Nr. 67. 23. Iichrgang. 2. Krilqe des Jumärfs" KM» NcksdlM. Witwch. 21. Um I« Bcrgarbciterlcbcn in der Mark. (Eigener Bericht des„Vorwärts".) Zweiter Verhandlungstag. K o t t b u s, 20. März. Obgleich von den gestern vernommenen Zeugen schon mehrere entlassen wurden, sind immer noch mehr als 100 Zeugen zur Stelle. Genosse Hue wohnt der Verhandlung als Vertreter des Berg- arbeiterverbandes bei. Nach Eröffnung der heutigen Sitzung beantragt Rechtsanwalt Liebknecht die Ablehnung eines Knappschaft sarztes, der als Sachverständiger geladen ist. Der Antrag wird damit be- gründet, daß der Sachverständige als Knappschastsarzt in einem indirekten materiellen Abhängigkeitsverhältnis zu der am Prozeß interessierten Grubenvcrwaltung steht. Der Vorsitzende ist bereit, ban Antrage stattzugeben. E S stellt sich aber heraus, daß alle Senftenberger A e r z t e Knappschafts. ä rzt e sind. Da nach Lage der Verhältniste nur ein Arzt aus Senftenberg als Sachverständiger in Frage kommen kann. zieht der Verteidiger seinen Antrag zurück. Zur Verhandlung steht heute zunächst eine dem Angeklagten Gärtner zur Last gelegte Behauptung des Inhalts: Auf der Grube seien Arbeiter durch Vorgesetzte miß- handelt worden, solche Fälle seien der Polizeibehörde bekannt geworden, es sei aber nach Misten des Angeklagten nichts darauf erfolgt. Ter Bürgermeister und Polizeiverwalter von Senftenberg gibt als Zeuge an, daß keine Anzeigen über Körperverletzung von Bergarbeitern bei ihm eingegangen sind. Mehrere als Zeugen ver- nommene Arbeiter bekunden dagegen, daß Mißhandlungen auf der Grube oft vorgekommen sind. Die Gcniißhandelten wandten sich an Gärtner und dieser schickte sie zur Polizei. Ob die Weisung, zur Polizei zu gehen, von den Be- treffenden befolgt wurde, läßt sich nickst mehr feststellen, weil es sich um Arbeiter handelt, deren Aufenthalt nicht mehr zu ermitteln ist. Weiter wird bekundet, daß in Bergarbeiterversamm- l un gen öfter Fälle von Mißhandlungen besprochen worden sind, die also durch die überwachenden Beamten zur Kenntnis der Polizei- behörde gekommen sein müssen. Einzelne Fälle von Mißhandlungen wurden durch Zeugen be- kündet. Hieraus ergibt sich im ganzen folgendes Bild: Den Ar. beitern ist bekannt, daß der Grube ninspektor Möller ein sehr„ schlagfcrtiiher" Mann ist. In seinem Kontor steht ein eichener Knüppel in der Ecke, mit dem oft Arbeiter geprügelt werden. So sagte ein Zeuge, der einen Ar- beiter, welcher seine Papiere haben wollte, an den Inspektor wies. Der Arbeiter, der allerdings angetrunken war, ging unverletzt in das Kontor des Inspektors. Bald darauf sah ihn der Zeuge im buchstäblichen Sinne des Wortes hinausfliegen und auf den Damm, fallen. Als der Msan» hinausgeworfen wurde, zeigte sein Gesicht blutende Verletzungen.— QHn anderer Fall: Die Frau eines im Grubenbetrieb verunglückten polnischen Arbeiters wird von einem Kameraden des Verunglückten an die Unfallstelle geführt. Der Schachtincister weist den Begleiter der Frau, der ihr, die kein Deutsch spricht, als Dolmetscher dienen will, von der Stelle. Der Mann geht. Als ihn der Schachtmeister kurz darauf nach am Eingang der Betriebsstelle findet, packt er ihn rnS Genick und befördert ihn so hinaus.