Nr. 65.
Abonnements- Bedingungen:
Abonnements Preis pränumerando: Bierteljährl. 8,30 M., monati. 1,10 m., wöchentlich 28 Pfg. frei ins Haus. Einzelne Nummer 5 Bfg. Sonntagsnummer mit illustrierter Sonntags. Beilage„ Die Neue Welt" 10 Bfg. PostAbonnement: 1,10 Mark pro Monat. Eingetragen in die Post- Beitungs. Preisliste. Unter Areusband für Deutschland und Desterreich- Ungarn 2 Mart, für das übrige Ausland 3 Mart pro Monat. Postabonnements nehmen an: Belgien , Dänemart, Holland , Italien , Luremburg, Portugal , Rumänien , Schweden und die Schweiz .
Erichcint täglich außer Montags.
Vorort- Ausgabe.
23. Jahrg.
Die Infertions- Gebühr beträgt für die fechsgespaltene Kolonelzeile oder deren Raum 50 Pfg., für politische und gewerkschaftliche Vereinsund Versammlungs- Anzeigen 30 ẞfg. ,, Kleine Anzeigen", das erste( fettgebrudte) Wort 20 Bfg., jebes weitere Bort 10 Pfg. Stellengesuche und Schlafstellen- Anzeigen das erste Wort 10 Bfg., jedes weitere Wort 5 Pfg. Worte über 15 Buchstaben zählen für zwei Worte. Inserate für die nächste Nummer müffen bis 5 1hr nachmittags in der Expedition abgegeben werden. Die Expedition ist bis 7 Uhr abends geöffnet. Telegramm- Adresse: ,, Sozialdemokrat Berlin".
Redaktion: S. 68, Lindenstrasse 69.
Fernsprecher: Amt IV, Nr. 1983.
Sonntag, den 18. März 1906.
Expedition: S. 68, Lindenstrasse 69. Fernsprecher: Amt IV. Nr. 1984.
Die Toten an die Lebenden!
-
Die Kugel mitten in der Brust, die Stirne breit gespalten, So habt ihr uns auf blut'gem Brett hoch in die Luft gehalten! Soch in die Luft mit wildem Schrei, daß uns're Schmerzgeberde Dem, der zu töten uns befahl, ein Fluch auf ewig werde! Daß er sie sehe Tag und Nacht, im Wachen und im TraumeIm Deffnen seines Bibelbuchs wie im Champagnerschaume! Daß wie ein Brandmal sie sich tief in seine Seele brenne: Daß nirgendwo und nimmermehr er vor ihr fliehen könne! Daß jeder qualverzog'ne Mund, daß jede rote Wunde Ihn schrecke noch, ihn ängst'ge noch in seiner letzten Stunde! Daß jedes Schluchzen um uns her dem Sterbenden noch schalle, Daß jede tote Fauft sich noch nach seinem Haupte balle Mög' er das Haupt nun auf ein Bett, wie and're Leute pflegen, Mög' er es auf ein Blutgerüft zum letzten Atmen legen! So war's! Die Kugel in der Brust, die Stirne breit gespalten, So habt ihr uns auf schwankem Brett auf zum Altan gehalten! ,, Serunter"! und er kam gewankt gewankt an unfer Bette; „ Sut ab!" er zog er neigte sich!( so sant zur Marionette, Der erft ein Romödiante war) bleich stand er und beklommen! Das Heer indes verließ die Stadt, die sterbend wir genommen! Dann:„ Jesus meine Zuversicht!" wie ihr's im Buch könnt lesen: Ein„ Eisen meine Zuversicht!" wär' paßlicher gewesen! Das war den Morgen auf die Nacht, in der man uns erschlagen; So habt ihr triumphierend uns in uns're Gruft getragen! Und wir wohl war der Schädel uns zerschoffen und zerhauen, Doch lag des Sieges froher Stolz auf unsern grimmen Brauen. Wir dachten: hoch zwar ist der Preis, doch echt auch ist die Ware! End legten uns in Frieden d'rum zurecht auf uns're Bahre.
-
-
-
Weh' euch, wir haben uns getäuscht! Vier Monden erst vergangen, Und alles feig' durch euch verscherzt, was troßig wir errangen: Was unser Tod euch zugewandt, verlottert und verloren O, alles, alles hörten wir mit leisen Geisterohren!
Wie Wellen braust an uns heran, was sich begab im Lande: Der Aberwitz des Dänenkriegs, die letzte Polenschande;
Das rüde Toben der Vendée in stockigen Provinzen; Der Soldateska Wiederkehr, die Wiederkehr des Prinzen;
Die Schmach zu Mainz , die Schmach zu Trier ; das Hänseln, das Entwaffnen Allüberall der Bürgerwehr, der eben erst geschaff'nen;
Die Tücke, die den Zeughaussturm zu einem Dieb'szug machte, Die selber uns, die selbst das Grab noch zu begeifern dachte; So weit es Barrikaden gab, der Druck auf Schrift und Rede; Mit der Versammlung freiem Recht die täglich frech're Fehde; Der Kerkertore dumpf Geknarr im Norden und im Süden; Für jeden, der zum Volke steht, das alte Kettenschmieden;
Im Juli 1848.
Der Bund mit dem Rosakentum; das Brechen jedes Stabes, Ach, über euch, die wert ihr seid des lorbeerreichsten Grabes: Ihr von des Zukunftsdranges Sturm am weitesten Getrag'nen! Ihr Junikämpfer von Paris ! Ihr siegenden Geschlag'nen! Dann der Verrat, hier und am Main im Taglohn unterhalten O Volt, und immer Friede nur in deines Schurzfells Falten? Sag' an, birgt es nicht auch den Krieg? den Krieg herausgeschüttelt! Den zweiten Krieg, den letzten Krieg mit allem, was dich büttelt! Laß deinen Ruf:" Die Republik !" die Glocken überdröhnen, Die diefem allerneuesten Johannesschwindel tönen!
Umsonst! es täte not, daß ihr uns aus der Erde grübet, Und wiederum auf blut'gem Brett hoch in die Luft erhübet! Nicht, jenem abgetanen Mann, wie damals, uns zu zeigen Nein, zu den Zelten, auf den Markt, ins Land mit uns zu steigen! Sinaus ins Land, soweit es reicht! Und dann die Insurgenten Auf ihren Bahren hingestellt in beiden Parlamenten!
-
-
O ernste Schau! Da lägen wir, im Haupthaar Erd' und Gräfer, Das Antlig fleckig, halbverwest die rechten Reichsverweser! Da lägen wir und sagten aus: Eh' wir verfaulen konnten, Ist eure Freiheit schon verfault, ihr trefflichen Archonten! Schon fiel das Korn, das keimend stand, als wir im Märze starben: Der Freiheit Märzsaat wird gemäht noch vor den andern Garben! Ein Mohn im Felde hier und dort entging der Sense Sieben O, wär' der Grimm, der rote Grimm, im Lande so geblieben! Und doch, er blieb! Es ist ein Trost im Schelten uns gekommen: 3u viel schon hattet ihr erreicht, zu viel ward euch genommen! Zu viel des Sohns, zu viel der Schmach wird täglich euch geboten: Euch muß der Grimm geblieben sein-o, glaubt es uns, den Toten! Er blieb euch! ja, und er erwacht! er wird und muß erwachen! Die halbe Revolution zur ganzen wird er machen!
Er wartet nur des Augenblicks, dann springt er auf allmächtig, Gehob'nen Armes, weh'nden Haars dasteht er wild und prächtig! Die roft'ge Büchse legt er an, mit Fensterblei geladen: Die rote Fahne läßt er weh'n hoch auf den Barrikaden! Sie fliegt voran der Bürgerwehr, sie fliegt voran dem Heere
Die Throne geh'n in Flammen auf, die Fürsten flieh'n zum Meere! Die Adler flieh'n; die Löwen flieh'n; die Klauen und die Zähne! End seine Zukunft bildet selbst das Volk, das souveräne!
Indeffen, bis die Stunde schlägt, hat dieses unser Grollen Euch, die ihr vieles schon versäumt, das Herz ergreifen wollen! O, steht gerüstet, seid bereit! o, schaffet, daß die Erde, Darin wir liegen strack und starr, ganz eine freie werde! Daß fürder der Gedanke nicht uns stören kann im Schlafen: Sie waren frei: doch wieder jetzt- und ewig! sind sie Sklaven!
freiligrath.