Nr. 104. 23. Iahrglmg. 1. WM des Jorrtcts" Kerlim lolUlttt. Sountag, 6. Mai 1906. Reichstag. cot, G5. Sitzung vom Sonnabend, den v. nachmittags 1 Uhr. Am BundeSratStische: Frhr. v. Stengel. Auf der Tagesordnung steht die Fortsetzung der zweiten Be- ratung des Gesetzes betreffend die Besteuerung der Zigaretten. Zunächst wird über den gestern beratenen 8 3 abgestimmt. Derselbe wird unter Ablehnung des Amendements des Grafen v. Brudzewo-MielzhnSki in der von der Kommission vorgeschlagenen Fassung gegen die Stimmen der Sozialdemolraten und Frei- sinnigen angenommen. 8 4 wird ohne Debatte angenommen. Bei§ 6 scheint Abg. Jäger(Z.. auf der Tribüne unverständlich' den letzten Absatz zu verteidigen, nach welchem der Bundesrat be- fugt sein soll, im Falle der Umgehung der Zigarettensteuer die Vorschriften diese» Paragraphen(in Absatz 1 ist dem Hersteller und Großhändler der Einzelverlauf von Zigarettentabak und Zigaretten verboten!) auf alle Personen auszudehnen, die der Zigarettensteuer unterliegende Waren feilhalten, verkaufen oder sonstwie an Verbraucher abgeben. Abg. Grver sSoz.): Ich möchte den Abg. Jäger ersuchen, doch einmal die Be stimmung vorzulesen, nach der eS gestattet sein soll, im Klein- verkehr Zigaretten ohne Verpackung zu verkaufen. Eine Be- stimmung darüber ist überhaupt'nicht vorhanden. Man ist darüber einfach hinweggegangen. Allerdings ist im Abs. 1 des Z S der Verpackungszwang nicht für den Kleinverkehr ausgesprochen worden, aber der Abs. v des 8 d gibt, wie der Abg. Jäger zugeben mutz, dem Bundesrat völlig freie Hand, wenn es ihm gerade patzt, den Einzelverkauf zu verbieten. Wir bedauern das nicht bloß im Interesse des Publikum», sondern auch im Interesse der Zigaretten- industrie und der Zigarettenhändler; denn wenn daS Publikum nicht einzeln Zigaretten kaufen kann, wenn der Arbeiter, der gerade ein paar Minuten frei hat, nicht schnell eine Zigarette sich kaufen und rauchen kann, so werden überhaupt weniger Zigaretten kon- sumiert werden Der Kleinverkäufer findet jetzt einen sehr großen Teil seines Absatzes durch den Einzelverkauf. Diesen zu g e» st a t t e n oder zu verbieten, soll nun dem Bundesrate über- lassen werden. Wie wird sich das nun praktisch gestalten? Der Bundesrat wird natürlich kein generelles Verbot des Einzel- verkauf» erlassen, sondern einzelne Händler werden getroffen werden und einzelne nicht! Solche Gesetzesbestimmungen sind �icht nur unzulänglich, sondern auch unzulässig. Der 8 1b, der mit diesem 8 S korrespondiert, leidet unter demselben Jehler. Wir haben in der Kommission beantragt, eine Bestimmung ein- zuschalten, nach der der Einzelverkauf im Kleinverkauf ausdrück- lich gestattet werden solle. Aber man ging über unseren Antrag hinweg. Und eine solche KommissionStatigkeit wird als.eifrige, fleißige Arbeit" bezeichnet? Nicht einmal unsere fachmännischen Anregungen sind von der Kommission benutzt worden. Im ganzen hat man den Eindruck, als ob diese Vorlage mit allen ihren Plackereien den Weg zum Staatsmonopol ebnen soll.(Lebhafter Beifall bei den Sozialdemokraten.) Reichsschatzsekretär Frhr. v. Stengel: Von der Befugnis, die dem Bundesrat im letzten Absatz de? 8 b gegeben ist, wird er nur in den allerdringendsten Fällen Gebrauch machen; denn er hat ebenfalls starke» Interesse an» Einzelverkauf der Zigaretten. Abg. Wiemer(frf. Vp.): Der Staatssekretär sagt bei der Anwendung seiner Befugnis„Wohlwollen" zu. Die Botschaft hör ich wohl, aber der Glaube fehlt mir.