— Ein anderer Arbeiter, der von demselben Schachtmeister mißhandelt wurde, ist zu Gärtner «gangen. Dieser sah, daß der Mann viele braune und blaue Flecken am Körper aufwies und durch die Mhhandlungen so ge- litten hatte, daß er das Krankenhaus auffuchcn muhte. Er wurde dort auf Kosten der Armenkasse behandelt; trotzdem weiß die Polizei auch von diesem M i ß ha n d l u n g s fa l l e nicht».— Au» den Akten wird festgestellt, daß derselbe Schacht, meister, der die obengenannten Mißhandlungen verübt hat. noch einen weiteren Fall von Mißhandlung auf dem Konto hat, der allerdings zur Kenntnis der Behörde gekommen ist. In diesem Falle handelt es sich um einen Arbeiter, der durch Mißhandlungen de» Schachtmeistcrs eine blutende Wunde und Beulen im Gesicht davongetragen hat. Dieser Fall ist der Staatsanwaltschaft angezeigt worden, die aber kein öffentliches Interesse für vorliegend hielt und den Verletzten auf den Weg der Privat- klage wies.— In einem anderen Falle hat ein Schmied den ihm unterstellten Zusckiläger eine Ohrfeig« gegeben, dafür ist er vom Schöffengericht mit 15 M. bestraft worden. Hierauf kommt eine Aeußerung des Angeklagten Gärtner zur Verhandlung, worin der Vorwurf gegen die Bergbehörde erblickt wird, daß„unvermutete" Revisionen des Aufsicht s- beamten der Betriebsleitung vorher angemeldet werden und daß Bergrat Netto, der frühere Vor- fteher des Bergreviers West-KottbuS, Mißstände in der Stadtgrsube. auf die ihn die Arbeiter aufmerksam machten, anscheinend nicht habe sehen wollen.— Hinsichtlich dieser Behauptungen will die Verteidigung den Wahrheitsbeweis führen. Bergrat Netto, der zu dieser Sache vernommen wird, sagt aus: Er sei zur Zeit des Streiks auf die Stadtgrube gx, kommen, um wegen des Streiks zu vermitteln. Die Grubenverwaltung lehnte die Vermittelung ab. Bei dieser Gelegenheit habe der Bergarbeiter Koblitz dem Zeugen Mitteilung von Mißständen in der Stadtgrube gemacht; er, der Zeuge, habe sich diese Mißstände an Ort urid Stelle von Koblitz zeigen lassen; er könne aber nur sagen, daß Mßstände nicht vorhanden waren; es habe sich alles in Ordnung befunden. Es seien wohl zerbrochene Kappen(die den Stollen stützen sollen) vorhanden gewesen, aber daneben seien neue Kappen gewesen, so daß die Sicherheit nicht ge- sährdet>var. An der Signalvorrichtung habe er einzelne Mängel gefunden, deren Abstellung er von dcm Betriebsleiter gefordert habe. Einige Monate vor diesem Vorgang habe der Zeuge den Betrieb revidiert und alles in Ordnung gefunden.— Sehr interessant ist die Aussage des Zeugen über die„unvermuteten" Revisionen. Berg- rat Netto sagt herüber: Es besteht eine Verfügung, welche besagt, daß wir unvermutete Revisionen der Be- triebsleitung erst kurz vorher anzeigen, damit etwaige Mißstände nicht vertuscht werden können. Bei eingehender Befragung des Zeugen stellt sich heraus, daß die Anmeldung der„unvermuteten" Revision in der Regel einige Stunden bis einen halben Tag früher eintrifft wie der revidierende Beamte. Manchmal sei die Anzeige auch erst später eingetroffen wie der Beamte. Später schränkte der Zeuge sein« Aussag, dahin ein, daß zwischen der Absenduno der Anzeige und seinem Eintreffen auf der Grube ein halber Tag lag. Be. fiimmtcs kann der Zeuge hierüber nicht sagen.— Da der Bergrat iviederholt den Zustand der Stadtgrube alv in jeder Hinsicht in Ordnung und cinwandSfrei hinstellt, will der Verteidiger feststellen. wie oft der Zeuge den Betrieb revidiert habe.— Der Zeuge gibt an. er habe im Jahre 1001 in seinem Revier etwa 150 Revisionen und sein Assistent etiva halb soviel.— Der Verteidiger bemerkt dazu: Nach der amtliehen Statistik für den Oberbergamtsbezirk Halle, zu dem auch das Revier West-5iottbuS gehört, kommen auf jeden Betrieb nur durckuchnittlich 3 Revisionen im Jahre. Die Angabe des Zeugen könne also nicht zutreffen.— Der Zeuge bleibt bei seiner Be- hauptung und gibt an, er habe auch Revisionen vorgenommen, die in der(Statistik nicht verzeichnet seien.— Der Verteidiger wendet ein. daß doch alle amtlieben Revisionen in der Statistik auf- geführt werden. Als der Verteidiger versucht, festzustellen, ob denn die Zahlen der amtlichen Statistik falsch seien, oder ob die An» gaben des Jeugen nicht zutreffen, erklärt dieser unter Be- rvfung auf seinen Diensteid, aus solche Fragen gebe er leine Antwort. Er wird auf die Pflicht zu ant- »orten hingewiesen und gibt Sann sehr unbestimmte Antworten. Der Verteidiger hält dem Zeugen vor. daß nach der amtlichen Statistik im Oberbergamtsbezirk Halle im Jahre 1901 nur 19 nächtliche Revisionen vorgenommen worden sind. Er fragt, wie viele nächtliche Revisionen der Zeuge vorgenommen habe. Der Zeuge schweigt betroffen, besinnt sich, kann aber nicht angeben, daß er den Betrieb überhaupt bei Nacht revidiert hat. Schließlich gibt er zu, daß er wohl nach Schluß der Arbeitszeit revidiert habe, aber nicht zur Nachtzeit. Eine Sonn- t a g s r e V i s i o n hat er im Jahre 1904 nur einmal vor- genommen. Weiter geht aus den Aussagen des Zeugen hervor, daß er niemals den ganzen Betrieb der Grube bei der Revision be- sichtigt hat. Er hat nur durch Besichtigungen einzelner Abteilungen Stichproben genommen. Er habe zu dem Betriebsinspektor Möller volles Vertrauen und glaube nichr, daß ihm derselbe von den Zu- ständen der Grube ctlvas verheimlichen würde.— Bei einer be- stimmten Revision soll dem Revidierenden durch einen Bretter» verschlag ein hinter dem Verschlage befindlicher Mißstand ver- borgen worden sein. Bergrat Nerto sagt jedoch, er habe den Ver- schlag von beiden Seiten gesehen und kein« Unordnung gefunden. Es handele sich um einen Verschlag, der zwei verschiedene Betriebe voneinander scheidet. Ter Verteidiger fragt den Zeugen, ob er denn sicher sei. daß er den Verschlag wirklich von beiden Seiten ge. sehen habe, woraus der Zeug« antwortet: Man kann sich ja auch irren, ich halte das aber für ausgeschlossen.— Bei der weiteren Be- fragung dieses Zeugen stellt sich heraus, daß er Beschwerden, welche Arbeiter über Mißstände im Betriebe an ihn richteten, in manchen Fällen an die Betriesleitung abgegeben hat. Es wird be- hauptet, daß solche Arbeiter wegen ihrer Beschwerden entlasten worden seien. Bergrat Netto meint aber, das glaube er nicht. Ter Angeklagte Gärtner bringt einen bestimmten Fall vor. An die Bergbehörde war eine Beschwerde wegen eines schadhaften Kessels gelangt. Als daraufhin ein revidierender Beamter eintraf, um den Fall zu revidieren, wollte er zuerst wissen, wer die Beschwerde eingereicht hat. Auf die Frag« an den Zeugen Bergrat Netto, ob er von dieser Tatsache etwas wisse, er- klärt er wieder, er antworte nicht darauf. Wie vorhin, so beruft sich der Zeuge auch wieder darauf, daß er von seiner vorgesetzten Behörde nicht die Erlaubnis habe, diese Frage zu beantworten. Ohne ausdrückliche Genehm i- gung gebe er hierauf keine Antwort.