Nr. 99.
23. Jahrgang.
Ethik und materialistische
Gefchichtsauffaffung.
Literarische Rundfchau.
Sonntag, 29. April 1906.
der Moral fann aber hier wieder zweierlei Formen annehmen. Klassen und Individuen voll Straftgefühl seßen sich offen über die Forderungen der überlieferten Sittlichkeit hinweg, deren Notwendigkeit für die anderen sie wohl anerkennen. Klassen und Individuen, die sich schwach fühlen, übertreten dagegen heimlich die sittlichen Gebote, die sie öffentlich predigen. So schafft diese Phase je nach der historischen Situation in den untergehenden Klassen entweder Zynismus oder Heuchelei."
Widerspruch zwischen den veränderten gesellschaftlichen Bedingungen Zu ganz anderen Ergebnissen führt hingegen der wachsende und der alten Moral in den aufstrebenden Klassen.
,, Sie haben nicht den mindesten Grund, an ihr zu hängen, sie haben allen Grund, ihr entgegenzutreten. Je mehr sie sich ihres Gegensatzes zur herrschenden gesellschaftlichen Ordnung bewußt werden, desto stärker wächst auch ihre sittliche Empörung, desto mehr sehen sie der alten, überkommenen Moral eine neue entgegen, die sie als Moral der ganzen Gesellschaft durchsetzen wollen. So ersteht in den aufsteigenden Klassen ein sittliches Jdeal, das immer fühner wird, je mehr diese Klaffen an Kraft gewinnen."
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" Der Inhalt des neuen sittlichen Ideals ist nicht immer ein sehr flarer. Er geht hervor nicht aus irgend einer tiefen wissenschaftlichen Erkenntnis des gesellschaftlichen Organismus, der den Urhebern des Jdeals vielfach ganz unbekannt ist, sondern aus einem tiefen gesellschaftlichen Bedürfnis, einem heißen Sehnen, einem energischen Wollen nach etwas anderem als dem Bestehenden, nach etwas, was das Gegenteil des Bestehenden ist. Und so ist auch dieses sittliche Jdeal im Grunde nur etwas rein Negatives, nichts als der Gegensatz zur herrschenden Sitts lichkeit.
Seitdem es eine Klassengesellschaft gibt, schützt aber die herrschende Sittlichkeit, sobald sich ein scharfer Klassengegensat gebildet hat, stets Unfreiheit, Ungleichheit, Ausbeutung. Und so ist denn auch das sittliche Ideal aufstrebender Klassen in historischer Zeit stets anscheinend dasselbe gewesen, stets jenes, das die französische Revolution zusammenfaßte in den Worten: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit."
pflanzungstrieb und sagt dann wieder im obigen Zitat: ,, Aus unserem Triebleben( das doch auch den Fortpflanzungs- und Selbsterhaltungstrieb einschließt) stammt mit dem Sittengeses auch das sittliche III. Urteil." Nach der Kritik des Kantfchen Sittengefeges( fiehe den ersten Begriffsscheidung, und zwar erklärt sich, soweit ich zu ersehen verEs fehlt an einzelnen Stellen nach meiner Ansicht die scharfe Teil dieser Besprechung in Nr. 88 des„ Vorwärts" vom mag, dies daraus, daß Kautsky troh seines höheren, freieren Stand15. b. M.) schreitet Kautsky zur Begründung seiner eigenen punttes, der ihn z. B. sehr fein zwischen den Funktionen des tierischen Auffassung vom Ursprunge und Wesen der Ethik. Kautsky und des sogenannten gesellschaftlichen Organismus unterscheiden geht dabei vom Darwinismus aus. Indem Darwin in seinem läßt, doch noch stark unter dem Einfluß der biologisch- soziologischen Buche über die Abstammung des Menschen nachwies, daß die Auffassung darwinistischer Sozialtheoretiker steht und die Ergebnisse fogenannten moralischen oder altruistischen" Gefühle keine besondere der die primitiven menschlichen Gemeinschaftsformen betreffenden Eigentümlichkeit der Menschennatur sind, daß wir sie vielmehr auch ethnologischen Untersuchungen erst in zweiter Reihe in Betracht zieht. in der Tierwelt finden und daß sie hier wie dort den Ethnologisch erscheint als Ausgang der Ethit der Trieb zum gleichen Ursachen entspringen, tat er einen entscheidenden Fortschritt 3 usammenschluß, der