(Zustimmung links.) Der VerpackungSzwana schädigt auch eine Reihe HülfSindustricn, z. B die Karwnnage-Jndustrie. Abg. Jäger(Z.. auf der Tribüne fast unverständlich): Die Befürchtungen der Vorredner sind übertrieben. Die ganze Ge schichte der Entstehung deS 8 b beweist, daß der Einzelverkauf der Zigaretten beim Kleinhändler nicht getroffen werden soll. Abg. Held(natl.): Der Bericht der Kommission läßt klar er- kennen, daß der Bundesrat keine generelle Befugnis zum Verbot de» Kleinverkaufes erhalten hat. Den Zusammenhang mit der Kartionage-Jndustrie verstehe ich nicht! Abg. Molkenbnhr(Soz.): Die Aufklärung, die der Staatssekretär meinem Parteigenossen Geher gegeben hat. war durchaus unbefriedigend; sie gab keine»- wegS die Gewißheit, dah der Einzelverkauf den Kleinhändlern unter allen Umständen erhalten bleibt. Vor allen Dingen wird er den Kleinhändlern sofort entzogen, sowie sie auch Hersteller sind; da» aber trifft allein Taufende. Der Abg. Held hat soeben wieder eine Lobrede auf die Klarheit de» Gesetze? und seiner Be- gründung gehalten. Da möchte ich doch einmal an dem Beispiel diese»§ 6 nachweisen, wohin es führt, wenn man Gesetze au» dem Handgelenk macht. Absatz 1. Satz S. lautet: «Die Verpackung der inländischen Erzeugnisse hat, sofern nicht Ausnahmen zu- gelassen werden, in den Betrieben zu erfolgen, in denen sie her- gestellt werden." Ich möchte an den Berichterstatter die Frage richten, wer diese Ausnahmen gestatten soll? An wen soll sich der Händler mit der Bitte um die Ausnahme wenden? Erlätzt sie der Bundesrat oder die Zentralbehörde de» EinzelstaateS oder der SteueraufsichtSbeamte, generell für den ganzen Bezirk oder für jeden Betrieb einzeln? Alle? das sucht man im Gesetz vergebens. Auch Herrn Held, der eben noch seinem Berichte nachrühmte, daß er vollkommen aufkläre(Lachen link»), läßt hier deS Sängers Höflichkeit schweigen. Vielleicht erfahre ich jetzt wenigstens, was sich die Väter deS Gesetze» gedacht hohen.(Heiterkeit links.) Absatz 2 lautet:„Auf jeder Packung ist der Inhalt nach Art und Menge sowie bei Zigarettentabak und Zigaretten auch der KleinverkaufSpreiS oder die Preisgrenzen der Steuerklasse in Druckschrift anzugeben. Außerdem ist auf jeder Packung Name und Sitz der Firma des Herstellers oder Händler? ersichtlich zu machen." — Das ist zunächst ein Eingriff in die GefchäktSpraxiS. Viele kleine Fabrikanten stellen selbst die besseren Sorten her und be- ziehen die geringeren Sorten vom Großfabrikanten. Jetzt sollen sie den Namen deS Hersteller» angeben müssen! Der Kleinver- kaufSpreiS steht so wie so schon einmal auf der Banderole. Auf die fertige Pappschachtel kann man ihn nicht noch einmal auf. drucken, weil diese sonst zusammengepreßt würde� also muß man irgend etwa« aufkleben. Da« steht schlecht au». Der Abg. Wiemer hat schon die gegenwärtige Depression in der Kartonnage-Jndustri« hervorgehoben. Niemand kennt die Art der Banderolen, die her- gestellt werden soll. Wer soll da jetzt Verpackungsmaterial kaufen? Mit dem Aufdruck de» Detailverkaufspreises müssen wir zu Zu- ständen