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9t. i?. 28. mm i. DttlM des.Fsmiirts" Kerllüer DsIdsdlM MAmmm im m mi imi mmb�mwi aaMin iwiniiiwiaaMM h»h Reichstag  . 52. Sitzung vom Sonnabend, den 24. Februar, nachmittags 1 Uhr. Am Bundesratstische: Dr. Rieb er ding. Die zweite Lesung de-Z R e i ch S j u st i z e t a t s wird fortgesetzt. Abg. Dove sfrs. Vg.): Daß die Regierung die Reform des Zivilprozesses zuerst bei den Amtsgerichten beginnen und erst all- mählich von unten nach oben damit fortschreiten will, billigen meine politischen Freunde. Die Reform des Strafprozesses kann nach unserem Dafürhalten nur in d e r Weise vollzogen iverden, daß die Berufung eingeführt und das Laienelement in stärkerem Maße herangezogen wird. Auch wir werden für die Resolution Ablaß   stimmen, da wir die Aus- dehnung der Zuständigkeit der Schwurgerichte auf Preßdelikte dringend wünschen. Daß unsere Rechtspflege im allgemeinen eine Klassenjustiz sei, können wir durchaus nicht zugeben. Ich erinnere an die Haftpflicht- Prozesse, in denen auf die wirtschaftlich Schwachen besondere Rücksicht genommen wurde. Anders ist es freilich, wo politische Dinge iu Frage kommen. Die Presse fällt dann oft politischen Bornrteilrn zum Opfer. Als in den 99 Tagen eine gewisse Presse den damaligen Kaiser und die Kaiserin mit Schmähungen überhäufte und als ein freisinniges Blatt diese Schmähungen tiefer hängte und dagegen protestierte, da wurde nicht das Schmähblatt, sondern dieses frei- sinnige Blatt verurteilt.(Hört! hört! links.) Wir fordern, daß auch in Norddeutschland der Presse das Privileg gewährt wird, von Schwurgerichten abgeurteilt zu werden.(Beifall links.) Staatssekretär Dr. Nicbcrdiug: Nach den Beschlüssen der Strafprozeßkommisfion sollen an die Stelle der Schwurgerichte große Schöffengerichte treten. Aber auch die Strafkammern werden in ihrer bisherigen Art nicht beibehalten werden. Es werden an ihre Stelle Gerichte treten, bei deren Urteils- sprechuna in sehr erheblichem Umfange auch Laien mitwirken. Auch das muß bei der Beurteilung des Antrages Ablaß lvohl ertvogen werden. In der Behandlung der Preßsachen wird also eine sehr erhebliche Aenderung vorgenommen, wenn die Beschlüsse der Strafprozeßkommission Zustimmung finden. Im übrigen kann ich eS nur lebhaft bedauern, daß der Abg. Dove im Namen seiner Partei dem Antrage Ablaß   zugestimmt hat. Würde dieser Antrag eine Mehrheit finden der Art, daß wir damit rechnen müssen, daß auch weiterhin die Mehrheit des Hauses an der Grundauffassung des Antrages festhält, so würde ich aar keinen Anstand nehmen, den verbündeten Regieruirgen zu empfehlen, von der Reforn, der Strafprozeßordnung Abstand zu nehmen.(Unruhe links.) Wenn die verbündeten Regierungen einen Gesetzentwurf beziiglich des Schutzes der Bauhandwerker dem Hause zugehen lassen, so haben sie damit keineswegs alle Bedenken fallen lassen, die einer solchen gesetzlichen Regelung entgegenstehen. Es liegt die Frage so: ist der Zustand günstiger unter der Gesetzgebung, die wir jetzt haben, oder nach Maßgabe des Gesetzentwurfs, den wir m Aussicht genommen haben? Zur Beurteilung des Gesetzentwurfs wird noch genug Gelegenheit geboten werden. Der Abg. Dove hat dann gefragt, wie sich das Gesetz über die Entlastung des Reichsgerichts bewährt hat. Zurzeit ist ern abschließendes Ur- teil noch nicht zu treffen. Das Gesetz ist ja erst im Laufe des Sommers in Kraft getreten und nach dem Ablauf der Gcrichtsferien «virkfam geworden. Die praktische Wirkung wird sich also erst in diesem Jahr zeigen. Ich