— Ter Ver- teidiger bemerkt, die Antwort dürfe doch nur in dem Falle ver- weigert werden, Ivenn durch ihre Beantwortung die Staatssicherheit gefährdet sei. Es sei doch nicht einzusehen, wieso cS das Staats» interesse erfordern solle, die Auskunft darüber zu verweigern ob der Bergrat einen Beschwerdeführer ermitteln wollte. Schließ- lich gibt der Zeuge in unbestimmten Rede- Wendungen zu. er könne wohl nach dem Be- schwe r de führe r gefragt haben, er müsse doch wissen, von wem solche Beschwerden kommen. Es wird nun Beweis darüber erhoben, ob die S i g n a l v o r richtung in der Stadtgrube zeitweise nicht wnktionicrte. E bandelt sich um ein elektrisches Signal, welches�dm Abgc...�... Förderwagen im Förderstollen anzeigt, um zu verhüten, daß Ar. beiter durch die in Bewegung gesetzten Wagen getroffen und vor- letzt lverden. Als Bergrat Netto mit dem Arbeiter Koblitz den Betrieb besichtigte, funktionierte das Signal an einer Stelle nicht Die Zeugen der A.nklage behaupten, der Mftschimst. dcm das Signal galt, habe das Signal wohl gehört, aber nicht darauf reagiert, weil er glaubte, es habe jemand zum Spaß das Signal in Tätigkeit g«. setzt. Soviel geht aber doch aus den Zeugenaussagen hervor, daß di« Signalvorrichtung tatsachlich zeitweise nicht funktionierte. In solchen Fällen sollten Posten aufgestellt werden, die durch Abgabe von Zeichen das elektrische Signal er- sehten. Immerhin vergeht aber geraume Zeit, ehe die Signal- Posten ausgestellt werden können, auch wird es nicht sogleich bemerkt wenn das Signal versagt, so daß die Möglichkeit von Unfällen in solchen Momenten nie ausgeschlossen und eS nur den: glücklichen Zufall zu danken ist. wenn unter solchen Um- ständen keine Unfälle eintreten. Es Die März-Feier. Noch immer gehen unS Nachrichten über den erhebenden Verlauf der Märzfeier zu. sodaß wir die Fülle des Stoffes kaum zu be- wältigen vermögen. Nachstehend registrieren wir noch die wichtigsten.: Tchlesien. Die Polizei hat versagt. In Breslau wenigstens und soweit tsie Nachrichten aus der Provinz Schlesien vorliegen, sind die Demon- strationen des 18. März ruhig und still verlaufen. Jedenfalls war das Straßenbild in Breslau durchaus ruhig, ganz anders wie am 21. Januar. Von einer Absperrung, überhaupt von Schutzleuten. war auf der Straße kaum etwas zu spüren. Eigentümliche Stille I Allerdings, vorher hatten Breslaus Arbeiter schon einen Sieg errungen. Seit Wochen hatten sie um die Versammlungsfreiheit um die Säle gekämpft, und als nun der 18. März kam. da hatten dieselben Arbeiter, denen bisher allein das Gewerkschaftshaus zur Verfügung gestanden hatte, fünf Säle für ihre Versammlungen bereit. In den Versammlungslokalen standen die demonstrierenden Arbeiter Kopf an Kopf, und mit Begeisterung folgten sie den Aus- führungen der Refereuten. Besonders groß war die Begeisterung im„Tivoli", einem Saale, der in der Parteigeschichte Breslaus eine denkwürdige Rolle spielte, aber seit etwa acht Jahren uns nicht mehr zur Verfügung stand. Genosse Tutzauer geißelte in scharfen Worten das Dreiklaffenwahlrecht, aber ein Sturm der Begeisterung ging durch die Versammlung, als der alte 85jährige Genosse Cohn, ein Achtundvierziger, aufstand und mit zitternder Stimme darauf hinwies, daß sie Träger aller revolutionären Traditionen heut nicht mehr die bürgerlichen Demokraten, sondern allein die Arbeiter seien. In mustergültiger Ordnung und Ruhe verliefen die Bersamm- lungen und einstimmig, mit Heller Begeisterung wurde nicht die allgemeine, sondern die folgende Resolution einstimmig ange- nommen:„Die Versammlung protestiert auf« neue gegen das in Preußen bestehende Dreiklassenwahlsystcm. Wider Recht und Ge- setz ist das Geldsackswahlrecht am 30. Mai 1849 dem preußischen Volke von der Regierung aufgedrängt worden, nachdem sie zuvor das Gesetz vom 8. April, da» eine allgemeine, gleiche und geheime Wahl verbürgte, beseitigt hatte. Die Versammlung fordert energisch, daß diese» rückständige und widersinnige Wahlgesetz beseitigt werde. An seine Stelle trete das allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht für alle über 20 Jahre alte preußischen«taatsange- hörigen ohne Unterschied deS Geschlechts. Das preußische Bürgertum hat eö durch seine Schlaffheit verschuldet, daß bis heute eine Junkermehrheit unter dem Schutze de» Geldsack-Wahlrechts unge- stört im Landtag schaltet. Die preußische Arbeiterschaft gelobt. nicht zu ruhen, bis sie ein freies, ihren Wünschen gemäßes Wahl- recht errungen hat." Freiburg . Die Vormittagsversammlung im Gewerkschaft«- Hause im benachbarten Polsnitz war überaus zahlreich besucht. Der Reichstagskandidat des Kreises. Genosse Redakteur Feldman»- Langenbielau. referierte unter stürmischer Zustimmung der Ver- sammelten. Die Resolution de» Parteivorstande« wurde ein- stimmig angenommen. Zirka 50 Genossen wurden für die politische Organisation gewonnen. Es geht auch in Schlesien vorwärts I Ueber gut besuchte Versammlungen wird noch berichtet aus: Schweidnitz (zirka 400 Personen). S t r i e g a u(zirka 900 Personen). Schmiedebera(400 Versammlungsteilnehmer). Ja uer(200 Demonstranten). Landeshut . Priebu«(30 Personen). Ohlau (600 Besucher). Ueberall verhielt die Polizei sich reserviert, vom besonderen Aufgebot war kaum etwas zu merken. In allen diesen Versammlungen gelangte einstimmig die allgemeine Resolution zur Annahme. Schleswig-Holstein . In Kiel und Umgegend waren 12 Versammlungen anberaumt, von denen hauptsächlich diejenige im größten Etablissement der Stadt, im„Englischen Garten ", überfüllt war. Der Riesensaal des Lokales konnte, obwohl lange vor Beginn der Versammlung die Tische und Stühle entfernt worden waren, die in immer kompakteren Trupps einrückenden Proletariermaffen der Außeuquartiere kaum fassen und bot schließlich ein Bild, wie er es erst einmal seit seinem Bestehen, am 21. Januar d. I.. gesehen. Geradezu lebensgefährlich war der Andrang auf den Galerien, wo Kopf an Kopf in dichten Reihen hintereinander bis an die Oberlichtfenster die Menge sich staute. Die Versammlung im Bezirk der kaiserlichen Werft mußte wegen Ueberfüllung polizeilich gesperrt werden. Auch die übrigen Versammlungen waren durchweg brillant besucht und legten jede einzelne durch ihre Teilnehmerzahl von der politischen Erregung der Bevölkerung, wie sie vor der mit dem„roten Sonntag" dieses JahreS einsetzenden Wahlrechtsbewegung in auch nur annähernd tief greifendem Maße hierorts unbekannt gewesen, anschauliches Zeugnis ab. Redner waren in Kiel -Gaarden die Genossen Reichstags-Abgeordneter L e g i e n, Metallarbeitersekretär Garbe, Arbeitersekretär Niendorf. Redakteur Adler, Expedient Rindfleisch. Sämtliche Veranstaltungen verliefen in muster- gültiger Oordnung und Ruhe. Von dem hiesigen Jnfanteriebataillon stand eine Kompagnie feldmarschmäßig ausgerüstet und Mann für Mann mit 20 Patronen versehen im Kascrnenhof. Von der An- spräche, die der Hauptmann an die Kompagnie hielt, wurden in der benachbarten GcwertschaftSherberge die Worte gehört, daß jeder, wenn es zum Einschreiten kommen sollte, voll und ganz„seine Pflicht tun" möge. Aber das Militär so wenig wie die städtischen und königlichen Polizeimannschaftcn, die in der Nähe der Ver- sammlungslokale an„sicheren" Plätzen zusammengezogen waren und die durch zahlreiche vor den Lokalen patrouillierende„Ge- Heime" über den Gang der„Ereignisse" auf dcm Laufenden er» halten wurden, hatten Gelegenheit, in Aktion zu treten. So war auch hier wieder einmal der Säbel vergebens geschliffen und das Magazin„für die Katz" gefüllt. Neumünster . Die Versammlung war gut besucht; 1800 Personen waren anwesend. Das Referat hatte Genosse Poiler-Kiel über» nommen. Die Resolution wurde einstimmig angenommen. Eine Anzahl Abonnenten wurde auf die Presse sowie eine Reihe Mit- glicder für die politische Organisation gewonnen. Auch die Versammlungen in den übrigen Orten Schleswig- Holsteins waren, wie unS Meldungen auS Barmstedt , Pinne- berg, Heide, Wedel und Schleswig beweisen, mit AuS- nähme des letztgenannten Ortes sehr gut besucht. | Oft- und Weftpreuften. Königsberg i. Pr. Die Demonstrationen sind würdig verlaufen. In Königsberg fanden zwei überfüllte Versammlungen statt. Nach Schluß der Versammlungen großer Zug nach der Stadt. In Memel , Gumbinnen , Tilsit, Raanit, Tanzig, Marienwerder, Thorn, Elbing usw. fanden ebenfalls große Versammlungen statt. In Rastenbiirg mußten drei Versammlungen hintereinander abgehalten werden, da die Polizei die Zahl der VersammlungSbesuckzer genau abgemessen hatte und bei 30 M. Geldstrafe nicht mehr Personen, als vorher festgesetzt war, in den Saal hineingelassen werden durften. Rheinland- Westfalen . In Köln und den Vororten fanden 8 Versammlungen statt, die alle sehr stark besucht waren. Tai gleiche wird auS der gesamten oberen Rheinprovinz gemeldet, lleberall herrschte Be- geisterung. Die Resolution fand allerorts einstimmige Annahme. Die Polizei trat nirgends hervor. In Elberfeld -Barmen fanden 5 stark besuchte Versammlungen statt, die einen imposanten Verlauf nahmen. Die Polizei war recht nervös. Auch aus der Ilmgegend sind Nachrichten über den guten Verlauf der Demonstration eingelaufen. Im Wahlkreise Dartmund-Hörde wurde die Märzfeicr durch 14 V e r s a m in l u n g e n, die durchweg einen guten Besuch auf- wiesen, in würdiger Weise begangen. Selbstverständlich trugen alle Versammlungen einen demonstrativen Charakter und wurde überall eine das allgemeine, gleiche, geheime und direkte Wahlrecht im Landtag fordernde Resolution angenommen. Bielfach wurden die Feiern durch die Mitwirkung von Arbeitergesangvereinen, die der Bedeutung deS TageS entsprechend« Lieder zum Vortrag brachten, verschönt. Zwischenfälle haben sich, soweit bisher bekannt geworden, nicht ereignet, wenngleich die Polizei, namentlich in der Stadt Dortmund selbst, wieder große Vorbereitungen ge- troffen hatte. Sie war der Meinung, daß in der Nacht zum Sonn- tag oder Sonntag früh wieder ein Flugblatt zur Verbreitung gelangen sollte. In einer Konferenz der Polizeibeamten, die am Sonnabend stattfand, wurde das als feststehende Tatsache an- genommen. Man traf denn auch Vorkehrungen, daß eventuell in der Sonnabendnacht alle Beamten möglichst per Telephon herbei- gerufen werden könnten. Sonntag früh hatten sich alle Beamten zu stellen. Die Umsturzbefürchtungen scheinen in Dortmund wirklich sehr tief Wurzel gefaßt zu haben. ES gibt dort Leute, die unheilbar am Rotkoller leiden und durch keine Erfahrungen gewitzigt werden. Und wenn alle Welt über sie lacht, sie merken'« nicht. In Bielefeld und nächster Umgebung fanden am Vor- und Nach- mittag 9 Versammlungen statt: In Bielefeld 3. in Brack- wede, Gadderbaum. Hcrpe n, Quelle, Schildesche und Seudbrak je eine Versammlung. Die Besucherzahl war die gleiche wie am 21. Januar. Die Versammlungen in Bielefeld selbst hätten teilweise besser besucht sein können. Als Referenten fungierten die Genossen Castrup, Haupt. Hcitland, Kühne, Mademann, Scvering und Ziert. Die all- gemeine Resolution wurde in allen Versammlungen mit großer Be. geisterung angenommen. Die Ueberwachung der Versammlungen war die gewöhnliche. Mittel-Deutschland . Braunschweig . Am Vormittag protestierte eine von mehr als 2000 Personen besuchte Volksversammlung gegen die Rechtlosigkeit de» Volke» durch lw» Dreiklassenwahlrecht und die Beschränkungen der Vereins, und Versammlungsfreiheit feiten» der Polizei. Ge. nasse Dr. Jasper sprach über die„Revolution von 1848 und die Rechtlosigkeit des braunschweigischen Volke»". Die Bekanntgabe dieser Tagesordnung an den Anschlagsäulen hatte die Polizei, deren Chef zugleich Vorsitzender des Instituts ist. dem die Litfaßsäulen unterstehen, verboten. Statt dessen hieß es nun„die Rechte des braunschweigischen Volle»", lvas allgemeine Heiterkeit erregte. Re- solutionen zugunsten eines freien Wahlrechts und freien Bersamm- lungSrechtS wurden einstimmig angenommen. Zum Schluß der Versammlung hatte die Polizei etwa 00— 70 Mann aufgeboten, die die Versammlungsbesucher»ach Hause geleiteten. Es verlief gleichwohl alles ruhig. Am Abend fand eine leider nur mäßig besuchte Familienfeier zu Ehren der Märzkämpf« statt. Reust ä. L. Der Gedenktag der Revolution von 1848 wurde durch niehrere Versammlungen in Greiz und Umgegend begangen. di« sich trotz de» herrlichen Wetter», da» gerade nicht zum Ver, sammlungSbesuch anreizte, größtenteils guten Besuche» erfreuten. Die Stimmung in den Versammlungen war ein« ausgezeichnete. In Greiz referierte Genosse Hugo Dressel- Schönfeld, in Pohlitz Genosse Franz F e u st e l- Greiz, in Herr m a n n»- grün Genosse Friedrich Bergner- Pohlitz, in A u b a ch• thal-Jochwitz Genosse Gustav Dillner. in Dölau » SachSwitz Genosse Karl Spindler -Jochwitz, in Cascl»
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