Gemeinschaftstrieb, von über die bisherigen Auffassungen der Ethil hinaus. Nach ihm manchem Biologen und Ethnologen auch als Herbentrieb, Geselligsind die moralischen Gefühle nämlich nichts weiter als Resultate feitstrieb, sozialer Trieb usw. bezeichnet. des Kampfes ums Dasein, der nicht nur gewisse Kräfte und Fähig- Kautsky als soziale Triebe" bezeichnet( manche Sozialtheoretiker Die anderen Triebe, die teiten, vornehmlich die Eigenbewegung und das Erkenntnisvermögen, nennen fie altruistische Triebe"), z. B. Selbstlosigkeit, Hingabe an fondern zugleich auch den Selbsterhaltungstrieb, den ursprünglichsten das Gemeinwesen, Disziplin usw., find lediglich Produkte des Zualler tierischen Triebe, entwickelt. Doch dieser Trieb dient nur der sammenlebens, d. h. teils neue Triebe, die sich unter den Bedingungen Erhaltung des Individuums. Wie lange aber dieses auch bestehen des Gemeinschaftslebens und seiner Aufrechterhaltung entwideln, mag, schließlich vergeht es, ohne Spuren seiner Individualität zu teils Modifitationen schon vorhandener Triebe. Nicht aber nur diese hinterlassen, wenn es sich nicht fortpflanzt. Nur jene Gattungen besondere Reihe von Trieben, die sich übrigens faum abgrenzen von Drganismen vermögen sich im Kampfe ums Dasein zu be- läßt, da sich die verschiedenen Triebe vielfach wechselseitig bedingen haupten, die eine Nachkommenschaft hinterlassen. Mit dem und ergänzen, bildet den Inbegriff des Sittengesetes, sondern die Selbsterhaltungstriebe entividelt sich, wie Kautsty weiter aus Gesamtveränderungen des Trieblebens unter dem Einfluß des Zuführt, der Trieb nach Fortpflanzung und Besammenlebens. Alles Triebleben erfährt unter den im Laufe der schüzung der Nachkommen, der Trieb nach Erhaltung der Entwickelung mannigfach wechselnden Bedingungen des GemeinArt", wie er von manchen Naturwissenschaftlern genannt wird; und schaftslebens größere oder geringere Veränderungen, teils Gindiefer wieder führt in seiner Verbindung mit dem Selbsterhaltungs- schränkungen, teils Fortbildungen( Erweiterungen); und alle diese triebe zum Zusammenschlusse der gleichartigen Individuen zu Rudeln fich ergebenden Regulative, mögen fie instinktive bleiben, oder sich zu und Schwärmen, zur Bildung von Gemeinschaften. Schon an und bestimmten ungeschriebenen oder geschriebenen Satzungen verdichten, für sich sei es, sagt Kautsky , das Natürlichste, daß die Jungen bei find Teile des Sittengesetzes. Demnach läßt sich auch meiner Anden Alten bleiben, wenn nicht äußere Verhältnisse dazu zwängen, sicht nach der Gegensatz zwischen den sogenannten sozialen Trieben" daß sie sich von ihnen entfernten.„ Das Beisammenleben von und dem Fortpflanzungstrieb, dem Selbsterhaltungstrieb, der Individuen der gleichen Art, die urwüchsigste Form des gesellschafts Mutterliebe usw., den Kautsky mehrfach annimmt, nicht aufrechtlichen Lebens ist auch die urwüchsigste Form des Lebens überhaupt. erhalten. Der Fortpflanzungstrieb als solcher bildet zwar feinen Die Trennung von Organismen, die einen gemeinsamen Ursprung Bestandteil des Sittengefeßes, wohl aber die bestimmten Formen der Wünsche und Bestrebungen, die durch den Gegensatz zum beDas fittliche Ideal ist also nichts anderes als der Kompler haben, ist erst ein späterer Aft." seiner Einschränkung, seiner, wenn man so sagen darf, gesellschaft- stehenden Zustand hervorgerufen werden. Deshalb gelangte dieses lichen Regulierung. Die Verbote des geschlechtlichen Verkehrs zwischen deal auch in den bisherigen Klaffenkämpfen immer nur teilweise verschiedenen Altersklassen und verschiedenen Verwandtschafts- aur Verwirklichung, denn der neue gesellschaftliche Zustand, der gruppen, die wir bei primitiven Völkerschaften finden, gehören 3. B. an Stelle des alten tritt, hängt nicht von der Gestaltung des sitt. aur Verwirklichung, denn der neue gesellschaftliche Zustand, der sicherlich zum Sittengeset. Aus den wechselnden Bedingungen des gesellschaftlichen Zu- lichen Ideals, sondern von den gegebenen materiellen Bedingungen sammenlebens ergeben sich an den einzelnen die verschiedenartig. Diese uns durch die materialistische Geschichtsauffassung über zu seiner Verwirklichung, von den ökonomischen Verhältnissen ab. ften Anforderungen, sowohl in bezug auf sein Berhalten gegenüber mittelte Erkenntnis kann jedoch in unserem gegenwärtigen Kampf der Gemeinschaft, in der er lebt, als gegenüber deren einzelnen unsere Energie nicht lähmen; denn was bisher allen Erneuerern Mitgliedern: Anforderungen, die ihm als ein Sollen gegenüber der Gesellschaft als fittliches Ideal vorschwebte, aber von ihnen treten und die sich, indem dieses Sollen mehr oder minder bewußt nicht erreicht werden konnte, dazu sind jezt zum erstenmal die von ihm als Richtschnur seines Verhaltens anerkannt wird, zu Faktoren seines Willens gestalten. Das Sollen ist demnach ökonomischen Bedingungen gegeben, das können wir zum erstenmal nicht, wie die Santische Ethik behauptet, etwas, das uns als Gebot in der Weltgeschichte als notwendiges Resultat der ökonomischen einer intelligiblen" Welt entgegentritt, sondern als eine Forde- Entwickelung erkennen: die Aufhebung der Klassen. rung der gesellschaftlichen Lebensbedingungen. Ginige Beispiele" Nicht die Aufhebung aller beruflichen Unterschiede, nicht die Aufmögen das veranschaulichen. Die Unsicherheit des Nahrungs- hebung der Arbeitsteilung," wie Kautsky in Abwehr voraussichterwerbs, die Unmöglichkeit, große Lebensmittelvorräte auf den licher gegnerischer Angriffe hervorhebt, wohl aber die Aufhebung stetigen Wanderzügen mitzuschleppen und die Unkenntnis aller jener gesellschaftlichen Unterschiede und Gegenfäße, die aus der Methoden einer fünftlichen Konservierung der erjagten Nahrung, ausschließlichen Fesselung der Masse des Volkes an die materielle haben bei den meisten auftralischen Horden dazu geführt, daß Produktionstätigkeit entspringen." niemand größeres Jagdwild, selbst wenn er es allein erlegt hat, ausschließlich für sich beanspruchen darf; er muß seinen Sorbengenoffen davon abgeben. Bei einem Teil der niederen Horden tritt uns diese Berpflichtung" nur erst als eine aus den gemeinschaftlichen Lebensbedingungen sich ergebende ziemlich bage Forderung entgegen; wo aber die Verteilung des Wildes zu einer der Grundbedingungen der Gemeinschaftseristenz geworden ist, da zeigt sie fich als sittliche" Forderung, die ihren Ausdruck in genau bestimmten Verteilungsregeln gefunden hat und die niemand unbeachtet lassen darf, ohne sich dem Unwillen seiner Genoffen, ja der Ausstoßung aus ihrem Kreis auszusehen.
Zeils find es Nahrungsmangel, teils die besonderen Arten der Nahrungsbeschaffung, oft auch die Notwendigkeit, sich vor seinen Feinden möglichst verborgen zu halten, die manche Tiere die folierung fuchen läßt.
Andere dagegen ziehen aus einem gemeinschaftlichen Leben Borteile. Die Vereinigung mehrerer schwachen Kräfte zu gemeinsamen Zun fann eine neue, größere Kraft erzeugen. Dann aber kommen in der Vereinigung hervorragende Kräfte einzelner allen zugute. Benn die Stärksten jetzt für sich fämpfen, fämpfen fie auch für die Schwächeren: wenn die Erfahrensten für ihre Sicherheit forgen, für sich nach Weidepläßen suchen, tun sie das auch für die Unerfahrenen. Jetzt wird es aber auch möglich, eine Arbeitsteilung unter den vereinigten Individuen herbeizuführen, die, so flüchtig fie sein mag, doch ihre Kräfte und ihre Sicherheit erhöht. Es ist unmöglich, mit vollster Aufmerksamkeit die Umgebung zu beobachten und gleichzeitig mit boller Gemütsruhe zu fressen. Während des Schlafens hat natürlich jede Art des Beobachtens ein Ende. Aber in der Vereinigung genügt ein Wächter, den übrigen Sicherheit beim Mahle oder Schlafe zu verleihen."
