Die eine reaktionäre Masse. Mit einen: traurigen und einem frohen Auge sieht der „Liberalismus " der freisinnigen Presse auf den sozialdemo- kratischcn Sieg von Darmstadt . Der Schmerz, den die „VossischeZeitung", die„Deutsche Freie Presse" und das„Berliner Tageblatt" über den Erfolg der Sozialdemokratie empfinden, wird ihnen gelindert durch die frohe Hoffnung, daß sich die wirklichen Liberalen, die für die Unterstützung der Sozial- demokratie eingetreten, nunmehr bei den Ordnungs- liberalen unmöglich gemacht haben, und daß dem antisozial- demokratischen Wahlkartell der Ordnungsliberalen(National- liberale, Freisinnige Volkspartei und der rechte Flügel der Freisinnigen Vereinigung ) ein gefährlicher Stein aus dem Wege geräumt ist. Sie empfinden weit mehr Genugwung über das„Darmstädter Fiasko der„Einigungsphantasten"", als sie den Sieg des Sozialdemokraten beklagen. Und mit Stolz rechnen sie noch, daß der national- liberale Reaktionär Stein fast soviel, rund 5500 Stimmen mehr erhalten hat, als der Pfarrer Korell in der Haupt- Wahl auf sich vereinigte(rund 5800) und daß die Stimmen- zahl des Sozialdemokraten ziemlich genau um dasselbe Maß (rund 2800) gegen die Hauptwahl gesfiegen ist, als mehr Wähler (rund 2500) bei der Stichwahl gestimmt haben. Sie schließen daraus, wie wir es schon getan haben, daß bei dem Stimmen- zuwachs der Sozialdemokratie Reserven in Frage kommen und daß nur ein kleiner Teil der Wähler Korells für Berthold gestimmt haben kann, der größere Teil dagegen ins Lager der Reaktion abgeschwenkt sein muß. Das erfüllt diese Organe eines verrotteten„Liberalismus" mit großer Freude und die „Vossin" stellt mit boshaftem Behagen fest, das Wahlkomitee der vereinigten Liberalen von Darmstadt - Großgerau habe so wirksam„geeinigt", daß bei ihm wenig mehr als ihr„Wahl- ausschuß der Vereinigten Liberalen" geblieben ist. Was die„Vossische Zeitung" hier feststellt, ist die alte Tatsache, daß die Wähler der Freisinnigen Vereinigung bczw. der Nationalsozialen zu einem großen Teile reaktionärer sind als ihre Führer und Wahlparolen für die Sozialdemokratie nicht Folge leisten. Das hat sich auch in Darmstadt -Großgerau wieder gezeigt. Es wiederholt sich das traurige Schauspiel, daß die Männer, die den deutschen Liberalismus durch eine halbwegs grundsätzlich liberale Politik zu sanieren wünschen, von dem größeren Teile ihrer Parteigenossen im Stiche gelassen werden. Der größere Teil der Presse der freisinnigen Vereinigung, die„Weser-Ztg.", der„Verl . Börsenkourier", hat gegen die Stichwahlparole der vereinigten Liberalen von Darmstadt gewettert, das„Verl . Tagebl." hat sie nicht unter- stützt und gibt sie jetzt preis, und nur eine kleine Schar der Korell-Wähler(wahrscheinlich vornehmlich Demokraten und ehemalige Nationalsoziale) ist den Barth, Naumann, von Gerlach und Oeser gefolgt. Mehr und mehr konsolidiert sich die eine reaktionäre Masse, und die Versuche der wenigen wirklichen Liberalen, diesem Zuge der Zeit entgegenzuarbeiten, führt lediglich zu ihrer fortschreitenden Isolierung. Das deutsche Bürgertum in seiner Masse marschiert nach rechts, klein und kleiner werden die Scharen, die dem Rufe nach links zu folgen bereit sind. Revisionismus und Revoluzzerei. Eduard Bern st ein ist wieder einmal mit der deutschen Sozialdemokratie unzufrieden. Weder die Führer noch die Massen gefallen ihm. Das setzt er in der ihm eigenen weitschweifigen und jeden Augenblick vom Grundgedanken abspringenden Weise in den „Soz. Monatsheften" auseinander. Der Artikel betitelt sich:„Die Befestigung der Klassenwahl und die sozialdemokratische Taktik." Die sozialdemokratische Wahlkampstaktik hat sein Mißfallen erregt. Sie hat ihm zufolge bewiesen, daß