I.. 62. 23, z.w°g. 2. WlZgt des Jonuürte" lerlinet NsIIlsblM»•»>--!«M. Das Verbrechen von Conrriöres! Ueber nationale Grenzen hinaus reicht die Solidarität des Kapitals, wenn der Kampf sich gepen die Arbeiter und deren Jnter- «sie richtet. Das räckt für feden sichtbar in Erscheinung das entsetz- liche Unglück von Courridrcs. Die deutsche Kapitalislenpresse findet nicht nur kein Wort deS Tadels, obwohl sie weih, das; das kapita- listische System von der Schuld an dem gräflichen Ereignis gar nicht freigesprochen werden kann, sie hüllt sich auch noch heuchlerisch in ein esthetisches Mäntelchen, markiert sittliche Entrüstung und eine alle anderen Gedanken und Empfindungen als die des Mitleids zurückdrängende Gemütstiefe, um auf diejenigen ihren Groll abzuladen, die im Interesse des VolkstvohlcS rücksichis- los auf die Ursachen des Unglücks hingeweisen. Daß daS kapita- listische System mit Aesthetik und Gemüt nichts zu tun hat, daf Profit ihr oberstes Prinzip und ihr Einpfindungsbestimmer ist, cm- hüllte in dem vorliegenden Falle in recht krasser Weise die gestern von uns mitgeteilte Auslassung der„Köln . BolkSztg." Wie die Unternehmerpreffe den Kapitalismus zu retten versucht, davon gibt die.Rh. Wests. Ztg." in folgendem eine nette Probe. Sie schreibt: Nur ein Gedanke durchzuckt die Welt, das Unglück, soweit es Menschenkräfte vermögen, zu lindern. Nur die sozialdemokratische Presse leistet sich eine Ausnahme, sie benützt die entsetzliche Katastrophe zu einer ausgiebigen Hetze gegen die Unternehmer, die Zechenverwaltungen und deren Be- amte. Noch ist eS nicht möglich, auch nur im geringsten fest- zustellen, wen etwa die Schuld an der Katastrophe treffen könnte, und schon schicken die sozialdemokratischen Blätter Artikel in die Welt mit den bezeichnenden Titeln:„Die Mordtat von CourriöreS", die„Mörder im Bergbau" usw., schon wissen sie auf das genaueste, daß einzig und allein die Zechenverwaltungen und deren Beamte an dem Unglück schuld sein müssen. ES lasien sich schwer die rechten Worte finden, um ein solches Verfahren zu kennzeichnen. Gerade die Größe der Katastrophe legt jedem Denkenden den Gedanken nahe, daß bei dem Un« glück Umstände mitgewirkt haben, die sich dem Einfluß mensch- licher Erfahrung und Entschließung völlig entziehen. Zun, mindesten soll sie jeden anständig Fühlenden veranlassen, mit seinem Urteil zurückzuhalten, bis der Fall durch die Untersuchung der zuständigen Gerichte völlig aufgeklärt ist. Es ist töricht, auS dem Umstand, daß in der vom Unglück bettoffenen Grube vor längerer Zeit ein Grubenbrand ausbrach, der abgedämmt wurde, auf ein Versäumnis der Beamten zu schließen. Wer mit dem Bergbau nur einigermaßen vertraut ist, weiß, daß sich solche abgedämnite, noch nicht gelöschte Feuerherde in allen Kohlenrevieren der Welt befinden; wollte man in solchen Fällen den Bergwerksbetricb einstellen, so würden sich die Knappen selbst am allerentschiedensten dagegen wehren. ES gibt zahlreiche Kohlen gruben, in welchen es in solchen durch die Eindämmung lokalu sierten Feuerherden seit vielen Jahren brennt, ohne daß d,e in der Grube arbeitenden Knappen auch nur im geringtten gefährdet find. Zu den letzten Bemerkungen deS von einem Fachmann einae- sandten Artikels bemerkt die Redaktion vorfichtigerweise, daß sie für die Behauptung dem Einsender die Verantwortung überlassen müsie. DaS hier bekundete Mitleid steht auf einer Stufe mit dem, das man gegenüber den auf den Schlachtfeldern hingcmordeten Volksgenossen betont. AuS selbstsüchtigen Interessen jagt man tausende Menschen in den Tod, dann we»nt man ihnen— öffentlich— eine Träne nach, diejenigen aber, die den verbrecherischen Krieg verdannnen, sind die bösen Kreaturen, über die man sich entrüstet. So