kommen, wie man sie in Wien hat: daß eine bestimmte Sorte denselben Preis hat. ob man sie in der Ringstraße oder auf der entlegensten Gasse, im feinsten Cafe oder in der elendesten Kneipe kauft. DaS hat einen Sinn, aber nur für Monopolländer. Nun werden wir ja in Deutschland sehr bald da» Monopol de» Zigarettentrusts haben, aber so lange wir noch Tausende selb- ständige Unternehmer haben, können wir solche unsinnigen Be. stimmungen nicht gebrauchen, die nur da» Gesetz unnötig der- längern. Absatz S lautet:„Die Verpflichtung zur Angabe de» Prctse» erstreckt sich auch auf solch« Packungen, die fein geschnittenen Tabak im Kleinverkaufspreis« von 3 M. oder weniger für ein Kilogramm enthalten. Wird solcher Tabak unverpackt verkauft, so ist dor Klein- Verkaufspreis an einer in die Augen fallenden Stelle des Behält- nisses anzugeben."— Bisher haben die Fabrikanten bei verpacktem Tabak fast nie den Preis angegeben. DaS ist nicht etwa auf Be- trug berechnet, sondern die Fabrikanten wollten sich dadurch nur vor falschen Angaben schützen. Wenn nämlich der Tabak in daS Paket hineingebracht wird, so darf er nicht trocken sein, er wird vielmehr feucht verpackt. Ich will nun annehmen, 1 Kilogramm ist in 23 Paketen a dO Gramm feucht verpackt und soll 3 M. kosten. Wenn der Tabak aber trocken geworden ist, dann wird 1 Kilo- gramm 21�-22 Palete geben und nunmehr für 3.1d bis 3.30 ver- kauft werden. So hat sich der Tabak aus der steuer freien Sphäre in die steuer Pflichtige Sphäre hineingetrocknet. ES ist auch möglich, daß sich auf diese Weise versteuerter Tabak auS einer Klasse in' die andere hineinflüchtet. Es wäre ganz gut. wenn über all' diese Zweifel der Vater deS Gesetzes uns aufklärte. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Die Motive schweigen. sich darüber aus. Es fragt sich auch weiter: wer wird nun al» Defraudant bestraft, der Fabrikant oder der Kleinhändler? Im Absatz ö ist dann bestimmt, daß der Bundesrat befugt ist, im Falle einer „Umgehung" der Zigarettensteuer beim Einzelverkaufe besondere Sicherung»- maßnahmen zu treffen. Was heißt„Umgehung"? Bei allen Fällen, die ich mir konstruiert habe, habe ich immer gefunden: Wenn die Handlung begangen ist, ist es eine Defrauoation. Was aber ist eine„Umgehung"? Ist eS z. B. eine Umgehung des ZigarettcnsteuergesetzeS, wenn ein Zigarettenraucher anfängt, Zigarren zu rauchen?(Heiterkeit.) So könnte ich eine ganze Anzahl Widersprüche und Uneben. heiten deS Gesetzes aufweisen. Zum mindesten sollte man doch in einem Gesetz, bei dem Strafen bi» 100 000 M. angesetzt sind, nicht mit derartig undefinierbaren Begriffen operieren.(Bravo ! bei den Sozialdemolraten.) Abg. Bickler(Antis.): Im Interesse deS Mittelstandes müssen wir uns gegen die überaus bedenklichen Bestimmungen deS 8 b erklären. RcichSschatzsekretär v. Stengel: Die vom Abg. Molkenbuhr ge- tadelten Bestimmungen wird im einzelnen wohl der Referent recht- fertigen. Bemerken will ich aber doch, daß in Absatz 2 ausdrücklich sieht: Firma des Herstellers„oder Händlers". Die Druckschrift, die verlangt ist. kann auch auf«ner Etikette enthalten sein. Weiter wird getadelt, eS sei nicht klar, waS„Umgehung" sei. Aber in den 88 lo. 16, 1? ist genau angegeben, was verboten ist. Abg. Dr. Müller-Sagan(frs. Vp.): Absatz 5 verbietet, was Absatz 1 erlaubt! Der ÄerpackungSzwang ist vor allem deswegen so gefährlich, weil er den amerikanischen Trust begünstigt. Ich unterschätze daS VerdauungSsystem des Trusts nicht.