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Kr. 129. 33. JOglMg. H DonnerMg. 7.|Kttil906. XII. Schlefischer Provinzialparteitag. Am Pfingstsonntage'fand in dem Dorfe Polsnitz bei Freibura. der schlesischen Uhreiistadt, der Parteitag der schlesischen Sozial- demokrotie statt, auf dem 36 Delegierte 19 schlesische Wahlkreise ver- traten. Außerdem waren Vertreter der Agitationskoinmissionen und der Parteipresse, die Parteisekretäre und der Reichstagsabgeordnete Tutzauer anwesend. Aus den Berichten der Agitationskommissione» Breslau . Görlitz , Langenbiclau und Kattowitz , die vom letzten lLiegnitzer) Parteitage an die Stelle der allgemeinen schlesischen Agitationskommlssion gesetzt worden sind, ist zu entnehmen, daß die Zahl der organisierten Genossen in Sckilesicn, die auf dem vorigen Parteitage mit(10 angegeben war, nunmehr über 16 900 betragt, von denen rund 8400 auf den Breslauer, auf den Görlitzcr 3300, den Langenbielauer 4000 und 800 auf den Kattowitzer Bezirk entfallen. In fast allen Wahlkreisen, höchstens mit Ausnahme der oberschlesischen und de» zum Teil wendischen Wahlkreises Hoherswerda-Rolhenburg sind erfreuliche Fortschritte in bezug auf die Zahl der Organisierten als auch der Leser unserer Parteipresse gemacht worden. Die Breslauer Organisationsfonn, besonders aber die Agitation von HauS zu Haus, hat vorzügliche Erfolge gehabt, so wurden in Breslau an einem Somitage über 700 Mitglieder fiir den sozialdemokratischen Verein gewonnen, in der kleinen Stadt Brieg an demselben Tage nicht weniger als 81 Mitglieder. An Lesern gewann man auf diesem Wege nicht selten in Breslau an einem Tage über 1000, in Licgnitz konnten an einem Sonntage in kurzer Zeit 140 Abonnenten gewonnen werden. Die Anstellung eines Parteisekretärs für Nieder- schlesien , mit dem Sitze in Görlitz , hat sich vortrefflich bewährt, wenn auch leider noch darüber zu klagen ist, daß von den einzelnen Orten zu wenig Anregungen an die Parteisekretariate ergehen. Hatte die Presse, besonders dieVolkswacht", auf der einen Seite einenfastunüber- troffenen Erfolg zu verzeichnen, so ivaren die Verfolgungen geradezu ungeheuerliche. 1905 zwar hatte dieVolkswacht" nur 600 Mark ......' zu verzeichnen: in den ersten''' aber zäblt sie bereits ein zehn Tag..... uuv....*y. u.. strafe. Sehr viel hat Schlesien unter seinem alten Erbübel, der Lokalabtreiberei zu leiden. Der kräftig einsetzende Boykott, der schon in Breslau und Görlitz zu großartigen Erfolgen geführt hat, wird auch bei Beobachtung der Breslauer Taktik an den anderen Orten� gute Früchte tragen, und vor allem in der Lokalfrage Schlesien von der Hauptparteikasse emanzipieren. Bedauert wurde, daß der Parteivorstand die Provinz Schlesien so wenig mit Referenten bedenke. Mair werde auch hier daran denken müssen, sich auf eigene Füße zu stellen. WaS die Abführung der Beiträge an die Parteikasse anlangt, so kamen aus dem Görlitzer Bezirke an die Agitationsleitung Anträge von verschiedenen Orten, die von der Abführung befreit bleiben wollten, auf der anderen Seite wieder war cS dem Langenbielauer Bezirk möglich, sogar 2S Proz. abzuführen. Die Verhältnisse in O b e r s ch l e s i e n sind nicht besonders er- freuliche;.vir werden uns dort auf Rückschläge gefaßt machen müssen. Die überaus schwierige Nationalitätenfrage ist durch die Einigung niit der P. P. S. ein wenig erleichtert lvorden. Es sei nötig, der oberschlesischen Jndustriebevolkerung die Ueberzeugung beizubringen, daß selbst dann, wenn ihre nationalen Forderungen in Erfüllung gehen, ihre tvirkliche Befteiung nur durch die Sozialdemokratie er- reicht iverden könne. Wenn wir erst so weit sein werden, dann wird mich Oberschlesien , dem noch in wirtschaftlicher Beziehung eine un- geahnte Entwickelung bevorstehe, unser sein. Der Parteivorstand tue für Oberschlesien sein möglichstes, auch die Generalkommission. die zu den drei Versammlungslokalen im Jndustriebezirk noch zwei hinzuerwerbe. Mit Referenten müffe Oberschlesien mehr als bisher versorgt werden. Dl« Notioendigkeit. die Organisationsform von Breslau niit ihrem Distrikts- mid Bezirksführersystem, allgeineiner anzunehmen, wurde anerkannt, nur vor der Gefahr der Schablonisierung gewarnt. Angenommen wurde schließlich ein Antrag, beim Parteivorstande für Mittelschlesien 12 Wahlkreise ohne die drei Breslauer die Anstellung eines Parteisekretärs zu beantragen, ferner ein Antrag, der den Parteivorstand auffordert, Schlesien mehr als bisher mit Referenten zu versorgen. Abgelehnt wurde ein Antrag. die Parteitage in Zukunft regelmäßig nur vor den Reichstagswahlen abzuhalten; es bleibt bei dem zweijährigen Turnus und zwar findet der nächste schlesische Parteitag im Januar 1908 in Breslau statt. Eine Resolution, welche lebhafte Agitation für die Frauen- bewegung und die Einsetzung weiblicher Vertrauenspersonen ver- langt, wurde ebenfalls angenommen. Zum Punkte Presse wurde nach einem einleitenden Referate des Genossen H e i m a n n. des Geschäftsführers der.Volkswacht". der als besonders wichtig für die Abonnentengewinnung die An- legung der Abonnentenlifte und das enge Zusammenarbeiten der Verlage mit den Organisationen bezeichnete, beschlossen, beim Partei- vorstände zu beantragen, daß auf die Tagesordnung des nach st en deutschen Parteitages auch der Punkt .Presse* gesetzt werde. Ferner wurde ein Antrag angenommen, wonach der Parteivorstand zur Heranbildung von Agitatoren und Redakteuren eine Bildungsschule errichten soll. Der letzte Punkt, der verhandelt wurde, betraf die Gemeinde- Wahlen. Ein Antrag auf Ausarbeitung eines prinzipiellen Kommunalprogramms wurde wegen der Verschiedenartig- keit der Verhältnisse in den einzelnen schlessichen Gegenden abgelehnt, dagegen der Abhaltung von Gemeindevertreterkonferenzen m den einzelnen AgitationSbezirken zugestimmt. Deutsche Lehrerverfammlung. Hg. München . 4. Juni. (Schluß des Berichts vom ersten Verhandlungstage.) Ter Referent über die Lehrrrinnenfrage» Lehrer Laube-Chem- vitz, fährt fort: Es ist auch fraglich, ob die Lehrerin imstande ist, die Doppel- last als Hausfrau und Lehrerin zu tragen. Trotz hervorragender Qualifikation für einzelne Gebiete der Erziehung ist die Lehrerin für das ganze Gebiet der Erziehung nicht so befähigt wie der Lehrer. Nur zur Ergänzung soll der Frau die Schule offen bleiben. Auch die pädagogischen Talente der Frau, die zur Bereicherung und Differenzierung des Unterrichts führen, soll die Schule nicht ent- behren. Wie weit diese Grenzen der Ergänzungstätigkeit der Frau gesteckt werden sollen, ist hier nicht zu erörtern, das würde schulmeisterliche Pedanterie sein. UebrigenS ist auch noch die politische Seite der Lehrerinnenfrage ins Auge zu fasten. Auf die Frau setzen die Klerikalen, welche allezeit gute Menschenkenner waren, ihre größte Hoffnung. Es kann sich daher möglicherweise die Lehrerinncnfrage zu einer klerikalen Gefahr auswachsen. (Beifall.) Außerdem ist noch zu berücksichtigen der Anteil der Lehrerinnen an der Frauenbewegung. Mit der zunehmenden An- stcllung weiblicher Lehrkräfte wächst die Gefahr, daß die extremen Frauenbestrcbungen in Kreise getragen werden, denen sie bisher glücklicherweise fern geblieben sind. Die Lerweiblichung der Lehr­kräfte trägt somit eine Gefahr für unseren ganzen Bolkscharakter in sich. Bei aller Bereitwilligkeit, die Frau zur ergänzenden Tätig- keit in der Schule heranzuziehen, muß die Frau der Leitung der Schule fernbleiben! Die Schule bedarf eines ganzen Mannes und dieses ManncS bedarf sie ganz!(Stürmischer, langanhaltcnder Beifall.) Für die Diskussion ist die Redezeit auf 10 Minuten be- schränkt. i Fräulein Sumper, Vorsitzende des Münchcncr Lehrerinnen- Vereins, von einem Teil der Versammlung mit Händeklatschen empfangen, tritt den Ausführungen des Referenten entgegen. Auch wir stehen auf dem Standpunkt, daß Frau und Mann besondere Eigenarten haben, aber ebenso sind Knaben und Mädchen ihrer Eigenart entsprechend besonders zu behandeln. Den Maßstab für das Empfinden des Mädchens hat nur die Frau, für die Beurteilung des Knaben der Mann. Auf die Gcmütsbildung des Mädchens läßt sich in der Schule durch die Frau ein größerer Einfluß ausüben. Dr. Brückmanii-Königsberg hält die Lehrerin in den unteren Klassen auch au Knabenschulen für unentbehrlich.(Oho! und Widerspruch.) Die natürliche Vertreterin der Mutter bei kleinen Kindern ist in der Schule die Lehrerin, sie ist bis zur Konfirmation die mütterliche Beraterin der Kinder.(Unruhe und Schlutzrufe.) Redner cmpfichlt eine These, in der er für die Knabenschulen in der Oberstufe männlichen, für die Mädchenschulen in der Ober- stufe weiblichen Einfluß verlangt. Ueber die Befähigung der Schul- leitung soll nicht das Geschlecht, sondern die Persönlichkeit ent- scheiden.(Widerspruch, Zischen und Beifall.) Fräulein Helene Lange -Bcrlin. Vorsitzende des allgemeinen deutschen FrauenvcreinS: Gestatten Sie mir als eineralten, unverheirateten, verbitterten und verkümmerten Lehrerin" auch das Wort zu nehmen. Sie können uns Lehrerinnen nicht verargen, wenn wir im Laufe der Verhandlungen das Gefühl bekommen, daß man uns nicht gerecht wird.(Ohol und Widerspruch.) Man hätte doch wenigstens einer Lehrerin das Korreferat übergeben sollen. Sollten aber die Herren Kollegen die Tchesen. die eine Beleidigung für uns sind,(lebhafter Widerspruch) ja, ich wieder- hole zwei- und dreimal, die eine Beleidigung sind, annehmen, dann wird der allgemeine deutsche Lchrerinncnverein eine Protest- Versammlung einberufen, zu der wir Sie einladen und auch zehn Minuten Redezeit bewilligen werden.(Heiterkeit.) Mir fehlt es an Zeit, die große Fülle von Einseitigkeiten, Ungerechtigkeiten und Unrichtigkeiten der Referats zurückzuweisen.(Widerspruch.). WaS der Referent über die Frauenfrage gesagt hat, war fast in jedem Satz eine Unrichtigkeit. Wo gibt es einen Lehrerinnenverein, der verlangt, die Lehrerin solle allein an Mädchenschulen lehren? Wir verlangen nur, daß der weibliche Einfluß dominiert.(Beifall.) Bürgermeister Matting-Charlottenburg spricht zunächst die Hochachtung der Verwaltung für den Lehrerstand und sein Streben aus.(Beifall.) Der Kampf, den die Städte Seite an Seite mit den Lehrern gegen das Volksschulgesetz geführt haben, hat gezeigt, wie eng Stadtverwaltung und Lehrerstand zusammengehören. (Lebhafter Beifall.) Redner ist mit den Ausführungen des Refe- rentcn zum großen Teil einverstanden, muß jedoch in einzelnen Punkten widersprechen. In Charlottenburg gelte die Parität an Mädchenschulen als fester Grundsatz seit 15 Jahren und man habe gute Erfahrungen damit gemacht. Ebenso sei der vor zwei Jahren gemachte Versuch, eine Lehrerin als Leiterin einer Schule einzu- setzen, geglückt. Redner will dann noch auf die Frage des Zölibats der Lehrerinnen eingehen. Der Vorsitzende bemerkt aber, daß die Redezeit abgelaufen sei. Redner erwidert: ES ist das auch ein so schwieriges Thema, daß ich ganz gern aufhöre. �Stürmische Heiterkeit.) Oberlehrer Käfert-Chemnitz nimmt Lehrer Laube in Schutz gegen den Vorwurf, einseitig gewesen zu sein. Lehrer Schuman-Hamburg bedauert die geringe Würdigung des Kulturwertes der Frauenbewegung. Die Behauptung von der physischen und psychischen Minderwertigkeit der Frau müsse zurück- gewiesen werden. Dr. Barth-Stuttgart erkennt im Gegensatz zu Fräulein Lange den männlichen Ernst der Thesen an. In den Kreisen unserer Fräulein Lehrerinnen machen sich Anschauungen bemerkbar, wie zum Beispiel die von Fräulein Lischnewska auf dem Gebiet der sexuellen Pädagogik vertretenen, die eine schwere Gefahr für unser Volksleben werden können. Fräulein Siegel-München verweist gegenüber dem Vorwurf extremer Bestrebungen der Lehrerinnen auf die Programmforde- rungen des bayerischen Lehrerinnenvereins, die unter anderem Verbesserung der GehaltS- und Anstellungenverhältniste der Lehre- rinnen, namentlich auf dem Lande, erstreben. Ein Antrag auf Schluß der Generaldebatte wird angenommen. Nachdem Referent Lehrer Laube-Chemnitz kurz den Aus- führungen der Lehrerinnen, namentlich des Fräulein Lange, in scharfer Weise entgegengetreten ist. einigten sich die stimmberech. tigten Vertreter an Stelle der Thesen auf eine Resolution, welche besagt: Die deutsche Lehrerschaft hält das Mitarbeiten der Lehrerinnen an der Volksschule für geboten, lehnt aber aus wichtigen päda- gogifchen Gründen die Forderung ab. nach welcher die Mädchenschule ganz oder überwiegend unter den Einfluß der Lehrerinnen gestellt werden soll." Die nächste Tagung wird 1008 in Dortmund stattfinden. Hg. München , 6. Juni. (Telegr. Bericht.)! Die heutige zweite Hauptversammlung war fast noch stärker besucht wie die gestrige. Stand doch auch heute eine Frage zur Beratung, die die Lehrerschaft seit langer Zeit auf das lebhafteste bewegt: Die Frage der Simultanschule oder Konfessionsschule. Das erste Referat über die Simultanschule hatte Oberlehrer Gaertner-München übernommen, der seinen Ausführungen folgende auf Grund der Stellungnahme der Landesvereine beschlossenen Leitsätze zugrunde legte: 1. Unter Simultanschulen sind Bildungsanstalten zu verstehen, in denen Kinder aller Konfessionen gemeinsam unterrichtet werden, den Religionsunterricht jedoch nach Konfessionen getrennt erhalten. Die Zusammensetzung deS Lehrkörpers an einer Simultanschule soll möglichst dem zahlenmäßigen Verhältnis der Konfessionen unter den Schulkindern entsprechen. 2. Die von Gegnern der Simultanschule an ihre Einführung geknüpften Befürchtungen in religiök-sittlicher Beziehung sind durch die Erfahrung widerlegt. Die Simultanschule fördert vielmehr die sittlich-religiöse Erziehung, indem sie ihre Schüler zur Achtung gegenüber fremden Ueberzeugungen erzieht und so zu einer Pfleg- stätte der Religion, der Liebe und der gegenseitigen Duldung wird. 3. Die Frage der Errichtung von Simultanschulen ist weniger eine religiöse, als eine nationale, soziale und pädagogische. Durch die Simultanschule kommt die nationale Einheit unseres Volkes am treffendsten zum Ausdruck; sie ist das getreue Abbild des paritätischen Staate? und der modernen sozialen Gemeinschaften und entspricht daher ihrem Wesen und ihren Anforderungen in erhöhtem Maße. 4. In allen Orten mit konfessionell gemischter Bevölkerung bietet die Simultanschule wesentliche pädagogische Vorteile, in- dem sie a) die Errichtung vollentwickelter Schulsysteme; b) eine bessere unterrichtliche Versorgung der Kinder der kon- fessionellcn Minderheit selbst bei geringeren finanziellen Aufwendungen;. c) die Erfüllung berechtigter Forderungen der Schulhygiene durch den Besuch der nächstgclcgenen Schule ermöglicht. 6. Für alle Staaten, in denen die Simultanschule noch nicht durch Gesetz anerkannt ist, ist daher mindestens die Gleichberech- tigung der Simultanschule mit der Konfessionsschule zu fordern. 6. Die Voraussetzung der Simultanschule bilden konfessionell gemischte Lehrerbildungsanstalten und eine vom Staate ausgeübte faHmännische Schulaufsicht. Die Wahl dieses Themas, führte der Redner aus, ist keine zufällige. Die Frage der Simultanschule bildet die Fortsetzung der Verhandlungen des letzten Lehrertages über die allgemeine Bolls- schule. Sucht jene bei aller Achtung der historisch gewordenen Stände die sozialen Gegensätze zu mildern, so hat diese die Auf- gäbe, zwar die religiösen Anschauungen als! ein unantastbares Gut z» achten, aber zur Beseitigung der allzu scharfen konfessionellen Kanten beizutragen.(Beifall.) Außerdem aber bildet die Simultan- schule eine wichtige pädagogische Zeit- und schulpolitische Streit- frage, die im Vordergründe der öffentlichen Besprechung steht. Alle politischen Parteien stehen heute in Gefechtslinie für oder gegen die Simultanschule. In Bayern hat man die Schulbedarfsfragc und in Preußen den sogenannten Kompromißantrag mit der Simultanschulfrage verquickt, da die reaktionären Parteien die Ge- pflogenheit haben, nur mit der einen Hand etwas zu geben, wenn sie mit der anderen dafür etwas empfangen. Angesichts dieser Tat- fachen haben auch die Lehrer die Pflicht, zu der Simultanschule öffentlich Stellung zu nehmen, wenn cZ sich auch um eine in Ungnade gefallene Schulform handelt.(Lebhafte Zustimmung.) Die Gegner der Simultanschule beschuldigen selbst die mildeste Form derselben, daß sie den Eingang zur konfessionslosen und religionslosen Schule bildet. Diese Behauptung ist durch die Ge- schichte der Simultanschule widerlegt.(Zustimmung.) In Nassau besteht sie bald 100 Jahre, ohne daß der Religionsunterricht ge- strichen worden ist.(Sehr richtig!) Eine Umfrage im deutschen Lchrerstande würde sicherlich eine erdrückende Mehrheit dafür er- geben, daß der Religionsunterricht der Schule erhalten bleibt. (Stürmischer Beifall.) Die Schule darf auf die religiöse Erziehung nicht verzichten. Die erste These fordert den gemeinsamen Profan- Unterricht mit getrenntem Religionsunterricht. Damit wird den einzelnen Konfessionen in der weitgehendsten Weise entgegen- gekommen(Beifall.) Wenn die Gegner trotzdem behaupten, die Simultanschule zeitige den religiösen JndifferentiSmuS, so ver­wechseln sie Religion und Konfession.(Lebhafte Zustimmung.) Gerade die Simultanschule soll zur Versöhnung konfessioneller Gegensätze beitragen. In einer Simultanschule kann cS religiöser zugehen als in einer Konfessionsschule.(Stürmischer Beifall.) Andererseits ist eine zeitgemäße Reform des Religionsunterrichts notwendig. Weshalb ruft keine andere Schulfrage die Leiden- schaften so wach wie die Simultanschulfrage. Die Konfessionsschule wird alS Wahrzeichen der rückschrittlichen, die Simultanschule als Symbol der fortschrittlichen Tendenz angesehen. Jene gilt als Eck- Pfeiler der bisherigen Schule unter geistlichem Regiment, diese als der Grundstein der künftigen einheitlichen Nationalschule.(Leb- hafter Beifall.) ES ist daher ein heißer Prinzipienkampf. DaS Schlagwort: Hie christliche Weltanschauung, hie Atheismus" ist ein Ausfluß dieses Streites. Aber in Wirklichkeit stehen sich hier Kirchenpolitik und Schulpolitik gegenüber.(Lebhafter Beifall.) Die Kirche will nicht stur den Religionsunterricht, sondern das ganze Schulwesen beaufsichtigen, die Schule dagegen will nicht unter der Kirche stehen, sondern neben ihr ein selbständiger Organismus sein, der mit ihr die Erziehung des künftigen Geschlechtes besorgt.(Beifall.) Die Gegner der Simultanschule gehen von dem Grundsatz aus, daß der Religionsunterricht den Mittelpunkt des gesamten Unterrichts zu bilden hat. und die übrigen Gegenstände wie Radien von dem religiösen Zentrum auslaufen, von ihm durchdrungen sein müssen. Wo das nicht geschieht, stellen sie den Charakter einer Schule als Erziehungsanstalt in Frage. Der Religionsunterricht darf bei all seiner Bedeutung nicht auf alle übrigen Unterrichtsgegenstände be- stimmend einwirken. In einer deutschen Volksschule muß doch auch dem deutschen Unterricht ein hervorragender Platz eingeräumt werden; oder die Schule verdient ihren Namen nicht.(Stürmischer Beifall.) ES ist sehr bequem, die Schule für alle sittlichen Auswüchse haftbar zu machen. Wir haben durchweg die Konfessionsschule mit geistlicher Leitung, und doch wird gerade von dieser Seite am lautesten über die Verrohung und Verderbtheit der Jugend von heute geklagt. Würde das zutreffen, so wäre das ja eine vernichtende Kritik der bisherigen Konfessionsschule unter geistlicher Leitung. (Lebhafter Beifall.) Weiter wendet man ein, daß in der Simultanschule zwei Welt- anschauungen nebeneinander bestehen und der Schule mithin der einheitliche Geist fehle. DaS ist unzutreffend, ebenso wie die Be- hauptung. daß die Simultanschule den religiösen Frieden störe und eine Brutstätte der konfessionellen Verhetzung sei. Gerade im Gegenteil aber werden in ihnen Gleichberechtigung, Achtung und Duldung aller gepflegt. DaS könnte doch nur vorkommen, wenn im Religionsunterricht andere Konfessionen lieblos behandelt werden würden. Dann aber trifft nicht die Schule, sondern den betreffenden Geistlichen die Schuld.(Zustimmung.) Wir bleiben dabei: Die Simultanschulen sind Heimstätten des Friedens, Anstalten der Er- ziehung zur Toleranz. AuS den Urteilen der Eltern über den Wert der Simultanschule können wir den Schluß ziehen, daß sie sich durchaus bewährt hat. Die Simultanschule bietet auch wesentliche Vorteile zunächst in nationaler Beziehung. Der paritätische Staat und die sich immer mehr ausdehnende Anschauung von der sozialen Gemeinschaft be- darf der Schule mit simultanem Charakter. Redner bespricht dann die Simultanschulfrage in bezug auf hygienische, finanzielle und pädagogische Vorteile. Die conditio sine qua non für die Simultanschule sind dir simultanen BildungS- anstalten und die Fachaufsicht. Man sollte meinen, daß ein Lehrer. welcher nur mit einem Tropfen pestalozzischen OeleS gesalbt ist, beim Anblick eines Kindes sich nicht erst die Frage vorlegt: Ist dasselbe katholisch, protestantisch oder israelitisch.(Beifall.) Wenn die Staatsbeamten und selbst die Geistlichen Mittelschulen mit simultanen Charakter durchlaufen, ohne daß ihre religiöse Ge- sinnung darunter leidet, warum müssen dann die Volksschüler allein in konfessioneller Einseitigkeit erzogen werden?(Stürmischer Bei- fall.) Die Verhältnisse drängen zur Simultanschule. Sie kommt daher so sicher als der Frühling auf den Winter folgt. Sie muß kommen, denn sie ist und bleibt die Schule der Zukunft.(An- haltender Beifall.) Vom allgemeinen deutschen Schullehrerinnenverein wird für morgen Abend eine Protestversammlung gegen die gestrigen Be- schlüsse des Lehrertages veranstaltet. Hierauf ergriff Lehrer Lütgemeier- Haiden(Lippe) daS Wort zu seinem Vortrage über: Die Konfessionsschule. Er leitet sein Referat ein mit den Worten:Laßt unS unseren Kindern leben!" Die staatliche Schule kann das Glück der einzelnen und das Wohl der Gesamtheit gleichzeitig ins Auge fassen, wenn ihre Grund- läge der Glaube an eine sittliche Weltortmung ist. Auf der Grund- läge deS Glaubens soll sie tüchtige Staatsbürger erziehen. Der Staat bedarf der starken Charaktere, die Widerstand leisten gegen die eigenen Begierden und Schwächen, dann aber auch gegen äussere und innere Feinde. Der Staat bedarf der sittlichen Persönlichkeiten. Durch diese Aufgaben wird die Schule auf ein dem Staate fremdes Gebiet gewiesen: auf die Religion. Auch die Kirche bedarf der Schule nicht minder wie der Staat. Redner wendet sich dann zugunsten der konfessionellen Staatsschule gegen die reinen Kirchenschulen. Wer die Kirchenschule nicht wünscht. muß für die staatliche Schule die Forderung erheben, daß sie billigen Ansprüchen der Kirche genügt, daß sie dem religiösen Leben eine ihm entsprechende Pflege nicht versagt. Die Anhänger der Simultanschule jammert der konfessionelle Ritz, und sie wollen diesen Riß nicht allzusehr hervortreten lassen. Sie machen daher mitten durch die Schularbeit einen Schnitt. Wir aber sind der Meinung,