Einzelbild herunterladen
 

Pastor Dr. Pfannkuche, der als Vorkämpfer der oolkstüm- lichen Bibliothekspewegung in Teutschland bekannt ist, verwarf den Ketzerparagraphcn schlechtweg. Wenigstens solle man aber die protestantische Kirche von dessen Schutz ausschließen. Land- r i ch t e r D r. S t r u V e, der denselben Gegenstand vom juristischen Standpunkt aus behandelte, meinte, der Schutz Gottes dürfe un- bedenklich Gott selber überlassen bleiben. Bekanntlich hat gelegent- lich des jüngsten Evangelisch-sozialen Kongresses zu Hannover auch dieVereinigung der Freunde der chri st lichen Welt" für die Streichung des Z 166 plädiert, und zwar aus An- laß des Prozesses gegen unseren Genossen W e st m e y e r, der wegen einer im HannoverschenVolkswillen" begangenen Lästerung" zu 2 Monaten Gefängnis verurteilt worden war. Den Anlaß zu dem jetzigen kirchlich-liberalen Vorstoß gegen das mittel- altcrliche Ketzerrecht hat der Prozeß gegen den Militär- vsarrer Bach st ein abgegeben, der in einer zu Osnabrück ge- haltenen Rede den Herrgott von der anderen Fakultät gelästert haben soll und sich darum jetzt vor dem Reichsmilitärgericht ver- antworten mutz._ In Gnaden entlassen� ist am Sonnabend der Landtag des Grotzherzogtums Sachsen- Weimar . TerGetreue" wird erst wieder zusammen berufen, wenn der Grotzherzog aus Indien zurückgekehrt ist, um dann die übriggebliebenen Arbeiten zu erledigen. An die stelle des landcsfürstlichcn Dankes für die treu- geleistete Arbeit trat diesmal der Tank des StaatSministeriums, das jetzt die Verwaltung der Regierungsgcschäfte allein besorgt. Daß das Staatsministerium in der Versicherung seineraus- gezeichnetesten Hochachtung" gegenüber dem getreuen Landtage nicht erschüttert worden ist, dafür hat derGetreue" auch in der letzten Tagungsperiode gesorgt. Die Flickerei am Wahlgesetz ist wünsch- gemäß vollzogen und auch sonst war derGetreue" immer bemüht, den Wünschen der Krone und den allgemeinen Staatsinteresscn Rechnung zu tragen. Daß natürlich die Regierung in den all- gemeinen Staatsinteressen gerade das Gegenteil von dem erblickt, was die Mehrheit des Volkes will, das liegt an der von den Sozial- dcmokratcn geschaffenen Unzufriedenheit. so sagt nämlich die Regierung._ Gtwas für nnsere Diplomaten. TieKrcuzzeitung" bespricht die Pläne Amerikas , die beiden Negerrcpubliken San Domingo und Haiti unter die Herr- schaft der Union zu bringen. Die erste Etappe zu diesem Plan sei der San Domingo -Vertrag, durch den diese Republik zwar nicht formell annektiert, aber doch in Wirklichkeit durch die völlige Finanz-, Zoll- und Polizeikontrolle der Macht der Vereinigten Staaten vollständig ausgeliefert werde. Dieser Vertrag sei zwar im vorigen Jahre nicht zur Annahme gelangt, doch sei es nicht un- Ivahrscheinlich, daß sich in diesem Jahrr die Zweidrittelmehrheit für denselben finden werde. Gehe der Vertrag durch, so werde auch Haiti für die Suprematie der Union reif geworden sein. Den beiden Negerrcpubliken steht also dasselbe Schicksal bevor, das Frankreich Marokko zugedacht hatte. Da Fürst Bülow ja erklärt hat, daß Teutschland nicht dulden könne, daß ein noch freier Staat von einer anderen Macht annektiert werde, so läge für ihn alle Veranlassung vor, sich auch gegen die Pläne Roosevelts zu wende n. Die deutschen Handelsinteressen sind in den beiden Ncgcrrepublikcn jedenfalls beträchtlich größer als in Marokko , beträgt doch die deutsche Ausfuhr allein nach Haiti zirka 6 Millionen Mark, also fast doppelt so viel als die deutsche Ausfuhr nach Marokko ! Es ist daher anzunehmen, daß sich unser Welt- politischer Kanzler die günstige Gelegenheit nicht entgehen lassen wird, in dieser konfliktsarmen Zeit einen kleinen imperialistischen Handel mit Amerika anzuzetteln! Das saaradischr System. Nach dem Prozeß Hilger-Krämer war man in verschiedenen Kreisen optimistisch genug, anzunehmen, daß die Bergbehörde und die Hüttenverwaltungen aus ihm die Lehre ziehen würden, den Berg- und Hüttenarbeitern in der Ausübung ihrer staatsbürger- lichen Rechte weniger Hindernisse als bisher in den Weg zu legen. Man glaubte um so mehr daran, als kurze Zeit nach dem Prozeß der"Geheinirat Hilger, in dem man den Träger des Systems erblickte, gegangen worden ist und dieses Aus- scheiden ebenfalls als ein gutes Omen für die Zukunft betrachtete. Ein weiteres Moment, das wieveränderte Verhält- nisse" aussah, war die Aufhebung des Verbotes, wonach die Das- bachprcsse in den Schlashäusern und dein Bergfiskus gehörigen Diensträiimen nicht aufliegen und gelesen werden durfte. Von diesem Zeitpunkte an streckten auch die christlichen Gewerk- schaften und katholischen Fachabteilungen ihre Fühler aus. Erst schüchtern und schämig und als keine Verbote und Maßregelungen kamen, wagte man sich schon etwas Vdeiter vor. Wie naiv diese Leute sind, beweist, daß man in diesem Stadium der Verhältnisse von einemvölligen Zusammenbruch" des saarabischen Systems in den Versammlungen faselte. Sie bewiesen damit nur, daß sie das saarabische System in seiner ganzen gefährlichen Tiefe nicht begriffen haben, wenn sie, als die Scharfmacher ein wenig die Zügel locker ließen, schon glaubten, im Lande der goldenen Freiheit zu wandeln. Diese Tatsache ist auch gleichzeitig charakteristisch für die Genügsamkeit dieser Sorte Bolksbeglücker. Die freien Gewerkschaften, in erster Linie der Melällarbeiter- und Berg- arbeiter-Verband, schätzten die Situation anders ein. Es war vorauszusehen, daß die Gruben- und Hüttengeioaltigen, ohne sich etwas zu vergeben, den ungefährlichen chri st lichen Gewerk- schaften schon etwas Spielraum einräumen würden, daß dies aber bei den freien Gewerkschaften nicht der Fall sei. Eine in Dudweiler , als Probe auf das Exeinpel angesetzte Ver- sammlung zeigte, wie richtig man kalkuliert hatte! Es erfolgte das Verbot des Versammlungsbesuches bei Strafe der Entlassung. So sieht das nach christlicher Auffassung zusammengebrochene" saarabische System aus I Wie auf den Gruben, wurde es natürlich auch in den Hüttenwerke» ge- halten. Dort wurde ein tadellos arbeitendes S p i o n a g e s Y st e m unterhalten, um Mitglieder des Deutschen Metallarbeiterverbandes oder Leser der.Saarwacht" zu erinitteln, die dann unbarniherzig ohne Einhaltung der Kündigungspflicht aufs Pflaster flogen. Dabei kam auch mancher heitere Zwischenfall vor. Wollte irgend ein Arbeiter den Staub Saarabiens ohne Kündigung von seinen Stiefeln schütteln, so hatte er nur nötig, unter den Augen seiner Vorgesetzten dieSaarwacht" zu verbreiten. Ehe eine Stunde verging, stand der Uebeltäter nach Auszahlung seines Lohnes vor dem Tore! Die Bergarbeiter üben eine größere Zurückhaltung der Arbeiter- bewegung gegenüber aus, da für sie neben ihrer Arbeit auch noch langjährige Ansprüche an die Knappschastslasse auf dem Spiele stehen. Nichtsdestoweniger dringt auch hier, dank der christ- lichen Vorarbeit, der Bergarbeiterverband immer weiter vor, und die Mitglieder, die unter den gegenwärtigen Verhältnissen gewonnen Ivcrden, können als die Pioniere für die Bcrgarbeiterbewegung betrachtet werden. So wurden von der GrubeDechen" kürzlich vier Mann entlassen, weil sie am 21. Januar in St. Johann an der Demonstralionsversammlung teilgenommen haben und durch aus- gestellte Spitzel denunziert wurden. Nach der Logik der Scharfmacher sollte man nach Lage der Umstände annehmen, daß dies Erempel abschreckend unter den Bergleuten wirken würde, aber das Gegen- teil ist der Fall, Die Maßregelungen haben zur Folge gehabt, daß eine ganze Anzahl Bergleute dein Verband beigetreten und die besten Aussickten für die Zukunft vorhanden sind. Ob mit oder ohne saarabischemSystem" macht die Bewegung an der Saar Fort- schritte, die durch die in Anwendung gebrachten Mittel dauernd nicht aufgehalten werden können._ Stadtverordnetenwahl in Kassel . Es wird unS geschrieben: In der zweitgrößten Stadt der Provinz Hessen-Nassau mit 125 000 Einwohnern fanden vom 21. bis 23. Februar Kommunal- Wahlen statt. Kassel ist ein rechtes Beamtennest. Beamte der Ober- postdirelhon, Eisenbahndirektion, Militär- und Justizbehörden stellen neben den zahllosen städtischen Angestellten tausende abhängiger Wähler für die dritte Klasse. Kein Wunder, daß es der organisierten Arbeiterschaft bisher nicht möglich war, ans eigener Kraft Mandate zu besetzen. An wiederholten Versuchen hat es im Laufe des letzten Jahr- zehnts nicht gefehlt. Einmal, im Jahre 1000, gelang es infolge Vereinbarung>nit dem Mieterverein, zwei Genossen in die zum großen Teil ans Regierungs-, Justiz-, Kommerzien- und anderen Räten bestehendeliberale" Stadtverordnetenversammlung zu ent- senden. Als das eine der beiden Mandate sich durch Verzug erledigte, hatte unser einziger Vertreter im wahrsten Sinne des Wortes die Rolle des Hechtes im Karpfenteich. Kassels Arbeiterschaft hatte im Laufe der Jahre einsehen ge- lernt, daß es höchste Zeit sei, durch die Wahl weiterer Arbeiterkandidaten die Wirksamkeit der soialdemokratischen Kritik zu erhöhen. Das Wort von der einen reaktionären Masse konnte heuer auf unsere Gegner angewendet werden. Alle Vereine und Klubs der Stadt, vom evangelischen Arbeiterverein bis zum Mieterverein, an dessen Spitze ein sich nationalsozial nennender Schulmeister steht, waren zumKampf gegen die sozialdemokratische Gefahr" aufgerufen. Mit wenig Hoffnungen, aber frohen Mutes zog die Sozial- demokratie in den Wahlkampf, der von den Reaktionäreil nach dem Rezept des Reichsverbandes in heimtückischer, verleumderischer Weise geführt wurde. Der Sozialdemokratie fehlte es nicht an durch- schlagendem Agitations Material. Das Maß der Sünden unserer Feinde war zum Ueberlanfen voll. Nicht allein, daß Kassels Stadtstiefväter die Geldsäcke der Reichsten dadurch schonen, daß sie ungeheure Summen zur Deckung des städtischen Bedarfs durch indirekte Lebensmittel st euern aufbringen lassen und Hunderttausende für sogenannte patriotische Zivecke nutzlos zum Fenster hinauswerfen, während die Großstadt Kassel eines Krankenhauses und eines Schwimmbades entbehrt, haben diese ihrer reaktionären Politik die Krone aufgesetzt, indem sie Tausenden von Arbeitern durch Sanktionierung einer willkürlichen fingierten Steuerveranlagung das Wahlrecht rauben halfen. Vor zwei Jahren fielen unsere Kandidaten mit 900 Stimmen durch. Diesesinal gelang es, mit durchschnittlich 1700 Stiminen vier unserer Kandidaten gegen- s e i t i g in Stichwahl zu bringen, wodurch uns auf sechs Jahre zwei Mandate gesichert sind. Die übrigen drei der fünf freigewordenen Mandate wurden durch die Mischmaschler mit 2100 Stimmen besetzt. Unsere Vertreter werden viel Arbeit vor- finden._ Rekruteuschinder. Das Kriegsgericht in Düsseldorf verurteilte die Kanoniere Franz Wax und Moritz Helle wegen schwerer Miß- Handlung von Rekruten zu 3 bezw. 2 Monate» Gefängnis. Der Gefreite H. Wüsthoff und der Ulan Johann Nauen vom 5. Ulanen- rcgiment erhielten wegen desselben Vergehens je drei Wochen Gefängnis. Auch ein Opfer der Polenpolitik. Wie dasHobensalzaer sJnowrazlawer) Tageblatt" mitteilt, wurde dieser Tage ein zwölf- jähriger Quartaner wegen Majestätsbeleidigung vom Gymnasium verwiesen I Der Missetäter kann, da er ja bereits das straf», ündige Alter erreicht hat, noch froh sein, daß er nicht auch noch gerichtlich zur Rechenschaft gezogen wird I /Zustand. Frankreich . Allerlei Sozialisten. Paris , 25. Februar. fEig. Ber.) In der Freitagsitzung der Kammer, in der nach Jaurss auch V a i l l a n t das Wort ergriffen hat, um das Mißtrauen der Sozialisten gegen das Ministerium zu erklären, haben die sozialistischen Abgeordneten dieser Meinung auch durch Verweigerung der geforderten Budgetzwölftcl Ausdruck gegeben. Aller- dings nicht alle. Unter den Deputierten, die sich der Abstimmung enthalten haben, finden wir auch Angehörige der geeinigten Partei: B r i a n d und Charpentier, Deputierte deS Loire -Departements, dessen sozialistische Föderation nach dem Kongreß in Chalon der vereinigten Partei beigetreten ist. Dieparlamentarischen" Sozialisten stimmten insgesamt für das Kabinet Rouvier. In der heutigenPetite Nspnblique" bespricht Görault-Richard die Taktik derparlamentarischen" Sozialisten im bevorstehenden Wahlkampf. Seine Parole ist: Der Block vor allem! Die parlamentarischen Sozialisten werden in allen Wahlkreisen, die bisherrepublikanische" Abgeordnete hatten, für deren Wiederwahl stimmen ohne Rücksicht auf ihre Parteistellung I Nur dort, wo kein Blockdeputierter in Frage kommt, wollen sie für die Sozialisten»ohne Unterschied der Schule" stimmen._ Taktische Fragen. Paris , 22. Februar.<Eig. Ber.) Die Beschlagnahme der antimilitaristischen Publikationen und die gerichtlichen Verfolgungen der Propagandisten dauern im ganzen Lande fort. Gestern hat das Zuchtpolizeigericht von Amiens den Verfasser einer für die Rekruten bestimmten Broschüre, Georges Baskien, einen jungen Mann von 20 Jahren, zu fünfzehn Monaten Gefängnis verurteilt. JuleS L e m a i r e, der ver- antwortliche Redakteur eines Blattes, das den Aufruf abgedruckt hatte, erhielt gar achtzehn Monate zuerkannt! Nach einer geheim durchgeführten Verhandlung hat das Pariser Appellgericht gestern die Beschwerde Gustav HervöS gegen seine Nichtzulassung zum Anwaltsstande abgewiesen. Dieses Er- kenntnis war zu erwarten. Der Generalprokurator B u l o t berief sich auf das Urteil der Geschworenen, das tzerve der Aufreizung zum Morde schuldig erkläre, und der Gerichtshof erkannte, daß Herve durch seine hartnäckige Propaganda gegen das Gesetz sich selbst der Fähigkeit beraubt habe, einen Beruf auszuüben, dessen erste Voraussetzung die Achtung vor dem Gesetze sei. Es zeugt übrigens von wenig Geschmack, daß Hervö, der ja der sozialistischen Partei angehört, auch diesmal die internen Parteidifferenzen vor den Bourgeoisrichtern ausgekramt und Parteimitglieder, die nicht seiner Meinung sind, alsdreifarbige Sozialisten" verspottet hat. Die brutalen Verfolgungen, denen die Antimilitaristen jetzt ausgesetzt sind, legen der Partei natürlich gegenwärtig Zurück- Haltung gegenüber einer Taktik auf, die weder den Meinungen der Masse der Parteigenossen entspricht, noch auf di» besonders in einem so jungen organisatorischen Verbände notwendige kameradschaftliche Solidarität Rücksicht nimmt. Wenn die Partei gegen die zwei- deutige Nachbarschaft derparlamentarischen" Sozialisten das Mittel scharfer Abgrenzung gefunden hat, so wird sie schließlich auch dazu gedrängt werden, zu erwägen, inwieweit sich die Partei- pflichten mit der Förderung der von den Antiparlamen- tariern gegen die Partei gerichteten giftigen Angriffe ver- tragen. Die erfreulichen Fortschritte, die die geeinigte Partei in den letzten Monaten gemacht hat, sind vor allem der gesteigerten Disziplin zu verdanken und dem Entschluß, die be- stehenden Meinungsverschiedenheiten bei aller Freiheit der Dis- kussion dort, wo die Tat in Betracht konimt, zurücktreten zu lassen. Diese Gesinnung ist leider noch nicht in allen Gruppen und besonders nicht bei allen, die sich zur sozialistischen Organisation zählen, durchgedrungen, und so sieht man einen unechten und un- klaren RevolutionariSinns noch mancherlei Verwirrung in die Partei tragen. Die Annäherung der leider noch immer abseits marschierenden Gewerkschaften an die Partei wird schwerlich dadurch gefördert, daß manche Parteimitglleder die unnütze und schädliche Polemik zwischen den beiden proletarischen Formationen imSchoße der politischen Organisation selbst wiederholen. Es gibt auch für die anti- parlamentarische Propaganda selbst löblichere Methoden, als inner- halb der politischen Partei eine Taktik zu pflegen, die keine andere Wirkung haben kann als: die Erfolgsmöglichkeiten der Wahl- Propaganda zu verringern. Wird die parlamentarische Aktion des Proletariats geschwächt, so bedeutet das noch lange nicht die Gewinnung des Proletariats für den revolutionären Anti- Parlamentärismus. Man muß es der politischen Organisation zu- gestehen, daß sie gegenüber den Gewerkschaften nicht in den gleichen Fehler verfällt, vielmehr deren Agitation eifrig unterstützt, trotzdem sich vielleicht mit mehr Recht noch erwarten ließe, daß mögliche sicherlich nicht wünschenswerte Enttäuschungen auf gewerkschaft- lichem Gebiete die Massen zum Nachdenken über gewisse Einseitig- leiten der syndikalistischen Propaganda bringen könnten. Zur Ansrechterhaltung des Mißtrauens und der Mißverständmsse zwischen den Gewerkschaften und der politischen Partei tragen übrigens nicht nur französische Sozialdemokraten bei. So haben die Vorträge über deutsche Parteiverhältnisse, die Dr. Robert Michels aus Marburg dieser Tage hier unter dem Protektorate des antiparlamentarischen Organs Avant Garde" an mehreren Stellen gehalten hat, eher zur Bestärkung der bei den französischen Gewerkschaftlern bestehenden Vorurteile beigetragen. Dr. Michels erzählte unter anderem, daß die deutsche Sozialdemokratie schon den Militarismus gestützt habe, als Bebel für neue Uniformen eingetreten sei. Er stellte den in den Gewerkschaften herrschenden Geist an der Hand von Anekdoten ähnlichen Kalibers als antirevolutionär, ja sogar als d y n a st i s ch dar I Der Generalstreik habe unter den Gewerkschafts- führern keine Anhänger, weil diese um ihr Einkommen besorgt seien usw. Daß solche, das wahre Wesen der Streitpunkte nicht be- rührende Argumente denen gefielen, die in der finanziellen Schwäche der französischen Gewerkschaften eine Quelle revolutionärer Energie sehen, ist begreiflich. Bedauerlich ist aber, daß die über die deutschen Zustände wenig informierten französischen Arbeiter zu dem Glauben verleitet werden konnten, daß die vorgetragenen Anschauungen in Deutschland wirklich Verbreitung hätten, zumal da dieAvant-Garde" in der in der französischen Politik beliebten großsprecherischen Tonart Dr. Michels zuerst in fetten Lettern als denLeiter" einesFlügels" der deutschen Sozialdemokratie vorgestellt hatte! Die internationale Verständigung des Proletariats dürfte durch diese Vorträge ebenso- tvcnig gefördert worden sein ivie die Erkenntnis der Aufgaben und Wege der Gewerkschaften. _ Die Altersversorgung augenomtuen. Paris , 24. Februar.(Eig. Ber.) Die Kammer hat gestern nachmittag, bevor sie in die Debatte über die allgemeine politische Lage eintrat, das Gesetz über die Altersversicherung zu Ende beraten und mit 501 gegen 5 Stimmen angenommen. Die Bemühungen der Sozialisten haben dazu beigetragen, diese Reform bedeutend auszugestalten. Da aber die von der Kommission ursprünglich veranschlagten Kosten infolge der Amendements stark überschritten wurden, hatten die Gegner der Sozialreform ihre Angriffe besonders auf das finanzielle Gebiet gerichtet. Zuletzt versuchte noch der Deputierte Roche das Gesetz dadurch zu Fall zu bringen, daß er die Magazine der ältesten Manchesterölvnomie ausräumte und vonzwanzig Milliarden" sprach, die durch die Organisation der Altersversicherung gebunden. aus dem Verkehr gezogen werden und der nationalen Wirtschaft verloren gehen müssen! Auch versuchte man das Gesetz dadurch zu ertränken, daß man ihm den Mühlstein einer Steuerreform um den Hals hängen wollte. M i l l e r a n d, derVorsitzende der Kommission, antwortete auf alle Einwürfe und Vorschläge mit großem Geschick, und die Kammer beschloß sogar, seine Rede zu plakatieren, wobei allerdings ebenso wie bei der Schlußabstimmung weniger die Begeisterung für die soziale Reform als die Nähe der Wahlen den Ausschlag gegeben haben dürfte. Die Annahme des Gesetzes in der Depntiertenkammer bedeutet leider noch lange nicht die Durchsetzung des wichtigen sozialpolitischen Werkes. Es ist zu befürchten, daß der Widerstand im Senat, be- sonders gegen die von den S o z i a l i st e n durchgesetzten Ver- besserungen, recht stark sein wird, und eS hängt viel von dem guten Willen der Regierung ab, die sich freilich verpflichtet fühlen sollte, die in der Botschaft des Präsidenten als drängende Aufgabe der Demokratie hingestellte Reform noch vor dem Auseiandergehcn der Deputierten zum Abschluß zu verhelfen. Wird das Gesetz doch noch zu diesem Termin fertig, so darf die Republik mit Genugtuung auf diese Leistung blicken, die in der internationalen sozialpolitischen Gesetzgebung jedenfalls einen bedeutenden Platz einnehmen wird und die durch die Einbeziehung der ländlichen Arbeiterschaft den anderen Ländern den Rang abläuft. Revoltierende Offiziere. Paris , 23. Febniar. fEig. Ber.) An den Demonstrationen bei den Kircheninventuren haben sich schon an mehreren Orten Offiziere der Landarmee und der Marino beteiligt, jedoch bisher immer nur Offiziere, die nicht im Dienst standen. Heute werden nun aus zwei Orten Gehorsamsverweige- rungen von Offizieren gemeldet, die die Amtshandlung des Domänen- inspektors sichern sollten! In Saint-Gervan bei Saint-Malo in der Bretagne waren die Kirchentore versperrt. Der Präfelt requirierte Militär. Jedoch der an der Spitze der Abteilung stehende Major H l r q weigerte sich, die Anordnung des Präfekten -auszuführen. Die Hauptleute Langava n und Spiral folgten seinem Bei- spiele. Diese Haltung trug ihnen eine Ovation der ver- sammelten Betbrüder ein. Der General D a v i g n o n, der von dem Vorfalle verständigt wurde, ließ die drei Offiziere sofort in Arrest abführen und eine Untersuchung eröffnen. Erst der vierte Offizier, an den man sich wandte, führte den Be- fehl aus. Ein ganz ähnlicher Vorfall wird aus Paramü berichtet. Dort las der BataillonSchcf D e b l a y erst den Artikel des Militärstraf- gesetzbuches über Gehorsamsverweigerung gegenüber den An- ordnungen der Zivilgewalt vor und fügte dann hinzu:Meine Herren, trotz dieses Artikels weigere ich mich, diese Anordnung aus- zuführen. Würden Sie mir befehlen, in das Haus meines Vaters einzubrechen, ich täte eS nicht. Und noch weniger werde ich das beim Hause Gottes tun." Der_ Präfckt forderte Deblay nun auf, das Kommando dem ältesten Hauptmann zu über- geben, aber der Major verloeigerte auch dies. Nach einer Stunde kam der Divisionsgeneral und gab selbst dem Major den Befehl, der auf diese Art m einen militärischen umgewandelt lvnrde. Jetzt erst gab Deblay da? Kommando, die Kirchentore auf- zufprengen. So sieht man die pfäffische Soldateska in offenem Aufruhr gegen das Gesetz und gegen die bürgerliche Gewalt. Trotzdem aber werden die Klerikalen fortfahren, über die Antimilitaristen loszuziehen, die den militärischen Gehorsam erschüttern, und die Justiz der Republik wird auch weiter die M e i n u n g s- Delikte der Revolutionäre strenger bestrafen als die Tat-Vergehen der uniformierten Römlinge. Die bourgeois-radikale Presse zieht gegen die widerspenstigen Offiziere, die deik' Soldaten das Beispiel militärischen Ungehorsams geben, heftig los. So fordert Clemenceau in derAurore" ihre strenge Bestrafung. Ganz deutlich spricht aus diesen aufgeregten Artikeln die Besorgnis vor dem revolutionären Antimilitarismus, der aus diese» Vorkommnissen Nutzen ziehen muß. Der bekannte