möchte aber doch betonen, daß die Wirkung des Entwurfs, soweit sie sich übersehen läßt, eine überaus giinstige zu werden verspricht. Es ist eine nennens­werte Erleichterung beim Reichsgericht eingetreten; auch in der Behandlung der Revisionen ist ein erheblicher Fortschritt festzustellen. Abg. Stadthage»(Soz.): Die Justiz hat hie Aufgabe, die Ruhe und Ordnung innerhalb der bestehenden Gesellschaft auftechtzuerhalten. Bei allen Versuchen, die Justiz zur Waffe im Kampfe gegen eine bestimmte Klasse zu verwenden, muß die persönliche Fretheit, die Ehre, das Eigentum des einzelnen mit untergraben werden, müssen sich die Folgen des Mißbrauches gegen die Klaffe selbst richten, die ihn treibt.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Wenn sie das dann»nerkt, dann sucht sie äußerlich an der Strafprozeßordnung herunizu- kurieren. Eigentum, persönliche Freihett und Arbeitskraft sollten als die Grundlagen der herrschenden Gesellschaft von ihr geschützt werden. Aber noch niemals waren sie so im Zustand der Unsicherheit wie jetzt. Die wirklichen Verbrecher könnet, nicht gefaßt werden, nicht wegen des bösen Willens des einzelnen, sondern wegen der ganzen bestehenden Gerichtsorganisation. Sie könnten uns zurufen: Ihr seid ja gar nicht der Ansicht, daß Gerechtigkeit geübt werden soll! Ihr wollt ja Klassenjustiz I Doch ginge es viel zu weit, die Richter als bewußte Elemente der Klassenjustiz anzusehen. Nein, in dem unbewußten Dienst der Klassenjustiz, in dem sie stehen, muß, da sie aus den herrschenden Klaffen hervorgehen, ihre Unabhängigkeit schwinden und damit auch ihr Vertrauen bet den herrschenden Klassen selbst. Konnte man früher noch von einem Rest des Vertrauens zun, Nichterstand reden, so muß man jetzt sagen: das Vertrauen ist ganz verschwunden! (Zustimmung bei den Sozialdemokraten. Unruhe und Zurufe rechts.) Daß die Richter selbst manchmal zu sich Vertrauen haben, kann ja noch vorkommen.(Heiterkeit.) DaZ Volk aber hat nicht mehr das mindeste Vertrauen darauf, daß die Richter nach Verfassung und Gerechtigkeit ohne Ansehen der Person ihres Amtes walten. Im Gegenteil, ohne Ansehen der Tat. lediglich nach Personen und Tendenzen wird gcurteilt. Die bürgerlichen Klassen suchen das böse Gewissen, die Furcht und den Schrecken, den s i e haben, in Schrecken gegen die arbeitenden Klassen auszutoben. Es ist ja Tagesgespräch, daß ein Mörder niHt gefunden werden kann. Das ist nicht Zufall. Es ist bezeichnend für den Verfall der bürgerlichen Justiz, der eintreten muß, wenn sie sich von ihren eigentlichen Aufgaben abwendet.(Sehr wahr! bei den Soz.) Der Hennig war ein vielfach vorbestrafter Mann, der schließlich einen armen Kellner beschwindelt, beraubt und ermordet hat. Zunächst waren die Staatsbehörden garnicht in der Lage, zu entdecken, daß überhavr�- von den Verwandten behauptete Mord vorliegt. Wir waren schon ganz zufrieden, als sie endlich das Vorliegen eines Mordes feststellten.(Heiterkeit.) Nun beginnt man auf den Mörder zu fahnden. Er wird der Polizei namhaft gemacht. Aber er ist anständig gekleidet, nicht Arbeiter, nicht Redakteur eines Arbeiterblottes,(Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.) trägt einen noblen Zylinderhut, wird also mit allen Reverenzen be- handelt, und es gelingt ihm leicht, aus dem Gewahrsam zu ent- kommen. Vergleichen Sie damit, wie in demselben Bezirk gegen arme ehrliche Leute vorgegangen wird. Ein armer Teufel geht heraus nach derBlanken Hölle", um frische Luft zu schnappen. Ihn saßt sofort die Polizei als vermeintlichen Verbrecher,(Heiterkeit bei den Sozialdemokraten.) mißhandelt ihn, und weil er es öffentlich mitteilt, wird er noch obendrein wegen Beleidigung bestraft.