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mit dem Nachkarstamm in keständiger Feindschaft, und nur die deutsche Kolonialverwaltuna verhindert, daß sie alle Augenblicke über einander herfallen. Uebrigens würden die Akwahäuptlinge durch ihre Freilassung nur die Neberzeugnng gewinnen, daß von nun an in gerrasier Weise gegen sie vorgegangen werden soll, und dieser Gedanke würde schon allein genügen, um sie zum Bleiben im Lande zu veranlassen. In der Petition der Alwaleute werden nun Mißstände auf- geführt und sie sind durch die Gerichtsverhandlung nachgewiesen worden die mit Notwendigkeit, wenn sie nicht abgestellt werden, früher oder spater in Kamerun einen Aufruhr hervorrufen müssen. Von diesem Gesichtspunkte aus haben wir alle Ursache, uns der Beschwerdeführer anzunehmen. In Ostafrika war die Hüttensteuer eine Hauptursache der Empörung. In Kamerun besteht die Kopfsteuer, die jede? Familienoberhaupt für jedes männliche Familienmitglied über 16 Jahre mit 3 M., für jedes weibliche mit 2 M. zu bezahlen hat. Wenn man sich vergegenwärtigt, daß bei den Negern vielfach die Vielweiberei herrscht und die Familien sehr groß sind, so wird man zugeben, daß das eine exorbitante, eine enorme Steuer ist. Ich begreise gar nicht, wie die zahlreichen Familien im stände sind, dieKopf- steuer zu entrichten. Noch jüngst drohte selbst u»ter englischer Herrschaft in Südafrika ein Aufstand der Znlnkaffern wegen der Hüttensteuer. Welche Folgen muß da erst die viel drückendere Kopfsteuer in Kamerun haben I sSehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Bei der Sanierung von Duala haben die Eingeborenen lange Monate hin- durch überaus anstrengende Zwangsarbeit, zum Beispiel beim Straßenbau leisten müssen, ohne die geringste Entschädigung zu bekommen. Eine Anzahl Hütten' mußten int Jnter- esse der Straßeureinigung beseitigt werden. Daß die Ein- geborenen nicht sofort der Aufforderung, ihre Wohnstätten zu zerstören, die sie mit ihrem Schweiße errichtet hatten, auf Befehl eines beliebigen Beamten hin, dessen Motive sie nicht kannten, nach- kamen, das versteht sich doch von selbst. Sie sollten derartiges ein- mal einem deutschen Bauern oder einem deutschen Arbeiter auf dem Lande zumuten. Die Eingeborenen aber wurden gezwungen, ihre Pflanzungen zu zerstören, ja in einzelnen Fällen ist man sogar dazu übergegangen, ihr bißchen Hansrat durch Feuer zu vernichten. Herr v. Brauchitsch hat zugegeben, daß die Eingeborenen für ihre zerstörten Häuser, Bäume, Pflanzen und Feldfrüchte keiiwrlei Entschädigung erhalten haben. Ja, nach der Aussage des Polizcidiencrs mußten die Eingeborenen sogar ihre eben erst neu aufgebauten Hütten wieder ohne Entschädigung niederreißen, weil die Straße nachträglich verbreitert werden sollte. Wenn ich den Kolonialdirektor richtig verstanden habe, hat er selbst zugegeben, daß dadurch Ziffer 3 des Vertrages, der über die Annektion von Kamerun zwischen Dr. Nachtigall und den Negerbnuptlingen abge- schloffen wurde, verletzt worden ist. Denn danach sollte ,',das kulti- vierte Land", ebenso die aufgebauten Plätze und Orte Eigentum der gegenwärtigen Besitzer und ihrer Rechtsnachfolger bleiben." Neben Herrn v. Puttkamer hat in erster Reihe v. Brauchitsch sehr aufreizend in der Kolonie gewirkt. Der Legationsrat Rose hat neulich gesagt, es wolle ihm nicht in den Kopf, daß der Landeshauptmann auf den Marschallmseln nicht berechtigt sein sollte, den Eingeborenen eine Tracht Prügel zu erteilen. Das ist echt ostpreußische Sitte und Anschauung.