die deutsche Sozialdemokratie keine Haare auf den Zähnen hat, daß sie nichts weniger als revo- lutionär ist. Der deutsche Proletarier ist das personifizierte Phlegma und„jeder spontanen revolutionären oder revolutionsähnlichcn" Betätigung unfähig. Diese Tatsache ist zwar sehr traurig, aber sie ist nun einmal eine Tatsache, und darum muß man politisch mit ihr rechnen. Da der Deutsche nun einmal nicht revolutionär ist, paßt auch die bisherige revolutionäre Taktik nicht für ihn. Die„politische Psychologie" ge- bietet, die„starre Älassenkampsdoktrin" und„die Phrase von der einen reaktionären Masse" aufzugeben und— sich mit dem„liberalen Spießbürger" der Barthschen Richtung zur Erkämpfung des allge- meinen und gleichen Wahlrechts zu verbinden I Das ist, so unglaublich es klingen mag, das, was wir als feste Gedankenspur aus Bernsteins Redebrei herauszutasten vermochten, womit wir noch nicht behaupten wollen, ihn auch richtig verstanden zu haben; solche Vermessenheit ziemte sich wohl nicht für einen Sterblichen I Selbst der Stoßseufzer, den Heine bekanntlich Hegel andichtete:„Nur ein einziger Mensch hat mich verstanden, und auch der hat mich nicht verstanden", würde nur dann auf Bernstein passen, wenn unter dem einzigen Menschen Freund Ede selbst zu verstehen wäre l Aber daß wir uns redlichste Mühe gegeben haben, in Bernsteins Artikel nach Sinn und Zweck zu spähen, das mögen die folgenden Zitate beweisen: „Die(preußische Wahlreform-) Vorlage und ihre Erhebung zum Gesetz waren Faustschläge von Regierung und Landtag ins Gesicht der Sozialdemokratie... „Und wie hat die Sozialdemokratie, wie hat die politisch denkende Arbeiterschaft Preußens sie auf- genommen? Es ist das ein, ich will nicht sagen sehr trauriges, aber jedenfalls ein zum Nachdenken sehr herausforderndes Kapitel. „Sowohl die Sozialdemokratie als Partei, wie die Arbeiter- schaft als gesellschaftliche Klasse, hat die ihr gewordene Herausforderung unerwidert gekästen... Wenn auch... gar manches kräftige Wort gesagt wurde, so ist doch im ganzen selbst in dieser Hinsicht die Parteipresse in Preußen meines Er- achtens hinter dem zurückgeblieben, was vom preußischen Partei- tag... als stir solche Fälle geboten erklärt worden war... Man wird sich gesagt haben, daß solche gesteigerte Protestaktion in der Presse wenig zu bedeuten habe, wenn ihr nicht eine entsprechende Aktion in Versammlungen oder sonst seitens der Mäste zur Seite gehe oder unmittelbar folge, auf eine solche aber nicht zu rechnen sei. So wenigstens wird das Verhalten der Presse begreiflich, und auch ich muß sagen, daß mir flammende Ergüsse in der Presse wenig Sinn zu haben scheinen, wenn man nicht weiß oder will, daß sie ein ent- sprechendes Feuer entzünden werdend Sie werden alsdann wirk- lich, wie ein auf dem Parteitag gefallenes Wort lautet, zu bloßem Gekreisch. In diesem Empfinden hatte ich in Verbindung nnt dem zitierten Zusatz einen zweiten beantragt, der für solche Anlässe Massendemonstrationen größten Stils forderte. Er wurde vom Parteitag abgelehnt, und ich tröstete mich über diese Kastrierung meiner Resolution mit dem Gedanken, daß die Logik der Tatsachen gegebenenfalls Rcmedur bringen«erde. Die Logik der Tatsachen hat das besorgt. Freilich nicht, indem sie der Aus- führung des ersten Teiles meiner Resolution die des zweiten folgen ließ, sondern indem sie den ersten Teil dem zweiten in den Orkus nachschickte... „Für die Erklärmuj und Bestimmung der heutigen Taktik der Partelen handelt es sich vor allem darum, sie selbst die politische Psych ologie der arbeitenden Volks- klassen... erst zu erkennen. Wer aber in dieser Hinsicht bei uns noch Zweifel hatte, dem müssen sie die letzten Wochen