist M a rk ne>i k i r che n. Tie einzelnen Teile der Geige: Boden, Decke, Hals, Griffbrett usw., werden fast aus- schlichlich in Böhmen   hergestellt. Die böhmischen Heimarbeiter stellen diese Dinge zu so niedrigen Löhnen her, daß selbst der be- dürfnislose sächsische Heimarbeiter mit ihnen nicht konkurrieren kann. Das mag zum Teil darin seine Ursache haben, daß die Arbeiter jenseits der zollgeschützten deutschen   Reichsgrenze billiger leben können als die in Sachsen  . So ist also die Teilarbeit für die Geigenfabrikation nach Schönbach   in Böhmen   verlegt worden, während die Kleinmeistcr(Heimarbeiter) in Sachsen   nur das Zu- sammensctzen der Geigen besorgen, wozu sie die Teile von den böhmischen Heimarbeitern beziehen. Einzelne der sächsischen Geigen. baucr beschästigen Gehülfen und vertreiben ihre Produkte selbst. Die meisten arbeiten dagegen ausschließlich und ohne fremde Hülfe für den Exporteur. Sie verdienen dabei in einer wöchentlichen Arbeits- zeit von 70 bis 80 Stunden 15 bis 18 M. Mittenwald   in Bahern ist ebenfalls ein bekannter Pro- duktionsorl für Saiteninstrumenie. Geigen, Cellos, Kontrabässe, Gitarren, Mandolinen und Zithern werden daselbst angefertigt. In Mittenwald   sind etwa 300 Heimarbeiter der Instrumenten- industrie beschäftigt. Sie arbeiten ausschließlich für zwei Export- firmen, die die ganze Branche beherrschen. Fast in jedem Hause in Mittentvald findet man Jnstrumentenmacher. Sie gehen früh um 5 oder 6 Uhr, gleich nach dem Gebetläuten, au die Arbeit, die abend-S um 8, oft auch erst um 10 oder 11 Uhr beendet wird. Trotz dieser unmenschlich langen Arbeitszeit verdienen die meisten Geigen- macher nur 1 bis 1,50 M. pro Tag, viele bringen es nur auf einen Tagesverdienst von 70 Pf. Ein Tagesverdienst von 3 bis 4 M. ge- hört zu den seltensten Ausnahmefällen. Die ungemein niedrigen Löhne erklären sich wohl daher, daß die Mittenwalder   mit wenigen Ausnahmen nur im Winter als Geigenmacher arbeiten. Im Sommer bewirtschaften sie ihr eigenes kleines Anwesen, oder sie sind als Fremdenführer im Gebirge, als Waldarbeiter, Stein- klopfer usw. tätig. Aus den entsetzlich niedrigen Löhnen darf man keineswegs schließen, daß es sich nur um die Herstellung minder- wertiger Instrumente handelt. In Mittenwald   werden neben ge- ringer Ware auch Instrumente allerbester Qualität hergestellt, Geigen, die sich die Versandfirma mit 100 M. pro Stück bezahlen läßt. Der Arbeiter aber, aus dessen geschickten Händen diese wert- vollen Instrumente hervorgegangen sind, wird auch nur mit Hunger- löhnen abgespeist. Da liegt um nur ein Beispiel zu erwähnen in der Ausstellung eine halbfertige Konzertzither. Jeder Kenner sieht, daß dieses Instrument im Ernzolverkauf nicht unter 60 M. zu haben ist. Der Engrospreis ist auf 36 M. angegeben. Das Material Holz und Saiten kostet dem Verleger etwa 10 M., an Arbeitslohn zahlt er. 6,50 M. Davon hat aber der Arbeiter noch 50 Pf/ für Material aufzuwenden. Er verdient dabei in der Stunde 16 Pf., während der Verleger an einem Stück 18 bis 20 M.ver, dien t". Die Hcrrgottschnitzer in Oberammergau  . Nicht nur die weit- bekannten Passionsspiele sind in Oberammergau   heimisch, sondern auch eine ebenfalls dem religiösen Kult dienende Industrie: Die Schnitzerei von Kruzifixen �ind Heiligenbildern. Der Bertrieb dieser