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Nr. 115. 23. Iahrgaug. Jurmitls" Iftlinn Souuabtnd, 19. Mai 1906. Reichstag� 1<Z6. Sitzung vom Freitag, den 18. Mai, n a ch in i t t a g s 1 Uhr. Nm Bundesratstische: Frhr. v. Stengel. Frhr. v. Rheinbaven. Auf der Tagesordnung steht die dritte Beratung des Gesetzes vctresfcnd die Ausgabe von Reichskassenscheinen. Die beiden Paragraphen des Gesetzes und das ganze Gesetz Werden ougenonimen. Es folgt die dritte Beratung der Reichsfinanzreform. Abg. Biifiiig snatl.): An dem großen Werk der Finanzreform hat sich die bürgerliche Linke leider nicht fruchtbringend beteiligt. Sie verlangt eine Reichseinkommensteuer. Wir aber sind kein Einheits- staat, sondern ein Bundesstaat, und deshalb ist die Reichseinkommen- steuer zu verwerfen.(Sehr richtig I rechts.) Dazu komnit, daß die Leistungsfähigkeit der kräftigen Schultern auch begrenzt ist, und der Staat hat kein Interesse daran, dir für den Staat nützliche AgitationS- und Aktionskraft der befitzenden Klassen zu schwächen. Auch gegen die Reichsvermögenssteuer erheben sich schwere Be- denken. Das Entscheidende ist, daß im Reichstage eine Mehrheit dafür nicht zu haben ist, und der Wille der Mehrheit des Reichs- tages ist der Wille des deutschen Volkes, oder man müßte jedes Gesetz zur Volksabstimmung stellen.(Zuruf bei den Sozialdemo- kraten.)_ Ja, Sie wollen das, aber die bürgerliche Linke will, hoffe ich, diesen Weg nicht gehen. Opfer muß jeder bringen, und keiner darf verlangen, daß nur sein Nachbar Opfer bringt und er verschont wird.(Stürmisches Sehr richtig I links.) Die Finanzreform, die wir schaffen, ist ein nationales Werk.(Bravo I rechts.) Abg. Molkenduhr(Soz.): Herr Büsing hat das Verhalten der Mehrheitsparteien zu recht- fertigen gesucht. Ob es ihm gelungen ist, das wird die Ausnahme seiner Rede im Lande zeigen.(Lachen bei den Nationalliberalen.) Er hat gesagt: Niemand hat das Recht, zu verlangen, daß er von den Steuern verschont bleibt. Dieser sehr richtige Satz paßt aber eigentlich recht schlecht zu seinen anderen Ausführungen. Wenn der Satz richtig ist, dann hätten die Mehrheitsparteien auch danach handeln sollen. Wer aber Wein trinkt, wird von der Bier- steuer, wer Zigarren raucht, von der Zigarettensteucr, wer nicht Automobil fährt, von der Automobilsteuer nicht getroffen. Wollen Sie alle gleichmäßig treffen, so müssen Sie jeden direkt be- steuern und eine progressive Reichseinkommen- und-Vermögenssteuer beschließen.(Sehr richtig I bei den Sozialdemokraten.) Wenn Sie durchaus keine direkte Steuer erheben wollen, so könnte ja das Reichsschayamt sich bereit erklären, die Einkommensteuer für eine indirekte Steuer zu erklären(Heiterkeit und Sehr gut! bei den Sozialdemokraten), so wie eS das schon bei anderen Staaten getan hat. Wenn große Summen aus denSteuern aufgebracht werdensollen, müssen in erster Linie die besitzenden, nicht die ärmeren Klassen herangezogen werden. Aber Sie benutzen die Tasche» der ärmeren Leute, um den reicheren die Taschen zu füllen.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Heute wird das Einkommen der ärmsten Leute mit 10 Proz. be- steuert, bei den reichsten kommt etwa ein Tausendstel Prozent heraus. Und dazu kommt noch, daß Sie den Armen das Brot und daS Fleisch verteuert haben, um den Großgrundbesitzern die Taschen zu füllen. Am Reiche haben nicht nur die Reichen Interesse, sagt Herr Büsing. Es gibt aber Jnstituttonen, die vorwiegend für die Reichen geschaffen sind. Wenn es bei Heer und Marine auch nicht so in die Augen springt, so ist es bei den Hochschutzzöllen ganz offenbar.(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Herr Büsing meinte, die Steuerreform, wie sie vorliegt, wäre eine große Tat. Er hätte besser getan, für einige der beschlossenen Gesetze noch drei oder vier Lesungen zu beantragen. so unreif find sie noch. Wenn man solche Gesetze macht, sollte man doch zum mindesten dafür sorgen, daß sie in ihrer Fassung unangreifbar sind. Herr Büsing sagte, die Steuerreform müßte schleunigst unter Dach gebracht werden. Daß Geld gebraucht wird, wissen wir doch nicht erst seit dieser Session. Sie(zu den National» liberalen) haben ja systematisch darauf hingearbeitet, den Reichs- dalleS herbeizuführen.(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Mit welcher Bewilligungsfreudigkeit haben Sie allen Militärforde- rungen zugestimmt! Und seit 1893 ist dann auch das Zentrum mit den Nationalliberalen in Konkurrenz getteten und hat bewiesen, daß es ihnen im Bewilligungseifer noch über ist. Also jeder mußte wissen, daß wir in eine Finanzklemme hineinkommen. Aber vielleicht haben die Herren absichtlich diese Finanzklemme HerbeigefiiHrt, um einen Grund für ihre Zustimmung zu den wahn- sinnigen Schutzzöllen zu erhalten, wie sie die katholischen� Bauern- vereine und der Bund der Landwirte forderten? Aber diese Zölle helfen nicht über die Frage der Geldbeschaffung hinweg. Von den Reichen wollte man das Geld nicht nehmen! also hat man Steuer- gesetze von der Art gemacht, wie sie jetzt hier vorliegen. Ich will nicht dte einzelnen Steuergesetzentwürfe im einzelnen hier der Kritik unterziehen. Aber als Beispiel will ich das Gesetz herausgreifen, das am meisten abgeändert worden ist. Das Ziga- rettensteuer-Gesetz, das auch am besten ein Beweisstück für die gesetzgeberische Unfähigkeit darstellt, wie es wohl noch kein Parlament der Welt aufzuweisen hat.(Verschiedentlich Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten. Sehr unwahr I bei den Nationalliberalen. Lachen bei den Sozialdemokraten.) Ich weiß ja, daß es Herrn Büsing sehr ärgert, wenn man sagt, seine Kommission hätte keine Meisterstücke hervorgebracht. Aber Sie brauchen sich nur den Werde­gang des Zigarettenfteueraesetzes anzusehen, um zu erkennen, daß Sie eS hier mit einem so wunderbaren Stück Gesetzeskmist zu tun haben, wie Sie eS noch nicht erlebt haben. Der Regierungsentwurf wurde von der Kommission für unbrauchbar gehalten und abgelehnt. Aus einem Anttag Nr. 20. der ein ganz anderes Steuersystem vorschlug, wurde ein vollkommen neues Gesetz, die Banderolen« steuer, gemacht. Aber die einzelnen Paragraphen waren nur Urdungsstücke deS gesetzgeberische» Dilettantismus. (Sehr wahr! links.) Wir fingen an, den Gesetzentwurf zu kritisieren, die Mehrheit fing an, Abänderungsanträge zu stellen. Von den Leuten, die erst den Antrag 20 zum Gesetz erhoben hatten, wurden zu nicht weniger als 23 Paragraphen Abänderungsanträge beantragt I (Hört! hört! links.) Sie waren aber schon in der ersten Lesung zu der Ueberzcugung gekommen, daß nicht ein einziger der von ihnen beschlossenen Paragraphen brauchbar war. Aber damit war's noch nicht zu Ende. Zu diesen 23 Abändernngsanträgen wurden noch eine ganze Reihe von Ergänzungsanttägen gestellt. Und als der Gesetzentwurf endlich fertig war, da war ich der festen Ueber- zcngung, das Plenum werde ihn ohne weiteres an die Kommission zurückverweisen; denn ich konnte mir nicht denken, daß ein Jurist im Hanse sein werde, der ein solches Gesetz würde durchgehen lassen. Aber inzwischen habe ich erfahren, daß bei diesem Gesetz wohl etwas anderes als lediglich Vernunftsgründe mitgespielt haben. (Sehr wahr I bei den Sozialdemokraten.) Wahrscheinlich hat man der Regierung daö Versprechen gegeben, ihr um jeden Preis ein fertiges Gesetz zu überliefern: denn schon nach der zweiten Lesung in der Kommission erließ der Reichsschatzsekretär ein Rundschreiben an die Bundesregierungen, es könne angenommen werden, daß auch daS Plenum dieser Besteuerung des Zigarettentabaks zustimmen werde, und da für die Einführung des Gesetzes dann nicht mehr lange Zeit zur Verfügung stehen würde, möchten� die Bundes- regierungen das hierfür erforderliche soweit angängig schon jetzt vorbereiten.(Vielfaches Hört! hört! links.)_ Man wird also der Regierung wohl rechtzeitig Garantien gegeben haben, und so mußte man, was auch für soziale Bedenken, für staatsrechtliche Schwierigkeiten, für juristische Mängel und steuer- technische Unmöglichkeiten dem Gesetz anhafteten, es gleichwohl zu stände bringen. Nur so ist es zu verstehen, daß daS Gesetz m der Form, wie es geschah, in der zweiten Lesung zur Annahme 1 kommen konnte. Wiederholt hatten wir nachgewiesen, J daß das Werk der Kommission keinesivegs fehlerfrei sei. Die Mehrheit hat auch gar nicht den Versuch gemacht, die Fehler dieses Gesetzes zu verteidigen, sondern sie hat es eben nur angenommen.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Daß wir aber rnit unserer Kritik recht hatten, beweisen die Anträge, die gegenwärtig_ dem Hause wieder vorliegen und durch die in dritter Lesung das ganze Gesetz wieder uingestoßen werden soll. Aber Sie werden jetzt in der dritten Lesung nichts besseres schaffen, sondern an Stelle des einfach Undurchführbaren, das bisher beschlossen worden war, etwas anderes Unmögliches schaffen. Die Schwächen haften eben nicht nur den einzelnen Bestimmungen, sondern dem ganzen Ge- setze an, und da Sie mit dem S y st e m nicht brechen wollen, so bleiben alle Schwächen, die von vornherein dem ersten Antra. Nr. 20 anhafteten. Für die Ablehnung der Banderolensteuer sprech.n all' die Gründe, die im Kommissionsbericht meisterhaft gegen das Tabak- steuergesetz angeführt worden sind. Genau dieselben sozialen Be- denken wie dort treffen auch gegen die Zigarettensteuer zu, und wenn es nicht so viele Arbeiter trifft, trifft es dafür diejenigen, die betroffen werden, um so schlimmer. Wir stimmen aus sozialen und auch aus staatsrechtlichen Bedenken gegen die Vorlage. Aufmerksam machen will ich noch darauf, daß mir noch nie ein Gesetz vor- gekommen ist, in dem ein Steuerobjekt so unklar bezeichnet wird, wie es hier im§ 2 geschehen ist. Bei Tabak, Bier, Branntwein und Zucker und bei den anderen Objekten, auf die Jnlandssteuern er- hoben werden, weiß man ganz genau, worum es sich handelt. Aber hier gibt Z 2 keine bestimmte Definition dessen, was eigentlich ver- steuert werden soll. Im§ 4 wird sogar dem Bundesrat die Voll- macht gegeben, auch noch Tabak und andere Dinge, die zur Herstellung von Zigaretten gebraucht werden, der Steuer zu unterwerfen.(Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Dieser Entwurf ist eigentlich nichts weiter als die Unterschrift unter einem Blankoakzept. Ich dächte denn doch, daß es mit der Pflicht der Abgeordneten nicht vereinbar ist, derartige Schriftstücke mit ihrer Unterschrist ans der Hand zu geben, sondern daß vielmehr die Abgeordneten die Pflicht haben, die Rechte des Volkes zu wahren.(Zustimmung bei den Sozialdemokraten.) Das Gesetz ist so mangelhaft, daß, selbst wenn ich mit dem S y st e m der Banderolensteuer einverstanden wäre. ich doch gegen das Gesetz stimmen müßte, weil ich nicht für ein Gesetz eintreten könnte, von dem seine Väter eigentlich gar nicht wissen, welche Tragweite es hat. Der Abg. Büsing ist der Meinung, daß die Kommission große Taten vollbracht habe. Nun, mit welcher Oberflächlichkeit da ge- arbeitet worden ist, zeigt der K 9, nach dem die Verkäufer von Zigaretten und Zigarettentabak der Steuerbehörde eine Beschreibung ihrer Verkaufsräume einreichen müssen. Was hat es denn für einen Zweck für die Steuerbehörde, wenn ihr da mitgeteilt wird, eine Verkaufsstelle sei 2Vä Meter breit, S'/a Meter lang und 2>/z Meter hoch usw.? Derartige Beschreibungen werden wahrscheinlich 20 000 Stück eingehen. Sie könnten aber doch höchstens für einen Kultur- Historiker Wert haben, der nach 100 Jahren daraus feststellen könnte, was für wirtschaftliche Zustände zu unserer Zeit geherrscht haben. (Sehr richtig I bei den Sozialdemokraten.) Vielleicht erklärt auch die Steuerbehörde, daß eine Beschreibung nicht stimme, weil in der Ecke ein Vogelbauer hänge, das nicht angegeben worden sei.(Heiterkeit links.) Zur Feststellung irgend eines Verstoßes gegen das Gesetz kann dieie Vorschrift nicht dienen. Wir könnten aus jedem Satze der Vorlage nach den Beschlüssen zweiter Lesung nachweisen, daß nicht ein einziger Paragraph, ja nicht ein einziger Satz haltbar ist, und solches Gesetz soll jetzt angenommen werden! Wir stimmen aus sozialen Gründen gegen daS Gesetz, weil es Tausende von Arbeitern schädigt und der Politik des amerika - nischen Trusts die Wege ebnet. Wir stimmen aus staatsrecht- lichen Bedenken dagegen, weil dem Bundesrat die Vollmacht gegeben wird, Steuern einzuführen, die der Reichstag nicht bewilligt hat. Wir stimmen auch gegen das Gesetz wegen seiner ganzen mangelhaften Ausgestaltung. Die Mehrheit tritt für diese Vorlage ein, weil sie Ausgaben zugestimmt hat, von denen sie wußte, daß durch sie das Reich finanziell auf den Hund kommen müsse, wenn keine neuen Steuern bewilligt werden. Wir lehnen die Vorlage ab, durch die die Bevölkerung auf das schwerste geschädigt wird.(Leb- hafter Beifall bei den Sozialdemokraten.) Abg. Dietrich(k.): Es zeigt die Schwäche der Kritik des Ab­geordneten Molkenbuhr, daß er die bei der Zolldebatte vorgebrachten Argumente wiederholt und von der Belastung der Besitzlosen spricht. Gerade die Besitzlosen werden von den in zweiter Lesung ange- nommenen Steuern nicht getroffen.(Sehr richtig! rechts. Wider- spruch bei den Sozialdemokraten.) Gegen die Fahrkartensteuer allerdings haben auch wir so erhebliche Bedenken, daß ihretwegen auch von meinen Freunden einige gegen die ganze Reform stimmen werden. Diese Bedenken liegen auf staatsrechtlichem Gebiete, weil wir hier einen Eingriff in die Rechte der Einzelstaaten sehen. Abg. Dr. Müllcr-Sagan(fts. Vp.): Abgeordneter Büsing sagt: Niemand soll verlangen, daß er steuerfrei bleibe und der andere zahle; hier aber handelt es sich darum, einzelne Gelverbe, Brauereien, Zigarettenfabrikatton, ausnahmsweise mit Steuern zu belegen, also grade das direkte Gegenteil von dem, was Abgeordneter Büsing verlangt. Wir lehnen daher diese Gesetze ab.(Bravo ! bei den Freisinnigen.) Abg. Dr. Spahn(Z.): Die große Masse der Bevölkerung, die die Eisenbahnen benutzt, wird von ihren höchst mäßigen Sätzen gar nicht getroffen. Z 6 des Flottengesetzes ist uns ein beachtenswerter wichtiger Grundsatz. ES kann auch gar nicht bestritten werden, daß durch das Reich die ärmen Völksschichten schwerer belastet worden sind. Dafür werden die Lasten in Staat und Kommune mehr von den Wohl- habenden getragen. Wenn wir hier im Reiche das für Deutschlands Wehrkraft Notwendige bewilligen und sich die Interessenten um jeden Pfennig Steuer streiten, das macht auf das Ausland keinen stolzen und vornehmen Eindruck.(Lebhafter Beifall im Zentrum.) Abg. v. Kirrdorff(Rp.): Es ist eine durchaus verkehrte sozialistische Auffassung, daß die indirekten Steuern die ärmeren Klassen schwerer treffen als die Reichen.(Große Heiterkeit links.) Es ist ganz und gar nicht richtig, daß die neuen Steuern die schwächeren Schultern belasten.(Lachen links. Zurufe.) Die Zigarettensteuer?Ja, aber die Arbeiter rauchen doch Zigaretten nur m minimalem Maße. Die Fahrlartensteuer? Ja, der Personenverkehr macht Kosten, der Güterverkehr allein bringt die hohen Ueberschüffe. Das Bier ist auch ein Artikel, der verhältnismäßig von den Wohlhabenden mehr getrunken wird als von de» Arbeitern. Viel ist auch gesprochen von der Erbschaftssteuer. Wenn Sie wegen dieser Steuer die Re« formen scheitern lassen wollen, können Sie eS den anderen nicht verdenken, daß sie es wegen anderer Steuern tun. Abg. Dr. Pachnicke(fts. Vg.): Ein patriotischer Appell bei Steuervorlagen ist immer verdächtig. Wir wissen sehr gut, was wir der nationalen Würde deS Reiches schuldig sind.(Sehr gilt I bei der freisinnigen Vereinigung.) Solch Appell wirkt auf uns daher weniger als sachliche Motive. Wir stiinnien gegen die Steuergesetzc, weil sie eine Belastung der am wenigsten leistungsfähigen Kreise und eine Belastung des Verkehrs darstellen. Wir leugnen den Mehr- bedarf des Reiches auch nicht, wollen ihn aber anders decken. Wir haben Ihnen vorgeschlagen, 50 Millionen aus der Branntwein-, 70 Millionen aus der' Vermögens-, 70 Millionen aus der Erbschaftssteuer zu decken; also 190 Millionen. Theoretisch gibt man uns die Richtig- keit einer solchen Steuerpolitik zu. also muß sich auch praktisch richtig sein.(Beifall bei den Freisinnigen.) Abg. Robert Schmidt-Berli»(Soz.): Unsere prinzipielle Stellung geht dahin, daß wir jede Steuer ablehnen, die eine weitere Belastung der breiten Masse bringt und die nicht auf dem Grundsatz einer direkten Einkommensteuer aus- gebaut ist. Und da. wo dieser Grundsatz annähernd gewahrt wird, wie bei der Erbschaftssteuer stimmen wir zu. Herr v. Kardorff sagte, die Arbeiter müßten auch etwas leisten. Nun, die Arbeiter leisten schon einen sehr großen Teil aller Lasten, die für die Ausgaben des Reiches not- wendig sind. Die Zölle und Verbrauchsabgaben bedeuten eine sehr starke Belastung der Arbeiter. Der Streit darüber, ob die Last der neuen Steuervorlage von der großen Masse des Volkes oder von den besitzenden Klassen getragen werde, wäre vollständig überflüssig, wenn Sie den Weg einer progressiven Einkommensteuer beschritten hätten. Nun hat Herr Spahn verfassungsmäßige Bedenken gegen eine solche Steuer erhoben, weil dadurch in die Rechts- sphäre der Einzelstaaten eingegriffen würde. Er hat aber anderseits betont. daß man seinerzeit doch zu einer Einkommensteuer kommen würde. Nun dann ist also die Reichs- einkommensteuer nur eine Frage der Zeit! Die verfassungsmäßigen Bedenken können doch da nicht so erheblich sein, daß man daran eine so wichtige Reform scheitern läßt. Bei einer solchen Reform kommt es doch vor allem darauf an, ob die Belastung eine gerechte ist. Man darf sich nicht sagen: Wir nehmen das Geld, wo wir es finden, sondern man inuß einen gerechten Weg der Besteuerung suchen. Das hat aber die Mehrheit versäumt. Der Abg. Büsing meinte, die Reichstagsmehrheit sei auch die Mehrheit des deutschen Volkes. Das ist ein großer Irrtum. Ich möchte dem Abg. Büsing und seinen Parteigenossen raten, den Wählern vorher genau zu sagen, wie sie sich zu den Vorlagen stellen werden. Dann lvürde wahrscheinlich das Ergebnis der Wahl ein ganz anderes sein.(Sehr richtig! links.) Aber von den National- liberalen wird den Wählern vor der Wahl nie klarer Wein ein- geschänkt.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Es ist durchaus richtig, daß die Sozialdemokratie die Entscheidung in einer so wichtigen Frage durch eine Bolksabstimmung treffen lassen will. Geschähe das, so würden wir ja sehen, ob die ReichStagSmehrheit auch die Mehrheit des deutschen Volkes hinter sich hat. Weiter war es mir interessant, von dem Abg. Büsing zu hören, daß eigentlich gar keine Stimmung für eine Reichseinkommensteuer vorhanden sei. Es mag sein, daß der Abg. Büsing die Ansichten seiner Parteigenossen im Lande richtig wiedergibt. Dann will ich ihm aber erklären, daß wir etwas Aufklärung in diese Kreise tragen werden. Die Stimmung wird sich dann bald ändern.(Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Ob dann aber Herr Büsing bei der nächsten Wahl hier wieder erscheint, ist mir zweifelhaft. Der preußische Finanzminister hat bei der zweiten Beratung dieser Vorlage mit außerordentlichem Nachdruck ihre Be- deutung betont und ausgeführt, daß der Finanzverlvaltung eine Barriere errichtet werden müsse. Ich meine, man hätte die Barriere früher aufbauen und den Staat nicht ohne Rücksicht auf die Einnahmen wirtschaften lassen sollen. ES ist aber doch sehr zweifelhast, ob das Reichsschatzamt die Grenzen inne- halten lvird, die ihm gesteckt wurden. Der Finanzminister hat weiter gesagt, die Knlturaufgaben wüchsen fortgesetzt; deshalb sei es nötig, den'Einzelstaaten ihre Einnahmen nicht zu nehmen, sondern ihnen neue Quellen zu erschließen. Was die Kultur- aufgaben bettifft, so herrscht nirgends eine solche Rückständigkeit wie in Preußen. Die jämmerlichste Volksschule in Deutsch - land ist die preußische. Möge die preußische Regierung doch da endlich einmal für Besserung sorgen! Wir werden diese ganze Vorlage, die eine neue Belastung der arbeitenden Klassen herbei- führt, ablehnen.(Lebhafter Beifall bei den Sozialdemokraten.) Vizepräsident Graf Stolbcrg: Zur Orientierung teile ich mit, daß über das Mantelgesctz vom Abg. Basserniann namentliche Ab- stimmung beantragt ist. Abg. v. Gerlach(frs. Vg.): In den letzten Tagen sind wir wieder mit einer Flut von Abänderungsanträgeil überschüttet worden, die zum Teil recht erhebliche Aenderungen an den Beschlüssen zweiter Lesung bedeuten. Sie gründlich dnrchzuberaten, ist ganz unmöglich; aber sie beweisen, wie wenig die Mehrheit selbst sich über diese Gesetze und ihre Tragweite klar ist.(Sehr richtig! bei der frei- sinnigen Vereinigung.) Die Steuergesetze sind gemacht nach der Maxime, die der nationalliberale Abg. Böttger hente imTag" gezeichnet hat mit den Worten:Mach' Geld. Wenn'S geht, auf ehrliche Weise, aber vor allem: mach' Geld!"(Große Heiterkeit.) Ich habe lange kein so wahres Wort aus nattonalliveralem Munde gehört, wie diese Devise eines skrupellosen Ainerilaners. (Beifall links.) Vizepräsident Graf Stolbcrg: Die Diskussion ist geschlossen. Vom Abg. Singer ist liamentliche Abstimmung über das Brau- steuergesetz, das Zigarcttensteuergesetz, die Fahrkartensteuer beantragt. Abg. Büsing(zur Geschäftsordnung): Diese Anträge auf namentliche Abstimniung sind nicht zulässig, da wir in der dritten Lesung über ein Gesetz insgesamt nicht abstimmen. Vizepräsident Graf Stolbcrg: Ich schlage dem Hause vor, die Entscheidung hierüber zurückzustellen, bis wir zur Abstimmung kommen.(Große Heiterkeit. Unter andauernder Heiterkeit löst Graf Ballestrem den Vizepräsidenten ab.) Es folgt die Beratung über das Brausteuergesctz. Zu§ 1 beantragt Dr. Müller-Sagan(frs. Vp.) die Ausdehnung des Siirrogatverbots aus das sogenannte Malzbier und eine Milde- rung der Üebergangsbestimmungen für das Surrogatverbot. Abg. Dr. Müllcr-Sagan(frs. Vp.) befürwortet seinen Antrag. Abg. Dr. Spahn(Z.) wendet sich gegen diesen Anttag. Abg. Rcttig<k.) hält den zweiten Antrag Müller-Sagan für akzeptabel, falls die Regierung keine Bedenken dagegen hat. Präs. Graf Ballestrem teilt mit, daß Abg. Müller- Sagan den zweiten Antrag soeben zurückgezogen habe. Direktor im Reichsschatzamt Kühn ivendet sich gegen den ersten Antrag Müller-Sagan, toeil der Begriff des sogenannten Malzbieres nicht feststehe. Der Antrag wird hierauf gegen die Stimme des Abg. Müller- Sagan(Heiterkeit) abgelehnt.§ 1 wird nach den Beschlüssen zweiter Lesung angenommen. Präsident Graf Ballestrem teilt mit. daß der Abg. Singer, um eine lange Geschäftsordnungsdebatte zu vermeiden, seine Anträge auf namentliche Abstiinmung nunmehr zu einzelnen Paragraphen gestellt habe. Abg. Singer(zur Geschäftsordnung): Ich wollte nur bemerken. daß ich, wenn ich gewollt hätte, auch über die einzelnen Steuergesetze namentliche Abstimmungen hätte herbeiführen können. Ich brauchte nur beim Mantelgesetz, wo die Steuern einzeln aufgeführt sind. gesonderte namentliche Abstimmung über die einzelnen Positionen zu beantragen.(Abg. Büsing: Sehr richtig! Große Heiterkeit.) Zu§ 1a wird nach kurzer Debatte«in Antrag Rettig(f.) an­genommen. wonach der Bundesrat befugt ist, den Zucker von der Brausteuer gänzlich freizulassen. 8 16 wird ohne Debatte angenommen. Abg. Kopsch(fts. Vp.) begründet folgenden Antrag als§ 15: In Gemäßheit von Artikel büß? des ZollvereinigungSvcrtrageZ vom 8. Juli 1867 von Kommunen oder Korporationen erhobene Ab- gaben auf obergärige Biere dürfen nur in Höhe bis zu 3/s deS Be­trages der Abgabe auf untergärige Biere erhoben werden." Abg. Gamp(Rp.): Herr Kopsch sollte darauf hinwirken, daß die Gemeinde, der er angehört, die obergärigen Biere weniger be- steuert. Abg. Dr. Südrkum(Soz.): Ich bitte Sie. den Anftag Kopsch anzunehmen. Er bietet wenigstens einen kleinen Ausgleich für die bisher vielfach sehr ungerechte Behandlung des obergäriaen Bieres. In einem großen Teile von Gemeinden, die bisher kommunale Biersteuer erhoben haben, wird durch eine solche Bestimmung nur der bestehende Zustand festgelegt; denn in ihnen ist man bisher aber so gerecht gewesen, obergärige Biere weniger zu besteuern als untergärlge.(Sehr wahr I bei den Sozialdemokraten.)