Hl. 43. 23.� WM des Jomiick" ßnliittr WsMMittvoch. 21. Februar 1906.Reichstag.LS. Sitzung. Dienstag, den20. Februar, 1 Uhr.Am Bundesratstische: Graf Posadowskh.Erster Punkt der Tagesordnung ist die erste und event. zweiteBeratung des deutsch-äthiopischen Freundschafts-und Handelsvertrages.Abg. Patzig(natl.) hofft aus dem Vertrage eine Zunahme desdeutschen Handels in Abessinien. Irgend welche politischen Hinter-gedanken haben wir ja in diesem Teile Afrikas nicht. Wohl abersind schon jetzt wirtschaftliche Interessen Deutschlands imäthiopischen Reiche vorhanden.Ohne weitere Debatte wird der Vertrag in erster undzweiter Lesung angenommen.Nunmehr wird die Etatsberatung beim Etat desReichsamtS des Innern, Kapitel: Einmalige Aus-gaben fortgesetzt.Abg. Frhr. v. Hrrtling(Z.) begrüßt die Fertigstellung derRcichspublikation über die durch die Meisterwerke PeruginoS,Ghirlandajos usw., vor allem aber durch die unsterblichen Decken-gemälde Michelangelos ausgezeichnete Sixtinische Kapelle imVatikan.(Die Abgeordneten betrachten mit Interesse die großen, aufden Tisch des Hauses niedergelegten Reproduktionen.)�Abg. Eickhoff(frs. Vp.) gedenkt in warmen Worten desGründers der.Gesellschaft für deutsche Erziehung", Prof. Kehrbach,welcher kürzlich gestorben ist.Abg. Schräder(frs. Vg.) schließt sich diesen Worten an.Staatssekretär Graf Posadowsk» dankt für die Anregungender beiden Vorredner und verspricht eine Denkschrift über dieTätigkeit der Gesellschaft.(Beifall links.)Zum Titel 21(Beitrag des Reiches zu den Kosten des Ausbauesder Hohkönigsburg. VI. Rate 200 000 M.) erhält das WortAbg. Ledebour(Soz.):Ich bitte Sie um die Ablehnung der Forderung. Die aus-führlichen Mitteilungen des Herrn Berichterstatters muß ich dochnoch in einigen Punkten ergänzen. Er führt« aus. daß in derKommission seitens des Vertreters der Regierung mitgeteilt sei,daß infolge des Baues der Hohkönigsburg sich der Besuch derVogesen von ISOO auf 36 000 Besucher gesteigert habe. So wieich den Herrn Staatssekretär in der Kommission verstanden habe,'hat er diese Steigerung nicht für den Besuch der Vogesen, wohlaber für den der Hohkönigsburg festgestellt. Er hat dann aller-dingS die Schlußfolgerung daraus gezogen, daß infolgedessen derBau der Burg außerordentlich fördernd auf den Besuch der Vogeseneingewirkt habe. Das ist meiner Ansicht nach ein Trugschluß, Eskommt auf dasselbe hinaus, als wenn man behaupten wollte, dieSchlösser auf den Gipfeln der bayerischen Alpen, die zweifellos einegroße Anzahl Neugieriger heranziehen, bildeten die L>aupt.anziehungSkraft für den Besuch der bayerischen Alpen überhaupt.Tie bayerischen Alpen wurden besucht, ehe diese merkwürdigenGebäude oben auf den Gipfeln standen. Ein noch viel größererTrugschluß ist eS, wenn der Staatssekretär gleichfalls meinte,daß die Errichtung der Hohkönigsburg eine Hebung des deutsch-nationalen Gefühls für Elsatz-Lothringen und überhaupt eineinnigere Verbindung zwischen Elsatz-Lothringen und dem Reicheherbeiführen würde. Um die Elsatz-Lothringer für das Reich zugewinnen, gibt es nur ein einziges Mittel, daß man sie nämlichin allen Rechten vollkommen gleichstellt mit den übrigen Reichs-angehörigen. Durch überflüssiges äußeres Schaugepränge kanndas nicht erreicht werden, wenn dies auch mit der Politik des Zick-Zack-KurseS, der Tangerreise und den sonstigen merkwürdigen Er-scheinungen des gegenwärtigen Regimes durchaus zusammenstimmt.Die wesentlichen Mehrkosten für den Bau der Hohkönigsburgsind dadurch erwachsen, daß— als man an den Bau heranging—es sich herausstellte, daß es sich nicht bloß handele um den Ausbauder Ruine, sondern daß der ganze Boden, der ganze Fels derartigverwittert ist, daß man geradezu einen neuen Fels aufbauen muß.Es handelt sich also gar nicht um den Ausbau einer alten Burg,sondern um die Herstellung cineS Untergrundes für eine neue, diedann allerdings das Facsimile der alten sein soll. DaS beweist.mit welcher Ungründlichkeit an die ganze Sache herangegangen ist.(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Man ist frisch, frank,fröhlich, frei in die Sache hineingesprungen, und die Bevölkerungmuß dann die Kosten für diesen Sprung inS Dunkele tragen. Nunhat ja der Reichstag leider— gegen unsere Stimmen— seinerzeitdie erste Summe bewilligt. Wenn aber jetzt diese neue Forderungan uns herantritt, so liegt die Sache doch nicht so einfach, wie derSerr Berichterstatter sie dargestellt hat. ES liegt ein einschneidenderGrund dafür vor. daß der Reichstag auch nicht einen Pfennig mehrfür diesen Bau bewilligt. Nach Mitteilungen in der Kommission,denen nicht widersprochen worden ist, ist dem Elsaß-LothringischenLandesausschuß seinerzeit erklärt worden, daß weitere Rosten nichtgefordert werden würden. Sollte der Bau mehr Mittel erfordern,so würde sie der Bauherr tragen. Weshalb trägt denn nun derBauherr die Kosten nicht? In Abänderung eines bekannten Wortesmöchte ich sagen: An eines Bauherrn Wort soll man nicht drehennoch deuteln.(Heiterkeit.) Wir haben gar keinen Grund, dieForderung zu bewilligen, nachdem die ausdrückliche Zusicherungdes Bauherrn vorliegt, daß er die nicht erwarteten Mehrtostentragen würde. Heute hat nun der Berichterstatter mit großerBefriedigung mitgeteilt, daß wiederum im Namen des BauherrnGraf PosadowZky erklärt habe, es werde keinesfalls mehr gefordertwerden, auch wenn diese Gelder nicht ausreichten. Aber wie sollenwir nach den bisherigen Erfahrungen auf diese Versicherung nochirgend welchen Wert legen? Wie sich gezeigt hat, daß der felsigeUntergrund so brüchig ist, daß er das Gebäude nicht mehr zu tragenvermochte, so haben sich auch die früheren Zusicherungen alsbrüchiges Gestein erwiesen, auf das man nicht bauen konnte. Wirzweifeln gar nicht daran, daß der Herr Staatssekretär für seinePerson fest davon überzeugt ist, daß weitere Forderungen nichtkommen werden. Wir wollen die persönliche Ehrenhaftigkeit ein-zelncr Minister gar nicht leugnen, aber wir können uns nicht aufsie verlassen, weil wir nicht wissen, ob sie nächstes Jahr noch imAmt find. Wir können nur die Zuverlässigkeit der gesamten Re-gicrung nach unser» bisherigen Erfahrungen beurteilen, und wennsich die bisherigen Versprechungen als durchaus brüchw erwiesenhaben, können wir den neuen keinen Wert beimessen.