Gegenstände befindet sich in Händen einer Firma, die in der Werkstatt 15 Bildhauer und außerdem 100 120 Heimarbeiter be­schäftigt. Der Bibelspruch:Wer seinem Arbeiter den Lohn nicht gibt, ist ein Bluthund I" wird ja von dem jedenfalls recht christlichen Unternehmer befolgt, aber wie, das zeigen einzelne ausgestellte Beispiele. Ein reich von Laub umranktcs Kreuz, 70 Zentimeter hoch, wird mit einem Arbeitslohn von 2,50 M. bezahlt. Der Ar- beiter verdient dabei in der Woche zu 72 Stunden 8 M. Einen ebenso niedrigen Verdienst erzielen andere Arbeiter, welche die an solchen Kreuzen anzubringenden Christuskörper schnitzen. Der Durchschnittsverdienst der Herrgottschnitzer wird auf 1,503 M. pro Tag angegeben. Der Arbeitstag beginnt aber um 6 Uhr morgens und währt bis 8, ja bis 10 Uhr abends. Die Oberammer- gauer Schnitzereien sind fast durchweg als gute kunstgewerbliche Leistungen zu betrachten. Wenn die dortigen Heimarbeiter nicht eine seit Generationen geübte hervorragende Fertigkeit besäßen, dann könnten sie bei den Ssiicklöhnen, die ihnen der Verleger zahlt, noch nicht einmal den angegebenen niedrigen Verdienst erzielen. Die Korbmachrrci ist als einer der am wenigsten lohnenden Erwerbszweige bekannt. Trotzdem müssen zahlreiche Arbeiter- familicn bei dem kümmerlichen Verdienst, den diese Arbeit bietet, ihr Leben fristen. Aus Berlin   sind Korbwaren ausgestellt, zum großen Teil sehr sauber gearbeitete Luxusartikel, die den Arbeitern Stundenlöhne von 24 27, höchstens 30 Pf. einbrachten. Das ist für Berliner   Verhältnisse gewiß recht wenig, und doch erscheinen diese Löhne noch als glänzende gegenüber dem, was die Arbeiter in dem bekannten thüringisch-fränkischen Korbmacher» bezirk verdienen. An den ausgestellten Artikeln aus dieser Gegend sind Stundenlöhne von 80 Pf. verzeichnet. Nach Angaben in der erwähnten Broschüre des Holzarbeiterverbandcs bewegen sich die Stundenlöhne für erwachsene männliche Arbeiter zwischen 3 und 12 Pf., während weibliche Arbeitskräfte oft nur 3 bis 4 Pf. ver- dienen. Kein Wunder, daß unter solchen Umständen übermäßig lange gearbeitet wird, 00 bis 100 Stunden in der Woche und noch länger. Im übrigen sind hier die Verhältnisse so, wie in manchen anderen Heimarbeitbezirken: Ein Teil der Arbeiter betreiben ein wenig Landwirtschaft und Viehhaltung, sie sind daher nicht aus- schließlich auf den Ertrag der Korbmacherei angewiesen und spielen gegenüber der großen Zahl derjenigen, die nur von der Korbmacherei leben müssen, dieselbe Rolle wie die Beamtenfrauen und-Töchter in der Konfektion. Es sind schon mehrfach Versuche gemacht worden, die elende Lage der fränkisch-thüringischen Korbmacher ein wenig zu bessern durch genossenschaftlichen Einkauf des Materials. Die Behörden unterstützten auch solche Genossenschaften, aber gc- Holsen hat es den Korbmachern nicht. Die Genossenschaften gaben die Vorteile, die sie durch billigeren Einkauf und durch behördliche Unterstützungen erlangt hatten, wieder preis, indem sie aus Kon- kurrenzgründen billiger als vorher arbeiteten, so daß ihre Lage nicht gebessert, die Lage der außerhalb der Genossenschaften stehenden Arbeiter aber noch verschlechtert wurde, denn deren Löhne gingen natürlich durch die Lohndrückerei der Genossenschaften auch herab. Um das Maß der Ausbeutung dieser armen Heimarbeiter übervoll zu machen, handhaben ihre Ausbeuter ein verschleiertes, aber recht raffiniertes Trucksystem. Das Elend, welches die Korbmacher dieser Gegend von der Wiege bis zum Grabe ohne Unterlaß begleitet, hat sie so abgestumpft, daß sie ihr jammervolles Dasein als etwas Selbstverständliches hinnehmen. Bürstenwarcn sind aus dem Erzgebirge  , dem Schwarzwald   und Berlin   ausgestellt. Der Verdienst in diesem Arbeitszweige ist etwas höher wie in der Korbmacherei, namentlich bei besseren Artikeln, bei den geringsten und billigsten Waren steht der Lohn etwa dem der Korbmacher gleich. Vor allem aber fällt in der Bürstenindustrie auf, daß in Berlin   für ganz dieselben Artikel und für die gleiche Arbeit in der Fabrik ein um 50100 Proz. höherer Lohn bezahlt wird als der Heimarbeiter erhält. In einem Schwarzwaldorte sind die Differenzen zwischen Fabrik- und Heimarbeitslöhnen nicht ganz so groß wie in Berlin  . Die Pinselindustrie hat ihren Sitz in Nürnberg  . Sie be- schäftigt 600 männliche und 1000 weibliche Arbeitskräfte in Fabriken und 150 Heimarbeiter. In dieser Branche ist die Heimarbeit bc- sonders dadurch gefährlich, daß die Hantierung mit dem Material viel gesundheitsschädlichen Staub entwickelt und die Gefahr der Milzbrandvergiftung mit der Verarbeitung nicht genügend des- infizierten Materials verknüpft ist, Tie Bleistiftindustrie, ebenfalls in Nürnberg   heimisch, be- schäftigt Heimarbeiterinnen, Frauen und Kinder, welche die in der Fabrik hergestellten Bleistifte polieren und dutzendweise zusammen- binden. Die Arbeit wird sehr schlecht bezahlt. In der Woche zu 75 Stunden verdient eine Frau& 6 M. Zigarrenspitzen. In verschiedenen Orten des Thüringer Waldes  wird seit langer Zeit die Herstellung von Tabakpfeifen durch Drechsler betrieben. Mit der Verbreitung der Zigarre ist der Be- darf an Pfeifen und somit auch deren Produktion bedeutend zurück- gegangen. Soweit noch Tabakpfeifen hergestellt werden, geschieht eS meist auf maschinellem Wege in der Fabrik. Das Schnitzen von Pfcifenköpfen und Zigarrenspitzen aus Meerschaum ist jedoch noch heute Hausindustrie, die vorwiegend in Ruhla   betrieben wird. Eine große Ausdehnung hat die hausindustriclle Produktion von Zigarren- und Zigarettenspitzen aus Holz in neuerer Zeit gc- nommen. Sie wird in verschiedenen Orten betrieben, zum Teil alZ  Nebenbeschäftigung kleiner Landleute, zum größten Teil jedoch als Hauptbeschäftigung der heimarbeitenden Drechsler. In der Aus- stellung ist eine reichhaltige Sammlung der verschiedensten Muster von Zigarren- und Zigarettenspitzen aus Winterstein zu sehen. Die beigefügten Angaben über Lohn und Arbeitszeit geben ein Bild betrübender Zustände. Ein männlicher Arbeiter verdient in der 75stündigen Arbeitswoche 12 M.. ein anderer in 84 Stunden gar nur 11 M. In anderen Fällen bringen es zwei Personen zusammen auf 16 M. in 104 Arbeitsstunden, drei Personen, die zusammen arbeiten, verdienen in 125 Stunden 13 M., also hat jeder in der Stunde 10 Pi. Und sc geht es in der ganzen Zigarrenspitzen- industrie. Ueberall dieselben traurigen Verhältnisse, und dabei haben die Arbeiter keineswegs regelmäßige Beschäftigung. Von dem kümmerlichen Verdienst geht auch noch manche Mark verloren für Fahrgeld, das sie ausgeben müssen, um ihre Arbeiten dem Ver- leger abzuliefern.