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Die Revolution in Rutzland. Die Adreßdebatte. Petersburg, 17. Mai. Duma. Nach der in erster Lesung ein« stimmig erfolgten Annahme der Gesamtadresse stellte Abgeordneter N o d i t s ch e w, um keine Zeit zu verlieren, den Antrag, nunmehr in die Beratung der einzelnen Artikel einzutreten. Der Präsident erklärte, das verstoße gegen die Geschäftsordnung, und auch Abg. Graf Heyden bekämpfte den Antrag. Abg. Roditschew wies darauf hin, daß man niemand der Möglichkeit berauben dürfe, die Prüfung artikelweise vorzunehmen. ES wurde sodann mit der Beratung des ersten Teiles der Adresse begonnen, zu welchem zwei Abänderungsanträge gestellt waren. Der Ab- geordnete von Podolien, Zabolotny, beantragt, den Worten «Auf Grundlage des allgemeinen Stimmrechtes' hinzu- zufügen:Ohne Unterschied geheim." Die Kommission beantragt, falls der Antrag Zabolotny angenommen würde, dann noch hinzu- zufügen:«Auf Grundlage des direkten, gleichen, geheimen Stimmrechtes ohne Unterschied der Nationalität und Religion.' Der Abgeordnete von Saratow , Anikin, begründet einen Antrag, welcher die Worteauf Grundlage des allgemeinen, unbegrenzten Stimm- rechtes" einfügen will. Berichterstatter Nabokow erklärt. daß die Kommission sich keineswegs gegen dieses Stimmrecht auszusprechen beasichtigte, sondern sie wollte bloß einen Ausdruck finden, der die Zustimmung des ganzen Hauses finden würde. Zabolotny erklärt, als er seinen Antrag einbrachte, habe er nicht vorausgesehen, daß das Volk sich in solcher Gefahr befinde, wie er sie jetzt erkenne angesichts der Tatsache, daß die Duma, die selbst nicht aus dem direkten Wahlrecht hervorgegangen, in ihrer Mehrheit Gegnerin des allgemeinen, unbegrenzten Wahlrechtes sei. Zabolotny erklärt, er spreche im Namen von Millionen Baiiern, welche alle dieses Stimmrecht verlange». Was die Frauen betreffe, welche mit einer Zahl von 70 Millionen die Hälfte der russischen Bevölkerung ans« »rächen, so seien sie zweifellos für die Verleihung politischer Rechte an die Frau. Füge man hinzu die Zahl der Männer, die für die nämlichen Rechte eintreten, dann ergebe sich eine ungeheuere Mehr- heit zugunsten der Aufhebung der Dienstbarkeit der Frau. Fürst Schachowsky erklärt, Debatten über das Wahlrecht seien jetzt nicht angebracht, man müsse einzig und allein die Adresse beraten. Großes Aufsehen erregten die Ausführungen des Abgeordneten für Woronesh , Kruglikow, welcher erklärt, er als Bauer sei der Anficht, daß die Frau ihre Wirksamkeit auf die Familie beschränken müsse, die Bäuerinnen selbst wünschten keine politischen Rechte. Fürst Wolkonsky, Vertreter von Rjäsan sagt, ,er habe kein Vertrauen zum unbeschränkten, allgemeinen Stimmrecht und werde daher für die Kommissionsfassung stimmen. A l a d y n spricht sich in ähnlichem Sinne aus. Hierauf iverden die zwei AbändenmgS- antrage abgelehnt und der erste Teil der Adresse nahezu einstimmig in der Fassung der Kommission angenommen. Die Beratung des zweiten Teiles war um 10 Uhr 20 Minien beendet. Punkt 2 bis 5 deS Entwurfs werden ohne erhebliche Debatte angenommen. Dagegen ruft Punkt S, welcher die Willkür der Ver- waltung behandelt, eine längere Debatte hervor. S t a ch o w i t s ch meint, die Verantwortlichkeit der Minister gegenüber dem Kaiser werde wenigstens zunächst viel wirksamer sein, al» eine solche der Duma gegenüber. Als Stachowitsch die Tribüne verläßt, hört man Zischen. Der Präsident rügt dies, indem er an die Freiheit des Wortes erinnert. W i n a w e r greift Stachowitsch an und erklärt. es müsse damit aufgeräumt werden, daß all» Macht dem Kaiser allein gehöre. Solange die Minister nicht der Duma verantwortlich seien, sei keine ersprießliche Arbeit möglich. Hierauf wurde ein Antrag, die Sitzung zu schließen, an- genommen und die Weiterberatung auf Donnerstag vomuttag 11 Uhr vertagt. Em Antrag zu Punkt 8 betreffend den ReichSrat verlangt Streichung dieses Punktes, der gleichbedeutend sei mit der Forderung, den ReichSrat ganz zu b e s e i t i g e n; der Antrag sagt, daß der ReichSrat nicht eine Scheidewand darstelle, sondern ein Kollege der Neichsduma und, wie verlaute, bereit sei, dieser entgegen- zukomtr m. Die Duma habe keinen Grund, die Er sie Kammer zu beseitigen. Ein Redner erklärt, er wolle dem Adreßentwurf zustimmen, wenn es sich nur um den gegenwärtigen Bestmd des Reichsrates handele und nicht um die Beseitigung des Zweikammersystems überhaupt. Fürst Schachowskoi bestreitet letztere?; dir Entscheidung der Frage des Zweikammersystems müsse einer zukünftigen Duma vorbehalten bleiben, welche nach einem neuen Wahlgesetz gewählt wird. Jetzt handele es sich nur um den gegenwärtigen Bestand deS Reichsrates. Daher halte er eS nicht für angezeigt, in die Adresse einen Hinweis auf die Mängel der Institution des ReichSratS aufzunehmen. Die unklare Fassung dieses Punktes des Entwurfes könne in der Tat Mißverständnisse hervorrufen, daher stimme er für Streichung. Demgegenüber empfiehlt ein anderer Redner, den Punkt in die Adresse auf- zunehmen. Die Duma beschließt hierauf einstimmig, die Debatte ohne Unterbrechung fortzusetzen, bis der Entwurf ganz durch- beraten ist. Ei« zweiter Schänder der Spiridonowa gerichtet! Tambow , 17. Mai. Der Polizeibeamte Schdauow, welcher an der Mißhandlung und Schändung der Maria Spiridonowa teilnahm und deswegen entlassen wurde, ist heute auf der Straße das Opfer eines Revolveranschlages geworden. Der Täter wurde verhaftet. Die verhaftete Revolutionärin Maria Spiridonowa wurde bekanntlich von Polizeibeamten vuf dem Transport geschändet und mit Syphilis infiziert. Eines der beteiligten Scheusale, ein Kosatenoffizter, ist bereits den Kugeln ihrer Rächer erlegen. Wüten der Zarenschergeu. Odessa , 17. Mai. (Von einem besonderen Korrespondenten.) Das Kriegsgericht verurteilte eine Frau, die auf einen Polizeibeamten, der bei ihr eine Haussuchung vornahm, ge- schössen hatte, ohne zu treffen, zum Tode durch den Strang. Wendepunkte der neueren deutschen Geschichte. 4. Die Revolution von 1848. Genosse Maurenbrecher hielt am Montag seinen vierten Bortrag über obiges Thema. Wir geben im AuSzuge das wesenr- licho wieder. In der Patriotenbewegung mit ihrem Höhepunkt im Jahre 1812 zähen wir zum erstenmal seit den Zeiten des Mittelalters den Gedanken der deutschen Einheit wieder vertreten. Man versuchte ihm staatsrechtliche Form zu geben. Der tragische Charakter auch dieser Patriotenbcwegung war eS, daß der hier formulierte Ge- danke zwar bei denen, die ihr politisches Urteil an französischen und englischen Vorgängen und Zuständen geschult hatten, feurig auf- genommen wurde, daß sie aber die breiten Massen nicht auszu» peitschen in der Lage war. Ein großer Fortschritt im Gedanken, gber leine Kraft und Macht, ihn in die Wirklichkeit umzusetzen. Ks blieb beim Regiment der Fürstlichkeiten in den dielfachen deutschen «Vaterländern. Und daneben regierte der von den Fürstlichkeiten ohne Hinzuziehung ihrer Völker geschlossene völkerrechtliche Deutscbe Bund. Das war keine nationale Einheit, sondern nur ein Bündnis, daS jedem der Staaten vollste Souveränität ließ. Dann aber er- hebt sich gegen diese dynastischen Gebilde zum ersten Male in der neueren deutschen Geschichte aus dem Volke heraus eine Oppo- sition, eine wirkliche revolutionär« Bewegung, die eigene politische Ziele und Ideale durchzusetzen versucht. Vier Tendenzen und vier Programme sind es, die langsam, etwa vom Jahre 1820 an, sich gegenseitig auszusondern, abzugrenzen beginnen, und 1848 auf- einanderplatzen. Die älteste dieser vier Aktionstendenzen ist der Gedanke der kleinbürgerlichen und kleinbauerlichen Demokratie. Kleinbürgerliche und kleinbäuerliche Oppositionen gegen den Fürsten- hos haben sich als Unterströmungen in der deutschen Geschickste schon im 18. Jahrhundert öster beobachten lassen. Auch in der Dichtung des Sturm und Dranges finden wir ja ein Stück erbitterter Oppo- sition gegen die Kultur des Fürstenhoses und gegen den furchtbaren Druck des Absolutismus . Aber diese erst instinktive demokratische Stimmung löst sich nicht in bestimmte politische Parteibewegungen aus. Als eine Bewegung mit wirklich staatsrechtlichen Zielen or- ganisiert sich die Bewegung erst, sobald es in den einzelnen deutschen Staaten Landtage gibt. Solche werden zuerst in den süddeutschen Staaten geschaffen. Sie werden gegeben von ihren Fürstlichkeiten im Interesse der Fürstlichkeiten. Nämlich um die Leute, die durch die Napoleonische Revolution und ihre Folgen ihr früheres Vater. ländchen verloren hatten und in einem neuen Vaterlande mit anderen vereinigt worden waren, nun auch an dem Staate zu inter - essieren und zu verhindern, daß sie den ihnen seit erst 10 Jahren angestammten" König verließen und zu einem anderen gingen. Das ist aber gleichzeitig das Verhängnis der nun hervortretenden kleinstaatlichen demokratischen Bewegung. So beglückte Bayern 1818 sein Volk mit einer Art Scheinparlamentarismus, so tat es Württemberg usw. Diese Entstchunp der süddeutschen Landtage gab den Demokraten auf der einen Seite die Möglichkeit, große parlamentarische Reden zu halten, und die ersten Sitzungen des württembergischen wie des bayrischen Landtags liefen denn auch gleich in den lebhaftesten Kampf gegen die Landcsväter ans. Aber gleichzeitig wirkten sie dahin, daß die Demokraten die Mög. lichkeit verloren, irgend etwa? im demokratischen Sinne zu tun. Gegen die Ucbergriffe von Preußen oder Oesterreich her hielten sich die süddeutschen Fürsten jetzt gesichert. Aber wollte die Oppositions- Mehrheit etwas durchsetzen gegen ihre Fürsten, so stand doch hinter diesen der Bundestag, das heißt, die österreichische und preußische Armee. Die schützte die Souveränität, und die kleinbürgerlichen und kleinbäuerlichen Parteien waren machtlos. Was die süd- deutschen Fürsten von ihnen zu befürchten hatten, war höchstens ein kleiner Skandal. Unter diesen Umständen entwickelte sich ein politisches Advokatentum als Vertretung der kleinbäuerlichen und kleinbürgerlichen Demokratie. Eine Vertretung, die nichts weiter konnte, als vom moralischen Recht des Unterdrückten zu reden, ohne daß sie an den wirklichen Staatsgcsetzen irgend ein Fünkchen zu ändern vermochte. Als es dann 1848 zum Kampfe kam und als die parlamentarischen Redner, die 30 Jahre lang die gefeierten Volksredner gewesen waren, in Aktion treten sollten, da haben sie samt und sonders versagt. Kein geringerer als Karl Marx (Rc- Volution und Kontrerevolution") hat mit Bezug auf sie da» Wort geprägt vom parlamentarischen Kretinismus. Das richtet sich natürlich nicht an sich gegen solche, die glauben, aus parlamenta - rischem Gebiete etwas erreichen zu können; es ist nur eine Charakte- risierung der hier angedeuteten Spielart von Parlamentariern und parlamentarischem Wirken. Etwas später entwickelte sich ein eben solcher Landtagsparlamentarismus in norddeutschen Kleinstaaten, wo die Landtage eingeführt wurden infolge der französischen Re- Volution von.1830. Da wurden sie aber nicht von Fürsten gegeben, sondern wirktich geboren, wenn auch Volksaufzüge und das Ab- singen demokratischer Lieder vor den Residenzen genügten, den Fürsten zu Zugeständnissen zu bewegen. Aber die norddeutschen Demokraten in den Parlamenten vermochten auch nichts weiter zu schaffen. Wenn wir die Literatur in den dreißiger und vierziger Jahren ins Auge fassen, so haben wir in Deutschland eine stark wachsende demokratische Stimmung. Man liest Heine und Herwegh . Büchners «Hessischer Landbotc" wird gelesen, und aus dem Auslände fällt eine ganze.Fülle aufrührerischer Schriften nach Deutschland hinüber. Es scheint eine gewaltig wachsende Bewegung zu sein. Aber es ist noch eine Bewegung, die gegenüber den wirklichen Machtverhält- nissen nichts auszurichten vermag. Sie ist immer noch Literaten- bewogung, nicht Klassenbewcgung. Die letzte Acußernng jener denio- kratischen Betvegung vor dem Ausbruch der Revolution ist die Zu- sammenkunft im September 1847 in Ofsenburg, wo die demo- kratischen Politiker aus fast allen Kleinstaaten zusammen kamen und ihre politischen Wünsche formulierten, unter anderem: Preß- freiheit, Religionsfreiheit, Vercinigungs- und Versammlungsrecht, Volkshecr statt stehendes Heer, Volksvertretung beim Deutschen Bunde, Selbftregierung des Volks, progressive Einkommensteuer, Unterstützung der Arbeit gegenüber dem Kapital. Eine ganze Fülle programmatischer Forderungen. Aber für das ganze Deutsche Reich steht nur der eine Satz darin: Volksvertretung beim Bunde. Das zeigt, daß in den 30 Jahren kleinstaatlicher Landtagsarbcit, die die Leute hinter sich hatten, die Bewegungen tat- sächlich partikularistisch geworden waren. Diese Leute, die so scharfe Töne gegen die Fürsten fanden, waren durch- feucht vom Partikularismus. Ganz nebenbei forderten sie eine Vertretung beim Bundestage. Was den Stein und Arndt und denen um sie in der Seele gelegen hatte, eine neue deutsche Zentral- gcwalt zu schaffen, war in der kleinbürgerlichen und kleinbäuerlichen Demokratie fast schon wieder verloren gegangen. So genau hatten die Fürsten gerechnet, als sie die Landtage schufen. Nicht die kleinbürgerliche Demokratie war es, die die Gegen- sähe so verschärft hat, daß es 1847 und 1848 zu so einschneidenden Programmen kam, sondern darin gingen sie erst nach der groß- bürgerlichen Demokratie, die als zweite der erstgenannten Aktions- tcndenzen in den dreißiger und vierziger Jahren einsetzte. Unter den Verhältnissen der damaligen Zeit bedeutete Großbürgertum hauptsächlich Textilindustrie und Eisenindustrie. Dazu Bergwerks- industrie. Ende der dreißiger Jahre kam eine neue Flut kapitalisti- scher Unternehmungen mit den Eisenbahngesellschaften. Das sind die Führer des kapitalistischen Jntcressenkampfcs