(Heiterkeit) aber er wird außerordentlich begünstigt durch den VerpackungS - zwang, weil der einzelne Raucher davon nur noch nach der Marke kaufen kann. Abg. Geher(Soz.): Der Vorwurf, daß wir das Gesetz nicht genügend verstanden hätten, macht sich um so possierlicher, wenn w»r zurückschauen in die Kommissionsberatung und un» vergegen- wärtigen. daß w i r eS gerade waren, die die Herren auf die Un- stimmigkeiten bei lliefem Gesetzentwurf aufmerksam machen mußten. Es könnte unS jetzt beinahe leid tun, daß wir durch unsere fach. verständige Kritik Aenderungen in daS Gesetz gebracht haben, die cS wenigstens noch etwas besser erscheinen lassen, als wenn es mit all' seinen Mängeln hier erschiene» wäre. DaS wäre ein Gesetz. entwurf gewesen, wie er im Reichstage überhaupt noch nicht vor- gekommen ist.(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Die Vorlage ist ein Polizeigeseh schlimmster Art. (Sehr wahr! b. d. Sozialdemokr.) Durch dieses Gesetz mit seiner steuerpolizeilichen Belästigung de» ganzen GcschäftslebenS macht man die Industrie für das Monopol reif. Darauf scheint die Re- gierung offenbar hinzuarbeiten. Da» Gesetz hat schon seine be» stimmten Rückwirkungen gehabt; schon jetzt beginnen die steuer- polizeilichen Belästigungen. Wie kommt die Regierung dazu, jetzt bereits die Steuerbehörde anzuweisen, in Fabriken nachzufragen, ob Zigaretten angefertigt werden? Wir habe» selbstverständlich eine solche Anfrage strikte abgelehnt und uns diese steuerpolizei- liche Schnüffelei verbeten.(Bravol bei den Sozialdemokraten.) Damit schließt die Debatte. Der Berichterstatter Abg. Held(natl.) verweist darauf, daß in§ 16ff der Kommissionsbeschlüsse festgestellt sei, was Um- geHungen seien. Abg. Molkenbuhr(Soz.): Ich bin offenbar nicht richtig perl standen. Als ich über daS Wort„Umgehung" sprach, habe ich gemeint, daß eine Umgehung keine GesetzeSvcrletzung zu sein brauche; denn diese werde als Vervrechen, Vergehen und Uebertretung be. zeichnet. Nachdem der Berichterstatter erklärt hat, daß Um. geHungen nur Vergehen und Uebertrctungen seien, ist die An. gelegenheit für mich erledigt. Die Abstimmung ist zunächst zweifelhaft. DaS Bureau ist der Meinung, daß die MeHrHeft f ü r den ß v ist. Der Präsident erklärt ihn für angenommen. Es folgt 8 6. Abg. Potthoff zieht den Antrag auf Streichung der Bestimmung: die Verzollung der eingeführten Zigarettentabake und Zigaretten besonder» kenntlich zu machen, vorläufig zurück. 8 6 wird angenommen. § 7 handelt von den Betriebsräumen. Die Abgg. Albrecht und Gen.(Soz.) beantragen hierzu da» völlige Verbot der Heim- arbeit in der Tabakindustrie. Abg. v. Elm(Soz.): 8 7 enthält schon indirekt ein Verbot der Heimarbeit durch die Vorschrift, daß die Räume, in denen gewerbsmäßig Zigaretten hergestellt werden sollen, der Steuerbehörde vorher schriftlich an- zuzeigen und zu beschreiben sind. Die Bestimmung bezieht sich auch auf d i e Räume, in denen Heimarbeiter Zigaretten herstellen. DaS wird namentlich bei dem häufigen Wohnungswechsel in Berlin un- überwindbare Schwierigkeiten machen. Ferner