(Sehr wahr!bei den Sozialdemokraten.)Dazu kommt noch ein allgemeiner Grund, der gegen dieseRuinenausbautcn überhaupt spricht. Das ist die Tatsache, daß derNeubau einer Burg an der Stelle einer alten abzubrechendenRuine im gewissen engen Zusammenhang steht mit der ganzenromantischen Bauepidemie, die im gegenwärtigen Deutschen Reicheausgebrochen ist. Ueberall hat diese Epidemie auf die Schönheitder Städte wie auf den Kunstsinn ihrer Bevölkerung verheerendgewirkt. Wenn jemand geneigt ist, diese Richtung der Perfönlich-leiten, die maßgebend sind für die moderne romantische Bauseuchein Deutschland, genau kennen lernen will, so möchte ich ihn einmalhinschicken nach dem Tiergarten zu der marmornen Halskragen-architektur, die um die Denkmäler herum errichtet worden ist. Der-artige Geschmacklosigkeiten sind kaum noch in einer anderen Stadtder Gegenwart zu finden. Diese neuromantische Bauepidemie istein gewisses Gegenstück zu der, die in früheren Zeiten in Berlinund Umgegend ausgebrochen war. Damals wurden nicht Ruinenausgebaut, sondern aus romantischen Gelüsten künstliche Ruinenerrichtet. Ein Gegenstück zum Ausbau der Hohkönigsburg bildenin diesem Sinne die künstlichen Ruinen auf der Pfaucninscl. TenHerren, die sie noch nicht kennen, möchte ich einmal empfehlen,sich dieses Beispiel berlinisch-romantischer, modern-hohenzollernscherKunst anzusehen, diese backsteinerne Abteiruine mit den verputztenMauern und dergleichen unglaublich kunstwidrigen Geschmack-losigkeiten. Eine Regierung, die derartiges fertig bringt, ist garnicht würdig, vom deutschen Reichstag noch für Kunstzweckc Geldzu erhalten. Wenn der Reichstag diese Richtung noch weiterfördert, wenn er den Ausbau der Hohkönigsburg bewilligt, so istdas nur ein Anreiz, auch das Heidelberger Schloß auszubauen.(Zuruf des Abg. v. Kardorff.) Ja, Herr v. Kardorff, in dieserBeziehung haben ja auch Sie der neuen Kunstrichtung schon einegründliche Absage gegeben. Und daß der Plan in Deutschlandbesteht, auch das Heidelberger Schloß in noch schlimmerer Weisezu verschandeln als die Hohkönigsburg, darüber kann ein Zweifeldoch nicht bestehen. Ein solcher Ausbau des Heidelberger Schlossesaber wäre vom Standpunkt der Kunst aus em Verbrechen, gegendas man jederzeit Verwahrung einlegen muß. Die Ruine desHeidelberger Schlosses ist infolge der geschichtlichen Erinnerungenim Laufe der Jahrhunderte ein eigenes Kunstwerk geworden, dasdurch einen Neubau nur zerstört werden kann. Wenn jemand dasBedürfnis hat. ein Schloß zu erbauen, das dem Heidelberger Schloßgleicht, so mag er sich doch einen anderen Berg aussuchen, und wennin Baden kein Platz mehr ist, so sind wir bereit, ihm einen Platzanzuweisen, etwa den höchsten Gipfel der Rehberge.(Heiterkeit.)Aber dagegen, daß die Heidelberger Schlotzruine ausgebaut wird,mutz jeder Kunstfreund, jeder Vaterlandsfreund, jeder, der Sinnhat für die Schönheit dieses einzigen Kunstwerks, protestieren undmutz auch bei dieser Gelegenheit Sturm laufen gegen einen der-artigen kulturwidrigen BarbarismuS. Also auch auS dem Grunde,weil der Ausbau der Hohkönigsburg zu weiteren Ausbauten an-reizt, weil der Appetit beim Essen kommt und eine Barbarei dieandere nach sich zieht, aus allen diesen Gründen lehnen wir unterallen Umständen jede Mehrforderung für den Ausbau der Höh-königsburg ab. Mögen doch die Leute, die ein Interesse an demAusbau der Burg haben, ihr Versprechen erfüllen, in die eigenenTaschen greifen und mit eigenem Geldc die Hohkönigsburg auS-bauen!