Nr. 54. 28. Jahrgang.3. KnlU des Jotinitlä" fnlinct SolUhtt,6.Der Zopfabschneider vor Gericht.Der Student an der technischen Hochschule in TharlottenvurgRobert Stob, dessen Verhaftung wir seinerzeit meldeten, standgestern vor dem hiesigen Schöffengericht unter Vorsitz des Gerichts-assessorS Förster als Angeklagter. Die Anklage vertrat Staats-anwalt R o h d e, die Verteidigung führte Justizrat Dr, RichardWolfs. Der aus der Untersuchungshaft vorgeführte Angeklagte ist 1883in Valparaiso geboren. Er wird beschuldigt, in den Monaten November1905 bis Januar d. I. in 16 Fällen dadurch, daß er sichauf der Straße an junge Mädchen herandrängteund ihnen die Zöpfe abschnitt und auch die Zopf-bändchen mitnahm, des Diebstahls, in 12 Fällender körperlichen Mißhandlung und dertätlichenBeleidigung sich schuldig gemacht zu haben. Alsmedizinische Sachverständige sind die Medizinalräte Dr. Hoff-mann und Dr. Leppmann geladen.— Während der Ver-Handlung wird die Oeffeutlichkeit ausgeschlossen, den Vertretern derPresse aber der Zutritt gestattet.Vernehmung des Angeklagten.Auf die Fragen des Vorsitzenden bekundet der Angeklagte,daß er 1883 nach Deutschland gekommen ist, und die Schulen inThorn, in Bergedorf und Hamburg besucht habe. Er hat in Hamburgdas Abiturientenexamcn gemacht und ein gutes Abgangszeugnis er-halten. Er hat stets hervorragende Begabung für Mathematik ge-zeigt, ein Semester in München studiert, steht jetzt im sechsten Se-mester, studiert Schiffsbautechnik und hat im Oktober ein Vorexamengemacht. Dazu hat er nach seiner Angabe sehr intensiv gearbeitet.Er gibt zu, in 16 Fällen in den Straßen Berlins, vor Wertheim,auf dem Opemplatz und an anderen Stellen Mädchen die Zöpfeabgeschnitten zu haben. In seiner Wohnung sind ein«und d reißi g Zöpfe vorgefunden worden.— Vors.: HabenSie schon in früheren Jahren solche Neigungen gehabt?— Ang e kl.:Einmal, im Alter von etwa 16 Jahren habe ich abends meiner13jährigen Schwester heimlich Haar abgeschnitten und es behalten.Die Neigung für schönes langes Haar habe ich immer gehabt, schließ-lich ist sie so stark aufgetreten, daß ich ihr nicht widerstehen konnte.Zum erstenmal habe ich am Tage des Einzuges der Kronprinzessineinem Mädchen einige Haare abgeschnitten. Ich weiß nicht, w e s-halb ich plötzlich demT riebe nicht mehrwider st ehenkonnte. Der Trieb wurde lebendiger, als ich von einer Reisenach Südamerika, die ich als Maschinen-Volontär gemacht, zurück.kehrte. Die Reise hatte fünf Monate gedauert, ich hatte an Bordstark gearbeitet, war auf der ganzen Reise in mißmutiger Stimmungund als ich zurückkehrte, wurde die Anfechtung immer größer.—Vors.: Wie kam denn die Anfechtung über Sie?— Angekl.:Ich lief öfter kleinen Mädchen nach, ohne daß ich den Wunsch, ihrHaar zu besitzen, ausführen konnte. Da gelang es mir, in demGedränge der Einzugsfeierlichkeiten Unter den Linden einemMädchen sein loses Haar mit einer Schere abzuschneiden, ohnedaß das Rädchen davon etwas merkte.— Vors.: Was machtenSie mit!em Haar?— Angekl.: Gar nichts.— Vors.: Wasdachten Se sich denn dabei?— Angekl.: Gar nichts. Ich habedas Haar einfach in die Tasche gesteckt.— Vors.: Und weiter?