genommen haben. Hätte unser Voll ein politisch revolutionäres Temperament, so hätte es die Wahlraubsbcfcstigung un- möglich... über sich ergehen lassen... Der eine oder andere wird vielleicht sagen, die Führer hatten eben keine Parole des Wider st andes ausgegeben... Revolutionen oder revo- lutionsähnliche Manifestationen der Volksmasse sind eben nie auf Parolen von Führern hin erfolgt, sehr oft dagegen in direktem Gegensatz zu solchen Parolen... „Die starre Klassenkampfdoktrin, die die Phrase von der einen reaktionären Masse absolut nimmt und die Taktik danach bestimmen will, führt mit Notwendigkeit zum AntiParlamentarismus und je nachdem Anarchismus... „Wir sehen das heute an den Krisen und Konflikten der sozialistischen Bewegung in fast allen Ländern: hier die Tendenz. in Botmäßigkeit unter das anarchistische Dogma zu gelangen, und dort das Bestreben, zwar die Praxis den veränderten Bedingungen anzupassen, aber in den programmatischen Kund- gedungen die rechte Hand nicht wissen zu lassen, was die linke tut." „In den Tagen, wo die Wahlrechtsvorlage der Regierung in der Kammer verhandelt wurde, hielten die Barthschen Frei- s i n n i g e n in Berlin und Vororten einige Wahlrechtsversammlungen ab. Sie waren, wie der„Vorwärts" höhnend konstatierte, nur mangelhaft besucht. Gewiß, es stellt das der Kraft des Freisinns, seiner politischen Leistungsfähigkeit als Partei in Berlin ein schlechtes Zeugnis aus, darin hat der„Vorwärts" recht. Aber nun weiter. Die Schlaffheit, die Imbezillität des liberalen Spießbürgers ist nachgerade nichts Neues. Das von den liberalen Bourgeois nur etliche Dnhend weißer Raben in die Versammlungen kamen, kann niemand ver- wundern. Schließlich war es doch nur in bedingtem Umfang ihre Sache, die dort verhandelt wurde(!) Was aber verwundern mutz, ist, daß auch die Arbeiterschaft in jenen Ber- sammlungen nur spärlich vertreten war, obwohl sie durch öffentliche Anschläge bekannt gegeben und jedem zugänglich waren. Unter anderen Verhältnissen mag es begreiflich oder oft sogar rat- sam sein, daß die Arbeiter gegnerische Parteien ihre Verfamm- lungen allein abhalten lasten. Aber daß in solcher Situation Ver- sammlungen, die zur Erörterung der Wahlrechtsfrage einberufen waren, nicht ganz von selbst zu wuchtigen Demonstrationen gegen den Klassenwahlunfug wurden, ist weit mehr als für das liberale Bürgertum, für die sozialistische Arbeiterschaft Berlins beschämend." Man sieht: Revoluzzerei und Revisionismus in innigster Ver- quickung. in intimster Wechselwirkung I DaS deutsche Proletariat hätte, wenn es„politisch revolutionäres Temperament" besessen hätte, mindestens„revolutionsähnliche Manifestationen" unternehmen müssen. Da eS aber dazu zu schlafmützig ist, sollte eS wenigstens ehrlich seine Bärenhäuterei eingesteheu, dem„starren Klassenkampf- dogma" entsagen, zu scheinen wagen, was es doch i st. und— dadurch„wuchtig" demonstrieren, daß es dem Bäckerdutzend liberaler „weißer Raben" den Gefallen tut, seinen kümmerlichen Versammlungen durch massenhaften Zulauf ein Relief zu geben! Statt zielbewußter, kräftesammelnder Agitation und Organisation des Proletariats, statt des Klassenkampfes im alten sozialdemo- kratischen Sinne empfiehlt Bernstein also aberwitzige anarchistelnde Putscherei und kindische Techtelmechtelei mit einem Liberalismus. von dem er selbst sagt, daß seine Interessen in der Wahlrcchtsfrage ja schließlich nur„in bedingtem Umfang" die des Proletariats sind! Gegen solche Ansichten zu polemisieren hieße die deutsche Arbeiter- schaft beleidigen. Wohl aber haben die Genossen ein Anrecht dar- auf zu erfahren, wie sich in einem revisionistischen Kopf die Welt spiegelt I Vielleicht könnte der eine oder andere Lefer annehmen, wir seien oben in der Form Bernstein zu nahe getreten. Sie werden aber sofort anderen Sinnes werden, wenn sie hören, wie Bernstein selbst mit Genossen umspringt, die nicht seiner Meinung sind. Schreibt er doch: „Unter diesen Umständen ist kein Wort zu scharf, die Art und Weise zu kennzeichnen, wie im„Vorwärts" der Sieg der Demokraten bei den Dumawahlen behandelt�wurde. Ich schreibe ausdrücklich: im„Vorwärts", weil ich nicht an- nehmen kann, daß die Redaktion selbst das Zeug von unverdauten marxistischen Phrasen zusammen- geschrieben hat, das in den Tagen des russischen Wahlkampfes und nachher an erster Stelle des ersten Organs der deutschen Sozialdemokratte über dies bedeutungsvolle Ereignis zum be st engegeben wurde, sondern den Verfasser lieber in irgend einem Bernau suchen zu dürfen glaube... Nicht mehr lächerlich, sondern schon mit einem sehr viel schärferen Ausdruck zu bezeichnen ist es, wenn im„Vorwärts" vom 17. April die Weige- rung der Führer der Kadetten, ihren Feldzugsplan für die Duma durch einen Interviewer der„Petersburger Zeitung" der zarischen Regierung in den Details bekannt zu geben, als begrünender Verrat am Proletariat bezeichnet wird..." Wenn Bernstein sich nicht direkt gegen den„Vorwärts" wenden zu sollen glaubt, so hat er insofern recht, als eS deutschen Sozialdemokraten mangels der Kenntnis der russischen und polnischen Sprache wohl ansteht, sich in der Beurteilung der russischen Ver- Hältnisse größte Zurückhaltung aufzuerlegen. Der„Vorwärts" hat es deshalb auch ihm als zuverlässig bekannten russischen Mitarbeiter und zwar in der revolutionären Bewegung stehenden führenden Genossen überlassen, über die äußerst schwierige Frage der Duma- Wahlen zu urteilen. Luch Bernstein besitzt— trotz seiner erlauchten polnischen Ahnen— unseres Wissens nicht die erforderlichen sprachlichen Kennt- niste, um ein kompetentes Urteil abzugeben. Höchstens könnte man annehmen, daß er deshalb etwas von der russischen Politik ver- stehen müßte. weil er von der deutschen Politik keine Ahnung hat! Wie dem aber sei: Seine unerträglich anmaßende Schulmeisterei russischer Genossen beweist jedenfalls, daß ihm gegen- über der schärffte Ton noch viel zu milde ist! DeutfcKes Reich. Regierung und Nationalliberale. DaS Verhalten der Regierungsvertreter zu den Abstimmungen in der Schulgesetzkommission veranlaßt fast die gesamte national- liberale Presse zu heftigen Angriffen gegen das Kultusministerium, und zwar umsomehr, als die„Verl . Pol. Nachr." in einem offiziösen Artikel deutlich durchblicken lasten, daß es der Regierung ziemlich gleichgültig ist, ob die Nationalliberalen wegen des die Berufung der Vollsschulrektoren betreffenden Paragraphen ihre Mitwirkung versagen, da in diesem Falle die Regierung einfach die Hülse des Zenttums in Anspruch nehmen würde. Die von der„Natt. Korresp." gegen diese Ausführungen erhobenen Anllagen gelangen in fast allen nationalliberalen Blättern, von der„Köln . Ztg." bis zu den Keinen Lokalblättern, zum Abdruck, teilweise mit derben Glossen. Dabei ergibt sich die für die nattonalliberale Partei nichts weniger als ehren- hafte Tatsache, daß schon im Vorstadium der Gesetzesausarbeitung die Regierung wie die Konservativen die Nationalliberalen zu über- listen und von diesen abgelehnte Gesetzesbestimmungen auf Umwegen wieder in das Gesetz zu bringen suchten, daß aber trotzdem die Herren Nationalliberalen in ihrem Eifer, das Verpfaffnngsgesetz durchzubringen, sich nicht davon haben abhalten lassen, sich immer wieder aufs neue an dem Schacherhandel hinter den Kulissen zu be- teiligen. So schreibt z. B. die„Nationalliberale Korresp.": „Schon in dem Vorstadium der Ausarbeitung des Gesetz- entwurfes, das neulich von dem Kultusminister ohne Not und nicht gerade in diskreter Weise in die Diskussion hineingezogen worden ist, haben sich die Nationalliberalen darüber zu beklagen gehabt. daß man inbezug auf die Simultanschule noch hinter de in Kompromiß zurückgeblieben war. Nachdem der Kultusminister diese Dinge hineingezogen hat, dürfen wir den Schleier wöhl auch insoweit lüften, daß schon da- mals der§ 40 lebhaft beanstandet wurde und daß schon damals in bestimmte Aussicht gestellt war, eS werde in bezug auf diesen Paragraphen ein weitgehendes Entgegenkommen seitens der Uuterrichtsverwaltung geübt werden. Daß das Gegenteil eingetreten ist, he lv ei st der Ver- lauf der letzten K o m m i s s i o n s si tz u n g. in welcher in der Rektorenfrage durch die'Haltung des Ministers und seines Vertreters die Konservativen in ihrem Festhalten an der Regierungsvorlage geradezu gestärkt wurden. Rücksichtsloser konnten allerdings die Nationalliberalen nicht behandelt werden von einer Regierung, die es sonst als ihre Aufgabe betrachtet. auch die Nationalliberalen bei der positiven Mitarbeit an den politischen Aufgaben des Reiches und der Eiuzelstaaten zu be- teiligen und ihre Hülfe dazu i» Anspruch zu nehmen. Daß die Erfahrungen, die die Nationalliberalen bei dieser Gelegenheit machen mußten, nicht ohne Folgen für ihre weitere Stellung zur Regierungspolitik bleiben werden, ergibt sich von s e l b st." Und in der Zuschrift eines nationalliberalen Abgeordneten an die betreffende Korrespondenz heißt es: „Es steht ausdrücklich fest, daß bei den Kompromißverhand- lungen über das Volksschulnuterhaltungsgcsetz der§ 40, welcher das Recht der Städte behandelt, lebhaft beanstandet worden ist und daß von feiten der Unterrichtsverwaltung ein weitgehendes Entgegenkommen im Sinne der nationalliberalen Forderungen zugesagt wurde. So ist es der Fraktion mitgeteilt worden. Nun geschiebt in letzter Stunde das gerade Gegenteil, und der Staalsminister, welcher bisher in den Kommissionsberatungen zu- gunsten eines seiner Herren Kommissare von seiner leitenden Stellung kaum Gebrauch gemacht hat, tritt mit dem Vollgewicht seiner Verantwonlichkeit als Staatsministcr auf und erklärt, hier könne von einem Entgegenkommen nicht mehr die Rede sein, die Regierung habe schon zu viel nachgeben müssen; das Mehr ginge nicht!! Die von dem Staats- minister oder vielmehr seinem Kommissar geübte Nachgiebig- keit hat nach meinen recht sorgsamen Beobachtungen der Vor- gänge in den Kommissionsverhandlungen darin bestanden, daß jede Erfüllung des Krompro Misses von feiten der Nationalliberalen dem Kulkusministerium ge- radezu abgerungen werden mußte, und daß während dieser Arbeit der Vertreter der Staatsregierung die ganze Kunst seiner dialektischen und diplomatisch eigenwilligen Geschicklichkeit aufbot, um ein Loch nach de ni anderen in das K o m- p r o m i ß hinein; n st oßen. Und dies ist ihn: wirklich in letzter Stunde, und zwar(ich muß es mit Bedauern hervorheben) mit Hülfe einer direkten dahingehenden Marschroute der konser - vativen Fraktionsmitglieder und zum hellen Jubel des Zentrums gelungen." Sind diese Tatsachen richtig, wie nach der Bestimmtheit, mit der sie vorgebracht werden, kaum bezweifelt werden kann, dann zeigen sie Herrn Studt und seine Helfershelfer in einer höchst schäbigen Rolle; aber zugleich wird durch sie den Herren Nationalliberalen das Zeugnis erbännlicher Charakterlosigkeit ausgestellt. Jede ehren- hafte Partei hätte unter den Ilmständen, welche die„National. Korresp." schildert, ihre Mitwirkung an der widerlichen Techtel- mechtelei versagt; die Nationalliberalen aber ließen sich durch alle rollenwidrigen Kreuz- und Quersprünge des Kultusministers und der konservativen Führer nicht abschrecken, sondern unterhandelten weiter— nur bestrebt das VerpfaffungSgesetz durchzudringen. ES fordert deshalb auch heute lediglich zum Spott heraus, wenn die Nationalliberalen sich in die Toga der Prinzipienfestigkeit hüllen und der Regierung mit den Folgen ihres Vertraucnsbruchs drohen. Eine Partei, die sich derartig behandeln läßt, hat jeden Anspruch darauf, politisch enist genommen zu werden, verloren.— Die Regierung schweigt. Genosse Bebel hat in der Reichstagssitzung am letzten Donners- tag gegen die Regierung die schwersten Anklagen erhoben? er hat Angestellte der Berliner Polizei der Verleitung zum Landes- verrat beschuldigt und das Berliner Polizeipräsidium öffentlich der Urkundenfälschung geziehen— doch die Regierung schweigt. Sofort nach dem Bekanntwerden der Bebelschen Rede haben Blätter der verschiedensten Parteien die Regierung aufgefordert, sich zu den Ausführungen zu äußern, und erklärt, daß. wenn jene Anschuldigungen nicht alsbald widerlegt würden, Deutschlands An- sehen in der ganzen Kulturwelt aufs schwerste geschädigt sei. So erklärte z. B. das Hauptorgan des Zentrums, die„Köln . Volksztg.": „Die Regierung hat geschwiegen, und so gehen die schweren Anllagen des Abg. Bebel unwidersprochen ins Land hinaus. Die öffentliche Meinung, die bisher geneigt war, die Klagen der sozialdemokratischen Presse, deren Unzuverlässigkeit so oft erwiesen wurde, für unbegründet oder mindestens für starke Ueber- treibungen zu hallen, muß nun, so lange keine amtliche Klar- stellung erfolgt, dem Eindruck unterliegen, daß rn diesen Klagen doch mehr Wahrheit stecke, als der Regierung angenehm sei. Besonders bedenklich wäre eS auch in Anbetracht unseres Verhältnisses zu Rußland , wenn eS sich bewahrheiten sollte. daß die Berliner Polizei einen russischen Staatsangehörigen zum Landesverrat veranlassen wollte, ihm zu diesem Zweck einen falschen Paß ausgestellt und in einer falschen Urkunde bescheinigt habe, daß er nicht Jude, sondern Christ sei. Eine solche Behauptung sollte doch nicht eine Stunde unwiderlegt bleiben! Da hätte die Regierung sofort schleunigst einen Kommissar zum Reichstag kommen lasten müssen, um eine so ungeheuerliche Aullage auf der Stelle zu ent- kräften." Und die„Voss. Ztg." schrieb: „Die Regierung hat gestern geschwiegen. Sie hat sich hinter den Zuständigkeitseinwand zurückgezogen. Aber man sollte meinen. es liege in ihrem eigenen Interesse, unumwunden klare Auskunft zu geben, sei es im preußischen Abgeordnetenhause, dessen Zu- ständigkeit auch von ihr nicht bestritten werden kann, sei es in ihrer amtlichen Presse. Handelt es sich doch um die Wahrung des Ansehens der Regierung vor dem Volk. Preußens im Deutschen Reich und des Deutschen Reichs vor allen Kulturstaaten." Doch die Regierung läßt alle Mahnungen unbeachtet; sie. die sonst bei den geringfügigen Anlässen über die Schädigung des An- sehens Deuschlands im Auslande klagt, sie. die so oft die„Nordd. Allgem. Ztg" in den kleinlichsten Dingen mit langen Berichtigungen beglückt hat— sie schweigt. Sie findet kein Wort der Entgegnung. der Widerlegung. Ein höchst beredtes Schweigen! Zu dem skandalösen Fall des Kriminalkommissars Schöne und des „Privatiers " von Brockhusen, den Genosse Bebel am Donnerstag im Reichstag enthüllte, hören wir. daß der Schöneberger Kaufmann, den jenes edle Paar unter Ausnützung des AusweisungSgesetzeS zum Hoch- und Landesverrat an seinem Vaterlande zu pressen versuchte. Deutschland nur vorübergehend zum Zwecke einer Geschäftsreise ver- lassen hat und mit seiner Familie nach Ivie vor in Schöneberg domiziliert.—
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten