wachen bezüglich der bei Anwendung des Ainnestiegefetzes etwaentstehenden Mißverständnisse. Die Ämnestielommisfion hat derNcichsduma badigst über ihre Tätigkeit Bericht zu erstatten.Ans den Ostseeprovinzcn.AuS Riga wird uns berichtet:Hier wird nach wie vor in furchtbarem Maße amtiert, obwohlam 1. slS.) Mai eine Amnestie gegeben werden soll. Es werdenTodesurteile in Masse gefällt und zahlreich sind die Verschickten.Noch einmal erhebt die Reaktion ihr Haupt, noch höher alsunter Witte und Durnowo. Alles ist in fieberhafter Aus-rcgung und Erwartung. Die neugewählten Abgeordnetenhaben beschlossen, sich weder durch Kanonen noch durch Bajonetteschrecken zu lassen, sondern ihr Mandat zu erfüllen und von keinerihrer Forderungen abzustehen, sich auch nicht nach Hause schickenzu lassen, bis sie eine vollständig konstitutionelle Ordnungauf demokratischer Grundlage hergestellt haben. Ein Zu-samnicustotz ist unvermeidlich. Und dann haben wir dieRevolution, wie sie toller noch nie gewütet hat. Auf einer Seitedas ganze Volk mit Einschluß der betrogenen und beleidigten Bour-geoisie, auf der anderen die Regierung, die Hofklique mit der Armeeund Polizei. Wer zuletzt siegt, ist ja klar, aber das Blutvergießen!Was die Amnestie am 1./13. Mai betrifft, so muß mandas mit Vorsicht aufnehmen, denn wir haben doch schon gesehen,wie die Polizei auf die Amnestie pfeift. Briefe werden rücksichtsloskonfisziert.Der dritte Parteitag der K. D.Noch nie haben die K. D. ihr innerstes Wesen so zur Schaugestellt, wie es auf ihrem 3. Parteitag der Fall gewesen ist. Nichtnur die angenommenen, sondern in viel höhcrem Maße dieabgelehnten Resolutionen und der ganze Verlauf der Debattenwerfen ein grelles Streijlicht auf diese Partei, die sich über denKlassen erhaben glaubt. Besonders scharf trat der Klassencharakterhervor in der Art und Weise, in der die Arbeiterfragebehandelt wurde. In die vom Zentralkomitee der Parteieingebrachte Resolution über die nächsten Aufgaben derK. D. in der Duma wurde sie gar nicht aufgenommen,und erst als diese brutale Verachtung der Interessen des Proletariatseinen wahren Entrüstungssturm der kd. Arbeiter hervorgerufen hatte,fühlte sich der„Arbeiterfreund" Struve bewogen, eine Resolutioneinzubringen, die„die Befriedigung der dringendsten Bedürfnisseder Arbeiterklasse" fordert und im übrigen die Frage an eineKommission verweist.„Diese, Resolution", fügte Struve in derBegründung hinzu,„hat einen genügend allgemeinen Charakter,um den Abgeordneten keinerlei Verbindlichkeitenaufzulegen." Damit war die Absicht der K. D., einearbeiterfreundliche Maske vorzutun und schließlich die Arbeiterzum besten zu haben, mit dankenswerter Unumwundenheitausgesprochen.„Ich bin vom kd. Programm betrogenworden!" rief der Delegierte Arbeiter Artamonow, und indiesen Ruf werden jetzt alle von der kd. Schönrednerei bisher ver-blendeten Arbeiter einstimmen.Die vom Z. K. eingebrachte taktische Resolution wurde im Laufeder Debatten von verschiedenen Rednern heftig angegriffen, Haupt-sächlich wegen der Unklarheit ihrer Fassung und wegen ihres„zahmen"Charakters. Die Resolution spreche immer von„gerechten" nationalenForderungen, von„dringenden" Bedürfnissen usw.; dies seien aberKautschukbegriffe, in die sich zwar sehr viel, aber ebensoauch sehr wenig hineinlegen lasse. Ferner wurde dem Z. K.. derVorwurf gemacht, daß eS die gesetzgeberische Tätigkeit der Duma indie Schranken des Gesetzes über den Staatsrat hineinzwänge, währenddieser Staatsrat ein gefährliches Werkzeug gegen die Duma sei. Eswurde darauf hingewiesen, daß aus der ganzen Resolution Angstbor einem Konflikt mit der Regierung spricht. Der Zusatz zum2. Punkt,„die Schuld und Verantwortung des Konflikts soll auf dieRegierung fallen", sei direkt ein Mauseloch, um einer entschiedenenTaktik in der Duma zu entgehen und sich mit der Regierungin Verhandlungen einzulassen. Eine ganze Reihe Reso-lutionen und Zusatzanträge, die den Zweck haben, r a d i-k a l e r e Beschlüsse herbeizuführen, wurden von einzelnen Mitgliederneingebracht, fielen aber sämtlich glänzend d u r ch. Anträge aufUnterstützung der Opfer admimstrativer Willkür, auch Einsetzungeiner Dumakommission zur Verfolgung— nicht zur Unter-suchung, wie in der Resolution des Z.K, steht— der Verbrechen derAdministration, auf die sofortige Abschaffung des Kriegs-z u st a n d e s, des besonderen und verstärkten Schutzes durch die Duma,aus ein Manifest zuerst der Partei und dann der Duma an das Volk,worin der Regierung Krieg bis auss Messer erklärt wird, über diePflicht der Duma, sofort nach der Annahme des Gesetzes über dasallgemeine, gleiche dirette und geheime Wahlrecht ihren Platz einer neuen,aus diesen Wahlen hervorgegangenen Vertretung abzutreten— wurdensämtlich niedergestimmt und die Resolution des Z,K. mit überwältigenderMehrheit angenommen. Vereinzelte Rufe nach der konstituierendenVersammlung wurden zwar laut, aber, wie das Organ der K. D.,die„Rjetsch" bemerkt, sie waren„eine Dissonanz zur allgemeinenStimmung und verhallten, ohne Anklang in der-Zuhörerschaft zufinden." Im allgemeinen muß gesagt werden, daß die Reden unddie von den Mitgliedern vorgelegten Resolutionen viel radikaler alsdie angenommenen sind; die Lösung dieses Widerspruches ist in derbeginnenden Spaltung ninerhalb der Partei zu suchen: die Minder-heit der radikalen Mitglieder war eS. die gesprochen und Anträgegestellt hat, während die Mehrheit aus ruhigen und bedächtigenLeuten besteht, die weniger Worte verloren, aber dafür jede ihnengefährlich scheinende Resolution regelmäßig in den Papierkorbwarfen. Der radikale Teil ist mit der Mehrheit und demauf ihrer Seite stehenden Z. K. in hohem Grade unzufriedenund hat schon den Weg einer Absonderung von derPartei betreten; er hält geheime Beratungen mit den-jenigen Dumamitgliedern ab, die weiter links stehen und eineentschlossenere Taktik befolgen wollen. Diesem radikalen Blockschließen sich auch diejenigen Bauern an, die in bedeutendem Maßezu den Sozialisten- Revolutionären hinneigen. Da sie aber einengroßen Einfluß auf die übrigen Buernobgeordnetcn besitzen, so istleicht vorauszusehen, daß die in Bildung begriffene Bauern-gruppe eher mit diesem Block als mit den K. D. zusammengehenwird, zumal sie schon früher das Agrarproaramm der K. D. alszu bescheiden bezeichnet hat. Die Mehrheit der K. D. willaber von einer radikalen Politik nichts hören und gehtin die Duma mit der offenen volksfeindlichen Absicht, mit der Re-gierung zu verhandeln, denn— aus der Ferne sieht sie schonfreundlich MinistcrportefeuilleS winken. Die„Rjetsch" schreibt an-läßlich deS neuen Ministeriums Goremykin:„Sehr wahrscheinlich istdaher das Gerücht, Goremykin sei beaustragt, ein Geschäftsministeriumzu bilden, ruhig die Wünsche und die Beschlüsse der Duma anzu-hören und seinen Platz neuen Leuten einzuräumen."...'politische(lebersicbt.Berlin, den 12. Mai.Die Annahme der Diätenvorlage.Es ist bezeichnend für den reaktionären Tiefstand desöffentlichen Lebens Deutschlands, daß die Abwehr von Ver-schlechterungen schon als ein Erfolg begrüßt werden muß, sotvie es bezeichnend für die Ohnmacht des Reichstages ist, daßdie Regierung auch nicht die kleinste Konzession gewährt, ohnedafür diese oder jene Lerballhornung einzufordern.Vierzig Jahre hindurch ist die Forderung nach Diäten er-hoben worden. Zuletzt hat eine an Einstimmigkeitgrenzende Ncichstagsmajorität sich diese Forderungen zueigen gemacht. Aber die Regierung hat sich nichtversagen können, an die Gewährung dieser Forderungeinen Versuch einer Einmischung in die inneren An-gclegenheiten des Reichstages zu knüpfen, der von jedemanderen Parlamente von vornherein mit Spott und Hohn zurück-gewiesen worden wäre— falls sich überhaupt eine Regierunggefunden, die einem anderen Parlamente diese Ohrfeige anzu-bieten gewagt hätte. Es ist in erster Linie dem scharfen undenergischen Widerspruch unserer Fraktion zu danken, daß Kom-Mission und Plenum denn doch schließlich sich aufrafften, diesenEingriff zurückzuweisen. Allerdings mehr der Form als der Sachenach. Denn daß dieMehrheit die stärksten Neigungen hat, an dem,was der Zolltarifkampf von der Geschäftsordnung übriggelassen,neue Beschneidungen nach dem Aichbichler-Nitus vorzunehmen,ist eine Tatsache, die die Parlamentsspatzen von den Dächernpfeifen. Nur die Verquickung solcher Geschäftsordnungs-verballhornung mit der Diätenvorlage der Regierung zuzu-gestehen, hält die bürgerliche Mehrheit ein Rest von Schamzurück. Hinterher wird sich schon Gelegenheit zu kleinenKardorffereien finden. Starke Strangulierungsgelüste verrietja schon die der Vorlage angehängte Resolution, welcheMaßnahmen zur Abkürzung der Verhandlungen wohlwollenderErwägung empfiehlt.Die Ablehnung der Abänderung des Z 28 der Reichsverfassung und damit die Abwehr des Eingriffes der Regie-rung in die Geschäftsordnung des Reichstages bedeutet, daßder Vorlage der ärgste Giftzahn ausgebrochen ist. Dadurchwurde es. wie Genosse Singer ausführte, unserer Fraktionermöglicht, ftir den Entwurf zu stimmen. Freilich bleibennoch Schönheitsfehler in schwerer Menge. Es bleibt dasganze Pauschalsystem und damit die Prämie auf schnelleAkkordarbeit. Es bleibt der von der Kommission nur etwasherabgesetzte Strafabzug für verabsäumte Abstimmungen.Natürlich sollen diese Strafgelder dazu dienen. einerMinderheit den Kampf gegen eine Vergewaltigungs-Mehrheit zu erschweren. Das hob Genosse Singer mitSchärfe hervor und der jugendliche Freisinnige Potthoffstimmte ihm bei, während des letzteren Fraktionsgenosse, derSüßlichredner Pachnicke, Anschluß nach rechts suchte unddafür den lauten Beifall der Nationalliberalen erntete.Die Konservativen machten gar kein Hehl ausihrer Abneigung gegen die Gewährung von Diäten an die„Kerls". Sie hätten am liebsten die Geschäftsordnung ver-schlechtert und die Diäten abgelehnt. Mit wütenden Bissenfiel die Junkermeute den Grafen P o s a d o lv s k y an, der zuklug ist, um auf den Schein zu bestehen und die Aenderungdes§ 23 zur unumgänglichen Bedingung zu machen. Der vor-geschlagene Wegfall der Drciklassenhausdiätcn für die Doppel-mandatare gab den Konservativen Anlaß zu einem neuenSturmlauf. Arendt stimmte für sich und seine junkerlichenFreunde ein bewegliches Klagelied darüber an, daß wederden Doppelmandataren doppelte Diäten zufallen noch derReichstag dem Dreiklasscnparlament sich unterordnen solle.Gegen die Guillotine-Resolution legte GenosseBebel energisch Verwahrung ein. Aber die Mehrheit nahmsie an und verscherzte damit den kümmerlichen Ruhm, einerallzu plunipen Zumutung der Regierung Widerstand geleistetzu haben.Am Montag stehen kleinere Vorlagen und das sogenannte„Mantelgesetz" auf der Tagesordnung.—Wohugemeinde und Betriebsgemeinde.Nach Erledigung der Nusscninterpellation begann dasAbgeordnetenhaus am Sonnabend die zweite Beratung desAntrages des Abg. Freiherrn v. Zedlitz(frk.) undGenossen auf Aenderung des die steuerlichen Beziehungenzwischen Betriebs- und Wohngemeinde regelnden ß 53 desKommunalabgabengesetzes.Bekanntlich kann heute die Gemeinde, in der. eine größereAnzahl von Arbeitern ihren Wohnsitz haben, die sogenannteWohnsitzgemeinde, von der Gemeinde, in der sie b e-s ch ä f t i g t werden, der sogenannten Betriebsgemeinde, untergewissen Boraussetzungen einen Zuschuß zur Besteuerung derArmen- und Schullasten verlangen. Auf Grund dieser Be-stimmung ist Berlin wiederholt zur Zahlung größerer Bei-träge an Vorortsgemeinden, erst kürzlich an Rixdorf,verurteilt worden. Wenn irgend etwas, so be-weist dieser§ 53 die Berechtigung der neulich vonder Konferenz der sozialdemokratischen Gemeindevertretervon Groß-Verlin aufgestellten Forderung auf Bildungvon Zweck- und Zwangsvcrbänden für Groß-Berlin. DenMehrheitsparteien im preußischen Abgeordnetenhause geht derZ 53 in seiner jetzigen Fassung noch nicht weit genug; siewollen, daß die Betriebsgemeinde nicht nur zu den Schul-und Armenlasten, sondern auch zu den Polizeilasten derBetriebsgemeinde beiträgt. Dies bezweckt im wesentlichen dervon der Kommission mit belanglosen Aenderungen angenommene Antrag Zedlitz.Die Beratung wurde nicht zu Ende geführt, sondern aufMontag vertagt. Außerdem stehen Initiativanträge und diedritte Lesung der Novelle zum Einkommen- und Ergänzungs-steuergesetz auf der Tagesordnung.—Ein liberales Heldenstück.Bekanntlich steht die bremische Lehrerschaft in denletzten Jahren im Vordertrcffen um den pädagogischen Fortschritt.Sie hat besonders im Verlaufe des letzten Jahres eine Reihe vonBeschlüssen gefaßt, die ihrem Mute und ihrer pädagogischen Einsichtalle Ehre machen. Den Anfang machte eine energische Frontstellunggegen den bremischen Schulinspektor, einen vor 12 Jahren vonirgend woher aus Preußen importierten Schulbureankraten nach demHerzen der Väter der gegenwärtigen preußischen Schulverpfaffungs-Vorlage. Dieser Herr wollte langsam die freiere Art des in Bremenüblichen Religionsunterrichts in die spanischen Stiefeln des inPreußen üblichen Religionsdrills schnüren. Die bremischen Lehrerwandten sich zunächst mit einer ausführlichen Eingabe an denbreinischen Senat, in der sie alle ihren ernsten und wohlüberlegtenBeschwerden gegen den Schulinspcktor zusammenfaßten. Aber siebegnügten sich erfreulicherweise nicht mit dieser Abwehr der Ueber-griffe eines einzelnen Zeloten, sondern sie leiteten denKampf auf die einzig wertvolle sachliche und prinzipielleBasis: sie erklärten in der bekannten denkwürdigen und be-deutungsvollen Eingabe dem Religionsunterricht in den Schulenüberhaupt den Krieg. Diese Denkschrift hat in den gut 6 Monaten,seitdem sie der Oeffentlichkeit bekannt ist, mehr zur Aufrüttelung derGeister aus dem Schulgebiet und anderswo getan, als hunderte dick-leibiger Bücher. Ueberall beschäftigt mau sich mit ihr, sie ist zueinem Wegweiser für alle diejenigen Lehrer geworden, die aus der realtio-nären lonfessionellen Enge und der liberalen simultanen Unklarheitund Ziellosigkeit heraus wollen.Die bremische Lehrerschaft hat im Laufe des Jahres noch einigewertvolle Beschlüsse gefaßt. Sie hat dem Institut der SchulvorstehersRektoren) den Krieg erklärt und sich für eine Art republikanischerVerwaltung der einzelnen Schulen durch Wahl des Vorstehers durchdas Lehrerkollegium ausgesprochen. Diese Forderung ist pädagogischebenso berechtigt, wie sie gegenüber den reaktionären Absichten derpreußischen Schulvorlage zeitgemäß ist. Während die preußischeSchulrealtion die Rektoren nur durch die Regierung anstellen lassenwill, damit sie auf diese Weise gegenüber der unzufriedenen liberali-sierenden Lehrerschaft noch einen weiteren Büttel zu ihrerVerfügung erhält, erklären die bremischen Lehrer kurzerhand,daß das ganze Rektoreninstitut nichts taugt. Die Lehrer einerSchule müssen selbst am besten wissen, wer unter ihnen der taug-lichste für die Leitung der Schule ist. Freilich wird dieser von seinenKollegen gewählte Schulleiter kein Lehrerbändiger und Schul-stldwebel sein.Neuerdings haben die bremischen Lehrer sich auch für die Er-richtnng einer Schulsynode ausgesprochen. Sie denken sich daruntereine Art Lehrerkammer, die die Vertretung der gesamten Lehrerschaft,vorläufig allerdings nur der Volksschullehrer, bilden soll. Auf dieseWeise sollen alle in der Lehrerschaft vorhandenen Kräfte, Wünscheund Bestrebungen zu ihrem Rechte gelangen, indem sie geprüft, er-vrtert und von der Lehrerkammer, einer staatlichen Institution, derSchulbehörde übermittelt werden. Durch diese Neuerung hofft dieLehrerschaft das reiche pädagogische Leben zu besteien, das in derVollSschullehrerschaft vorhanden ist. das aber heutzutage durch zahl-lose bureaukratische Dämme und hierarchische Wälle daran gehindertwird, in den Stuben der Schulbureaukratie und den Kammern derParlamente auch nur die leisesten Wellen zu schlagen.Ein letzter erfreulicher Beschluß der bremischen Lehrerschaft, dender„Vorwärts" vor einigen Wochen an leitender Stelle behandelte,ist die Ablösung der Konfessions- und der Simultanschule und dieForderung der rein weltlichen Schule unter Ausscheidung desReligionsunterrichts.Man sollte meinen, daß eine liberale Regienmg, wie sie angeb-lich in der freien Hansastadt und Republik Bremen vorhanden ist,ihre helle Freude an der frisch zupackenden und mutig voran-schreitenden bremischen Lehrerschaft haben müßte. Sonst kennt manBremen anderwärts nur als große Handelsstadt, als Domäne desNorddeutschen Lloyd, als größten Auswandererhafen, als Hauptplatzfür Tabak, Petroleum und Baumwolle. Das sind ja ganz netteDinge, aber für die geistige Regsamkeit Bremens besagen sie nichtviel. Darum sollte der bremische Senat froh darüber sein, daß diebremischen Volksschullehrer im letzten Jahre mehr für den RuhmBremens getan haben als der Tabak, die Baumwolle undder Norddeutsche Lloyd. Freilich nicht in den Augender preußischen Schulreaktionäre, über ein liberaler Senateiner in religiöser Beziehung mit dem Ultraliberalismuskokettierenden Handelsrepublik sollte eigentlich auch nicht nach demLohn ostelbischer Zolljunker und westelbischer Hetzkapläne geizen.Leider scheint es aber doch so zu sein. Der bremische Senat,der schon vor einigen Wochen durch Vernehmungen mehrerer Lehrerverriet, daß er irgend etwas im Schilde führt, hat nunmehr gegenvier bremische Lehrer da? Disziplinarverfahren eröffnet und einendieser vier Lehrer, in dem er— allerdings nicht mit Unrecht—das geistige Haupt der Bewegung vermutet, vorläufig vom Amtesuspendiert. Es ist dies der Lehrer Holznieier, der Verfasser derDenkschrift gegen den Religionsunterricht, und mutiger und ziel-bewußter Wortführer und Führer der bremischen Lehrerschaft in ihrensonstigen Kämpfen und Arbeiten.Interessant ist die eigentliche Ursache zu diesem Vorgehen derBehörde. Keine der weiter oben aufgeführten Handlungen derbremischen Lehrerschaft hat den Senat zu dieser Maßnahme Veranlaffunggegeben. Sondern eine verhältnismäßig harmlose Protestversammlung,in der die bremischen Lehrer vor einigen Wochen gegen einen Ent-scheid der Unterrichtskommission des Senats zur Schulinspektor-Ein»gäbe Stellung nahmen. Der Senat hatte die ihm von der gesamte»bremischen Lehrerschaft, alle Lehrerinnen und selbst die Vorsteher ein»geschloffen, überreichte Eingabe gegen den Schulinspektor als un-begründet zurückgewiesen, anstatt den so vom Mißtrauen der Gesamt-lehrerschaft gekennzeichneten Schulinspektor zu entfernen. Natürlichwar dieser eine„Vorgesetzte" klüger und besser als vier- bis fünf»hundert Lehrerl Außerdem sprach der Senat dm Lehrern seine„ernste Mißbilligung" wegen ihrer Eingabe aus. Die bremischenLehrer steckten diesen Rüffel nicht, wie es sich für subalterne, gehör»same, bescheidene und demütige Beamte geziemt, ein, sondern siewahrten in einer männlich-entschlossenen Resolution ihre Würde.Diese Resolution, als deren Verfasser sich Lehrer Holzmeier bekannthat, hat den Senat dazu veranlaßt, das Disziplinarverfahren einzuleiten. Die übrigen drei Lehrer Isind der Vorsitzende deSbremischen Lehrervereins, H. Lüdeking, der bekannte Schulreformerund pädagogische Schrifffteller Gansberg, und der als Philosophdcpch mehrere umfangreiche Schriften bekannte Henri Gartelmann.Alle vier sind charaktervolle Persönlichkeiten und sie werden vor demStiriwunzeln des Senats nicht zu Kreuze kriechen.Der bremische Senat aber konnte sich und seinem Liberalismuskein kläglicheres Zeugnis ausstellen als dadurch, daß er einenreaktionären, von der gesamten Lehrerschaft auf das entschiedensteabgelehnten Schulinspektor liebend an seine Brust zieht, die Lehreraber, die als Wortführer ihrer Kollegen mutig im Jntereffe derLehrerschaft und der ihnen anvertrauten Kinder gegm die im Schul-inspektor verkörperte Reaktion das Wort ergriffen haben, in dieWüste schickt.Die bremische Arbeiterschaft verfolgt den Verlauf der Dingemit großer Spannung. Sind es doch Arbeiterkinder, die die Bolls-schule besuchen, und verfechten die Lehrer somit gegenüber Schul-inspektor und Senat auch die gegen Schulverpfaffung und Reaktiongerichteten geistigen Interessen der bremischen Arbeiterschaft.—*«•Dcutlcbco Reich«Russische Freundschaft.Ueber einen Fall unerhörter Behandlung eines preußischenStaatsangehörigen durch russische Beamte wird uns folgendesberichtet:In Grodziec bei Czeladz in Russisch-Polen, an der ober»schlesischen Grenze, lebt seit vielen Jahren der jetzt 4r>jährigeWilhelm Wiatrek, der itt Laurahütte sOberschlesien) geboren, schonals Knabe mit seinen Eltern nach genanntem Orte zog, die preußischeStaatsangehörigkeit aber behielt, auch seiner Militärpflicht in Preußengenügte. Der Mann, ein intelligenter, ruhiger und fleißiger Arbeiter,ist seit LS Jahren in der Zcmentfabrik in Grodziec beschäftigt undim Laufe der Zeit zum Besitzer eines Häuschens mit Garten undAcker wie auch eines kleinen Steinbruchs geworden.Als der Mann am 17. Januar dieses Jahres, abends von derArbeit nach Hause kam, fand er dort unter Führung des Orts-Polizisten eine Anzahl Kosaken, die Hausuchung hielten. Ineinem im Schranke hängenden Rock des Mannes hatte man einExemplar eines bor einiger Zeit im Orte verteilten Flugblattes ge-fanden, das Wintrel gleich allen anderen empfangen, gelesen und inder Rocktasche hatte stecken lassen. Diese unter russischen Verhält-nissen gefährliche Vergeßlichkeit sollte der Mann schwer büßen. Mitden Worten:»Du bist verhaftet, du preußische Schnauze", wurdeder Unglückliche, der sich niemals an der revolutionären Bewegungbeteiligt hatte, von den Kosaken unter dem Jammetn ismer Familiefortgeschleppt, wie er ging und stand und in das Kreiiigssijvgms in Bend-zin, später in das GouvernemensgefängniS i»'!-iPMikau über-geführt. Hier wurde er ohne Verhör und ohn» MrhH»dlung aufadministrativem Wege auf drei Monate eingesperrt. cd wörtlichin einem Schriftstück hieß, das der Arme nach 14 Tagen erhielt undaus dem Gefängnis mit herausgebracht hat.„wHgen Auf-bewahrung eines Blattes"!