der vierziger Jahre. Das Vcrkehrsinteresse brach sich Bahn. Und wo die politi- scheu Konsequenzen aus den wirtschaftlichen Interessen gezogen wurden, richteten sie sich gegen die der großbürgerlichen Eni- Wickelung hinderliche Kleinstaaterei. Dazu kam die EntWickelung des Geldmarktes. Auf diesem Gebiet brauchte tftt Kapitalismus größte Bewegungsfreiheit, absolute Selbstbestimmung. Empfindlich im höchsten Grade war für ihn das absolutistisch.patriarchalische Hineingreifen von oben herab, wie es zum Beispiel in Preußen geübt wurde, wo der Staat seine eigene Bank hatte und gegen Neu- ctablierung von Banken und Bankfilialen sich wehrte. Jede Bank bedurfte der Konzession. In dem Augenblick, wo die Eisenbahn. gesellschaftcn und die Geldleute hervortraten, da war eS selbst- verständlich, daß sie für Selbftregierung und für den Einheitsstaat einzutreten bemüht sind. Das ist die erste Klassenbewegung, die hinter den deutschen Einheitsgedanken sich stellte, und. wie es in der Natur der Sache lag, nahm die großbürgerliche Bewegung das Programm der Patrioten wieder auf. Eine Denkschrift, die der Aachener Kapitalist Hansemann 1831 an den preußischen König gehen läßt, ist das erste Jn-die-Erscheinung-treten der groß. kapitalistischen politischen Interessen. Wenn auch untertänigst und demütig, verlangt die Denkschrift eine Verfassung und Mit- regierung des Bürgertums. Ein neues Moment kommt in die EntWickelung dadurch, baß die preußische Regierung selbst(die dritte Aktionsrichtung) eine be- stimmte nationale Einheitspolitik in Deutschland anzufangen' be- ginnt. Nach dem Wiener Kongreß von 1814/10 ist �es Preußen nicht mehr möglich, seine frühere antinationale, auf Besitz- Vermehrung allein gerichtete Politik in Deutschland zu treiben. Der erste Akt in du vcuen deutfcheg Mstik gleiMgu; war. daß der König eine Verfassung versprach, als 1815 bei Rückkehr Napoleons von Elba die Existenz möglicherweise in Frage gestellt war. Es sollte Preußen zeigen als den Staat, der sich zum Führer der vollstümlicken Bewegung Macht, und die Stimmung sollte dazu dienen, daß sich ganz Deutschland für Preußen ins Zeug lege. Daß das Versprechen nicht gehalten wurde, ist bekannt. Als aber der alternde Friedrich Wilhelm III. gestorben war und in den vierziger Jahren Friedrich Wilhelm IV. regierte, da wachten die nationalen Pläne Preußens wieder auf. Die nächsten Jahre sind voll diplomatischer Entwürfe, die darauf abzielten, auf friedlichem Wege durch Verabredung mit Oesterreich und den anderen Bundes- Mitgliedern eine Bundesreform durchzuführen. Hansemann und die Großbourgeoisie waren mit dem König programmatisch darin ziemlich einig, unter Preußens Leitung einen Bundesstaat mit Beibehaltung der einzelnen Staaten zu schaffen, der unter militari- scher Leitung Preußens stehe. Aber die Bourgeoisie wollte im Parlament herrschen, und das brachte sie in Gegensatz zur Re- gierung: darüber kam es in den vierziger Jahren zum Streit. Zum Ausbruch kam das in der finanziellen Frage Preußens. Der König brauchte eine Anleihe, namentlich um die Ostbahn nach der Provinz Preußen zu bauen. Sie wurde ihm verweigert. Sobald eine Verfassung bewilligt wurde, wollte man auch bewilligen, sonst nicht. Daß er die Ausschüsse der Prsvinziallandtage zusammen- berief zu gemeinsamer Verhandlung, nutzte dem König nichts. Sie sagten, sie seien keine Volksvertretung, da sie nicht vom Volke ge- wählt seien. Der König versuchte verschiedenes. Endlich berief er im Februar 1847 die acht Provinzial-Landtage als sogenannten vereinigten Landtag nach Berlin und legte wieder die Anleihe vor. Aber auch hier wurde erklärt, daß es noch keine Volksvertretung sei, weil sie nicht auf Wahlen beruhe und nicht das Recht habe. aus eigener Kraft alle Jahre oder alle zwei Jahre zusammen zu kommen. Die Anleihe wurde nicht bewilligt. Dann kam die Februarrevolution in Frankreich , die Verkündung der französischen Republik , und die Erbitterung, die sich angesammelt hatte, brach nun auch in Deutschland aus, mit den bekannten Resultaten. Auf die einzelnen Vorgänge, die aus der Märzliteratur und Märzfeier- reden bekannt sind, braucht nicht eingegangen zu werden. Im Verlauf der Geschehnisse zeigte sich, daß die außerpreußische Bourgeoisie ein Programm hatte, wie Hansemann und Genossen. Die Demokraten stellten sich dagegen auf den Standpunkt, daß als Zentralverwaltung für Deutschland eine Republik zu fordern sei. Dabei sollten aber die einzelnen Staaten Monarchien bleiben. Ein ganz unsinniger Gedanke. Neben den drei Bewegungen, die geschildert sind, ging still und verborgen im Untergründe der Gesellschaft als noch nicht geschicht- liche Macht, aber doch als die, die in die Zukunft weist, eine vierte Bewegung nebenher, die beginnende proletarische Bewegung, die Arbeiterbewegung. Wenigstens ihre führenden Köpfe durchschauten die Situation. Der Bund der Kommunisten , Marx und Engels an der Spitze, entwarf sofort nach dem Ausbruch der Pariser Revo- lution ein deutsches Aktionsprogramm. Gleich obenan heißt es: Unteilbare einheitliche deutsche Republik . Das be« deutete vollständige Ausrodung aller der Wurzeln und Knollen. die aus der deutschen Geschichte der letzten Jahrhunderte übrig geblieben waren, das bedeutete den völligen Neubau eines deutschen Staates. Eines völlig einheitlichen Staates, ein Wesen, das es höüte noch nicht in Deutschland gibt. Das war das nationale Pro- gramm des Bundes der Kommunisten. Es war das Programm. unter dem dieNeue Rheinische Zeitung " vom Juli 1848 bis zum Mai 1340 in Köln redigiert wurde. Es war das Programm, von wo aus sie alle deutschen Parteien kritisierte, indem sie publizistisch für die völlige deutsche Einheit eintrat. Erst in diesem Programm war außerdem für die arbeitende Klasse die Möglichkeit geboten, für ihre weitere Befreiung zu kämpfen. Marx und Engels ließen keinen Zweifel darüber, daß die deutsche Republik nicht das Ende sein sollte, sondern daß in ihr erst recht die Opposition der Ar- beiterklasse beginnen würde. Wenn unser rückschauender Blick dies Wirken der theoretischen Wegweiser der Arbeiterklasse las den geistigen Höhepunkt des Jahres 1843 ansieht, so steht doch anderer, seits fest, daß die proletarische Bewegung für die eigentliche Eni- scheidung im Jahre 1848 nur eine Unterstützung gewesen ist. daß jene Ideen nur hier und da schon bei den Führern der Masse An- Hänger gefunden hatten. Was 1848/40 aufeinanderstieß, das war das preußische Bourgeoisprogramm, das kleinstaatliche demokratische Programm und das Königsprogramm. Nach dem Siege der Revolution kam bald der Rückschlag, die Zeit der Reaktion. Die Bourgeoisie nach dem 13. März 1848 war nicht mehr dieselbe, die in so musterhafter Weise noch auf dem vereinigten Landtage von 1847 gegen die Krone gekämpsr hatte. Ter Sieg des Februar in Paris und der Sieg der Demo- traten anderwärts war ihr in die Glieder gefahren. Sie hatte das Gefühl, sie müsse die Autorität der Krone und der Armee so viel wie möglich wieder steigerck. In Preußen sieht man es an dem liberalen Ministerium Camphauscn, Hansemann. Aus einer konstituierenden Versammlung, die eine Verfassung«rläßt, machte man eine Versammlung, die mit der Krone eine Verfassung vereinbart". Die Demokratie verlangte die Hinausführung der Regimenter; die Bourgeoisie fordert sofort die Rückkehr bürger- freundlicher Regimenter. Das bourgeoisfreundliche Ministerium ruft den geflohenen Prinzen von Preußen von seinem«ehrenvollen diplomatischen Auftrage" wieder in die Stadt zurück. Die Bour- geoisie sagt, daß sie sich gegen die Angriffe der Demokratie als Schild vor'den König stellen wolle usw. usw. Die Folge davon und von sonstigen Nachgiebigkeiten ist, daß das Königtum und Militär sich bald von ihrem ersten Schrecken erholen. Die Reaktion schreitet fort. Es kommt nicht nur das Zweikammersystem, sondern auch die Dreiklassenwahl. Genau so verfährt die Bourgeoisie in Frankfurt a. M., wo es sich um die Bundesverfassung handelt. Die Bourgeoisie sucht Rückendeckung, bei der Regierung gegenüber der Demokratie. Es führt in allen Fällen zum Siege der Re- gierung und zum Siege der Armeen. Der Ausgang ist ja bekannt. Das entwickelungsgeschichtliche Interessante der letzten Periode ist. daß die demokratische Bewegung ihrem vollen Ende entgegengeht. In der letzten Zeit der deutschen Nationalversammlung in Frank» furt, wo es wirklich dazu kommt, die deutsche Verfassung, die deutsche Einheit zu behandeln, da verschmilzt die Demokratie links mit der sogenannten Erbkaiserpartei, das heißt der eigentlichen Bourgeoisie, Partei. Es entsteht auf Grund eine» Kompromisses der Entwurf, der später für Bismarck vorbildlich gewesen ist: Die Schaffung eines deutschen Erbkaisertums, die Uebertragung der Kaiserwürde an Preußen und Ausschluß Oesterreichs . Das Bundesparlament sollte zusammengesetzt werden auf Grund des allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlrechts. Letztere? war die Konzession, die den Demokraten gemacht wurde. Wenn wir eS heute in der Reichs- Verfassung haben, so ist es die letzte und beinahe einzige Nach. Wirkung, die die kleinbürgerliche Demokratie mit ihrem Programm hinterlassen hat. Die Demokraten gehen aber als Demokraten zugrunde, denn sie müssen das Erbkaisertum vertreten. Aber auch dieses Kompromiß hat keinen Erfolg mehr gehabt. Friedlich Wilhelm IV. lehnte die Krone, der der Ludergeruch der Revolution anhaftete, ab. Ueber Lamentationen kam man schließlich nicht mehr hinaus. ES kam das unrühmliche Ende der deutschen Nationalver- sammlung. Im Aderlaß des badischen Aufstandes verzückten die letzten. Regungen der kleinbürgerlichen Demokratie. Und die Bour- geoisie zog sich als geschlagen auch zurück, zum Schluß erklärend. wenn die preußische Regierung von oben herab sich einmal mit ihrem Programm einverstanden erklären würde, werde man damit zufrieden sein. Als die preußische Monarchie nun glaubte, mit ihren Bundesreformplänen wieder kommen zu können, da erhob sich Oesterreich mit sämtlichen Bundesstaaten und verlangten Ruhe. Und 1800 wurde die Wiederaufrichtung deS Deutschen Bundestages mit allem, was 181S geschaffen war, akzeptiert. Wie es in den sechziger Jahren zwischen der preußischen Dynastie und der Bour- geoisie noch einmal zum Kampfe kam und wie die Entscheidung siel, wird der nächste Bortlgg zeigen.