(Sehr gut! links.) Anderswo denkt man darüber anders, und die Eingeborenen in unseren Kolonien scheinen ja auch an die Prügelstrafe nicht gewöhnt zu sein und sie als eine offenbare markante Rechts- Verletzung zu empfinden. Sie klagen darüber, unter Ztr. 22 der Petition:Von dem ersten hier regierenden kaiserlichen Gouverneur bis auf den heutigen regierenden Gouverneur werden wir trotz unserer mehrmaligen Bitten: die schreckliche Gewohnheit zu lassen stets für ein jedes geringe Vergehen im Zivil- oder Strafprozesse mittels einer Seekuhpeitsche oder eines dicken, in Kohlenteer eingetauchten und im scharfen Sande umgewühlten und steifgetrockneten Taues ohne Rücksicht der Person mit 25 Hieben ge- peitscht; öfter, bei etwas schwereren Fällen, wird man mit 75 Hieben in drei Raten bestraft". So werden mit einem direkt tödlichen Instrument Männer, Frauen und Kinder ausgepeitscht. Das ist einfach eine Barbarei, eine Gewalttätigkeit, die namens der Zivilisation und des Christentums ausgeübt wird, gegen die wir mit aller Energie protestieren müssen.(Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten.) Bei den Flußregulierungsarbeiten wurden die Neger nach ihrer eigenen Angabe 6 Monate, nach Angabe der Behörde 3 Monate lang mit Zwangsarbeiten beschäftigt, um eine bessere Fahrstraße herzustellen. All' diese schwere Arbeit ohne einen Groschen Entschädigung, ohne daß die Arbeiter auch nur das geringste zu essen bekamen. Nur die Privatunternehmer- gesellschaft lieferte ihnen den nötigen Rum!(Hört! hört! links.) Man hat der Petttion vorgeworfen, daß sie gewisse Dinge allzu deutlich mit Namen nennt. Aber Herr v. Brauchitsch brauchte doch deswegen nicht Gleiches mit Gleichem zu vergelten und die Alwaleute als Trunkenbolde, durchaus lügenhafte Menschen usw. zu beschimpfen. Das sind doch Ausdrücke, wie sie unter Leuten von Bildung nicht gebräuchlich sind. Sehr gewundert habe ich mich, daß in dieser Debatte die Herren Arendt und v. Richthofen die Verwaltung nach Möglichkeit in Schutz genommen haben, aber nicht ein Wort über die Beschwerden sagen, die ihnen seinerzeit selbst durch einen Vortrag zu Ohren gekommen sind, den im Sommer vorigen Jahres der Kameruner Missionar Lehnert speziell vor konservativen Abgeordneten gehalten hat. Nach dem sicherlich nicht z u u n g u n st e n der Kolonial- Verwaltung tendenziösen Bericht derDeutlchen Tageszeitung" führte er Klage darüber, daß den Eingeborenen viel zu viel Land weg- genommen würde, daß Kakaopflanzen mitten in ihr Land hinein- gebaut würden, daß man ihnen den Zugang zu den Wasserstraßen verwehre und sie so in einen Berzweiflnngskampf treibe, von dem man noch nicht wisse, ob er nicht bald ausbrechen werde. Man habe vielfach den Eindruck, als ob die Regierung selbst keine Macht mehr über die Landgesellschaften habe. Ich frage wiederholt: Warum haben die konservativen Abgeordneten diese Mitteilungen nicht hier zur Sprache gebracht, wie es ihre Schuldigkeit gewesen wäre? Charakteristisch ist ferner, daß die Plantagenarbeiter in Kamerun immer seltener loerden. Die Behandlung durch die weißen Besitzer hat dahin geführt, daß sie einfach davonlaufen. Sie finden das eingchendst in einer Broschüre des Konsuls Renö über die Kameruner Arbeiterfrage dargestellt. Teilweise haben im letzten Jahre Plantagen infolge Arbeitcrmangels den Betrieb einstellen müssen. Auch die Eingeborenen selbst denken natürlich nicht daran, neue Kulturen auf dem Lande anzulegen, das bereits im Prinzip den Landgesellschaften als Eigentum zuerkannt worden ist. Wenn man sich nicht entschließt, die Eingeborenen mensch- lich, gerecht und gut zu behandeln, haben unsere Kolonien gar keine Zukunft. So sehr wir gegen die Kolonialpolitik an sich sind, so müssen wir doch, solange wir Kolonien haben, mit aller Kraft darauf dringen, daß den gerechten und menschlichen Ansprüchen der Eingeborenen Rech- nung getragen wird.(Bravo ! bei den Sozialdemokraten.) Man wundert sich über die ungeheure Grausamkeit, die sich in der Geschichte der orientalischen Despoten findet. Was bisher in unseren tropischen Kolonien geschehen ist, entspricht genau der Geschichte dieser Despoten. Auch hier haben wir Akte der Grausamkeit und Brutalität, die wir gar nicht verstehen können bei Menschen, die sonst stolz auf ihre Kultur und Zivilisation sind. Dann hören wir wieder die schauder« haftesten Dinge aus dem Kongostaat. Und auch aus unseren eigenen Kolonien würden wir noch viel Schlimmeres erfahren, wenn nicht mit der allergrößten Strenge darauf gesehen würde, daß kein Deutscher, kein Europäer, der sich dort ansässig gemacht hat, das geringste über die dortigen Uebelstände an die Oeffentlichkeit bringt. Ein Mann, der Jahre lang in Kamerun tätig gewesen ist. hat mir versichert, daß jeder Kaufmann und jeder Angestellte, der nur im geringsten in Verdacht steht, etwas über die scheußlichen Zu- stände, die vielfach in den Kolonien herrschen, zu veröffentlichen, mit allen Mitteln ruiniert und ans dem Lande herausgedrängt wird. Und da auch die Beamten aus kollegialem Gefühl sehr schwer zu bewegen sind, Mißstände an den Tag zu bringen, kommt leider nur der geringste TeU der Mißstände zur Kenntnis der Oeffentlichkeit. Alle diese Gewalttätigkeiten und Ungerechtigkeiten entspringen daraus, daß die Beamten, daß die Weißen in den Kolonien von einem Gefühl der Selbsthcrrlichkeit und Unverantwort- lichkcit beherrscht werden, daß sie als Europäer den Schwarzen nicht als gleichberechtigten und gleichwertigen Menschen anerkennen, sondern ihn aufs tieffte mißachten und daß Gewinnsucht und Profitgier sie dazu drängen, alles mögliche zu tun. um in kürzester Zeit reich zu werden. Solange in allen diesen Mißständen keine Besserung ein- tritt, dürfen Sie sich nicht wundern, wenn wir fortgesetzt mit Klagen und Beschwerden vor Sie kommen und einem derartigen Zustande niemals unsere Zustimmung geben.(Lebhafter Beifall bei den Sozial- demokraten.) Erbprinz zu Hohenlohe : Der Abg. Bebel hat mir den Vorwurf der Leichtgläubigkeit gemacht. Ich halte es aber für meine Pflicht. auch einen Beamten, gegen den allerdings sehr stark der Anschein spricht, so lange zu schützen, bis genau festgestellt ist, ob seine An- gaben richtig sind oder nicht. Ich gebe aber zu, daß. wie gesagt, in der Angelegenheit derFrau von Eckardtstein" der Anschein sehr stark gegen Herrn von Puttkamer spricht. Die Kopssteuer ist längst durch die Hüttensteuer ersetzt worden. Die Arbeit an den Straßen geschah als Ersatz für nicht gezahlte Steuern. Frauen dürfen nicht geprügelt werden. Geichieht es doch, so ist das ein Mißbrauch der Ämtsgewalt. Kinder werden nicht, wie die Männer, mit dem Tau geschlagen, sondern mit Gerten, wie vielfach auch bei uns. Wir müssen uns vor der Verwechselung von Gerechtigkeit und Schwäche hüten. Abg. Erzberger(Z.): Ich stehe den Kolonien gewiß nicht optimistisch gegenüber, aber Kamerun halte ich für entwickelungs- fähig. Um so notwendiger ist die scharfe Kontrolle des Reichstags. Ich stimme mit dem Abgeordneten Storz darin überein, daß weitere Gelder für Neubauten in Buca nicht mehr bewilligt werden dürfen. Angefangene Bauten aber müssen vollendet werden. Herr v. Putt- kamer hat nicht nur den Paß gefälscht, sondern auch die Person eigenhändig in das polizeiliche Anmelderegister in Kubeba als Fräulein v. Eckardtstein" eingetragen! Das wäre also eine zweite Urkiiiidriifälschnng.