(Hört! hört! links.) So untergräbt die Justiz, iocnn sie ihre wirkliche Aus- gäbe vergißt, die Sicherheil der bürgerlichen Gesellschaft. Erst jüngst hat sich die Regierung hier für ohnmächtig erklärt, die Kassen- schwindler zu fassen, die man ihr mit Händen zeigt. Ueber der Jagd nach kleinen Leuten ist es der Justiz unmöglich ge­worden. Schwindler. Dieb« und Betrüger zu fassen.(Sehr gut l bei den Sozialdemokraten.) Und die neue Strafprozeßreform soll die letzten Garantien einer einigermaßen unparteiischen Rechts- pflege nehmen und sie ganz zum Instrument der herrschenden Klaffen umgestalten. In der Dunkelkammer einer Kommission hat man den Plan auSgesonnen. Nicht ein einziger Vertreter der arbeitenden Klassen, sondern lediglich und ausschließlich Juristen, die dem praktischen Leben völlig fern standen, konnten diesen Entwurf ausarbeiten.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Nach Artikel 1 der Reichsverfaffmtg schließen die deutschen   Fürsten   einen ewigen Bund zum Schutze des innerhalb desselben gültigen Rechts und der Wohlfahrt des deutschen   Volke?. In den Tatsachen sehen wir das Gegenteil erreicht. lieber die Klassenjustiz kamt kein Zweifel mehr sein, seitdem der preußische Jtistizmiuister im Abgcorduetenhause die Zumutung, auf die Richter einzuwirken, gegen eine bestimmte Klasse vorzugehen, nicht mit Entrüstung zurückgewiesen, sondern versprochen hat, daß gegen die Sozialdemokraten a l§ Sozialdemokraten besonders scharf vorgegangen lverden solle! Nie in der schlimmsten Reaktionsperiode sind die Richter so tief herabgesetzt worden(Lebhafte Zustimmung bei den Sozioldemokraten), nie hätten selbst Lippe, Kninptz und Schinaltz mit dieser Offenheit erklärt, daß die Richter dazu da seien, einem poltlische» Zweck, einer Tendenz zu dienen. Schon der vorige Juslizminister Schönstedt   hatte mit dem Grundsatz:Wenn zwei dasselbe tun, so ist das nicht dasselbe", die Ungerechtigkeit zum obersten Prinzip der heutigen Justiz erhoben. Seitdem hat eine Reihe von Urteilen klipp und klar atlsgesprochen, daß sich die Justiz nicht mehr als Richterin, sondern als Rächerin fühlt, und damit ist sie schlimmer geworden als der Henker, der Scharfrichter.(Zustimmuiig bei den Sozialdemokraten.) Da darf es uns nicht wundern, daß gegen alle Bestrebungen zugttitsten der Arbeiterklaffe und des Fortschritts die Justiz mobil gemacht wird. Die Justiz hätte die Aufgabe, das Koalitiouörecht zu schützen. Sie hat es beinahe vernichtet.(Vielfaches Sehr wahr! bei den Sozial- ventokraten.) Das gesetzlich garantierte Streikpostensteheii hat sie unmöglich gemacht. Das höchste preußische Gericht. daS Kammer­gericht, hat sich dem Schutzmann als höchste Autorität unter- geordnet. Nur er ist befugt, darüber zu entscheiden, ob die Ruhe und Ordnung gestört worden ist, die öffentliche Sicherheit gefährdet war. Verneint aber ein Schutzmann einmal diese Frage vor Gericht, wie jüngst, so fährt ihn der Vorsitzende in dem bekannten liebenswürdigen Tone an:Wieso beurteilen Sie das so ganz anders als Ihr Vor- gesetzter?"(Hört, hört! bei den Sozialdemokraten). Vielfach haben vor Gericht Hauptleute, Leutnants und Schutzleute ausgesagt, daß stets jeder weggewiesen werden sollte, der von dem gesetzlich garan- tierten Rechte des Streikpostenstehens Gebrauch macht. Aber anstatt die Staatsbeamten und Richter wegen Rechtsbruchs anzuklagen, hat man über die für Freiheit, Gleichheit und Wahrheit kämpfenden Arbeiter die höchsten Strafen verhängt, einfach, weil sie Arbeiter und nicht ivohlhabend sind.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten). Ein ideologischer bürgerlicher Redakteur ging ja einmal während eines Streiks in der Kochstraße ruhig auf und ab. Er wurde fortgewiesen und bestraft. Es ist ja auch tiner- hört, wenn sich ein gebildeter Mann davon überzeugeit will, ob uit- gesetzlich gegen Arbetter vorgegangen wird. Der Redakteur ist also dafür bestraft worden, weil er Zweifel in unsere Angaben gesetzt hat. (Heiterkeit bei den Sozialdemokraten.) Wenn es der Raubmörder Hennig wäre den hätte man stehen lassen, der steht nicht Streik- Posten.(Große Heiterkeit links.) Eine ganze Reihe von Arbeits  - willigen, von denniitzlichsteit Elementen", sind ja ehemalige Zucht- Häusler. Wie in Rußland   sich der Zarismus auf die ehemaligen Verbrecher, die Hooligans, die schwarzen Banden stützt, so sind ja auch in Deutschland   Spitzbuben und Betrüger die Stützen der Gesell- schaft.(Sehr loahr! bei den Sozialdemokraten.) In der Auslegung der KZ 1S2 und 1ö3 der Gewerbeordnung ist die Rechtsprechung so weit gegangen, daß jede Ausübung des Koalitionsrechts bestraft wird. Wenn die Arbetter, tun das ihnen aus einem Tarifverträge zu- stehende Recht zu erlangen, mit dem gesetzlichen Mittel des Streiks drohen, so werden sie wegen Erpreffung bestrast. So ist der Vertragsbruch, über den Sie zetern, die Grundlage Ihrer Gesellschaft geworden.(Sehr wahr I bei den Sozialdemokraten. Unruhe rechts.) Die tendenziöse Willkür erreicht ihren höchsten Triumph in dem Ausspruch des Reichsgerichts:Das Koalitionsrecht ist nur ein strafrechtliches Privilegium."(Bielfaches Hört! hört! links.) Wer von diesem Standpunkt ausgeht, muß allerdings zu der Auslegung kommen, den Vertragsbrecher zu schützen, aber die Arbeiter, die auf Jnnehaltung des Vertrages drängen, zu bestrafen, weil sie Arbeiter sind. Oder ist je ein Bürgerlicher be- straft worden, weil er verlangt hat, es sollten Gesetz und Vertrag innegehalten werden?(Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.) Es ist uns auch niemals eingefallen, zu behaupten, daß die bestehenden Geschworenengerichte keine Klassengerichte feien. Sind sie doch aus siebenmal durchgesiebten Angehörigen der herrschenden Klaffe ge- bildet, um ausschließlich deren Jntereffen wahrzunehmen.(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Da darf sich der Abg. Basser- mann nicht wundern, wenn in Altona   vorn Schwurgericht vier Angehörige der befitzenden Klasse nicht verurteilt worden sind, weil sie ja nur eine Arbeiterin vergewaltigt hatten. Wenn aber der Abg. Bassermann über diesen Altonaer   Fall so denkt, wie beurteilt er es dann, daß die Redakteure bestrast worden sind, weil sie in etwas krasserer Weise, als es der Abg. Baffer- mann selbst getan hat, diesen Fall zur Sprache gebracht haben? Und diese Verurteilung geschah vor einer Strafkammer, also durch gelehrte Richter.(Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Ueber das vergewaltigte Mädchen urteilte ein Anwalt in Düsseldorf  , der sich zur Zentrumspartei   rechnet, abfällig: eS sei ja ein uneheliches Kind, also ein Kind der Sünde l(Hort I hört I bei den Sozial« demokraten.) Kommen irgendwo Unruhen vor, so wird sofort meine politische Partei dafür verantwortlich gemacht. ES heißt einfach: Wo Tumulte sind, da ist die Sozialdemokratie! Viel richtiger wäre es zu sagen: Wo Tumulte sind, da ist die Polizei I Oder noch besser: Wo die Polizei ist, da sind