Solches Zusammenleben aber erfordert eine gewisse Anpassung der Einzelnen an einander, ein Zusammenhalten und eine gewisse Einheitlichkeit des Wollens, aus welchem sich wieder eine Reihe anderer Triebe entwickelt, die Kautsky soziale Triebe" nennt.
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Bei Tiergattungen, bei denen der gesellschaftliche Zusammenhalt zu einer wirksamen Waffe im Kampfe ums Dasein wird, züchtet diefer daher gesellschaftliche, soziale Triebe, die bei mancher Gattung und manchem Individuum zu einer erstaunlichen Kraft anwachsen, so daß sie selbst die Triebe der Selbsterhaltung und der Fortpflanzung zu überwinden vermögen, wenn sie mit diesen in Konflikt kommen.
Diese Triebe felbft können je nach den verschiedenen Lebensbedingungen der verschiedenen Arten verschieden sein, aber eine Reihe von Trieben bildet die Vorbedingung für das Gedeihen jeder Art von Gesellschaft. So vor allem natürlich die Selbstlojigkeit, die Hingebung für die Allgemeinheit. Dann die Tapfer keit in der Verteidigung der gemeinsamen Interessen; die Treue gegen die Gemeinschaft; die Unterordnung unter dem Willen der Gesamtheit, also Gehorsam oder Disziplin; Wahrhaftigkeit gegen die Gesellschaft, deren Sicherheit man gefährdet, oder deren Kräfte man vergeudet, wenn man sie irreführt, etwa durch falsche Signale. Endlich Ehrgeiz, die Empfänglichkeit für Lob und Tadel der Gemeinschaft. Das alles find soziale Triebe, die wir schon in tierischen Gesellschaften ausgeprägt finden, manche davon oft in hohem Maße.
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Wie regelmäßig, wenn eine marristische, die historisch- materia listische Betrachtungsweise anwendende Schrift erscheint, hat auch diesmal die bürgerliche Presse vom Schlage der" Post" und der Täglichen Rundschau" nicht verfäumt, gleich nach dem Erscheinen der Kautskyschen" Ethit" über deren rohen Materialismus zu jammern, ohne zu beachten, daß sie damit nur die Ausführungen Kautskhs über den Zynismus und die Moralheuchelei der untergehenden Klassen bestätigen. Dieselben Blätter, die kein anderes deal als die Aufrechterhaltung der heutigen Klassenherrschaft und Klaffenvorteile fennen, für die alle Sittlichkeit nichts mehr ift als eine Modesache, die den Ein anderes Beispiel, das wir bei Wanderhorden der ver." Herrenmenschen" nichts angeht, dieselben Blätter ents fchiedensten Rassen finden: die Tötung neugeborener Kinder. Ausrüften sich, daß Kautsky die Geltung ewiger Moralgrundsäze der Unmöglichkeit für die Frau, auf den stetigen Wanderzügen leugnet. Eine Entrüstung, die um so fomischer wirkt, als sie nicht mehrere Säuglinge zugleich zu tragen und zu säugen, ergibt sich imftande sind, auch nur einen einzigen derartigen ewigen" Moraldie Notwendigkeit, dann, wenn eine Frau gebiert und das früher grundfab, der zu allen Zeiten Geltung gehabt hat, zu nennen. In Geborene noch auf den Märschen getragen werden muß, den Wirklichkeit bedeutet gerade Kautskys Untersuchung eine Bers neuen Antömmling zu töten. Das ist einfach ein Zwang der anferung der Moral, indem er nachweist, daß diese keine leere Lebensbedingungen, und als solcher wird er zunächst auch Formel", auch nichts bloß Gewohnheitsmäßiges oder Erfundenes empfunden; später, wenn er Brauch geworden, sehen wir ihn aber ist, sondern das notwendige Ergebnis der Lebensverhältnisse, der vielfach als" fittliche" Forderung zur Erhaltung einer fräftigen gesellschaftlichen Gristenzbedingungen der Menschheit auf ihrer Ents Nachkommenschaft auftreten, als eine Forderung, deren Erfüllung wickelungsbahn und zugleich ein Hebel ihres Fortschrittes. sogar von der Gemeinschaft, falls die Mutter fich weigert, ihrer Pflicht" gegen ihre erstgeborenen Kinder nachzukommen, gewaltfam erzwungen wird.
Aber mit dieser Ableitung des Sittengefeßes aus den sozialen Trieben" ist noch nicht das ganze ethische Broblem gelöst. Lassen sich auch der fittliche Drang. Pflicht und Gewissen, fowie die Grund typen der sogenannten Tugenden aus den sozialen Trieben erklären, so versagen diese doch, wo es sich um die Erklärung des sittlichen Dieses Geheimnis enthüllt uns die Margsche materialistische
Diese sozialen Triebe sind aber nichts anderes als die er habensten Zugenden, ihr Inbegriff das Sittengesek. Höchstens fehlt unter ihnen noch die Gerechtigkeitsliebe, das ist der Drang nach Gleichheit. Für deren Entwickelung ist in den tierischen Gesellschaften freilich fein Platz, weil sie nur. natürliche individuelle, deals handelt. nicht aber durch gesellschaftliche Verhältnisse hervorgerufene, foziale Ungleichheiten fennen. Das, erhabene Sittengefe, Geschichtstheorie. daß der Genosse niemals bloßes Mittel zum Kautsky zeigt zunächst die Wurzeln dieser Theorie und erörtert 8wed fein folle, welches unsere Kantianer als dann die Abhängigkeit der gesellschaftlichen Verhältnisse von der Bie gewaltigste Leistung des Rantschen Genius Wirtschaftsweise, sowie die Wandlungen der sozialen Triebe unter und als das fittliche Programm der neuen Zeit und dem Einfluß der gesellschaftlichen Veränderungen, besonders unter aller Zukunft der Weltgeschichte" betrachten, ist der Klassenteilung. in den tierischen Gesellschaften eine Selbstvers ständlichkeit. Erst die Entwidelung der mensch lichen Gesellschaft hat Zustände geschaffen, in denen der Mitgliedschafter zum bloßen Wert zeug anderer wurde!"
Das Sittengefes ist demnach, wie Kautsky fagt, ein tieri fcher Trieb", nichts anderes. Deshalb feine Kraft, deshalb fein Drängen, dem wir ohne lleberlegen gehorchen, deshalb unsere rasche Entscheidung in einzelnen Fällen, ob eine Handlung gut oder böse, tugendhaft oder lasterhaft; deshalb die Entschiedenheit und Energie unferes sittlichen Urteils und deshalb die Schwierigkeit, es zu be= gründen, wenn die Bernunft anfängt, die Handlungen zu zergliedern und nach ihren Gründen zu fragen.
„ Nicht aus unserem Erkenntnisvermögen, sondern aus unserem Triebleben stammt mit dem Sittengesetz auch das fittliche Urteil, jowie das Gefühl der Pflicht und das Gewissen.
Das ist, furz sfizziert, der Gedantengang Kautskys, dem ich in seinem ersten Teil völlig zustimme, während sich mir in bezug auf die letzten Ausführungen verschiedene Einwände aufdrängen, die jedoch weniger den eigentlichen Gedankeninhalt der Ausführungen Kautskys als die Form der Deduktion betreffen.
Kautsky spricht verschiedentlich von einem sozialen Trieb, bann twieder von sozialen Trieben, er nennt das Sittengeſen einfach einen tierischen Trieb" und bezeichnet es andererseits wieder als nbegriff der sozialen Triebe"; er stellt den sozialen Trieb in Gegensatz zum Selbsterhaltungs- und Fort
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Das Sittengefek gilt zunächst nur für die Mitglieder der eigenen Gemeinschaft; erlangt aber mit dem Fortschritt der sozialen Entwidelung eine immer ausgedehntere Geltung, weit über den Kreis der eigenen Gemeinschaft, des eigenen Schwarmes, Stammes, Staates hinaus. Dafür aber findet in den Gemeinschaften selbst mit ihrer Spaltung in herrschende und unterdrückte Klassen eine Differenzierung der Sittenanschauungen statt. Die unterdrückten Klassen sehen der alten Moral, welche die herrschende Klasse zu erhalten fucht, eine aus ihren besonderen Lebensberhält nissen entsproffene neue Moral entgegen.
Je länger aber die überlebten moralischen Satzungen in Kraft bleiben, indes die ökonomische Entwickelung fortschreitet und neue gesellschaftliche Bedürfnisse schafft, welche neue fittliche Normen erfordern, um so größer wird der Widerspruch zwischen der herrschenden Moral der Gesellschaft und dem Leben und Streben ihrer Mitglieder.
Hoffentlich findet Kautskys neueste Schrift weiteste Verbreitung, denn indem er eine systematische Untersuchung der Ethik nach ihrem historischen Ursprung und ihrem Entwidelungsgang unternimmt, bietet er nicht nur ein Stück sozialistischer Welt anschauung in populär- analytischer Form, sondern weist zugleich alle neueren Versuche zurück, dem Sozialismus ein anderes Funs dament au geben, als die ökonomischen Entwickelungstatsachen.
Eingegangene Druckschriften.
H. C.
Rußlands Bankrott. Auffäße zur Warnung und als Dokumente ber Beitgeschichte. 125 Geiten. Preis 1 M. Blutus Berlag, Charlottenburg , Berlin , Goethestr. 69. Prof. Dr. Franke. Soziale Braris", Zentralblatt für Sozialpolitik r 29 des 15. Jahrg. Preis vierteljährlich 2,50 M. Verlag, Dunder u. Qumbiot, Leipzig . missionsvertrieb F. G. Fischer, Leipzig . Löffler, Rechtsanwalt. Wieder nichts gewonnen! 15 Seiten. Rom. Dr. A. Braß. Untersuchungen über das Licht und die Farben. I. Teil. 70 Abbildungen. 192 Seiten. Preis 4 M. Verlag A. W. Sidfeldt, Dfsterwiel im Harz. Th. Stöckmann. Ein neues Naturmittel gegen Krankheit und Laster. 20 Seiten. Selbstverlag, Göttingen . Dr. J. Wolf. Zeitschrift für Sozialwissenschaft. Heft 4. Monatlich
ein Seft. Breis viertelj. 5 M. Ginzelh. 2 M. 12 Heste bilden einen Band.
R. H. France. Das Leben der Pflanze. Die erste Abteilung( Das Pflanzenleben Deutschlands ) umfaßt 26 Lieferungen a 1 M. Gesamtpreis 26 M. Lieferungen 5 bis 10 joeben erschienen. Verlag Kosmos Gea sellschaft der Naturfreunde, Frantische Berlagsbuchhandlung Stuttgart . Bierter Jahresbericht des Arbeiterfekretariats zu Gotha für die Zeit vom 1. Januar 1905 bis 31. Dezember 1905. 39 Seiten. Selbstverlag, Gotha .
63 Seiten. S. Pardini, t. t. Universitätsbuchhandlung Czernowik. D. Balatan. Die Sozialdemokratie und das jüdische Proletariat. rufswahl. Gotha , Friedrich Emil Perthes. Brosch. 48 Seiten.
1.
Preis
Aber dieser Widerspruch äußert sich in den verschiedenen Klassen auf verschiedene Weise. Die konservativen Klaffen, jene, deren Existenz auf den alten gesellschaftlichen Bedingungen be- Schumachers, F. Ein verkannter Beruf. Ein Ratgeber für die Beruht, halten fest an der alten Moral. Jedoch nur in der Theorie. In der Praxis tönnen sie sich keinesfalls den Einwirkungen der 80 neuen gesellschaftlichen Bedingungen entziehen. Der bekannte Widerspruch zwischen fittlicher Theorie und Braris seht hier ein. Er gilt manchem als ein Naturgefeß der Moral; beren For derungen erscheinen als etwas sehr Wünschenswertes, aber Unerfüllbares. Der Widerspruch zwischen Theorie und Praxis in
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Fürst P. Krapotkin, Memoiren eines russischen Revolutionärs. Seiten. Boltsausgabe 4 M. Verlag, Robert Luz, Stuttgart . Preis 50 j. Berlag, J. Keidel, Potsdam . John E. Keibel. Die Kraftlost für Gesunde und Svante. 24 Selten.
Martin Spahn . Ernst Lieber als Barlamentarier. 81 Seiten. Preis broschiert 1,50 R., geb. 2 M. Verlag, F. A. Perthes, A.-G., Gotha .