(Hört! hört!> Erbprinz zu Hohenlohe : Gegen den Spirituosenhandel sind einzelne Gebiete im Innern Kameruns gesperrt worden. Die Ver- waltung wird das möglichste tun, um die Eingeborenen vor dieser Pest zu schützen.(Bravo !) Ueber den Fall der polizeilichen An- Meldung ist mir bisher nichts bekannt geworden; ich werde mich danach'weiter erkundigen. Abg. v. Gcrlach(frs. Vg.): Der Antrag Stortz ist offenbar ein Produkt jener Afrikareise und auch die Unterstützung dieses Antrages durch Herrn v. NichtHofen ist wohl auf die von ihm an Ort und Stelle gewonnene Erfahrung zurückzuführen. So hat diese viel- bespöttelte Reise doch einen Erfolg gehabt. Solche Reisen sollten von Reichs wegen arrangiert werden, dann würde keine Partei Be- denken tragen, daran teilzunehmen. Auch die Sozialdemokratie ist ja nicht programmatisch kolonialfeindlich, und sie wird es dann auch nicht ablehnen, aus eigener Anschauung die Kolonien kennen zu lernen. Erbprinz zn Hohenlohe : Finer gestrigen Anfrage zu genügen. teile ich mit, daß die Gouverneure theoretisch das Ausweisungsrecht gegen Deutsche besitzen, es aber praktisch meines Wissens noch nicht ausgeübt haben. Die Anregung des Herrn Vorredners ist mir um so shm- pathischer, als ich es selbst am eigenen Leibe erfahren muß, wie mißlich es für mich ist, daß ich noch nicht in den Kolonien war. Sobald als irgend möglich, werde ich diesem Mangel nachhelfen und die Kolonien besichtigen. Abg. Dr. Arendt begrüßt ebenfalls die Anregung des Abgeord- neten v. Gerlach und polemisiert sodann gegen den Abgeord- ueten Ledebour. Ich freue mich, daß der Abgeordnete Bebel heute den Wert der deutschen Herrschaft für die Ein- geborenen anerkannt hat(Sehr gut! rechts), indem er zugab, daß ohne die deutsche Herrschaft ein fortwährender Vernichtungskrieg zwischen den Stämmen herrschen würde. Aber auch der vom Abg. Bebel kritisierte Straßenbau gereicht doch den Eingeborenen zum Vorteil. Eine Palmenhiitte zu verlegen ist keine so große Sache wie die Verlegung eines deutschen Bauernhauses. Ich wundere mich aber, daß der Abg. Bebel dafür eintrat, daß das deutsche Bauern- Haus erhalten werden soll. Das widerspricht doch dem sozial- demokratischen Programm. lLachen bei den Sozialdemokraten.) Hiermit schließt die Generaldiskussion. Jnbetreff der Pesition der Akwahäuptlinge beantragt die Kommission: I. in Ausführung des ß 4 des SchutzgebictgesetzeS vom 25. Juli 1900 tunlichst bald durch kaiserliche Verordnung die erforderlichen Maßregeln dafür zn treffen, daß den Eingeborenen der Schutzgebiete zunächst auf dem Gebiete des Strafrechts, des Strafprozesses und der Disziplinargewalt im Sinne der§Z 2 und 3 des Schutzgebiet­gesetzes erhöhte Recht sgarantien gewährt werden: II. schon jetzt Anordnung dahin zu treffen, daß gegenüber in Untersuchungshaft befindlichen Angeschuldigten die An- Wendung von körperlicher Züchtigung, Zwangsarbeit und Kettenhaft regelmäßig ausgeschlossen ist: HI. durch einen völlig unabhängigen, nach Möglichkeit mit Richterqualität bekleideten Beamten eine eingehende Unter« suchung über die Beschwerdepunkte der Akwaleute durchführen zu lassen und über das Ergebnis der Untersuchung und über die nach Ziffer I demnächst zu schaffenden Schutzmaßnahmen der Eingeborenen dem Reichstage Mitteilung zu machen; IV. im übrigen die Petition als Material zu überweisen. Diese Resolution wird angenommen. Ein Antrag Auer(Soz.) auf unverzügliche Frei- l a s s u n g der in Haft behaltenen Akwahäuptlinge wird abgelehnt! Für diese Resolution stimmen außer den Freisinnigen und Sozial- demokraten die Zentrumsabgeordneten Giesberts, Müller-Fulda und Erzberger . Ein Antrag des Abg. Storz(D. Vp.) auf Herabsetzung der Position fürBauten und deren innere Einrichtung" von 431 350 M. auf 165 100 M. wird auf Antrag des Abg. Dr. Arendt(Rp.) der Budgetkommission überwiesen. Damit ist die Beratung des Etats von Kamerun bis auf die an die Budgetkommission verwiesene Position erledigt. Der Gesetzentwurf betreffend Uebernahme einer Reichsgarantie für die Eisenbahn von Duala nach den Manengubabergen wird in zweiter Beratung angenommen. Hierzu wird folgende Resolusion der Budgetkommission an- genommen:Den Reichskanzler zu ersuchen, die Prüfung der Rechte und Pflichten und der bisherigen Tätigkeit der Land- und Bergwerksgesellschaften in Kamerun sowie die Frage, wie die Nach- teile der Konzessionen beseitigt werden können, der für Südwest- afrika berufenen Prüfungskommission zu überweisen. Das Haus vertagt sich. Nächste Sitzung: Mittwoch 1 Uhr(Antrag des Abg. Lieber- mann v. Sonnenberg(Ant.) betreffend Versammlungsfreiheit, Antrag des Abg. Graf Bernstorff(Welse) betreffend die Verbrauchsabgabe auf Zucker, Wahlprüfungen.) Schluß 6'/« Uhr. _ parlamentarisches. Militäretat, Ostafrika , Auswärtiges Amt . Die Beratung des Militäretats wurde gestern in der Budgetkommission de? Reichstages zu Ende geführt. Ver- mehrung des TrainS und der Titel Viehdoktor machten der Mehrheit Schmerzen. Herr Müller- Sagan(frs. Vp.) scheint in ernster Sorge zu leben, ob die deutsche Armee auch genügend Train- truppen besitzt, und bat daher halb warnend, halb fragend den Kriegsminister, wie eS mit dem Train steht. Vom Kriegsminister erhielt er die tröstliche Versicherung, die Zahl der Traintruppen stehe im harmonischen Verhältnis zu den übrigen Waffengattungen. Als höflicher und gefälliger Mann, der über die neuerdings so heiß erwachte Liebe Dr. Müllers von Sagau zum Militarismus nariirlich sehr erfreut ist, setzte der Kriegsminister hinzu, es schweben Erhebungen über eine eventuelle Train Vermehrung. Die sorgenvoll gefurchte Stirn des Herrn Müller glättete sich bei dieser beruhigenden Erklärung. Herr B e u m e r(natl.), der parlamentarische Geschäftsträger der rheinisch-westfälischen Schlotjunker, wünschte, daß die Tierärzte den schönen Titel D r. Tierarzneikunde erhalten möchten. Die Herren militärischen Pferdedoktors sehnten sich nach diesem Titelchen, sofern sie in Bern ihr Examen gemacht haben. Genosse Bebel verspottete die Titelsucht und betonte, daß die in Bern erworbeue Doktorwürde z. B. in der Schweiz in wenig gutem Ansehen stehe. Bei der Be­ratung des Etats für das Expeditionskorps in Ostasien teilte der Kriegsminister mit, daß ein Drittel der Truppen und die Gesandtschaftswache in Peking zurückgezogen wird; vermutlich werde dadurch der Etat um 4Vz Millionen erleichtert. Die fünfte Rate der von China an Deutschland zu zahlenden Kriegsentschädigung beträgt 10 847 363 M. Ab 1. Januar 1907 hat China an Deutsch­ land noch 272,4 Millionen Mark bei 4prozentiger Verzinsung zu bezahlen. Beim Etat des Auswärtigen Amtes wurden neue Ministerresidenten- bezw. Konsulatsstellen für Abessinien, Monte- negro, Mexiko und für Passai in China bewilligt. Kostenpunkt rund 141 000 M. Der Abg. Erzberger rügte es, daß ein deutscher Hauptmann, der einer abessinischen Handelsgesellschaft angehört, bei seinen Geschäftsempfehlungen sich auf die Geheimräte Holstein und Rosen beruft. Der Staatssekretär wollte anfänglich darin nichts von Belang erblicken. Nach einer Belehrung durch Genossen Bebel, daß mit der Berufung auf hohe Beamte vielfach schwerer Mißbrauch getrieben, das Publikum angelockt werde, Geld in diese Unternehmen zu stecken, die nur zu oft ein böses Ende nehmen, sagte der Staatssekretär zu, eine Aenderung herbei- führen zu wollen. Weiter wurde vom Abg. Erzberger (Z.) mitgeteilt, ein angesehener amerikanischer Großindustrieller habe ihm erklärt, wenn die Diplomaten von deutscher und amerikanischer Seite auch in Zukunft die Verhandlungen über den deutsch -amerikanischen Handelsvertrag führen, so werde vermutlich nie ein Abschluß zu« stände kommen, aber je zehn Geschäftsleute an Stelle der Diplomaten würden schnell eine Einigung erzielen. Der Geheimfonds des Auswärtigen Amtes soll von 500 000 auf 1 000 000 M. erhöht werden. An diese Position knüpfte sich eine längere streng vertrauliche Debatte, die heute fortgesetzt werden wird. Solche Fonds vertragen das Licht der Oeffentlichkeit nicht._ Die Zigarettcnindustrie muß bluten. Die Finanzreformkommission trat gestern in die zweite Lefung der Tabak- und Zigarettensteuervorlage ein. Die erstere: Zoll- und Steuererhöhung auf Rohtabak und Zigarren wurde ohne weitere Diskussion glatt abgelehnt. Daraufhin erklärte der Reichsschatzsekretär v. Stengel, daß. wenn die Kommission nicht in den anderen vorgeschlagenen Steuern Ersatz für den Ausfall schaffe, die Regierung gezwungen sei, in der zweiten Lesung im Plenum auf Annahme der Vorlage dringen zu nmssen. Zur Zigarettensteuervorlage hatte der Nationalliberale Held einen die Banderolensteuer durchführenden umfangreichen Antrag eingebracht. Die Durchstaffelung der Steuersätze für Zigaretten grenzen danach die Preise pro Mille von 5 M. zu 6 M. ab, be- ginnend mit 1 M. pro Mille zum Preise von 10 M., 2 M. bis zu 15 M. pro Mille und steigend so bis zu 6 M. im Preise von 25 bis 30 M. pro Mille und für Zigarettentabak mit 0,50 M. pro Kilo im Preise von 3 bis 5 M. im Kleinverkaufspreise beginnend und steigend bis zu 5 M. pro Kilo im Preise von 30 M. Der so- genannteswarte Kruse" schwarzer krauser Kautabak soll steuerfrei bleiben. Im übrigen bleiben aber alle Härten, wie sie durch die Beschlüsse der ersten Lesung für Fabrikanten und Händler herbei- geführt werden, durch das Banderolensystem bestehen. Müller- Fulda(Z.) wiederholt die schon in der ersten Lesung gegen das System geäußerten Bedenken und kommt auf seinen ersten Vorschlag: Zuschlagzoll auf Zigarettentabak zurück, welches System er für eiichacher und weniger beschwerlich für die Industrie erachtet. Demgegenüber trat der Regierungsvertreter Geheimrat Rein- b o l d und der nationalliberale Abgeordnete Held entschieden für das Banderolensystem ein. Unsere Genossen Geyer, Molke nbuhr und v. Elm er- hoben ihre warnende Sttmme gegen das Banderolensystcm, das nur zu sehr geeignet sei, die Regierung zu veranlassen, es in absehbarer Zeit auch auf die Zigarren auszudehnen. Mit der Einführung dieses Systems werde eine Beunruhigung für die gesamte Tabak- industrie geschaffen. Nach einer sehr umfangreichen Diskussion wurde vom Zentrum der Anttag eingebracht, eine Subkommission zur eingehenden Prüfung der Frage einzusetzen, womit sich unsere Genossen ein- verstanden erklärten, von der Ueberzeugung getragen, daß es möglich sei, die Mitglieder dieser engeren Kommission von der Schädlichkeit der Zigarettensteuer zu überzeugen. Genosse v. Elm wurde in diese Subkommission delegiert. _ Ergebnis der Beratung der Zigaretten-Snbkommission. Die Subkommission hat sich in einer gester» nachmittag ab- gehaltenen Sitzung für die Einführung des Banderolensteuersystems auf Zigarettcntabak gegen den alleinigen Widerspruch unseres Genossen v. Elm entschieden._ Schlaganfall. Abgeordneter Lenzmann(frs. Vp.) ist gestern abend im Reichstagsgebäude von einem Schlaganfall betroffen worden. Das Verbrechen von Courriöres. DieArbeitgcber-Zeitung" als Retterin. Den letzten Rest von sozialem Kredit, den das UiiternchmerK.m vielleicht noch hat, zu untergraben bemüht sich erfolgreich dieArbeit- gcber-Zeitung". Während alle Unternchmerblätter von derVossin" bis herab zurRhein.-Westf. Ztg." die Versuche, die Verwaltung von Courrieres zu retten, aufgegeben haben, fühlt sich dieArbeitgeber- Zeitung" noch stark genug, die Wahrheit in das Gegenteil umzu- lügen. Sie macht das Ereignis zu einem Akt göttlichen Wollen-? und knüpft daran folgende Bemerkung: .... Sie die himmlischen Prüfungen erwecken alle guten und bösen Instinkte, sie sind die Prüfsteine der Wahrheit, und alle Eigenschaften, die der Alltag verbirgt und verschleiert, werden ans Licht gezogen, wenn das große Schicksal an die Pforten klopft." Daß man durch verbrecherische Leichtfertigkeit verschuldete Katastrophen dem Herrgott in die Schuhe schiebt, ist zweifellos ein Beweis für das Vorhandensein böser Instinkte. Daß bei dem ge- nannten Blatt Bösartigkeit in seltenem Maße vorhanden ist, beweist sie auch noch durch die Behauptung, unsere Anklagen seiengiftige, niederträchtige Verleumdung"! Sie salbadert weiter: Es fehlt der Sprache an Worten, um den Abgrund dieser Gesinnungsart zu kennzeichnen. Die Leser aber der sozialdcmo- krattschen Presse, die doch selbst Arbeiter und mit den Verhältnissen der Industrie verkaut sind, sollten sich mit Enküstung dagegen auflehnen, nicht, weil man vor Abschluß der Untersuchung eine so unerhörte Beschuldigung aufzustellen wagt, nicht also wegen der moralischen Verworfenheit, die sich ihre Presse zuschulden kommen läßt, sondern schon wegen der Dummheit und Unsinnigkeit einer so verbohrten Agitation. Natürlich, die leitenden Geister des Vorwärts", seine fanatischen Mitarbeiter und Berichterstatter können sich damit entschuldigen, daß sie von der Technik und von, Fabriklcben zu wenig verstehen, als daß man ein richtiges Urteil über so schwerwiegende Dinge von ihnen verlangen könnte." Wer in dumm-ftecher Weise voreilige, unwahre Behauptungen anfftellt, das hat die Unternehmerpresse während der Bergarbeiter- streiks, sofort nach der Borussiakatastrophe und jetzt wieder aus An- laß über die Schilderung der Verhältnisse in den Feuerbetricbe» sattsam bekundet. Daß derVorwärts" für das Unternehmertum unangenehm gut über die Technik des Bergbaues und Fabriklebcns unterrichtet ist, das ist jetzt hinlänglich bestätigt. Alle Fachmänner sind einig in dem Urteil, daß wir über die Ein- richtungen auf der Unglücksgrube gefällt haben. Der Versuch der