—Angekl.: Ich habe dann noch mehrere Male Unter den LindenloscS Haa: abgeschnitten.— Vors.: Wann fingen Sie an, ganzeZöpfe ibzuschneiden?— Angekl.: Im November bei demEinzug des Königs von Spanien. Da habecmem Knde den Zopf abgeschnitten: das Mädchen merkteBlti'ich beim Opernplatz' chennichts divon und blieb ruhig stehen. Der Zopf warmit einm» Bändchen versehen.— Präs.: Was habenSie mit tem Zopfe gemacht?— Angekl.: Ich habe ihn zu Hauseausgeflogen, ausgekämmt und in einem Kästchen im Schreibtisch,welches ae Aufschrift.Erinnerungen" trug, aufbewahrt. Ich habedas Haar dann manchmal hervorgeholt und geküßt, manchmal auches auf man Kopfkissen gelegt und meinen Kopf darauf ruhen laffen.— Vors: Haben Sie dabei geschlechtliche Erregungen gehabt?—Angekl: Ja I— Vors.: Waren Sie sich denn nicht bewußt, etwasBöseS un) UebleS zu tun, und daß Sie einen tiefen Eingriff in dieRechtSfphire eines anderen ausübten?— Angekl.: Daran habeich nicht gedacht.— Vors.: Wenn nun etwa heute die Untersuchungshaft aufgehoben würde und Sie in die Freiheit zurückkehrenwürden: würden Sie dann dasselbe wieder tun?— Angekl.: Ichglaube nicht, daß ich eS noch einmal tun würde, da ich jetzt erfahren,was für folgen dies hat.— Vors.: Können Sie die Bürgschaftdafür übernehmen, daß in Zukunft der Wille stärker ist. als derTrieb?— Angekl: Eine Garantie könnte ich nicht übernehmen.—Vors.: Haben Sie denn nie gelesen, daß die Berliner Bürgerschaft überdas Zopfabschneiden sehr beunruhigt war?— Angekl.: Ich hattenichts gelesen.— Vors.: Wann wurden Sie abgefaßt?— Angekl.:Am 2 7. Januar hatte ich einem Mädchen, welches zwei Zöpfehatte, de» einen abgeschnitten, als es wieder in meine Nähe kam,wollte ich den anderen Zopf auch abschneiden und dabei wurde ichfestgenommen.— Vors.: Ist es richtig, daß Sie jeden einzelnenZopf mit einem Bändchen und dem Datum des AbschneidenS bezeichneten?— Angekl.: Zum Teil habe ich es getan.— Vors.: Haben�ie schon einmal mit einem Weibe Verkehr gehabt?— Angekl.:Nein, niemals. Ich habe nur einen starken Trieb, schöneslanges Haar in Besitz zu bekommen, gehabt.— Präs.: WürdeIhnen auch langes schönes Männerhaar genügt haben?—A n g e k l.: Ja.— Justizrat Dr. Wolf: Haben Sie nicht schon inganz früher Jugend diesen krankhaften Trieb gehabt? Sie habenmir gesagt, Sie erinnerten sich noch des HaareS mancher Mädchenaus Ihrer Thorner Zeit. Damals waren Sie acht Jahre alt. Siehaben niir gesagt, daß Sie an die Trägerinnen des Haares garnicht mehr gedacht haben, um so mehr aber an deren Haar.—Angekl.: Das ist richtig. Mir ist es auch gleichgültig, ob dieTrägerin des HaareS jung und schön oder alt und häßlich ist. Ichhatte nur Interesse an dem Haar.— Vors.: Auch an weihen,Haar?— Angekl.: Ich habe nur eine Vorliebe für blondesHaar.— Auf eine weitere Frage deS Vorsitzenden erklärt derAugeklagte, daß er im akademischen Turnverein aktiv gewesen undeinem studentischen Keuschheitsbunde angehöre. Dieabgeschnittenen Haare habe er sich auch öfter auf die Brustund auf daS Herz gelegt und dabei wonnige Träume gehabt.—Der Angeklagte. deffen Vater gestorben, wird in seinem Studiumvon dritter Seite unterstützt, sein Bruder ist Seeoffizier, eineSchwester ist geisteskrank.Beweisaufnahme.Von den vorgeladenen Zeugen wurden nur drei vernommen.Ein Hauptmann v. W., dessen Tochter bei einem Spaziergange inder Leipzigerstraße gleichfalls durch den Angeklagten eines Teileshres HaarschmuckeS beraubt worden ist, bekundet: Der Borfallihabe für das Mädchen sehr unangenehme Folgen gehabt. DasKind ist seitdem von einem großen Angstgefühl beherrscht, hateinen Nervenchok davongetragen und schreit in der Rächtwiederholt ängstlich auf, da sie von dem Zopfabschneider träumt.—Zeugin Frau G a l l, eine alte Bekannte der Familie des An-geklagten, schildert seinen Charakter als außerordentlich gut. Vonseiner Tat sind alle, die ihn kannten, völlig überrascht gewesen; eineVorliebe für ftemdeS Haar ist ihr bei ihm nie aufgefallen. In derletzten Zeit war er offenbar geistig überanstrengt und sehr zerstreut,im übrigen ist er nie lustig und fröhlich, wie andre jungeLeute gewesen. Nach weiteren Mitteilungen der Zeugin ausder Familiengeschichte ist der Angeklagte erheblich erblichbelastet.— Studiosus Schmeding, Vorsitzender des Vereins zur Aufrechterhaltung des Keuschheits-Prinzips, ist mit dem Angeklagten infolge gleicher Anschauungen-auf wissenschaftlich- sozialem und sexuellem Gebiete näher bekanntgeworden. Er schildert ihn als einen guten Charatter, aber alst träumerischen, schwermütigen und verschlossenen Menschen.' der harmlose Fröhlichkeit und Freude nicht kannte undin sexueller Beziehung dem weiblichen Geschlecht durchausabgeneigt ist.— Medizinalrat Dr. Hoffmann: Es handeltsich hier um eine eigenartige perverse Betätigung deS Geschlechtstriebes. Wenn auch eine solche durchaus nicht immer denTräger derselben der Verantwortung enthebt, so ist doch in diesemFalle die normale Sphäre schon von Jugend an zurückgedrängt.Der Angeklagte ist ein Phantast, der sich nicht anerkannt glaubt, erglaubt, er könne sich unsichtbar machen, sich ein großesSchloß bauen und die Zimmer darin mit unzähligen Zöpfenausstaffieren. Dazu ist er erblich belastet und die körperlicheUntersuchung zeigt eine Menge Degenerationszeichen. Der Schutzdes Z 51 des Strafgesetzbuches dürfte also hier Platz greifen und dader Angeklagte schwerlich die Kraft haben dürste, seine Neigung zuunterdrücken, so würde eine irrenanstaltliche Behandlung notwendigerscheinen.— Justizrat Dr. W o l f f versichert, daß die Familie denAngeklagten sofort in die maison äs sautv bringen würde.—Medizinalrat Dr. Leppmann: Der hier vorliegende Fall ist einäußerst seltener. Der Angeklagte ist erblich schwer belastetund hat eine Reihe von Entartungszeichen. Seine schonim achten oder neunten Lebensjahre erwachte Geschlechts-neigung habe sich von Anfang an immer nur in derselbenWeise in der Betrachtung und Betastimg weiblicher Haare betäligt.Die hier in Frage stehende Perversität ist der AuSfluh jener erblichenBelastung. Der Angeklagte war bei seinen Taten sicher gemütskrankund ist auch jetzt noch krank. Eine solche Art der Perversität ist demSachverständigen im Lause von 25 Jahren nur wenige Male vor-gekommen, Krafft-Ebeling kennt nur wenige Fälle derartigen ein-seitigen Geschlechtsempfindens, ebenso Dr. Moll. Solche unwider-stehlichen Drangzustände gehen immer mit Gemütsverstimmungenund mit sonstigen Störungen im Seelenleben einher. Die freieWillensbestimmuug des Angeklagten war demnach ausgeschlossen,er ist auch jetzt noch nicht gesund und muß wie ein Kranler be-handelt werden.Ankläger und Verteidiger.Staatsanwalt R o h d e: Wenn der Angeklagte geistig gesundwäre, so würde er außerordentlich scharf bestraft werden müssen, dennes liegt eine ungeheuere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit vor. Esist nicht richtig, doß das Straftest bezüglich solcher Tat eine Lücke eut-hält. Man kann im einzelnen darüber streiten, unter welchen Paragraphsie zu subsummieren ist, aber es kann keine Rede davon sein, daßsie straflos bleiben müßte. Objektiv liegt unzweifelhaft Beleidigungvor, ebenio zweifellos wird der Begriff der Körperverletzung erfüllt,auch Diebstahl würde vorliegen können, denn der Körperteil, der vonjemand abgeschnitten wird, ist doch Eigentum des Betreffenden.Nähere Erörterungen in dieser Beziehung erübrigen sich infolge desGutachtens der Sachverständigen, welches den Antrag ausFreisprechung notwendig mache.— Justizrat Dr. Wolfftrat den rechtlichen Ausführungen des Staatsamvalts entgegen, ins-besondere der Ansicht, daß Diebstahl vorliegen könne, und führte aus,daß sowohl nach dieser Richtung hin wie in bezug auf das Bor-liegen einer Körperverletzung Reichsgericht und Rechtslehrer durch-aus nicht so schlüssig seien wie der Staatsanwalt. Nach dem Gut«achten der Sachverständigen müsse auch er die Freisprechung desAngeklagten beantragen. Nach kurzer Beratung verkündete derVorsitzende:Urteil.Das öffentliche Rechtsgefühl erheischt natürlich strenge Sühnefür eine solche Tat, diese ist aber vorliegend nicht dem Angeklagtenzuzurechnen. Im übrigen enthält nach Ansicht deS Gerichts dasStrafgesetz für eine solche Tat auch eine Sühne und läßt sie zu. Sieist nach Ansicht des Gerichts zweifellos als Körperverletzung anzu-sehen, da der Körper durch das Abschneiden der Haare verstümmeltund eines wesentlichen Hauptschmuckes beraubt wird. Diebstahl er-scheint ausgeschlossen und zu dem Tatbestand der Beleidigung würde dasBewußtsein des Täters gehören. Nach den Ansführungen der Sachver-ständigen mußte der Angeklagte freigesprochen werden in derErwartung, daß er sofort durch die Familie einer Anstalt zugewiesenwird. Dieses Resultat wird vielleicht nicht überall befriedigen, eswar aber auf Grund der Beweisaufnahme unumgänglich.Die Freisprechung des Studenten dürste insbesonderenach den ärztlichen Gutachten, die erbliche Belastung be-haupten, gerechtferttgt erscheinen. Indes wäre eS völligverfehlt, wollte man allein auf Grund der Tatsachen,daß der Angeklagte einen.unwiderstehlichen Hang" nach Zopf-abschneiderei hatte, auf Verrücktheit schließen. Eine dahingehendeArgumentation, wie sie insbesondere in einigen Berliner Blätternvor der Verhandlung deS langen und breiten vorgetragen tourde,tritt häufig dann auf, wenn es sich um Vergehen Wohlhabender oderStudierender handelt. Begeht jemand mit dem Bewußsein, in dieRechtssphäre eines anderen einzugreifen.— und dies Bewußtseinhatte Angeklagter— eine mit Strafe bedrohte Handlung, so wirder bestraft, weil er seinen Drang nicht hemmte. DaS gilt fürZopfabschneiderei nicht minder wie für Notzuchtsverbrechen odernicht auf sexuellem Gebiet liegende Delikte. War der Angeklagte— nicht wegen der Art seiner Tat— geisteskrank, so wirdniemand seine Freisprechung bedauern. Nur muß hervorgehobenwerden: wenn auch nur ein Zehntel der Sorgfalt, die beisolchen sexuellen von Wohlhabenden begangenen Dingen der Frageder erblichen Belastung und der Zurechnungssähigkert zugewendetwird, bei anderen Strafsachen auf die gleiche Frage verwendetwürde, so würde ein recht großer Prozentsatz derer, die heute wegenEigentums- oder sexueller Delikte m Gefängnissen und Zuchthäusernsitzen, schwerlich verurteilt sein.Die Verhandlung legt unseren SittlichkeitSfexcn übrigens dieFrage nahe, ob derartige widerliche und unnatürlich erscheinendeNeigungen nicht durch die Bigotterie und Heimlichkeit, mit dersexuelle natürliche Dinge behandelt werden, großgezogen werden.Ein Blick in die Geschichte des MttelalterS ze,gt eine Betätigungganz ähnlicher, natürlichem Empfinden ftemder Neigungen vonLeuten, die ähnlich asketisch wie der Angeklagte dachten und wie somanche Lex Heinze-Leute predigen.Die rein juristische Frage, ob Zopfabschneiderei Beleidigung,Körperverletzung und Diebstahl(oder Unterschlagung) darstellt, istnicht so kontrovers, wie sie vom Verteidiger dargestellt wird: dieobjektiven Merlmale aller drei Delikte lagen vor. Daran kann keinejuristische Haarspalterei etwas ändern.Gerickts-�eitung.Proletarierkinder vor Gericht.Die hohe Polizei ist in unserem deutschen Vaterlande von einerRegsamkeit, die— auf richtigem Gebiete angewandt— ihr alle Ehremachen würde.— Freilich dürste sie dann ihre Nase nicht in Dingezu stecken haben, die sie nicht» angehen.Standen da zwei kleine arme Schulmädchen, die dreizehna h r e alte Babette Sch. und ihr zwölfjähriges Schwesterchenorothea bor dem Nürnberger Schöffengerichte. Mit blaffen Ge-fichtchen und Tränen in de» Augen sahen die eingeschüchtertenKinder auf den AmtSanwalt, der ihnen mit strenger Amtsmieneeröffnete, daß sie sich wegen Diebstahls zu verantworten hätten.Vorsitzender: Also: Ihr hotbt gehört, wessen Ihr be-schuldigt seid; Ihr habt in der Nähe des Ostbahnhofs Kohlen ge-stöhlen?— Die dreizehnjährige Babette: Die Kohlensind auf der Straße gelegen; sie fielen von dem Wagen herunter,als er abgeladen wurde.— Vors.: Das hat nichts zu sagen!—Habt Ihr in der Schule nicht gehört, daß man nicht stehlen darf?— Die Kinder schluchzend: Wir wußten nicht, daß man sienicht nehmen durfte.— Vors. zu der kleinen Dorothea:Du auch nicht?— Das Kind schüttelt energisch das Blondköpfchen.— Vors.: Für wen habt Ihr die 5tohlen geholt?— Babette:Für die Mutter!— Vors., wichtigtuend: Aha, die hat Euchwohl geschickt?— Die Mädchen, heftig schluchzend: Nein!Nun wird der Schutzmann, welcher die Anzeige erstattete, in denSaal gerufen. Er sieht im Vergleiche zu den beiden Kindern Ivieein Riese aus und wirft ihnen vernichtende Blick zuVors.: Sie haben diese beiden bei dem Kohlendiebstahl be-troffen; nahmen sie solche auch von dem Wagen?— S ch u tz m a n n:Nein I— Vors.: Waren es demn viele?— Schutzmann:Einige Schürzen voll!— Vors.: Sie haben die Mädchen ver-haftet und auf die Wache gebracht?— Schutzmann:Gewiß, sie gaben eine falsche Muesse an.— Die 13jährigeBabette: Das haben wir nicht getan lDer Hüter des Gesetzes wirft oem Kinde einen zomigen Blickzu: Gewiß, das habt Ihr getan, sonst hätte ich Euch nicht auf dieWache gebracht!Vors.: Nun, sie werden fich in der Aufregung wohl geirrthaben?— S ch u tz m a n u. der nebenbei bemerkt selbst verheiratetund Familienvater ist: Das gflaube ich nicht!— Vors.: Wassind die Eltern der Kinder?— Schutzmann: Der Vater istFabrikarbeiter, die Mutter trägt Zeitungen aus."— Vors.(zuden Kindern): Seid Ihr schon einmal bestraft(!)?— DieKleinen heftig schluchzend: Nein!Die Beweisaufnahme ist nun, geschloffen. Der Amtsanwaltstellt großmütig den Anttag, die„Angeklagten" freizusprechen,dem nach erfolgter Beratung auch stattgegeben wird. Er-leichtert atmen die beiden Kinlder auf, als der Vorsitzende ihnenbedeutet, sie könnten sich entfernt:».Fluchtversuch und Bestechung. Der Tischler Hermann B a r a-nowski, der am 13. Februar den kühnen Fluchtversuch aus demZuchthause in der Lehrterstraße. unternommen hat, stand gestern border ersten Strafkanuner des Llandgerichts I unter der Anklage derBestechung. Mit ihm wurde der frühere Gefangenenaufseher, jetzigePortier Hennann Fischer znr Verantwortung gezogen. Letzterer istals Unteroffizier vom Militär abgegangen und als Gefangenenauf-seher bei der Strafanstalt in d«cr Lehrterstraße angestellt worden. Erwar infolge vonKrankheilen in!>er Familie und sonstigen unverschuldetenUnglücksfällen in Schulden geicaten und ist. durch die Not gedrängt,der an ihn heranttetenden Versuchung erlegen. Der AngeklagteBaranowski hatte in der Strafanstalt eine jechsjährige Zuchthausstrafe zu verbüßen und sehnto sich danach, mit seiner Ehefrau einedauenidc Verbindung herzustellen. Der Aufseher Fischer ließ sich da-zu verleiten, die Mittelsperson zu spielen. Baranowöki, der in derAnstaltstischlerei beschäftigt ivar, wußte ihn zu bestimmen, mit derEheftau B. in Verbindung zu. treten, um Geld zu NahrungSinltteln vonihr zu empfangen und die Korrespondenz mit ihr zu vermitteln. Bondem baren Gelde sollte ihm die Hälfte zufallen. Dies ist auchgeschehen. Fischer hat in drei Fällen von der Frau B. im ganzen14 M. erhalten und die Hälfte davon zur Anschaffung von Lebens«Mitteln verwendet. Törichterweise hat er nicht dafür gesorgt, daßBaranowski die Briefe seimer Ehefrau vernichtete und so sind dennsolche bei einer im September vorgenommenen außerordentlichenZellenrevision vorgefunde» worden. Sie waren übrigens nichtalle von Fischer vermittelt worden, vielmehr hatte Baranowskinoch ein zweites Sprachrohr nach außen hin in der Persondes nicht beamteten ArbeitzsaufseherS. Fischer ist wegen dieser Eni-gleisung seines Amtes verllustig gegangen. Der Staatsanwalt brachtemildernde Umstände in Antrag und hielt gegen Fischer eine Gefäng-nisstrafe von sechs Monaten und zwei Jahren Ehrverlust, gegenBaranowski zwei Monate Gefängnis für eine angemesseneSühne. DaS Gericht»erurteilte Fischer zu drei MonatenGefängnis ohne Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte,Baranowski zu einem Monat Gefängnis.Ein„Hexenprozeß". Aus der Oberpfalz, eine jener gesegnetenGegenden des