(Lebhafter Beifall bei den Sozialdemokraten.)Staatssekretär Graf PosadowSky:Wahrscheinlich ist doch, daß nicht die Schönheit der Vogesen.die seit Erschaffung der Welt dastehen, sondern erst der Ausbauder Hohkönigsburg die mit ihm zusammenfallende Steigerung desBesuches von 1500 auf 36 000 hervorgerufen hat. Bis vor kurzemwurden die Vogesen ganz überwiegend von Franzosen und Eng.ländern besucht. Da ist es von der größten nationalen Bedeutung,wenn der Besuch der Vogesen aus Altdeutschland in so erheblichemMatze steigt und eine Menge Badenser, Württembergcr, Bayernund Hessen dahin kommen, um die Hohkönigsburg zu besuchen.Wie hoch die Hohkönigsburg schon früher eingeschätzt wurde,geht daraus hervor, daß schon die französische Regierung seinerzeitErhaltungs- und Restaurationsarbeiten gemacht hat. Der IrrtumdeS Architekten über den Untergrund ist entschuldbar, da unterder Schuttmasse der Jahrhunderte sich nicht leicht erkennen ließ,daß der Felsgrund an einzelnen Stellen die nötige Tragfähigkeitnicht mehr besaß.Professor Gelger, einer der hervorragendsten Kunstkenner, derden Kunstakademien von Florenz, Paris und Rom angehört hat,fchlicßt einen Artikel mit den Worten, daß er schon jetzt der Ucber-zeugung sei, die Hohkönigsburg werde nicht nur eine der inter-cssantesten und großartigsten Sehenswürdigkeiten des Elsaß, sondernEuropas sein. Daß nicht alle Restaurationsarbeitcn schlechthin zuverwerfen sind, zeigt die Wiederherstellung der Marienburg, dieals schönstes weltliches gotisches Bauwerk, das in der Welt—wenigstens in Deutschland— existiert, wie aus der Erde hervor-gezaubert wurde. Es ist ein wesentliches nationales Element,wenn das neuerstandene Reich auch in Elsatz-Lothringen, wo nochviele alte französische Traditionen herrschen, ein altes Bauwerkwiederherstellt und dadurch zur Erscheinung bringt, daß Deutsch-land«inn hat für die geschichtlichen Erinnerungen des Landes undentschlossen ist, es bis zum letzten Soldaten DentschlanbS zu halten.(Bravo! rechts.)Der Abg. Ledebour hätte künstliche Ruinen, wie wir auf derPfaueninsel eine haben, nicht mit dem Ausbau einer historischenRuine gleichsetzen dürfen. Wenn der Abg. Ledebour jemals aufder Hohkönigsburg gewesen ist, kann er doch nicht bestreiten, daßnoch so viel von dem alten Bau erhalten ist, daß von einer Phantasie-bürg bei dem Neubau gar nicht die Rede sein kann. Die Reichs-tagSabgcordneten hätten sich wirklich den Bau einmal ansehen sollen.dann würden sie die unbedeutende Reufordernng jetzt kaum nochbekämpfen. Man kann doch den Bau unmöglich jetzt«n halbfertigemZustande zurücklassen.Abg. Dr. MLllrr-Sagan(frs. Vp.): DaS vorige Mal war eSdie„letzte" Forderung, diesmal ist es die„allerletzte" Forderung.und das nächste Mal wird die„unwiderruflich letzte" Forderungkommen.(Heiterkeit.) Ich bin Gegner alles Restaurierens. Aufkeinen Fall aber dürfen wir RcichSmittel dafür bewilligen, so langewir ein persönliches Regiment in Deutschland haben.(Sehrrichtig! links.)Abg. Staudt)(kons.): Ich möchte wünschen, daß Herr Ledebourderartige Ausführungen, die das Gefühl der Mehrheit verletzenmüssen, nicht wieder macht.Daß man einen Bauanschlag überschreiten muß, kommt dochalle Tage vor, aber niemand denkt sonst daran, aus diesem Grundeeinen fast vollendeten Bau wieder fallen zu lassen.Abg. v. Kardorff(Rpt.): Herr Ledebour hat die Befürchtungausgesprochen, daß nach der Hohkönigsburg die Restaurierung desHeidelberger Schlosses folgen würde. Ich bin durchaus mit ihmdarin einverstanden, daß das eine entsetzliche Barbarei wäre.(Bravo! links.)Abg. Ledebour(Soz.):Ich freue mich, daß ich einmal von ganzem Herzen mit Herrnv. Kardorff einverstanden sein kann.(Heiterkeit.) Er kann vonGlück sagen, daß er nach Herrn v. Staudy gesprochen hat, sonstwürde dieser dieselben wehmütigen Betrachtungen auch über seinenTon angestellt haben.(Heiterkeit.) Der Herr Staatssekretär hatden Wiederaufbau der Hohkönigsburg in Parallele gestellt mit demWiederaufbau der Marienburg. Mit der Restaurierung dieser Burgsind wir wohl alle einverstanden; denn sie ist ein Bauwerk vongroßer geschichtlicher Bedeutung und architektonischer Schönheit.dessen Wiederaufbau in sich gerechtfertigt war. Aber die Höh-königsburg hat für die Elsatz-Lothringer keinerlei historische Be-deutung; sie ist ihnen nicht interessanter als eins der vielen anderenSchlösser, die dort oder sonst wo auf den Bergen stehen, die alsRuinen, als Abschluß eines Höhenzuges der Landschaft einen neuenReiz geben, aber irgend welche Erinnerungen oder Sympathiennicht erwecken. Ein sprechender— oder vielmehr schweigender—Beweis dafür ist ja die Tatsache, daß von all den anwesendenElsaß-Lothrinaern bei dieser das Herz Elsaß-Lothringens angeblichaufregenden Debatte kein einziger das Wort ergreift. Dadurch be-weisen sie. daß sie mit den Argumenten des Herrn Staatssekretärsinnerlich nicht einverstanden sind. Durch ihr Schweigen stimmensie uns zu. Mögen sie erklären, daß Elsaß-Lothringcn bereit ist.auS eigener Tasche alle Mehrfordcrungcn für diesen Bau zu be-willigen, dadurch würden sie einen durchschlagenden Beweis dafürliefern, daß ihnen die Burg wirklich ank Herz gewachsen ist. Wennman sich einbildet, daß man die Elsatz-Lothringer mit solchenMitteln gewinnen könne, so zeigt das nur deutlich den voll-kommenen RomantiziSmuS, in dem die maßgebenden Persönlich-ketten in Berlin, in deren Namen der Staatssekretär spricht, be-fangen sind. Bon ihrem eigenen beschränkten banausischen Kunst»ftondpnnkt aus beurteilen sie den Geschmack aller übrigen. Herrv. Staudy fragte, was denn jetzt so Wunderbares geschehen sei,weshalb man die Forderung nicht bewilligen will. DaS wäre eineBloßstellung des Deutschen Reiches. Nun, etwas Wunderbares istnicht geschehen, nur etwas ganz Natürliches; daß nämlich ein Ver-sprechen der Regierung nicht emgelöst worden ist, daß der Bauherraus seiner eigenen Tasche die Mehrkosten zahlen soll,Wir sind eS in Preuße« ja gewöhnt, baß Versprechen der Königenicht eingelöst werden(Lebh. Oho! rechts; Zustimmung links; Glocke deS Präsidenten.)Präsident Graf Ballestrem:DaS dürfen Sie nicht sagen:daß in Preußen die Versprechen der Könige nicht eingelöst werden;das verstößt gegen die Ordnung des HauseS; ich rufe Sie zurOrdnung.(Bravo! rechts.)Abg. Ledebour(fortfahrend): Historische Erinnerungen sind jain Preußen lebendig; ich erinnere an das Versprechen FriedrichWilhelms III., dem Volke eine Verfassung zu geben....Präsident Graf Ballestrem: Sie dürfen nicht auf das zurückkommen, was ich gerügt habe.Abg. Ledebour(fortfahrend): Auf diese Tatsache hat der Staats-sekretär mit keinem Wort reagiert. Und das ist das Entscheidende.Nicht das Deutsche Reich wird bloßgestellt— ich will nicht erörtern,wer bloßgestellt wird, aber diesen Ausdruck des Herrn v. Staudylehne ich unbedingt ab. Mögen die gegebenen Versprechungenerfüllt werden; ich denke, eine solche Forderung verstößt nicht gegendie Ordnung des Hauses. Man soll auf die Erfüllung von Ver-sprcchungen dringen, von wem sie auch kommen mögen.(LebhafterBeifall bei den Sozialdemokraten.)Abg. Schlumberger(natl.): Ich erkläre, daß ich als Elsaß-Lothringer mich zum Wort gemeldet hatte, bevor Herr Ledebourseine Vorwürfe gegen uns erhob. Die Landesvertretung in Elsaß-Lothringen hat seinerzeit sich beinahe einstimmig für die Gewährungdieses Postens ausgesprochen.(Hört? hört! rechts.) Sie ist damalsdem Reichstage mit gutem Beispiel vorangegangen, möge diesmalihr der Reichstag ein gutes Beispiel geben und die Mittel für dieRestaurierung dieser großartigen Burg bewilligen.(Bravo! beiden Nationalliberalen.)Der Titel wird hierauf gegen die Stimmen der Sozialdemo-kraten und der Freisinnigen bewilligt.Eine Forderung von 43 850 M. als Beitrag zu den Kosten füreine Drachenstation am Bodcnsec zur Erforschung der oberen Luft-schichten wird vom Vertreter des Wahlkreises, Abg. H u g- Konstanz(Z.) empfohlen und genehmigt.— Zum nächsten Titel: 195 000 M.für die Beteiligung des Reiches an der im Jahre 1906 in Mailandzur Eröffnung des Simplontunnels stattfindenden internationalenAusstellung liegt eine Resolution K ä m p f— Dr. Müller-Sagan— Schmidt. Elberfeld(frs. Vp.) betr die Abhaltungeiner internationalen Verkehrsausstellung in Berlin spätestens imJahre 1913 vor.Abg. Dr. Müller-Sagan(frs. Vp.) zieht den Antrag, da derHauptantragsteller, der Abg. Kämpf, als Präsident deS deutschenHandelstages, heute am Erscheinen verhindert sei, bis zur' drittenLesung zurück.Der Titel wird bewilligt.Zum letzten Titel des OrdinariumS: 20 009 M. als erste Ratefür Forschungen auf dem Gebiete der Reblausbekämpfung gibtAbg. Preiß(Elsässer) eine Uebersicht über die Erfolge und Miß-erfolge der verschiedenen Mittel der RcblauSbekämpfung in dendeutschen Bundesstaaten.Staatssekretär Graf PosadowSky: Die Infektion in Elsaß-Lothringen ist so intensiv wie in keinem deutschen Bundesstaate.Die Kommission wollte zunächst sogar den ganzen Weinbau in derUmgebung von Metz vernichten. Aber aus sozialpolitischen Gründenmußte man davon absehen, weil die dortige Bevölkerung Haupt-sächlich vom Weinbau lebt. Deshalb kam man zu dem Auswege der10 Kilometerzone. Die am Weinbau interessierten Bundesstaatensind einstimmig dazu gekommen, diese Sicherhcitsmaßregel zu er-greifen.Hiermit schließt die Debatte über die einmaligen Ausgabendes ordentlichen Etats.Die Resolution Dr. Jäger(Z.)— B aumann(Z.) undGenossen betreffend Einsetzung von hauptamtlichen Kontrollbeamtenfür die Wcinproduktion wird mit großer Mehrheit angenommen,während die Resolution Dr. Burckhardt(Wirt. Vg.)— Dr.Dahlem(Z.) und Genossen betreffend bleihaltige Bierkrugdeckclabgelehnt wird.ES folgen die außerordentlichen einmaligen Ausgaben.Als Titel 1 werden zur Förderung der Herstellung geeigneterKleinwohnungen 2 143 000 M. gefordert, um Darlehen anPrivate und gemeinnützige Genossenschaften zu gewähren.Abg. Günther(natl.) bestreitet, daß die Reichsgelder, die fürdiese Zweck« ausgesetzt werden, immer in der geeigneten Weiseausgegeben würden. Daher fühlen sich die Hausbesitzer in ihre»Joteressrn geschädigt.(Beifall rechts und bei den Nationalliberalen.)Regierungskommissar Geheimrat Grimm: Wir bemühen uns,von Fall zu Fall auf Grund möglichst eingehender Erkundigungenüber die Gewährung von Darlehen zu entscheiden.Abg. Dr. Jäger(Z.)(Auf der Tribüne unverständlich) ver»breitet sich über das ganze Gebiet der Wohnungsfürsorge.Hiermit schließt die Debatte. Der Titel und damit das Kapitelwird bewilligt.Die Petitionen zum Etat deS ReichSamts de? Innernwerden als erledigt erklärt.Die Einnahmen werden ohne Debatte bewilligt. Damit ist derEtat des ReichsamtS des Innern in zweiter Lesungerledigt.Der Etat des Rechnungshofes wird ohne Debatte an-genommen.Es folgt derEtat deS Reichsjustizamtes.Beim Titel„Staatssekretär" fragtAbg. Basscrmann(natl.), wie weit die Vorarbeiten des Gesetzeszum Schutze der Bauhandwerker gediehen sind, und berichtet überdie Reichstagsverhandlungen über diese Frage vom 22. Januar1596. Die Frage ist jetzt spruchreif. Es ist bekannt, wie oft dieBauhandwerker»hre Ansprüche dadurch verlieren, daß beim Konkursder gesamte Ertrag durch die vorhandenen Hypotheken absorbiertwird, so daß an Melen modernen Bauten die Tränen geschädigterHandwerker kleben.— Weiter ist im Landtag der Ruf nach einerneuen Lex Heinze erhoben worden. Ich möchte dem dringendwiderraten. Die Vorgänge bei der alten Lex Heinze verlockennicht, mit dieser Materie wieder an den Reichstag zu kommen. ESist nicht zu leugnen, daß Ausschreitungen auf diesem Gebiet vor»kommen. besönderS einzelne Witzblätter täten gut, ihr Geschäfts-gebahren zu revidieren. Ich meine aber, daß die bestehenden Ge.setze ausreichen, und auch der preußische Jusrizministcr Beselerhat sich auf diesen Standpunkt gestellt. Leider sind einige Schwur»gerichte zu Entscheidungen aus diesem Gebiete gekommen, diemeiner Ansicht nach nicht geeignet sind, dem objektiven Recht Geltungzu verschaffen. Wie man dazu kommen kann, zur Auslegung desBegriffs„unzüchtig" auch noch Sachverständige zu Rate zu ziehen.da steht mir der juristische Verstand still.(Heiterkeit.) DaS mußder Richter selbst entscheiden können.Die Strafprozeßordnung, vor allem aber auch das Zivilprozeß-verfahren sind sehr reformbedürftig. In weiten Kreisen des Volkesherrscht große Unzufriedenheit über die Dauer der Prozesse, überdie Umständlichkeit des Verfahrens und die dadurch entstehendenhohen Kosten. Eine großzügige Reform muß einsetzen mit einerErweiterung der Zuständigkeit der Amtsgerichte. Ein Mißstandist eS, wenn Richter mit Zeugenaufnahmen beauftragt werden, diemit dem Gang des Prozesses gar nicht vertraut sind. Auch dieserMißstand wird beseitigt werden können, wenn wir die Landgerichtevon den kleinen Prozessen befreien.— Gewerbegerichte und Kauf-mannSgerichte haben sich im ganzen bewährt. Auch Handwerkerwollen ein Standesgericht, wie eine hier vorliegende Petition beweift.Ich möchte den Handwerkergerichten nicht das Wort reden, wohlaber der Zuziehung von Handwerkern zu den Handelsgerichten.