macht 8 21 die Unternehmer verantwortlich auch für die Defraudationen der Arbeiter. von denen sie nicht» wissen! In den Werkstätten der Heimarbeit ist aber den Defraudationen Tor und Tür geöffnet. Der Heim- arbeiter erhält 1100 Hülsen statt 1000, weil ja eine Reihe von Hülsen bei der Arbeit beschädigt werden. Ein geschickter Arbeiter aber verdirbt nicht soviel Material. Er ist also imstande, einen Teil wieder zu verkaufen; daS wird auch geschehen, weil durch diese» Gesetz ja ein Lohndruck erfolgt, für den der Arbeiter versuchen muß, sich auf andere Weise schadlos zu halten. Der Bundesrat wird also sowieso bald gezwungen sein, die Heimarbeit zu verbieten. In Rußland werden die Zigaretten in einer Art von Zuchthäusern hergestellt. Hinter vergitterten Fenstern sitzen die Arbeiterinnen, und vor der Fabrik patrouilliert ständig der Steuerbeamte auf und ab. Wenn Sic keine Defraudationen wollen, werden Sie auch charfe Kontrolle üben müssen. Allerdings sind die? alle» für unS nicht die dringlichsten Gründe, weshalb wir beantragen, die Heimarbeit zu verbieten. Unsere Gründe sind wirtschaftlicher Art. Ich habe Ihnen bereits gestern nachgewiesen, daß bei Anwendung dieser Steuersätze die Heimarbeit gewaltig zunehmen müßte. Bei diesem Steuersystem mutz cS nämlich mit Sicherheit dahin kommen, daß die Fabrikanten die Löhne reduzieren. Nun beträgt der Lohn pro Mille in der 'äbrik jetzt 2,20 M., in der Heimarbeit 1,70 M. Künftig wird diese sifterenz noch größer werden. Bei der Heimarbeit spart aber der Unternehmer nicht nur den Lohn, sondern auch Miete. Licht und Feuerung. Im Interesse der Konsumenten selbst aber liegt es, dah die Seimarbeit nicht in dieser Art ausgedehnt wird, denn der Raucher hat ein Interesse daran, eine gute, reinliche Qualität». wäre zu erhalten. In der Kommission hat man nun gegen unseren Antrag geltend gemacht, man dürfe nicht in daS freie Selbst- bestimmungSrccht der Arbeiter eingreifen. Dieses alte Argument für die Heimarbeit trifft immer weniger zu. Gerade dieses Gesetz wird die Kleinindustric in weitem Maße zurückdrängen. Bei den gestiegenen Anforderungen und den reduzierten Löhnen wird kein Arbeiter sich so leicht selbständig machen können. So schädigt das Gesetz in jeder Weise die Arbeiter, die in erster Linie die Kosten dieser Steuergesetzgebung zu tragen haben. Darum müssen wir die Arbeiter auch zu schützen suchen. Nur durch das Verbot der Heim- arbeit kann verhindert werden, daß die Fabrikanten einen gewaltigen Lbhndruck ausüben. In der Kommission hat man zugegeben, daß der Heimarbeit eine Reihe von Schäden hat, und auch eine Resolution wurde gefaßt, wonach die. Verbündeten Regierungen ersucht werden, für die Herstellung von Zigaretten durch Heimarbeit auf Grund deS§ 120 Abs. 3 und ß 139- Abs. 1 der Gewerbeordnung Bestim- mungen zu erlassen. Für die Heimarbeiter in der Zigaretten- industrie kommen die Bestimmungen deS Bundesrats aber gar nicht in Betracht, eS fei denn, daß der Arbeiter außer Familien- angehörigen auch Fremde beschäftigt. Die Schäden bei der Heim- arbeit in der Zigarettenindustrie bestehen nicht allein darin, daß den Arbeitern der Lohn gedrückt wird, sondern auch darin, daß die Gesundheit vernichtet wird. E» versteht sich von selbst, daß diese Schäden an der Gesundheit nicht bloß die Erwachsenen, sondern auch die Kinder treffen. Gerade die EinzelhauSarbeit be- günstigt die Kinderarbeit. Wir haben schon au» dem Bezirk Minden die Nachricht erhalten, daß dort allein 0000 Kinder beschäftigt werden. Wer kontrolliert denn daS? Sie können doch nicht bei jedem Heimarbeiter einen Schutz- mann hinstellen. Gerade im Interesse des heranwachsenden Ge- schlecht» sollte man dazu kommen, hier ein Verbot der Heimindustrie zu schaffen. Wenn Sie einmal dabei sind, zu reglementieren, dann machen Sie auch ganze Arbeit und sprechen Sie konsequent das Verbot der Heimarbeit auSl(Lebhafter Beifall bei den Sozial- demokraten.).... Abg. Erzbcrgrr(Z.): Der Vorredner hat gestern behauptet, in- folge diese? Gesetzes werde die Handarbeit abnehmen, die Maschinen- arbeit zunehmen; heute behauptet er, die Heimarbeit werde zu» nehmen. Gestern erklärte er sich gegen die EntWickelung zum Maschinenbetrieb; er mag froh sein, daß die KapitolSwächter Rosa Luxemburg und Parvus sich in Rußland befinden, sonst würden sie ihm den Text lesen wegen dieses Widerspruches gegen das Erfurter Programm. (Zurufe bei den Sozialdemokraten.) Abg. v. Elm behauptet, daß das Verbot der Heimarbeit eigentlich schon lm 8 7 enthalten sei; dann wäre der sozialdemokratische Antrag ja überflüssig. Der Antrag, die Heimarbeit einfach zu verbieten, ist im übrigen eine Kur a la Dr. Eisenbart. Sie schneiden dem Mann den Kops ab. um sein Zahnweh zu beseitigen. Wir können dem sozialdemokratischen Antrag nicht zustimmen. Abg. Merten(frs. Vp.): Ich möchte zunächst den Vertreter des Bundesrats um eine deutlichere Erklärung dessen bitten, was eine„gewerbsmäßige BetriebSwcrkstätte" ist. Die AuS- führungen des Abg. v. Elm, daß im Gesetz indirekt die Heimarbeit schon verboten sei, haben viel für sich. Noch wichtiger sind seine Ausführungen über die traurigen sanitären Zustände unter den Heimarbeitern in der Zigarettenindustrie. Aber daS Menschen- material in dieser Industrie ist auch wohl wegen der leichten Arbeit von Haus auS nicht das kräftigste. Wir können daher nicht für ein Verbot der Heimarbeit eintreten, sondern würden viel- mehr eine vernünftige WohnungSpolitik unterstützen.(Sehr wahr! bei den Freisinnigen.) In Dresden allein würden 2000 Heim- arbeiterinnen brotlos werden.(Hört! hörtl) Wir begnügen uns mit der von der Kommission angenommenen Resolution: die bundesrätlichen Bestimmungen über die Heimarbeit auf die Tabak- industrie auszudehnen.(Bravo ! bei den Freisinnigen.) Reichsschatzsekretär v. Stengel: Dem Abg. v. Elm gegenüber muß ich bemerken, daß die Vorlage irgend ein Verbot der Heim- arbeit nicht enthält. Wie die Sozialdemokratie die durch ein solches Verbot erfolgende Schädigung der Arbeiter diesen gegenüber ver- antworten will, muß ich ihr überlassen.(Zuruf bei den Sozial- demokraten.) Abg. Dr. Jäger(Z., auf der Tribüne unverständlich) scheint sich gegen das Verbot der Heimarbeit zu erklären. Abg. v. Elm(Soz.): ES ist kein Vergnügen, mit Leuten zu diskutieren, die in die Materie nicht eingedrungen sind.(Sehr gut! bei den Sozialdemo- kraten.) Der Abg. Erzberger hat in meinen Ausführungen eine Menge von Widersprüchen entdeckt. In Wahrheit kann davon gar nicht die Rede sein. Ich finde eS zunächst sehr eigentümlich, daß der Abg. Erzberger nicht begreift, daß ein anderes Steuersystem auch eine andere Wirkung habe» muh. Meine gestrigen AuS- führungen über die Wirkung der Steuer bezogen sich einmal auf die progressive Staffelung und da» andere Mal auf eine gleich. mäßig prozentuale Berte, lung. Die progressive Staffelung mit ihren kolossalen Ersparnissen an Steuer durch Lohndrückercien muß— daS ist für jeden denkenden Menschen klar— den Fabrikanten förmlich zum Lohndrücken anreizen. Ein Beispiel würde selbst dem Abg. Erzberger den Unterschied klar machen, doch wir sind ja hier nicht in der Schule, wenn auch der Abg. Erz- berger noch sehr deS Unterrichtes zu bedürfen scheint.(Große Heiterkeit und Sehr gutl links.) Der„VorwärtS".Bericht hat ganz richtig dargestellt, daß die progressive Steuer zu einer Herab- Minderung der Qualität und zur völligen Ausscheidung der Hand- arbeit führen müßte. Ich habe auch heute wiederholt, daß, ivenn Sie dieses Steuersystem der Kommission annehmen, Sie die Heim- arbeit einfach ausschalten. Weil wir aber nicht wissen, ob Sie diese progressiven Sätze annehmen werden und weil bei anderen Steuer- erhöhungen die Heimarbeit in der Zigarettenindustrie zunehmen muß, deshalb stellen wir diesen Antrag. DaS sollte doch für jeden logisch denkenden Menschen klar sein. Sicherlich werden die Unternehmer zunächst versuchen, die Handarbeit beizubehalten und zur Heimarbeit überzugchen. Die 4S Pfennig pro Mille, die zu dem bescheidenen Unternchmergewinn von 10 Proz. fehlen, werden sie durch Lohndruck herauszuholen sich bemühen. DaS ist klar für jeden, der etwa? von den Jndustrieverhältnissen versteht und kalkulieren kann. Aber der Abg. Erzberger kann nach seinem ganzen Bildungsgang dafür nicht das geringste Verständnis haben. Nur daß er. der zugibt, keine Ahnung von diesen Dingen zu haben. sich hier herstellt und meinen Berechnungen nachsagt, sie seien künstlich, das ist doch recht dreist.(Lebhaftes Sehr wahr! links.)— Da» Erfurter Programm kenne ich mindestens so gut wie der Abg. Erzberger , ich stehe ganz auf seinem Boden. W i r erkennen offen und ehrlich an, daß durch die Entwickelung der Großindustrie der Kleinbetrieb mit Naturnotwendigkeit vernichtet wird. S i e leugnen diese Naturnotwendigkeit, weil ihnen der tiefere Einblick in die ökonomischen Verhältnisse fehlt. Wegen unserer Erkenntnis ver- schreien Sic uns al» MittelstandSfeinde. Aber wa» tut Ihre Partei? Mit einem plötzlichen Ruck vernichtet sie die ganze Klein- industrie in der Zigarettenbranche und gibt dabei vor, Mittelstands- freundlich zu feint Diesen Widerspruch klären Sie einmal' auf, sowohl un» wie den Leuten au» dein Mittelstand, die Sie in den Bankrott treiben!(Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.) Ich habe nicht gesagt� daߧ 7 die Heimarbeit, ich habe nur darauf hmgewiesen, daß der Bundesrat z». iesem Schritte gedrängt werden wird, weil sonst jede Kontrolle unmöglich wird. Dann werden die Verantwortung für die entstehende Ar- beitSlosigkeit nicht w i r tragen, sondern S i e und vor allem der Reichsschatzsekretär. Uebrigen» diese Verantwortung! S i e werfen hier mit dieser Steuerpolitik 7000 bis 8000 Arbeiter auf die Straße. Wenn durch unseren Antrag Arbeiter brotlos werden
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten