Nr. 119. 23. Jahrgang. 2. Keiiagk Ks Jirnärts" Krlim Polholilall. Donnerstag, 24. Mai 1906. VI, Derbandstag des Deutschen Holzarbeiterverbandes. Köln , 22. Mai. Die Diskussion des Vorstandsberichtes wird bei dem Abschnitt Lohnbewegungen fortgesetzt. Von mehreren Rednern wird gefordert, daß die Streikunterstützung auf die Nichtbezugsberechtigten ausgedehnt werde. ES liegt eine Anzahl Anträge vor, und zwar aus Bremen , Bremerhaven , Hannover , Herford , Posen, Hartha und Großröhrsdorf , die Kosten von dort gewesenen Lohnbewegungen auf die Hauptkasse zu übernehmen. In dem Schlußwort zu diesem Abschnitt weist Leipart darauf hin, daß der Verband den Unternehmern lange nicht so viel Achtung eingeflößt hätte, wenn ihm nicht die durch die Arbeitslosen- Unterstützung und die gleichzeitige Beitragserhöhung geschaffenen Mittel zur Verfügung ständen. Die Zahl der Streikgesuche mehre sich außerordentlich, weil die Kollegen der Meinung sind, daß der Ablauf eines Tarifes gleichbedeutend mit einem Streik sei. Der Vorstand wünsche dringend, daß alle Zahlstellen früh genug ihre Streikanträge stellen. Auch die Berliner dürfen sich nicht auf ihre großen Lokalmittel verlassen. Einer geschickten Unternehmer- organisation sei es unter Umständen möglich, durch gleichzeitigen Ablauf von Tarifverträgen an vielen Orten den Verband auf ein- mal zu stark zu engagieren. Wenn der Verbandstag wolle, daß der Vorstand alle Lohnbewegungen zum Besten des Verbandes leite, so seien alle Anträge auf Uebernahme der Streikschulden der einzelnen Orte und die Unterstützung der Nichtberechtigten abzulehnen, und zwar grundsätzlich, weil jenes die Disziplinlosigkeit und Planlosig- keit fördere. Auch bei noch größeren Mitteln hätten die Lohn- bewcgungen nicht zahlreicher sein können. Es sei nicht nötig gc- Wesen, auch nur in einem einzigen Falle einen Streik wegen Mangel an Mitteln endgültig abzulehnen. Der Vorstand müsse die Leitung bei allen Lohnbewegungen in Händen halten, damit der Verband nicht auf einmal von zu vielen Kämpfen zugleich in Anspruch ge- nommen werde und alles bunt durcheinander gehe. Die Beitrags- erhöhung verlange der Vorstand, weil in Zukunft noch weit größere Ansprüche an den Verband herantreten werden. Es folgt der Abschnitt: Agitation, EntWickelung des Verbandes und Gauvorstände. Der Vorstands. bericht sagt hierzu u. a.: Obwohl die Lohnbewegungen der letzten Jahre die Tätigkeit der Gauvorstände in der Hauptsache in Anspruch genommen hat, so ist darüber die Agitation doch nicht vergessen worden, wenn sie auch vielleicht hier und da etwas zu kurz gekonimen sein mag. Es wurden 332 500 Broschüren, 3! 1000 Flugblätter, 4b 000 Almanachs usw. verbreitet. Die Agitation in den Branchen war besonders lebhaft. Die Sektionen unterstanden stets der all- gemeinen Zahlstellenverwaltung. In der Berichtsperiode 1002/03 war die Mitgliederzahl des Verbandes von 67 OOC auf 83 662 oder um 24 Proz. gestiegen. Die SteigeAing ging unauf- haltsam vorwärts und die Mitgliederzahl stieg bis Ende 1006 auf 131 141 oder um bb Proz. Aufgenommen wurden in den beiden Jahren zusammen Ivb 300 männliche und 2376 weibliche Mitglieder. Es sind demnach 61 206 einschließlich der Gestorbenen dem Verbände wieder verloren gegangen. Im Verhältnis zur jeweiligen Mit- gliederzahl am Jahresschlüsse betrug die Fluktuation im Jahre 1002: 30 Proz., 1003: 35 Proz., 1904: 2b Proz. und 1005: 27 Proz. Die Zahl der Zahlstellen war in der vorigen Berichts- Periode nur um 38 gestiegen, in den verflossenen Jahren aber stieg sie um 8S, und zwar vermehrte sich die Zahl der Zahlstellen in den drei letzten Jahren von 620 auf 660 und 714. Endlich hat auch die Zahl der weiblichen Mitglieder eine erfreuliche Steigerung erfahren; sie wuchs von 511 Ende 1003 auf 1707 Ende 1005. Die Zunahme der Mitglieder verteilt sich auf die einzelnen Gaue in Prozenten wie folgt: Danzig 56,8, Stettin 67,8, Breslau 67,0, Berlin 50,4, Dresden 62,4, Chemnitz 57,8, Erfurt 83,8, Magde- bürg 50,5, Hamburg 38, Hannover 72,5, Düsseldorf 60,8, Frank- furt a. M. 54,2, Nürnberg 70,5, München 53,4, Stuttgart 46,2. In der Diskussion verweist Gauleiter Härtung auf die Agitation der.Christlichen ". Im Gau Rheinland-Westfalen haben die christlichen Organisationen in einer Weise festen Fuß gefaßt, wie nirgend anders. Sie genießen hier in außerordentlichem Maße die Unterstützung der Zentrumspresse und Zentrumspartei . Sie setzen überall besoldete Beamte ein, die die Agitation betreiben. Sie fassen sogar in Städten wie Elberfeld Fuß, wo für sie gar kein Boden vorhanden ist. Die Christlichen werfen uns überall Knüppel bor die Beine und erschweren uns die Lohnbewegungen in schlimmster Weise. Es ist nötig, daß der Vorstand uns noch mehr als bisher in unserer schwarzen Ecke unterstützt. Deinhardt fordert eine viel mehr ausgestaltete und systematischere Agitation. Auch auf die Erfolge des Verbandes müsse dabei viel mehr Gewicht gelegt werden. Er schlage vor, das gesamte vorliegende Material in einem Verbandsjahrbuch niederzulegen und alljährlich einen Jahresbericht in die Masse zu schleudern. Sowohl dem Vorstand als auch den Gauen müßten mehr Kräfte zur Verfügung gestellt werden. Raith-München : In der Agitation herrscht bisweilen Pfennigfuchserei; sie bewege sich zu viel im Kleinen. Die Agitation müsse zunächst von einer Zentralstelle ausgehen, die das vorliegende Material sammelt, das unter anderem über die Streikbrecherei der Christlichen vorliege; ferner eigne sich die Lebensmittelverteuerung zur Agitation. Die Christlichen klagen genau so über die Ver- teuerung der Lebensbedürfnisse wie wir. Man müsse den Leuten klarmachen, daß ihre Haltung aufs Haar der Echternacher Spring- Prozession ähnelt: zwei Schritte werden vorwärts gemacht in der Lebensmittelverteuerung, aber nur ein Schritt zurück in der Lohn- erhöhung. Auch der junge Zuwachs müsse gründlich in der Agitation beachtet werden, um ihn in die Gedankengänge der modernen Arbeiterbewegung einzuführen. Auf allen Gebieten der Agitation müsse mehr geschehen. Pütz-Gelsenkirchen : Kein Gau hat eine solche Industrie- entWickelung als der Gau Rheinland-Westfalen. Pilzartig entstehen und wachsen hier die Städte aus dem Boden. Im Ruhrgebict haben die„Christlichen " schon zwei besoldete Beamte, wir noch keinen. Die Kollegen bleiben nicht lange im Ruhrgebiet , weil sie die großen Städte wegen der besseren Lohn- und Arbeitsverhältnisse bevor- zugen. Rheinland und Westfalen ist der Herd, wo der christliche Verband seine Leute züchtet, um dann auch in andere Gebiete ein» zudringen. Rheinland und Westfalen ist das Gebiet, wo die großen Kämpfe der Zukunft geschlagen werden. Mülle r°Köln: Unser Gau ist d,e Hochburg der.Christ. lichen". Sie haben von feiten ihres Verbandes in Rheinland -West- falen mindestens zehn besoldete Beamte; dazu kommen noch die Mitglieder ihre? Hauptvorstandes, der in Köln sitzt, und die ganze Menge der Agitatoren a la München-Gladbach. Der Verbandstag muß Remedur schaffen. Die Knauserigkeit muß beiseite gestellt und es müssen inchr Kräfte besoldet werden. G eri cke-Leipzig: Der Haupworstand hat sich bei der Her- gäbe von Mitteln für die Agitation manchmal von einer Sparsamkeit leiten lassen, die nicht im Vorteil des Verbandes lag. Unsere Lohn- bewegungen in Sachsen sind zum Teil verloren gegangen durch die Arbeitswilligen aus dem Erzgebirge , diesem noch so rückständigen und für die Organisation so schwierigen Gebiete. Die Kisten- und Mühlenindustrie des Erzgebirges liegt noch ganz brach. Der Redner stellt die Gaueinteilung in Sachsen als verfehlt dar. Dörfer- Stuttgart fordert, daß mehr für die Schulung der Mitglieder getan werde, damit diese bei Lohnbewegungen den geeigneten Zeitpunkt erwarten können und bei den Kämpfen die genügende Ueberlegung und Disziplin zeigen. Matuszewski- Posen: Wir haben außer mit den„Christ- lickien" auch mit den Polen zu tun, die einen Sondcrverband ge- gründet haben. Die Provinz Posen ist eine Quelle der Arbeits- willigen, auch für Berlin . Der Osten muß bei der Agitation mehr berücksichtigt werden. � ch w a n k e- Kattowitz: Oberschlesien ist, wie Posen, zum erstenmal auf dem Verbandstage vertreten. In Oberschicsien sind die Lohnverhältnisse am allcrerbärmlichsten, und die Agitation ist die denkbar schwierigste. Der Redner schildert die Schwierigkeit der Versammlungsgclegenheit und die Schikanierungen und Versamm- lungsauflösungcn durch die Polizeibehörden. Den Wirten, die ihren Saal hergeben wollen, werde mit Militärverbot und Herab- sctzung der Polizeistunde gedroht. R ö S k e- Hamburg regt an, daß in die von der General- kommission vorbereiteten Kurse in Berlin auch einige Themata bc- züglich der christlichen Gewerkschaften aufgenommen werden. Auch der Gau 0 s Hamburg) sei viel zu groß. Bei den großen Lohn- bewegungen bleibe nur wenig Zeit zur Agitation. Scholich- Breslau empfiehlt, der Vorstand möge mit der Generalkommission und dem Parteivorstand in Verbindung treten, um etwas für die Versammlungsgelegenheit in Oberschlesien zu tun. Nach weiteren Ausführungen anderer Redner wird von feiten des Vorstandes zugesagt, daß er sofort nach dem Verbandstage in die Prüfung der Sache eintreten und mit der Anstellung von weiteren Gaubeamtcn vorgehen werde. Auch sonst will der Vor- stand bezüglich der Agitation den Anregungen Folge geben und das Mögliche tun. Der Verbandstag nimmt folgende Resolution Leopold- Berlin an:„Der Verbandstag spricht dem Vorstand und den Gau- vorständen seine Anerkennung aus. Er steht jedoch auf dem Stand- Punkt, daß in Zukunft größere Mittel für die Agitation zur Ver- fügung gestellt werden müssen. Namentlich soll die Stuhlindustrie, die Pianoforteindustrie, sowie die Bezirke Rheinland-Westfalen , das Erzgebirge und die östlichen Provinzen durch besonders dazu be- stimmte Kräfte bearbeitet werden. Der Vorstand wird ersucht, nach Möglichkeit durch Herausgabe von reichhaltigem Agitationsmaterial die Agitation mehr zu beleben und erfolgreicher zu gestalten. Zur Erledigung dieser umfangreichen Aufgaben sollen sowohl im Ver- bandsbureau als auch in den Gauleitungen mehr Kräfte zur Ver» fügung gestellt werden." Bezüglich der S e k t i o n e n und Branchenkonferenzen wird von einem Teile der Redner eine Ausgestaltung des Branchen Wesens gewünscht, von anderen eine Zurückschraubung des Sektions- wesenS gefordert. Der Verbandstag nimmt folgende Resolution Neumann- Hamburg an:„Der Verbandstag erachtet die Whaltung von Branchenkonferenzen nur dann für angebracht, wenn es sich um besondere für sich abgeschlossene Berufe handelt, die vorauf. gegangenen Vorarbeiten durch intensive Agitation der Sektions. leitungen einen positiven Erfolg versprechen und die Gauvorstände ihre Zustimmung zur Abhaltung gegeben haben." Aus den weiter zur Debatte gestellten Abschnitten des Berichts erwähnen wir: Entsprechend dem Beschluß des Leipziger Ver- bandstages haben an dem in Amsterdam abgehaltenen i n t e r- nationalen Holzarbeiterkongreß Leipart, Robert Schmidt und Röske als Delegierte des Verbandes teilgenommen. Der Kongreß beschloß die Gründung einer Internationalen Union der Holzarbeiter mit dem Sitze in Deutschland und wählte Kollegen Leipart zum Sekretär.— Im allgemeinen sind die Klagen der Zahlstellen, daß ihnen von den Polizeiorganen Schwierig- leiten bereitet werden, gegen früher geringer geworden. Daß aber die Polizei sich im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen hält, kann keineswegs gesagt werden. Die Zahlstelle Berlinchen jjt durch das Vorgehen der Fabrikanten und der Polizei zerstört worden. Sehr zahlreich waren die gerichtlichen Bestrafungen wegen Streikbrecherbeleidigungen und Strcikpostenstehens, zu deren Ver mehrung die Denunziationen von Mitgliedern des christlichen Ver> bandes in Köln und anderwärts wesentlich beigetragen haben.— Einen wöchentlichen Lokalbeitrag erhoben nur 58 Proz. der Zahlstellen, jedoch umfassen diese 00 Proz. aller Mitglieder. Das Vermögen der Lokalkassen stieg von 521 228 M. auf 734 103 M.— An Reiseunterstützung wurden in den beiden Berichtsjahren an 17 022 Empfänger 155 334 M. oder pro Kopf der Gesamtmitglieder. zahl 1,48 M. ausgegeben. Die A r b e i t s l o s e n u n t e r st ü tz u n g, zu deren Einführung der Beitrag von 25 auf 35 Pf. erhöht wurde, war nur 1?kt Jahr in Kraft. Es wurden an 18 413 Empfänger 360 800 M. oder pro Kopf der Gesamtmitglieder 3,44 M. gezahlt. �.. Dem Kassenbericht entnehmen wir: Die Gcsamtcinnahmc in 1904 und 1005 betrug 3 050 348,65 M., die Ausgabe 3 683 400,98 Mark, somit die Mehreinnahmc 275 947,67 M. Das Vermögen des Verbandes beläuft sich auf 1 103 082 M. Die Ausgaben der Zahlstellen weisen unter anderem außer den erwähnten Unter- stützungen noch auf 1 492 044,05 M. an Streikunterstützung, 51 667 M. an Gemaßregelten-, 52 265 M. an Sterbegeld-, 40 550 M. an Umzugs-, 10 285 M. an Notfalluntcrstützung, 30054 M. an Rechtsschutz usw. Die Hauptkafle � verausgabte für Agitation: 178 778 M., für die„Holzarbeiter-Zeitung" 172 650 M., Beitrag an die Generalkommission 23 500 M. usw. Beim Abschnitt„Presse" wird die Diskussion auf Mittwoch vertagt. Die Schopenftehlkrawalle in Hamburg vor dem Landgericht. Dritter Verhandlungstag. Hamburg . 23. Mai.(Eig. Ber.) Das Plaidoher des Staatsanwalts Hallender unterscheidet sich vorteilhaft von dem des stellvertretenden Oberstaatsanwalts Jrmann im Schwurgerichtsprozeß gegen die„großen Schapen - stehler". Erster Staatsanwalt Jrmann behandelte damals die Krawalle am Schopenstehl unter dem politischen Gesichtswinkel und vertrat den Standpunkt, daß solche Angriffe gegen die bestehende Staats- und Eigentumsordnung durch ein Furcht und Schrecken er- regendes Urteil geahndet werde müßten. Er ersuchte die„Volks- richter", wie die Geschworenen sich gern nennen lassen, so zu ur- teilen, daß die Taufende, die nicht gefaßt zu werden vermochten, sich mit verurteilt fühlen können. Diese„Furcht und Schrecken". Theorie, die sofort von einem der Verteidiger als mittelalterlich be> zeichnet wurde, hat sich Staatsanwalt Hallender nicht zu eigen gc- macht. Kühl behandelte er den Tatbestand und begab sich nicht auf das politische Gebiet, wohl in der richtigen Erwägung, daß hierbei keine Lorbeeren zu ernten sind. Nach einem kurzen Ucberblick über die Vorgänge auf den Straßen und bei den Exzessen gibt er zu. daß die meisten Angeklagten in beiden Prozessen erst durch GewährS- und Vertrauensmänner der Polizei sowie durch die er- haltenen Verletzungen und die bei ihnen vorgefundenen Sachen in den Verdacht der Teilnahme an den Krawallen geraten sind. Zu einer strafbaren Teilnahme am Aufruhr genüge nicht allein die Anwesenheit in der Menschenmenge, sondern dazu gehöre ferner daS bewußte und solidarische Mitwirken. In dieser Hinsicht könne den Angeklagten Dörrenhaus, Spangenberg und Mamero nichts bewiesen werden, weshalb er deren Freisprechung beantrage. Gegen die weiteren Angeklagten, 17 an der Zahl, beantragt er Gefängnis- strafen von zwei Jahren bis hinab zu zwei Wochen, letztere gegen den dreizehnjährigen Schulknaben Veit. Der Verteidiger Dr. Goldenberg tritt für eine mildere Beurteilung der Straftaten seiner Klienten Dabelstein und Veit ein. Nach vierstündiger Beratung spricht das Gericht die Angeklagten DörrenhauS. Saggau, Spangenberif. Mamero, Dabei st ein. Nilson und Wiegemann frei, dagegen ver- urteilt e? wegen Aufruhrs Grumme zu 1 Jahr 6 Monaten, S t e g e m a n n zu 13 Monaten, L e in b ck e zu 1 Jahr 4 Monaten, Thomas zu 6 Monaten. Hoppe zu 0 Monaten, P e t s ch zu 1 Jahr 6 Monaten Gefängnis; wegen einfachen Landfriedens- bruchs und PlündernS erhalten Jahncke 10 Monate, Frech 3 Monate, N i b e r 8 Monate, Schneider 3 Monate, M a r w e g fünf Monate und der Schulknabe Veit zwei Tage Gefängnis; G o d j a h r wird wegen Unterschlagung zu einem Monat Gefängnis verurteilt. Begründend wird ausgeführt, daß als straferschwerend die Ge« meingefährlichkeit der von den Angeklagten verübten Dinge in Frage komme. Bei dem Aufruhr sei in schlimmer Weise gegen Pflicht- getreue Beamte und bei dem Landfriedensbruch und den Plünde- rungen gegen Leute vorgegangen worden, die den Angeklagten nichts zuleide getan hätten. Aus reiner Zerstörungswut hätten die in Frage kommenden Augeklagten gehaust. Solche Vorgänge, wie in Schopenstehl, seien Gott sei Dank bisher im deutschen Vaterland unbekannt. Bei den Angeklagten Frech, Schneider und Godjahr gelten die Strafen durch die erlittene Untersuchungshast als ver- büßt, den übrigen Verurteilten werden je drei Monate Unter- suchungshaft angerechnet. Unter den Freigesprochenen befinden sich sämtliche Organisierte, nänilich Dörrenhaus, Saggau und der deutschnationale Spangenberg. Huö der Partei. Ein großer sozialistischer Sieg wird aus S e r a i n g. dem be- kannten großen Jndustrieorte bei Lüttich , gemeldet. Bei den G e- meindewahlen, die dort am vergangenen Sonntag stattfanden, siegten sämtliche sozialistischen Kandidaten im ersten Wahlgange und zwar mit großen Majoritäten. Sie erhielten 4496 bis 4772 Stimmen, die Liberalen vereinigten nur 1820 bis 2103 Stimmen auf ihre Kandidaten, während die Klerikalen noch weiter znrttckblieben. Es sind insgesamt 9 Sozialisten gewählt, so daß der Gemeinderat von Seraing in Zukunft neben 11 Klerikalen und 6 Liberalen 10 Sozia- listen zählen wird. Dieser Sieg ist eine gute Vorbedeutung für die allgemeinen Kammerwahlen am 27. Mai. Maifeier ostprcußischcr Landarbeiter. Zu unserem Bericht in Nr. 100 über die Maifeier der Landarbeiter auf dem Gute Kommorowen schreibt uns der Besitzer, Genosse Ebhard, daß das Gut nicht 4000 Morgen, sondern nur 2300 Morgen groß ist und auch nicht mehrere Vorwerke, sondern nur ein Vorwerk hat. Der Bericht hat der„Deutschen Tageszeitung Anlaß zu einigen dummen und boshaften Bemerkungen gegeben. Sie schrieb nun: „Kein Schlot rauchte— mit Ausnahme der Festteilnehmer, alle Räder standen still, die Kühe blieben ungemolken, überall feierliche Stille— absolute Arbeitsenthaltung bis auf die Eierproduktion im Hühnerhof." Und der Schluß lautete:„Das„Mustergut" bleibt in- zwischen allen intelligenten Landleuten dringend empföhlen." Genosse Ebhard bemerkt dazu: „Ob mein Gut ein Mustergut ist, kann ich nicht beurteilen, jedenfalls bennihe ich mich, es dazu zu machen, soweit es in meinen Kräften steht und soweit meine Mittel reichen. Der Verfasser der Kritik kann sich ja meine Wirtschast an- sehen, wie es ihm beliebt, und mir seinen guten Rat erteilen. Ich weiß recht gut. daß hier noch vieles mangelhaft ist und bin für keine Kritik unzugänglich. Verraten will ich ihm aber, daß ich auf meinen 2300 Morgen soviel Arbeiter beschäflige, als die meisten Güter auf 4000 Morgen haben, und daß ich. obwohl Sozialdemokrat und vaterlandsloser Geselle, für Hebung„deutscher Art und deutscher Arbeit", wie das Motto der„Deutschen Tageszeitung" lautet, mehr tue als jene, die durch ihr herrisches Benehmen die alten, an- gestammten Arbeiter nach dem Westen vertrieben haben und sich be- mühen, da sie hauptsächlich auf polnische Arbeiter angewiesen sind, die Ostmark zu einer polnischen Provinz zu machen. Vielleicht versuchen es meine Herreu Kollegen auch mal mit der Maifeier und mit verkürzter Arbeitszeit in den langen Sommer- tagen." Vom preußischen Versammlungsrecht. Am 22. Mai stand in Königsberg der Genosse Krüger, der die Jugendorganisation gegründet hat und kürzlich wegen Beleidigung der Polizei zu drei Monaten Gefängnis verurteilt wurde, vor dem Schöffengericht, um sich wegen groben Unfugs zu verantworten. Nach einer auf- gelöste» Versammlung der Lehrlinge und jugendlichen Arbeiter soll Krüger die Anwesenden aufgefordert haben, sich nicht zu entfernen. In Wirklichkeit haben alle Versammlungsbesucher den Saal nach der Auflösung sofort verlassen und sich nur im Garten des Lokals aufgehalten. Daraus wollte die Polizei die Bcrsammlungs- besucher auch vertreiben; diesem ganz unbegreiflichen Verlangen wurde aber nicht stattgegeben und daher das Strafmandat wegen groben Unfugs. Das Schöffengericht hielt sich aber sür unzuständig und verwies die Sache an die Strafkammer. Es erklärte, daß von der Staatsanwaltschaft ein Verfahren gegen Krüger eingeleitet sei, weil er sich nicht nach der Auflösung der Versammlung sofort ent- fernt habe. Das ist ein Verstoß gegen das Vereinsgesetz, der mit Geldstrafe von 15—150 M. oder Gefängnis von 8 Tagen bis zu 4 Monaten geahndet wird. Nächstens wird man wohl verlangen, daß die Versammlungsbesucher sich nach einer aufgelösten Ver- sammlung sofort aus Preußen zu entfernen haben. Gegen die Jugendorganisation. Bekanntlich wurden anfangs dieses Jahre« in Königsberg sämtliche Versammlungen für Lehrlinge und jugendliche Arbeiter entweder vorher verboten oder aufgelöst. Gegen das Vorgehen der Polizei wurde Beschwerde beim Regierungs- Präsidenten eingelegt. Dieser wies sie aber als unbegründet zurück. Darauf beschwerte man sich beim Oberpräsidenten und dieser Tage ist— nachdem der Oberpräsident volle zwei Monate gebraucht hat, um die Beschwerde zu beantworten— der Bescheid gekommen, daß auch der Obcrpräsioent von Ostpreußen die Beschwerde als un- begründet zurückweise. Ganze Spalten sind angefüllt worden, um die Antwort zu begründen; nicht weniger als vier Artikel der „Königsberger Volkszeitung" und zwei Artikel der„Gleichheit" sind angezogen worden, um den Beweis zu führen, daß erstens der Verein der jungen Arbeiter ein politischer sei, zweitens aber die Verbreitung sozialdemokratischer Ideen unter der Jugend zum Ziele habe. Auch die Notizen, in denen die Mißhandlungen der Lehrlinge zur Sprache gekommen sind, müssen dazu dienen, den Verein zu einem politischen zu stempeln. Weiter sind mehrere Entscheidungen des Ober- verwaltungs- und Kammergerichts angezogen worden. So heißt es an einer Stelle:„Nach der Entscheidung des Oberverwaltungs« aerichts, erster Senat vom 20. Oktober 1896 bleiben öffentliche Ver- sammlungen, welche von Vereinen veranstaltet werden. Vereins- Versammlungen, auf die der ß 8 des Bereinsgesetzes vom 11. März 1850 Anwendung findet, wenn der beweffende Berein als ein politischer Verein zu gelten hat." Auffälligerweise ist in dem langen Schriftstück immer nur von einem„Lehrlingsverein" die Rede. Dabei handelt eü sich um einen Verein für Lehrlinge und jugendliche Arbeiter. Selbst wenn man auch die Folgerungen des Oberpräsidenten als richtig anerkennen würde. so hätte die Polizei immer noch kein Recht gehabt, die öffentlichen Versammlungen vorher zu verbieten, denn dadurch hat sie den jugendlichen Arbeitern das Versammlungsrecht genommen. Auf diese trifft der ß 8 des Vereinsgesetzes nicht zu. Die Polizei hätte die Versammlungen höchstens auflösen können, wenn die Lehrlinge nicht entfernt worden wären. Aber der Verein ist kein politischer Berein; er hat fast dieselben Statuten wie der Berliner Verein für Lehr- linge und jugendliche Arbeiter. In seinem Statut steht ausdrücklich verzeichnet, daß Politik nicht getrieben werden darf. Jetzt wird vor den, Oberverwaltungsgericht geklagt werden. Der Verein ist von der Polizei geschlossen worden und die Strafkammer wird sich demnächst damit zu beschäftigen haben. Die Jugendorganisation hat man aber auf Monare lahm gelegt.
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten