Nr. 183. 23. IahrMg. L Knlize te " ßctlintt MlksdlM Dienstag, 12. Juni 1906. Die Revolution in Rutzland. Aus der Duma. Petersburg, 11. Juni. Zu Anfang der Sitzung ereignete sich ein kleiner Zwischenfall. Der Deputierte Vozovik nahm das Wort zur Tagesordnung und beantragte, daß die Duma ihre Sitzungen nicht schließen solle, bevor sie nicht ein Agrargesetz, ein Gesetz über die bürgerliche Gleichberechtigung, die Freiheit des Wortes und die Abschaffung der Todesstrafe angenommen habe. Der Präsident er- klärt, dieser Antrag könne auf dem von der Geschäftsordnung vor- geschriebenen Wege eingebracht werden, aber nicht zur gegenwärsigen Tagesordnung. Der Redner verläßt hierauf, ohne feine Rede zu beenden, die Tribüne, und das Haus geht, ohne eine Entscheidung zu treffen, zur Fortsetzung der Wahlprüfungen über. In einer Debatte über das Reglement der Duma erhebt Graf Heyden Einspruch gegen die Ausführungen des konstitutionellen Demokraten Professor Schtschepkin, der darzutun versucht habe, daß die Parlamentsmehrheit stets das Recht habe, die Minderheit zu unterdrücken. Graf Heyden sagt, die Mehrheit sei veränderlich; er verspreche, wenn seine Partei stärker sei, humaner gegen Schtschepkin sein zu wollen. Er erinnere an die römische Geschichte. Es sei immer jemand aufgetreten, der den Triumphator getadelt habe, damit er sich nicht zu sehr brüsten konnte. Verschiedene kon- slitutionelle Demokraten erklären namens ihrer Partei, sie würden niemals die Minderheit zu unterdrücken versuchen, sondern deren Rechte achten.— Die„Freiheiten" der Duma. 1. Da seit dem Beginn der Agrardebatten in der Reichsduma zwischen den Reichsdumaabgeordneten und ihren Wählern ein ge- steigerter Depeschenverkehr in ziemlich freier Sprache stattfindet, so erließ der russische Minister des Innern an alle Chefs der Tele- graphenämter ein Geheimzirkular,.revolutionäre" Depeschen an Reichsdumamitglieder nicht anzunehmen und umgekehrt solche an die Bauern zurückzuhalten!!— 2. Auf Anordnung des Ministers Stolypin werden die 14 Reichs- dumamitalieder der Arbeiterpartei, die kürzlich den bekannten Auftuf erlassen haben, scharf überwacht.— Die Agrarfrage«ud die Sozialdemokratie. Die Agrarftage in Rußland ist vorwiegend die Frage des Bodenmangels der Bauern. Ihr Ursprung dosiert noch vom Jahre 1861, dem Jahre der„großen Reform", die den Bauer zwar persön- lich befteite, aber seinen Bodenbesitz um mehr als ein Fünftel reduzierte. Seit der Zeit aber hat sich die bäuerliche Bevölkerung mehr als verdoppelt, und so kommt eS, daß der größte Teil der Bauern nicht einmal genug Boden zur bloßen Ernährung hat und eS als Glück preisen muß, wenn ein benachbarter Gutsbesitzer zu einem horrenden Pachtzins ein Stückchen Boden zur Verfügung stellt. Drückende Steuerabgaben, hoher Pachtzins, äußerst niedriges Niveau landwirffchaftlicher Technik, Viehmangel, hohe Parzellierung usw. lassen oas Hauptübel— den Bodenmangel— noch schärfer hervortreten, und so wird er die Quelle des Hungers und der Ver- elendung von'/« der Bevölkerung. Demgemäß nimmt die Agrarfrage in den Programmen aller politischen Parteien— von der äußersten Rechten bis zur äußersten Linken— einen hervorragenden Platz ein. Auch die Sozialdemo- kratie beschäftigt sich längst eingehend mit dieser Frage, und auf dem kürzlich abgehaltenen sogenannten„Vereinigungsparteitag" war die Agrarfrage der Gegenstand lebhafter Diskussionen. Das aus ihnen hervorgegangene Agrarprogrannn zerfällt seinem Inhalte nach in drei Teile: Der erste Teil betrachtet die soziale und die positische Lage des russischen Bauern und verlangt die Abschaffung aller jener halbfeudalen Zustände, die den Bauer dem Gutsbesitzer gegenüber zum halben Hörigen machen und eS verschulden, daß der Bauer unter den rechtlosen russischen Untertanen der rechtloseste und am brutalsten niedergedrückte ist. Der zweite und dritte Teil, die das eigentliche Agrarproblcm behandeln, stellen sozusagen Maximal- und Minimalfordcrungen auf. Als Maximalfordcrung gilt die Uebergabe aller Krön-, Fiskus-, Kirchen- und Klösterländereien in die Hände der auf demokratischer Basis gewählten Selbstverwaltungsorgane. Die Durchführung dieser Forderung ist an die Bedingung einer durchgreifenden Demokratisierung des Staates geknüpft, mit anderen Worten: an den Sieg der Revolution. Die Minimalforderung verlangt Aufteilung zwischen den Bauern, und zwar Austeilung desjenigen Teiles des Privatbesitzes, der jetzt schon So laoto von ihnen bebaut wird. Dieses hier in kurzen Worten wiedergegebene Programm hat nun nicht ungeteilte Zustimmung in allen Kreisen der Sozialdemo- kratie Rußlands gefunden. Der Rahmen unseres Blattes gestattet eS nicht, alles wiederzugeben, was in dieser wichttgen Frage für und Wider vorgebracht wird. Wir beschränken uns daraus, diejenigen Gründe anzudeuten, die am häufigsten gegen die Munizipalisation als solche ins Feld geführt werden. Deren Gegner betonen vor allem: die Munizipalisation des Bodens werde der Bourgeoisie, die in den neugeschaffenen Selbstverwaltungen zweifellos das Uebergrwicht haben werde, eine neue mächtige Stütze in ihrem Kampfe gegen das Bauerntum und das Proletariat verleihen, was eine Gefahr'für den Demokratismus bedeute. Ferner könne das Verpachten des munizipalisierten Bodens das Vordringen des landwirtschaftlichen Kapitalismus nicht verhindern, und der kleine Parzellenbauer würde gezwungen sein, um mit dem wirtschaftlich stärkeren Kapitalisten konkurrieren zu können, den an die Munizipien zu entrichtenden Pachtzins bis an die äußersten Grenzen seiner eigenen Leistungsfähigkeit hinaufzuschrauben. Auf diese Weise würde er bei der ganzen Bodenreform nichts gewinnen, da eS ihm ja schließlich gleich- gültig sein könne, w e m er den hohen Pachtzins zu bezahlen habe: dem Gutsbesitzer oder den Munizipien. Wenn man auch von diesen und anderen theorettschen Bedenken absieht, so ist doch noch sehr fraglich, ob daS Prinzip der Munizi- palisation unter der Bauernschaft festen Fuß fassen wird. Derjenige Teil, der daS Privateigentum verficht, wird dafür nicht zu haben sein; diejenigen aber, die den Grundsatz:„Die Erde gehört niemandem" vertteten, sprechen sich einssimmig für das einfachere, leichter faßliche Prinzip der Nationalisation auS. Hat die russische Sozialdemokrasie auch noch keine ganz unver- •ückbare Richtschnur für ihr Verhalten gegenüber der Agrarfrage finden können, so darf man doch sagen: Die vorwärtsschreitende ökonomische Entwickelung Rußlands wird ihr dazu verhelfen, die bei einem so schwierigen und komplizierten Problem— wie die Agrar- frage in Rußland — geradezu unvermeidlichen Unklarheiten und Inkonsequenzen zu beseitigen und ihre richtige Lösung herbeizuführen. Unruhen allenthalben. Bei den Warschauer Unruhen am Sonnabend wurden K Personen getötet und 18 verwundet. Das Kriegsgericht verurteilte 1 politische Gefangene zum Tode.. In Bjalystok wurde der Polizewmster auf der Straße erschösse», in Siedlec wurden dar Bürgermeister und der Vorsteher der Kanzle» de« Gouverneurs lebensgefährlich verwundet. In beiden Fällen sind die Täter entk..- Riga , 10. Juni. (B. H. ) Der Baron Pinne lourde in der Nähe von Bunske von Revolutionären ermordet. Die intellektuellen Be- völkerungskreise Kurlands haben die Absicht, eine Depesche an den Zaren zu senden, welcher gebeten werden soll, die Behörden an- zuweisen, nunmehr rücksichtslos gegen die Revolutionäre vorzu- gehen. „Nekrolog." Man schreibt uns: Zu den unbekannten„Größen" des„Gottes- ländchens" gehört unzweifelhaft der am 3. d. M. in Windau auf offener Straße lieben den, Polizeipräsidium von einem Unbekannten erschossene Kreischef Braun. Sein tragisches Ende wird jedem Menschenfreunde einen tiefen Seufzer— der Erleichterung ent- locken und dürfte den zahlreichen überlebenden scharftuachenden„echt russischen Patrioten' von baltischem blauen Blute ein lautes warnendes mewento mori zurufen. Treu den Weisungen der Ritterschaft bekämpfte der Verstorbene in seinem umfangreichen Dienstbezirk mit allen ihn» zu Gebote stehenden gesetzlichen und ungesetzlichen Mitteln die sreiheitliche Be- wegung, in welcher er eine Untergrabung der feudalen Privilegien der Freiherren erblickte. Dank seiner unmenschlichen Strenge wurden von der entfesselten Soldateska in diesen» sonst blühenden und ruhigen Kreise im Laufe weniger Wochen auf Befehl der Barone und der sogenannten„Feldgerichte" mehr als 200 unserer Genossen ermordet und zirka 280 Personen(darunter schwangere Frauen und Kinder!) bis zur Besinnungslosigkeit von den Kosaken geprügelt. Diesem Manne unheilvollen Andenkens haben es die durch Steuern und Kontributtonen verarniten Bauern des Dondangenschen Kirch- spiels zu verdanken, daß 60 ihrer besten Höfe von den Ulanen ihrer Majestät unter Führung des scheußlichen Barons Sievers durch Artilleriefeuer den, Erdboden gleich gemacht wurden. Man niuß gestehen, solche„Heldentaten" sind nicht vielen unserer Generale im letzten Kriege gelungen. Nicht umsonst rieben sich die blut- dürstigen Barone vergnügt die Hände und sangen spaltenlange Hymnen dem schneidigen rücksichtslosen Borgehen des Herrn Braun in ihrem berüchtigten Leiborgane, der sauberen„Düna-Zeitung". Man braucht wirklich kein verblendeter Anarchist.zu sein, uin die baltische„Kanipsesorganisation" zu diesem voll gelungenen Akt .u beglückwünschen. Jeder Einsichtige wird eben einsehen, daß es sich ier durchaus nicht um einen bloßen Racheakl für begangene Verbrechen gegen das Volk handelt, sondern lediglich um einen notwendigen Schritt der Notwehr und des Selbstschutzes in einer Zeit, wo jeder andere Schutz gegen Beamtenwillkür versagt und Leute von dein Schlage des Gerichteten mit dem Leben der armen Bevölkerung nach Belieben spielen können. Nicht die Freiheitskärnpfer sind es. sondern die Regierung ist es, die das Land terrorisiert und jeden Begriff von Recht und Gesetz illusorisch gemacht hat. Als die Staatsregieruna die Peiniger der Spiridonowa trotz der Proteste der Gesellschaft nicht nur nicht besttafte, sondern noch auszeichnete, mußten die Freihcitskäinpfer die Funkttonen der strafenden Nemesis übernehmen und die Gewalttäter beseisigen. Dieselbe Mission hat iin Falle Braun die Kanrpfesorganisation vollführt zum Segen des schwer geprüften Windauschen Kreises. Möge dieser Akt den Machthabern Kurland ? Wenning dienen! Die Bestialität der Reaktion wird in neue grelle Beleuchtung gerückt durch einen de» die Moskauer Rote Kreuz-Gesellschast an die ani 11. Juni zu Gens zu- sanimenttetende internationale Konferenz der Ber- treter vom Roten Kreuz richtet. In diesem Appell, der sich speziell auf die Moskauer Borgänge be- zieht, wird eine ganze Reihe von Tatsachen aufgeführt, wie das Rote Kreuz- zeichen seitens der russischen Triippen und Administrativpersonen nicht nur nicht respektiert, sondern im Gegenteil stets mit besonderer Er- bitterung beschossen wurde. Die Abteilungen vom Roten Kreuz, die sich der Verwundeten auf den Straßen annahmen, waren immer besonders die Zielscheibe für Gewehr- und Artilleriefeuer, und die Mitglieder der Roten Kreuz-Gesellschast wurden bei ihrem Samariter- werk von der Polizei und Gendarnierie verhaftet. Ueberhaupt wurde jeder Versuch der freiwilligen Roten Kreuz- Organi- satton, auf dem Felde des revolutionären Kainpfes beiden Parteien Hülfe zu leisten, gänzlich paralysiert, während die Vertreter der offiziellen Roten Kreuz-Gesellschast nur den Militär- und Administrativpersonen halfen. Dadurch kam eS, daß nicht nur Leichen, sondern auch schwerverwundete Revolutionäre wie unschuldige Passanten, die verwundet waren, mehrere Tage auf den Straßen liegen blieben. Um solche Mißstände in Zukunft zu venneiden, wird die internationale Konferenz aufgefordert, die Tätigkeit der frei- willigen Abteilungen vom Roten Kreuz während der inneren Konflikte im Lande zu regulieren. Alltägliches. Wir enwehmen der„Nascha Schisn" einige alltägliche Bilder aus dem russischen Leben während der„Konstitution". In Lodz durchzieht die Mkolaistraße ein Trupp Soldaten mit einem Musilorchester. Wie in aller Welt, läuft auch hier ein großer Haufe von Knaben mit und ist in hellem Entzücken von dem kosten- losen Schauspiel. Plötzlich— eine Salve I ES entsteht eine Panik. ein Entsetzen, ein Rennen. Einige fallen sofort. Unter ihnen Kinder. Es erwieS sich, daß eine Kosakenpatrouille mit einem Schutzmann an der Spitze in die Menge geschossen hat. Er dachte, daß er eine Demonstration vor sich hätte, und verfügte ohne weiteres, in den Haufen zu schießen. In dem Dorfe Passin des Witebsker Gouverneinents überfielen Dragoner eine jüdische Synagoge beim Beginn des Gottesdienstes, da sie diese Versammlung für ein revolutionäres Meeting an- nahmen. Ein Teil der Dragoner umringte die Synagoge, der andere drang in sie hinein und begann ein wüstes Treiben, schlug mit den Säbeln nach allen Seiten um sich usw. Die Frauen sprangen von ihrer oberen Abteilung nach unten. Wie der„Narodni Westnik" berichtet, gab es eine Menge Schwerverwundeter und Verstümmelter. »»» Im Flecken Jagotina versamnielten sich in ihrer Bibliothek friedliche Zionisten. DaS Gebäude der Bibliothek wurde sofort von einem Revieraufseher und von Kosaken umringt; sie begannen die Versammelten zwecks Aussagungen herauszurufen und stellten einen Kosaken als Posten an die Tür. Als erste wurde die Tochter des Kaufmanns Manilowitsch gerufen. Sie wurde von einer Nagaika begrüßt. Auf Befehl des RevierauffeherS schlug ein Kosak ihr dreimal mit derselben auf den Kopf. Die anderen beschlossen deshalb, nicht hinauszugehen. Der Revieraufseher schrie:„Ich werde zu schießen befehlen." Die Antwort war:„Entfernen Sie den Kosaken und ivir ver- lassen die Bibliothek." Der Revieraufseher wiederholte noch einmal seinen Ausruf und gab dann den Befehl zu schießen. Die Kosaken erfüllten sofort den Befehl. DaS Resultat ist nach den Nachrichten deS„Kolokol": 2 Tote, 4 Schwer- verwundete und 4 Leichtverwundete. »* In Saratow gingen auf der Nikolaistraße um 10 Uhr abends zwei junge Mädchen. An der Ecke der Sawodskisttaße sitzt ein Wächter und ein Schutzmann. Als die Mädchen vorbeigehen wollen, fragt der Schutzmann den Wächter: „Soll man sie anschießen?" „LoS damit!" Der Schutzmann erhob sich und gab einen Schuß ab. Die Kugel durchdrang den Aermel der Bluse und verwundete die Hand. Das Schicksal der Matrosen deS„Potemkin". Wie wir der„Nascha SchiSn" enwehmen. erhält sie folgende Auskünfte über die Matrosen, die im vorigen Jahre in Odessa auf dem Panzerschiffe„Fürst Potemkin- TawritscheSki" meuterten: 60 von den Matrosen kehrten zu verschiedenen Zeiten nach Rußland zurück und wurden dein Gericht als Meuterer überliefert; gegen 800 Matrosen sind auf englischen und rumänischen Handelsschiffen in Dienst getreten, ein Teil der Matrosen übersiedelte nach Amerika , einige gingen nach der Schweiz , zwei Matrosen dienen beim eng- lischcn Konsul in Galatz und die übrigen, 300 an der Zahl, arbeiten auf dem Lande, in Fabriken und großen Werkstätten. Zurzeit wird von den Mattosen des„Potemkin" eine genossenschaftliche Kasse ge- gründet, die alle arbeitslosen Matrosen unterstützen soll. Verdächtiges Dementi. Mit verdächtiger Geschäftigkeit werden die Meldungen über die geplante Aufnahme einer neuen russischen Auslandsanleihe