auch bei diesem Massenmord! Daß wir übrigens weniger die Träger des Systems als dieses selbst für das Verbrechen von CourriöreS verantwortlich machen, scheint man nicht zu erkennen, oder stellen sich die kapitalistischen Retter nur so? Das Unternehmerblatt zeigt übrigens gute Lust, den christlichen Herrgott für die Vernichtung der 1400 Menschen verantwortlich machen zu wollen. Das ist kapitalistische Moral l Gegenüber dem Versuch, die Einrichtungen als einwandfrei zu retten, heben wir nochmals die unbestteitbaren Tatsachen hervor: Seit längerer Zeit wütete in der Grube ei» umfassender Brand. Anstatt das Element durch Aufziehen fester Mauern zu lokalifierrn und zu dämpfen, begnügt« man sich mit Holzwändc» als Verschalung! Schon einige Tage vor der Katastrophe wurden Besorgnisse laut, trotzdem ließ man die Leute unbekümmert ein fahren! Man inhibierte die Einfahrt nicht, obwohl dir Glut des FruerS in den Gängen eine intensive Hitze verbreitete! Diese unbestrittenen Tatsachen machen es unmöglich, das System von der Schuld an der Katastrophe freizusprechen. Bei Feststellung der Schuldmomente sehen wir noch ganz ab von den inangelhtiste» Einrichtungen der Grube selbst, das Fehlen ordentlicher Leitern, Arbeiten bei offenem Licht, nicht genügend sichere Fördere cinrichtung usw. Unser französisches Bruderblatt„L'HumanW behauptet übrigens auch noch, die Explosion sei dem Umstände zu zuschreiben, daß der Feuerherd nicht vollständig abgeschlossen wurde. Daß man aus anderen Zechen entstandene Brände durch absolut dichte Abschlußniauern eingedämmt hat. ist wahrlich keine End schuldigung für die grenzenlose Sorglosigkeit aus der Unglücksgrube. Da die Praxis die Möglichkeit gründlicher Abschließung längst ergeben hat, kann man in dem vorliegenden Falle nicht einmal als Ent- schuldigung daS Vorliegen besonderer Unistände anführen. Nachdem der lähmet, de Schrecken über das Ereignis sich etwas gelegt hat, kommt eine wachsende Erregung der Bevölkerung gegen die Verwaltung zum Durchbruch. Es liegen darüber folgende Meldungen vor: LenS, 13. März.(W. T. B.> In Billy» Montigny wurden heute 33 Opfer des Grubenunglücks bestattet. Die Trauerfeier vollzog der Bischof von ArraS . Den Särgen folgten die Angehörigen der Verunglückten, auch mehrere Deputierte nahmen an der Feier Teil.— In Möricourt fand die Beerdigniig von nicht rekognoszierten Leichen statt. Der vom Bischof geleiteten Trauerfeier ivohnten der Minister der öffentlichen Arbeiten Tubief sowie die Senatoren und Deputierten des Bezirkes bei. In mehreren anderen Gemeinden wurden bei den Tranerfeiern sehr scharfe Reden von den Vertreten, der Arbeiter gehallcn, namentlich in FouqniöreS, wo man einen Ingenieur, der die Bergwerks- gesellichaft vertrat, nicht zu Worte kommen ließ. Lille , 14. März. Die gestrige Beisetzung der rekognoszierten Opfer der Grnbenkatastrophe gab Anlaß zu verichiedenen Zwischen- fällen. An, Grabe wollte ein Jiiaenicur eine Rede hallen, er wurde aber von den erregten Aibeitern bedroht und mußte sich zurückziehen. An seiner Stelle hielt ein Arbeiter eine Rede, in welcher er die Jngenienre für das Unglück verantwortlich machte. Lille , 14. März. Unter den Bergarbeitern»nacht sich eine ge- wisse Erregung bemerkbar, die an Stärke zuzunehmen droht und sich auf andere Gruben ausbreitet; die Arbeiter verlangen eine zehnprozentige Lohnerhöhung. Die Bergleute von Ostrecourt haben bereits beschlossen, zu streilen. Die BerguugSardeiteo, bei denen die deutschen Mannschaften fortgesetzt große Dienste leisteten, geheu im allgemeinen nur langsam vorwärts. Aus Lens wird am 13. telegraphiert: Die deutschen Rettung«- Mannschaften in CourriöreS haben durch ihr mutvolles Verhalten die Bewunderung der französischen Bergleute erregt. Aus Schacht 2 konnten in der vergangenen Nacht dank der Hülse der westfälischen Bergleute 26 Leichen hcraufbcfördert werden, von denen 19 rclog- nosziert worden sind. Gegen Mittag wurden in allen Dörfern des betroffenen Bezirkes unter großer Beteiligung der Bevölkerung Trauerfeiern abgehaten; die Feier in Möricourt-Coron galt dem Gedächtnis der nicht rekognoszierten Opfer der Katastrophe. In der ganzen Gegend ist starker Schneefall eingetreten. Lille , 14. März. Die Arbeiten, welche seit der Gruben- katastrophe in den Schächten Vll und IX unterbrochen waren, sind gestern wieder aufgenommen worden. Die Obersteiger be- gaben sich persönlich in die Wohnung der Arbeiter und ersuchten sie, wieder einzufahren, ein Verlangen, waS vielfach übel aufgenommen worden, da die Arbeiter unter allen Umständen der Beisetzung ihrer Kameraden beiwohnen wollten. Brüssel, 14. März. Ein Teil der westfälischen Grubenarbeiter, sind gestern von Courriöres aus der Rückreise nach Deutschland hier euigetroffen. Sie erklärten, ihre Mission sei zwecklos gewesen, da man sie zu spät z», Hülfe gerufen habe. Paris , 14. März. Der Abgeordnete Laure, welcher in Gruben- angelegcnheiten eine Autorität ist, hat die Ueberzeugung ausgedrückt. daß trotz aller gegenteiligen Behauptungen, noch Arbeiter in der Grube III am Leben sein müßten und daß dieselben viel- leicht noch zwei Tage aushalten können. Die Voraussetzungen, von denen Laure zu seiner Annahme kommt, sind nicht bekannt; sie werden wohl nur ttügerische Hoffnungen wecken. Aufforderung zu Spende«! Die„L' Humanitö" erläßt einen Aufruf zu Sammlungen für die Hinterbliebenen. Nicht nur solle dem Minenproletariat dadurch finanzielle Hülfe geleistet werden, es gelte auch der Svmpathie AuS- druck zu geben. Weiter lündigt unser Parteiorgan eine parlamen- tarische Aktion zwecks Veranstaltung einer Enquete über die Kala- strophei, Ursachen an. Die französische Kammer hat die sofortige Hergabe von 500 000 Frank einstimmig votiert. Weiter wird gemeldet: Paris , 13. März. Rouvier drückte dem deutschen Botschafter Fürsten Radolin den Dank der Regierung für den von dem deutschen Onartettverein in Paris für die Opfer deS Gruben- Unglücks in CourriöreS gespendeten Betrag von 2000 Frank auS. Rom, 14. März. Die italienischen Blätter haben eine Subskription für die Hinterbliebenen der Opfer von Courriöres eröffnet. Der Presseverband hat seine Mitglieder auS dem gleichen Anlaß zusammenberufcn. Die Blätter fordern daS ttalienische Volk auf. seine Sympathien gegenüber Frankreich zu beweisen. Paris , 14. März. Die Subskription, welche gestern von der Presse zu Gunsten der Opfer der Grubenkatastrophe eröffnet worden ist, hat bereits am ersten Tage die Summe von 284 341 Frank ergeben. Mit verbreitet man in Preußen straflas Flugblätter und Zeitnugen? Ans Anlaß der Verbreitung des Wahlrechtsflugblattes find in Dutzenden von Fällen völlig unberechtigte Anklagen gegen Ver- breiler der Flugblätter erhoben. Allein in Danzig sind zehn Flugblattverbreitcr mit je 100— sage und schreibe einhundert— Mark Geldstrafe belegt. Drei dieser„Sünder" sind bereits frei- gesprochen, die weiteren sieben harren der Freisprechung. Wie in Danzig , so überall, insbesondere auf dem platten Lande. Die Scherereien, die mit Vorladungen vor Gericht verbunden sind, können nicht rückgängig gemacht werden. Oder er- achten die Staatsbehörden, voran der neue Justizminister. die Aufklärung, die die Behörden durch derlei unberechtigte, objektiv widerrechtliche Anklagen schaffen, für hinreichende Sühne deS einzelnen? In vielen Fällen sind nicht einmal die den, Angeklagten erwachsenen notwendigen Auslagen(Arbeitsversäumnis, VerteidigungS- kosten, Reisekosten,'Schreibaufwaiid usw.) erstattet. DaS wirkt natürlich recht aufklärend für die ErkenntuiS: die I u st i z des Klassen st aateS ist nicht in der Lage, das Recht deS Arbeiters zu schützen, Wohl aber dem Staatsbürger deshalb Si achteile zuzufügen, weil er nichts Strafbares begangen, der Anklagevehördc aber die Möglichkeit der Erteniltnis der Straflosigkeit fehlte oder lürzer: Justiz und Gerechtigkeit muß im Klaffenstaat zweierlei sein. Deshalb muß wer Gerechtigkeit will, die Einrichtungen dieses Klassenstaates bekämpfen, deren Wirkungen Rechtsverletzungen dar- stellen. Nachstehend stellen wir die Vorschriften zusammen, die für Flugblatwerteilung nach Recht und Gesetz in Preußen gelten. 1. In Wohnungen und anderen geschlossenen Räumen kann die Verbreitung von Druckschriften jeder Art stattfinden, wenn die Verbreitung nicht gewerbsmäßig und wenn sie ferner unentgeltlich geschieht. Zu geschlossenen Räume,, gehören auch Hausflure, Treppenflure, Gaftlokale, überhaupt alle Räume unter Dach und Fach, nicht aber die Vorgärten. Diese Art der Verbreitung ist die übliche und ist deren Beibehaltung zu empfehlen. Sie ist durch§ 48 der ReichS-Gewcrbe- Ordnung geschützt. 2. Aus öffentlichen Wegen, Straßen und Plätzen dürfen Bekanntmachungen, Plakate oder Aufrufe nur mit polizeilicher Ge- „ehmigung verteilt werden. Da es möglich ist, alles Mögliche unter den Begriff Bekanntmachung oder Aufruf zu bringen, s o empfiehlt eS sich, von der Verbreitung auf öffentlichen Wegen, Straßen und Plätzen abzu- sehen. Nestaurationsräume sind aber keine öffentlichen Plätze, vielmehr find eS geschlossene Räume; in ihnen kann verbreitet werden. 3. Kann am Sonntag, insbesondere während derKirchzeit, verbreitet werden? In ganz Preußen sind in den Jahren 1895 bis 1898 Oberpräsidial- und Polizeiverord- nungeit ergangen, die gegen die Verfaffung verstoßen und auch als verfassungswidrig vom Kammergericht anerlannt wurden, so lange der KammergerichtSrat Havenstein im Strafsenat des Kammer- gerichtö wirkte. Dieser Richter— ein Beispiel zum Märchen von der Unabhängigkeit der Richter—»st ohne seinen Wunsch vom Strafsenat entfernt. Seitdem ist die Rechisprechung des Kammer- gericbts eine andere geworden. Es hat aiigeiioiiimen, die Ober- präsidialverord», ingen sin der Provinz Brandenburg ttäat sie das Datum deS 4. Juli 1898) seien wenigstens nicht in allen Teilen un- gültige. Güllig sei daS in ihnen enthaltene Verbot der„öffentlich bemerkbaren Arbeiten" am Sonntag. Völlig irrig— das erkennt selbst das Kammergericht an— ist aber die Ansicht, das Tragen von Flugblättern sei stets eine öffentlich bemerkbare Arbeit. Die Obcrpräsidialverordnungen untersagen nur und können solche Arbeiten uutersageii, die öffentlich bemerkbar sind und sie durch ihre Art die äußere Heilighaltung der Sonntage, also die innere Sammlung und Erhebung allgemein, nicht aber die eines einzelnen, zu stören und zu beeinträchtigen geeignei sind. Das Tragen von Druckschriften zwecks Verteilung in den Häusern oder die öffentlich bemerkbare Verteilung von Wahl- flugblättern ist keine Arbeit. Zum Begriff der Arbeit im Srnne der Ober-Präsidialverordnung ist nach ständiger Rechtsprechung des KammergerichtS erforderlich, daß bei der betreffenden Beschäftigung eine gewisse An st rengung der "rüste in die Erscheinung tritt sEntsch. d. Kammerge- richts vom 1. Februar 1900. Johow, Bd. 20.(Z. 41). DaS Tragen von Druckschritten macht nicht mehr Arbeit, als das Tragen eines Gebetbuches oder eines Gesangbuches. So wenig daS Tragen eines Gesangbuches als eine am Sonntag verbotene Arbeit erachtet werden kann, ebensowenig das Tragen der Flugblätter. Die Flugblätter sind so leicht, daß nicht etwa das Tragen derselben dem Tragen einer Last gleich geachtet werden könnte. DaS Kammergericht hat nicht einmal daS Tragen eines Ge» wehrS , das bei weitem schwerer ist als die gesamten Flugblätter, die ein Genosse zu tragen vermag, und das" Schießen mit einem Gewehr am Sonntag für eine„Arbeit" erachtet. sEntscheidungen des Kammergerichts vom 21. Dezember 1889, 20. Juni 1898, 24. Sep- tember 1900, Johow Bd. 19, S. 324, Bd. 20, S 116 in Sachen wider Bräuer u. Gen. und wider Haack u. Gen. vom Jahre 1903 sowie Urteil von, 11. Januar 1904.) Die gesainten Flugblätter eines schwer belasteten Verbreiters wiegen selten auch nur annähernd ein Kilo, meist weit weniger als eine Bibel. Und das Tragen einer Bibel hat bislang das Kammergericht noch nicht für eine»Arbeit" erachtet. Daß die Verbreitung der Flugblätter keine Handlung sein kann, die durch die Oberpräsidialverordnung verboten wäre, ergibt sich schon daraus, daß sonst auch die Arbeit von Briefträgern an Sonn- tagen verboten wäre. Es wäre ferner verboten, daß jemand an den Sonntagen Einkäufe macht und die Einkäufe nach Hause bringt. Denn in all diesen Fällen geht er genau wie die Flugblattverteiler auf der Straße, hält Pakete, die keine Lasten darstellen, unter dem Arm und geht von Laden zu Laden oder von Haus zu HauS. Das Tragen ist nicht verboten. das Gehen ist nicht verboten und die Abgabe von Flugblättern ist ebenso wenig verboten. Letztere ist ja r e i ch s g es e tz l i ch gestattet und einer Einwirkung der Polizei überhaupt entzogen. Die Polizei kann lediglich die äußere Heilighaltung bezwecken und bezweckt haben. Weder die Hingabe der Flugblätter in den Wohnungen, noch daS Gehen mit denselben auf der Straße ist eine Tätigkeit, welche die äußere Heilighaltung deS Sonntags zu stören geeignet ist und strafbar wäre. Trotz alledem ist es geboten, das Auge des Mißtrauens gegen die Rechtsprechung des Kammergerichts offen zu halten. Denn trotz der Offensichtlichkeit, daß das Tragen von Flugblättern keine Abeit ist, siiid doch entgegen den an- geführten Urteilen auch Urteile ergangen, die eine Bestrafung straf- loser Flugblattverteiler für gerechtfertigt erachteten. Bei der Art der Flugblattverteilung ist auf diese»„günstige Rechtsprechung Rücksicht zu nehmen. Bevor wir auf diese eingehen, sei nur hervorgehoben: wiewohl nicht strafbar, ist aus agitatorischen Rücksichten insbesondere auf dem Lande dringend zu empfehlen, Flugblätter nicht während der Ze»t des Gottesdienstes zu ver» breiten. WaS sagt nun die ungünstigste Art der kammergcrichtlichen Rechtsprechung? DaS Kammergericht hat angenommen, daß eine während der Kirchzeit vorgenommene Verbreitung eine öffentlich bemerkbare Arbeit darstelle und daher nach den Oberpräsidial-Verordnungen ver- boten sei. Aber das Kammergericht h a t auch angenommen. daß der Charakter der öffentlichen Bemerkbarkeit fehlt, wenn die Flugschriften, Zeitungen usw., um- hüllt— sei eS in Papier, sei eS in einer Mappe oder in einer anderen Hülle— getragen werden. D a, wo Flug» blätter usw. verhüllt getragen sind, ist eine Bestrafung niSht eingetreten. ES empfiehlt sich daher für die Sonntag« lind Fe st tage, die Zeitungen oder Flugblätter auf der Straße verhüllt und in nicht auffallend großen Paketen zu tragen. 4. Die Reichspostgesetznovelle vom 20. Dezember 1899(Artikel 8, letzter Absatz) bestimmt, daß die gewerbsmäßige oder nicht gewerbs- mäßige Beförderung von unverschlossenen polittschen Zeitungen innerhalb der Gemeindegrenzen eines Ortes jedermann gestattet ist,»auch an Sonn- und Feiertagen während der Stunden, in denen die kaiserliche Post bestellt". ES erhellt, daß hiernach eine Auslegung einer Oberpräsidialverordnung, nach der die Verbreitung von Zeitungen in diesen Stunden verboten werden dürfte, auch die« Reichsgesetz verletzt. Kann die Verbreitung von Zeitungen die Festtagöruhe nicht stören, so kann der gesunde Meiischen verstand nicht einsehen, wie die Verbreitting viel leichterer Flugblätter die Sonntagsruhe stören könnte. Was hat zu geschehen, wenn trotz Beobachtung der vorstehend angegebene» Verhaltungsmaßregeln ungerechtfertigte Anklagen er- gehen? In jedem Falle soll nicht der einzelite, sondern lediglich die von der politischen oder gewerkschaftlichen Organisation mit der AuS- sührung der Agitatton bettauten Genossen darüber entscheiden, ob man lieber Unrecht leiden als Recht bei preußischen Gerichten suchen will. Wird dem Unschuldigen nicht sein Recht, werden insbesondere dein ungerecht Angeschiildigten nicht auch die ihm er- ivachscne» notivendigen Auslagen erstattet, so mögen die zu- ständigen Instanzen prüfen, ob zur Abschreckung gegen gesetzwidrige Draiigsalierungen die Erhebung einer Schadenersatzklage gegen die Beamten sich empfiehlt, die für den Eingriff in die staatsbürgerlich gewährleisteten Rechte verantwortlich si»d. Solche Klage gegen Beseler und Genossen oder Bethmanii-Hollweg und Genossen ist in erster Instanz von dem Landgericht, in letzter Instanz vom Reichs- gericht zu entscheiden. Es kann aber hierbei das OberverwalwngS- gericht der Justiz in den Arm fallen. So agitatorisch aufklärend der Versuch einer solchen Klage als Zeichen eines Restes von Ver- trauei, zur Rechtspflege wäre, so ist dabei doch der Kostenpunkt zu berücksichtigen, und nicht zu vergessen, daß daS„Land mit den vollendetsten RechtSgarautien", sofern es sich um Rechte der nach Freiheit und Gerechtigkeit strebenden Klasse handelt, von dem Grund» satz beherrscht wird: Recht haben und Recht bekommen ist zweierlei. .�lus cler frauenbeilvegung. Um daS Francnmahlrrcht. AuS London wird uns unterm 10. März geschrieben; Der Kampf»mserer englischen Genossinnen lim die Ausdehnung des Wahlrechts auf die Frauen nimmt unausgesetzt seinen Fortgang. Durch Proteste in öffentlichen politischen Versammlungen, durch eigene Demonstrationen und durch Belästigung von hervorragenden Politikern halten sie ihr Programm vor der Oeffentlichkeit. Wahrend der Wahlen haben sie in jeder größeren Versammlung auf die Recht- losigkeit der Frauen hingewiesen und scheuten sich'auct, nicht, den Männern ganz unangenehm zu werden. Gestern begab sich eine sozialistische Frauendeputation zum Premierminister, um ihm ein Ver» spreche», die Frauenwahlrechtsvorlage zu förder», abzugewinnen. Die Deputation bestand aus Frau Pankhurst , Frau Martet(aus Australien ), träulein Keimet), Frau Drummond, Frau Henwick Miller, Frau ora Moutefiore und dreißig minder bekannten Wahlrechtlerinnen. Der Premierminister lehnte es indes ab, die Deputation zu enrpfangen. worauf die grauen so klopften, daß die Polize» herbcrkam und sie aufforderte. Da die Menge immer stieg Fräulein Kcnny ein Automobil tation gab' eS einige sehr reiche sozialistische Frauen— und begann eine Rede zu halten. Drei der Demonstranttnnen wurden verhaftet, aber nach kaum einer Stunde freigelassen, da der Premierminister jedes polizeiliche Einschreiten zurückwies. Er schrieb vielmehr an die Frauen, sie möchten sich mit anderen Frauen- Organisationen vereinigen. um der Deputatton einen wirklich repräsentativen Charakter zu geben, in welchem Falle er sie gerne enipfangeii würde. Die Deputation antwortete:„Unsere Organisatton zieht eS vor, selbständig vorzugehen und die liberalen und konservativen Fraucnorganisationen allein zu lasten. Wir gehören zur Arbeiter- Partei und nehmen ihre Taktik an." Abends erließen sie ein Manifest:»Der Preinierminister und die meisten Parlamentsmitglieder haben sich kür das laut an die Tür zum Auseinandergehen größer wurde, be» in der Depu-
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