Bayernlandes, wo die Zentrumspfaffen daS Volk mitAufklärung versorgen, wird von einem Prozeß berichtet, der so rechtdartut, welche Summe von Unwissenheit und Aberglauben»ochdort herrscht, wo das Pfaffentum das Volk noch vollständigbeherrscht. In dem Prozeh, der vor dem Landgericht Ambergverhandelt wurde, handelte eS sich um eine Anklage gegen denWechfelwärter Hartwig von Schwandorf wegen Betrugs. Der Sach-verhalt ist folgender: Bei der Spediteurwitwe Kölbl«n Schwandorfstand der Dienstknecht Hirmer in Dienst. Zwischen ihm undder Prinzipalin kam eS bald zu intimen Beziehungen, was ihrBruder und Vormund ihrer Kinder, der Bäckermeister Schauinbergernicht dulden wollte. Hirmer war wenig arbeitsfrendig, er vernach-lässigte die Pflege des ihm anvertrauten Pferdes in einer Weise, daß dasTier bald gänzlich herunterkam. Diesen Zustand des Pferdes undeinige andere im Stall der Kölbl vorgekommeneUnfälle erklärte er als das Werk einer„Hexe",weshalb die Kölbl mehrere im Gerüche eines Hexenmeistersstehende Personen kommen ließ. Unter diesen befand sich auch derangeklagte Wechselwärter Hartwig. Hirmer erzählte ihm, daß dasPferd sehr unruhig sei, nachts immer stark schwitzte und daß jedenMorgen sein Schwanz und die Mähne in Zöpfe geflochten seien.Hartwig erklärte, daß daS Pferd verhext sei und daß erhelfen könne. In einer der nächsten Nächte kam er undnahm im Stalle im Beisein der Kölbl und ihres Dienstknechtesdie„Beschwörung" vor. Er stellte im Stall ein Kruzifix mitzwei Kerzen auf, machte mtt geweihter Kreide am Stall die dreiBuchstaben„K. M. B." und zog mit der Kreide einen Kreis, in demer 8/« Stunden stand und aus einem mitgebrachten Buche angeblicheBeschwörungen murmelte. Dabei stellte er sich, als ob ihm die Be-'schwörung große Ansttengung verursache, und äußerte:„Wenn ichnicht schon angefangen hätte, so möchte ich eS nicht mehr um20 Mark machen." Nach einiger Zeit sagte er:„Jetzt haben wires schon, jetzt muß sie kommen, die Hexe; dieS ch a u m b e r g e r ist'S". Gemeint war die Schwägerinder Kölbl, der man allgemein die Schuld an demHexen spuk zuschrieb. Den Namen der Frau hatte ihm zweifellosHiermer aus Rache suggeriert, weil die Familie Schaumberger seinVerhältnis mit der Kölbl nicht dulden wollte. Er beabsichtigte da»durch die Familie in Verruf zu bringen, was in jener schwarzenGegend den gesellschaftlichen und geschäftlichen Ruin bedeutet.Für seine Leistung erhielt Hartwig 10 Mark. Einige Tage spätererbat er sich ein Darlebn von 20 Mark. daS ihm auch gewährtwurde, weil nach Anficht der Kölbl die Beschwörungg e f r u ch t e t h a t t e. Als das Gericht von der Sache hörte, ginges gegen den Hexenmeister vor, er wurde jedoch vom Schöffen-gericht freigesprochen, weil er selbst an die Wirksamkeitseines Zaubers geglaubt und kein Geld verlangt habe. Vor demSchöffengericht hatten der Dienstknecht Hirmer und die DienstmagdBiedermeier falsch geschworen, weshalb sie inzwischen wegen Mein-eids verurteilt wurden. Gegen daS freisprechende Urteil in derSache gegen Hartwig legte der Amtsanwalt Berufung ei» mitdem Erfolge, daß ihn die Strafkammer lvegen seiner Hexerei, diesie als Betrug ansah, zu vierWochcn Gefängnis verurteilte.