die Tumulte! �Heiterkeit und Beifall bei den Sozialdernokr..) Die Göttin der Gerechtigkeit scheint in Deutschland   zwei Wagen zu handhaben, die eine, um die Rechte der Großen recht schwer zu befinden, und die andere, um die Rechte der Armen recht leicht zu erachten. Rein politische Tendenzprozesse entstanden in Menge, als der Justizminister Preußens einen dah inzielenden Wink gab. In Breslau   lautete das Urteil gegen meinen Freund Läbe auf ein Jahr Gefängnis, weil er als verantwortlicher Redakteur einen Artikel verantwortlich gezeichnet hatte, in dem in der ruhigsten Weife zum Kampf für das allgemeine, gleiche. direkte und geheime Wahlrecht aufgefordert wurde. In diesem Urteil ist es direkt ausgesprochen, daß der Richter Rächer sein müsse, Rächer dafür, daß im Nachbarlande Plünderungen vorgekommen sind. Es wird nicht auf die Sache, sondern auf die Tendenz Rücksicht genommen.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten). Früher hat daS Kammergericht erkannt, der Richter muffe immer nur die Handlungen, nicht vie politische Tendenz beachten. Jetzt ist eS gerade umgekehrt. Aus solchen Urteilen spricht das böse Gewissen der bürgerlichen Gesellschaft.(Lebhafter Beifall bei den Sozialdemokraten.) Urteile werden heute schon bor der Verhandlung gemacht.(Zuruf recht« I Beweise!) Ich sage nie etwas, was ich nicht beweisen kann.(Lachen rechts.) Nennen Sie mir einen Fall, in dem ich meine Behauptungen nicht bewiesen hätte. Mit der Logik: der Angeklagte wollte nicht zur Gewalt auf- reizen, aber es s e i e n verschiedene Klassen zur Gewalttätigkeit auf- gereizt, hat sich auch da« Reichsgericht befreundet. Es hat dieS in das Gebiet dertatsächlichen Feststellung" verschoben. In den Artikeln derLeipziger BolkSzeitung", die unter Anklage gestellt worden sind, steht doch aber das WortKlaffeiikamps". So ein Staats- anwalt hat vomKampf" feit der Mtlitärzeit noch nichts gehört. Er weiß nicht, daß er bei einem Spaziergang durch Leipzig   am hellen Tage mitten durch den Älassenkampf geht, daß noch kein der- ständiger Mann ohne juristischen Verstand(Heiterkeit.) Klaffenkampf je anders denn als geistigen und wirischaft» lichen Kampf aufgefaßt hat. Der Angeklagte schlägt vor: uns feindliche, aber sachverständige Männer zu hören. Das Gericht aber lehnte ab die Herren zu vernehmen, und nun wird ans dein Artikel etwas herausgedrechselt, was nicht drin stand und ivas ein Arbeiter nie hätte herauslesen können. Der Ober- staatsanivalt Böhme, der ein besonderer Freund der Nationalliberalen ist, bezeichnete in einem früheren Prozeß einen Angeklagten, meinen verstorbenen Freund, den ReichStagSabgeordneteu Schmidt, als einen gewohnheitSuiüßigen Verleumder, so daß der Rechtsanwalt, als das Gericht den Schutz gegen solche staatsanwaltlichen Beleidigungen ab- lehnte, erklärte: lvenn cS im Saals einen gewohnheits­mäßigen Berleumder gebe, so sei eS der, der dein An- geklagten gegenüberstände! Dieser selbe Staatsanwalt, der dieLeipziger VolkSzeitung" besonders im Magen zu haben scheint, tveil sie immer die Wahrheit sagt(Lachen rechts), fungierte auch in diesem Prozesse. Das Resultat war dementsprechend: sechs Monate für jeden Artikel und dann etwa? Rabattnachlaß.(Heiterkett.) Die brutale Macht der herrschenden Klassen zeigte sich auch darin, daß man im Urteil dem Angeklagten vorwarf, für den Fortschritt gekämpft zu haben. Dann müßten ja sehr viele der Mitglieder dieseS Hauses, auch außerhalb meiner Fraktton, bestraft werden, wenn der Fortschrittskampf strafbar ist. Alle Ihre Vorfahren müßten dann noch im Grabe bestraft lverden. weil sie die herrschende feudale Klasse beunruhigt haben. Und ebenso alle, die jemals für einen Kultnrfortschritt eingetreten sind, weil die Annahme besteht, daß alle herrschenden Klassen so brutal und ge- ivalttätig sind, daß sie dagegen zur Gewalt greifen. Eine tiefere Veriirteiliing der Schreckenslirteile, die Angst und böses Gewissen den herrschenden Klassen eingegeben haben, kann eS gar nicht geben. (Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten.) Aber glauben Sie nickt, mit solchen Brutalisierungen und Drangsalierungen den Fortschritt der Sozialdemokratie aushalten zu können. Der Staats- anwalt Böhme hat seine Stellung zu niederträchtigen Schmähungen von Leuten mißbraucht, die außerhalb des Gerichtssaales standen... Präsident Graf Baileftrem: Ich habe Sie bisher ruhig weiter- sprechen lassen, weil Ihre Ansfiihrungen allgemeine Sachen betrafen. Jetzt aber haben Sie einen hochgestellten Justizbeamten beschimpft, und wegen Beleidigung des Oberstaatsanwalts Böhme rufe ich Sie zur Ordnung.(Bravo  ! rechts.) Abg. Stadthagcn(fortfahrend): Wenn ein Arbeiter sagte, der Staatsanwalt, der Oberstaatsanwalt, der Justizminister halten sich im Hintergründe, wie der Oberstaatsanwalt Böhme von den ihm unbekannten Redakteuren derLeipziger VolkSzeitmilj" gesagt hat, ein Jahr Gefängnis wegen Beleidigung wäre das mindeste.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Aber beim Oberstaatsanwalt ist das: berechtigte Ausübung seines Amtes. Diese ganze Beschimpfung durch den Staatsanwalt sollte nur bei den Richtern die politische Gegnerschaft gegen die Tendenz des Angeklagten Ivachrusen. Nicht weil der Angeklagte der und der Tat schuldig war, bat der Ober- staatSanwalt um eine hohe Strafe, sondern weil die Partei des An- geklagten die Anfrichiiakeit besitzt, alle die zu brandmarken, die unter dem Scheine der Gerechtigkeit Ungerechtigkeiten verüben.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Aus der ganzen Art der Jagd, die überall auf unsere Flugblätter gemacht wurde, geht deutlich hervor, daß man nicht eine strafbare Handlung verfolgen, sondern nach der Erklärung de? preußischen Justizministers Sozialdemokraten verfolgen wollte, weil sie Sozialdemokraten sind. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Erst beinächtigte man sich der Flugblätter und nachher suchte man die strafbare Handlung zu konstruieren. Da Ivurde von dem einen Gericht Anklage erhoben wegen Aufteizung, von dem anderen wegen Beleidigung, von einem dritten wegen Verächtlichmachung von StaatSeinrichtungen, von dem vierten wegen Aufforderung zum Ungehorsam gegen die Gesetze, von dem fünften wegen Hochverrats, während dieses Flugblatt überall dasselbe war«Große Heiterkeit bei den Sozialdemokraten) und sich streng im Rahmen der Gesetzlichkeit hielt. Die bürger- lichen Politiker aber glaubten wie kleine Kinder an die Schreck- gespenster, die ihnen in allerlei Ammenmärchen vorerzählt wurden, Bei dem Prozeß, bei dem es sich um Verbreitung eines dieser sozialdemokratischen Flugblätter handelte, wurde all der Unsinn, all das Tendenziöse, das je in den Veröffentlichungen des Reichs- Verbandes zur Vckmnpfung der Sozialdemokratie gestanden hat, all das, was von Spitzeln und Dummköpfen je geschrieben wurde, vom Staatsanwalt vorgebracht, trotzdem der Anwalt mit Recht erklärte, daß nicht die Sozialdemokratie, sondern ein einzelner Mensch wegen n bestimmter Handlungen auf der Anllagebaul sitze. Das cht erklärte, ein Staatsanwalt dürfe das alles. Schließlich siegte aber doch derjuristische Verstand" des Gerichts. Der Angeklagte wurde freigesprochen, weil kein Atom des zum ß 139 gehörigen Tatbestandes darin zu finden war. Dasselbe Flugblatt kommt' vor ein anderes Gericht in Stargard  . Hier wird vom Gericht anerkannt, daß die betreffenden Austräger des Flugblattes dieses überhaupt gar nicht gelesen und daß die übrigen Gerichte diesen Umstand ganz übersehen haben. Trotzdem erfolyt Ver- urteilnng.(Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Die Ver- urteilung geschah eben einfach, loeil man gegen die Sozialdemokratie gerichtlich kämpfen zu müssen glaubt.(Sehr wahr! b. d. Soziald.) Vor länger als 199 Jahren schrieb ein preußischer König:Es muß nach der Gerechtigkeit geurteilt werden, ohne alles Ansehen der Person." Jetzt geschieht gerade das Gegenteil: Man urteilt ohne alles Ansehen der Sache, lediglich nach der Person.(Sehr wahr! bei den Sozialdcmolraten.) Ans den preußischen Land- gerichten heraus schallt es: Wir verurteilen wegen der Tendenz! Das ist der Fortschritt, den Sie mit Ihrer bürger- lichen Gesellschaft gemacht haben. Besonders Vorurteils- voll ist man gegen die Redakteure von Arbeitcrblättern. Ich glaube, alle Parteien dieses Hauses, auch die der Rechten, sind darin einig, daß der Zeugniszwang dazu dient, den Redatteur zu einer Unehren- haften, unanständigen Handlung zu zwingen. Wieder kann ich an das Wort eines preußischen Königs erinnern. In der Kabinetts- order vom 29. Februar 1894 verordnete König Friedrich Wilhelm   III.: In dem Kampf gegen die Pflichtlvidrigkeitcit und den bösen Willen der unteren Behörden ist die Presse nach Möglichkeit zu unterstützen." (Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Das Reichsgericht aber hat in einem Prozeß, in dem man es auf diese KabinettSorder aus- merksam machte, erklärt, es kenne diese KabinettSorder nicht.(Hört! hört! links.) Jetzt handeln die Gerichte nach dem Grundsätze: Wenn die Presse Schandtaten aufdeckt, so macht sie sich dieser Schandtaten schuldig! Als ein Blatt daS Verfahren eines Gemeindevorstehers alsskandalöse Weise" bezeichnet hatte, wurde es zunächst zwar freigesprochen, weil dem Gemeindevorsteher nach- gewiesen wurde, daß er sich nicht richtig benommen hatte. Das Reichsgericht aber hob dieses Urteil auf! Das heißt doch in der Tat. den Missetäter gegen die Presse in Schutz nehmen. In kurzer Zeit hintereinander sind eine Reihe von Zeugnis- zwangsverfahren gegen die Presse vorgekommen. So wird also ein Zivang ausgeübt, damit jemand eine ehrlose, unanständige Handlung begeht.(Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Dabei behaupten die Herren der Rechten immer, es gebe keine Klassenjustiz. Ein Justizkollegium, das sich dazu hergibt, zu einer ruppigen, ehrlosen. gemeinen und unanständigen Handlung zu zwingen, soll kein Klaffen- kollegium sein? Von meinem Fraktionsgeuosseit Hofmann verlangt man sogar, daß er angeben soll, wer ihm die Mitteilungen gemacht hat, die er im Parlament verwandt hat.(Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Das ist ja alles erklärlich, wenn man daran denkt, daß wir vor einiger Zeit vom preußischen Kriegsminister da» Geständnis gehört haben, daß es notwendig ist, Verbrechen, Duell- morde zu begehen. Hier werden also Strafen verhängt, weil man keine gemeine Handlung begeht. Den Redakteur derMärkischen Volksstimme" Perner hat man verhaftet. Jetzt hat man ihn gegen Stellung einer Kaution freigelassen. Was geschieht? Da werden die Setzer verhaftet Z Und von diese» wird verlangt, daß sie die Ge-