dementiert. Mit ebenso verdächtiger Geschäftigkeit wird offiziell abgeleugnet, daß der russische Staatskredit von ausländischen Bankiers abfällig be- urteilt werde. Man iveiß, was man von solchen„Dementis" zu halten hat. Ein internationaler Arbeiterkongreß. London , 9. Juni. (Eig. Ber.) Am dritten Kongreßtage präsi- dierte Sachse, an» vierten der Anierikaner White. Im Namen des britischen Verbandes stellte Ouions folgenden Anttag:„Der Kon- greß ist der Ansicht, daß das Prinzip eines Mini mallohnes von allen Ländern angenommen werden soll." In England bestehe bereits seit 1893 ein Minimallohn, und seit den letzten Jahren auch in Schottland und Wales . Die Bedeutung des Minimallohnes zeige sich besonders in Zeiten der Depression. Früher konkurierten die Unternehmer in Zeiten des Gcschäftsniederganges auf Kosten der Arbeiter, deren Lohn reduziert wurde. Heute sei diese Konkurrenz unmöglich. Durch die Festsetzung und Aufrechterhaltung eines Minimallohnes werde den Bergleuten jährlich eine Lohnsumme von 6 Millionen Pfund Sterling gerettet. In England beträgt der Mintnwllohn der Bergleute 6,60 M,, in Schottland 5,50 M. Der deutsche Delegierte Krause brachte einen ähnlichen An- trag ein und erklärte, der Durchschnittslohn der deutschen Bergleute sei 3,75 M.; es gebe auch Distrikte, wo der Wochenlohn zwischen 12 und 16 M. schwanke. Dazu komme die Erhöhung der Lebens- mittelzölle, die die Existenz der Arbeiter noch erschwere. Die Franzosen hatten einen ähnlichen Antrag gestellt, nur wollte» sie den Minimallohn gesetzlich festlegen, während die Deutschen und Briten ihn durch Uebereinkommen zwischen Arbeitern und Unternehmern festlegen wollten. Die Franzosen ließen sich nach einiger Diskussion herbei, das Wort gesetzlich zu streichen, worauf alle drei Resoluttonen angenommen wurden. Der amerikanische Delegierte stellte den Antrag auf Ein- führung von Einheitskarten, so daß eS den Mitgliedern möglich wird, bei Auswanderung nach einem fremden Lande sich da ohne weiteres der Gewerkschaft anzuschließen. Diese Einheits- karten sollen denjenigen Mitgliedern ausgestellt werden, die entweder auf den zwei letzten internationalen Bcrgarbeiterkongressen ver- treten waren oder für mindestens ein volles Jahr Beiträge gezahlt haben. Gegen diesen Antrag sprach Effert, der Delegierte der Christ- lichen, da die Annahme dieses Antrages seinen Gewerkverein aus zwei Jahre hinaus entrechten werde. Das Auftreten Efferts gab gleichzeitig dem Kongresse Gelegenhett, sich über das Wesen des christ- lichen Gewerkvereins zu informieren, wobei es sich zeigte, daß ihr Abgesandter, der nach CourrivreS geschickt war, um die Bergleute zu unterstützei», dort mit den„gelben" Gewerkvereinen in Ver- bindung getreten ist. Efferts erklärte sodann, daß der Abgesandte gegen die Jnstrukttonen gehandelt habe, die ausdrücklich lauteten, die„Gelben" zu meiden. Schließlich wurde der Antrag der Ameri- kaner gegen die Stimmen der Christlichen angenommen. Die französische Delegation stellte den Antrag auf Einführung von Alterspensionen. In den französischen Departements des Nordens und des Pas-de-CalaiS bestehen Alterspensionen seit dem Jahre 1903; ein Bergmann , der dort 30 Jahre arbeite und 55 Jahre alt werde, erhalte eine Pension von 440 M. jährlich; in den andereil Teilen Frankreichs sei die Pension geringer, so daß der Staat 800 000 M. Zuschuß leiste. Die Resolution wurde an- genonimen. Der belgische Delegierte Maroille stellte den Anttog auf Ber- staatlichung der Minen. Der deutsche Delegierte Schlosser unterstützte den Anttag und fügte hinzu, daß die Verstaatlichimg allein nicht genüge; es müsse die Demokratisierung der staatlichen Einrichtungen hinzukommen, um den Arbeitern die Wohltaten der Verstaatlichung zukommen zu lassen. Der christliche Delegierte Effert erklärte, der von ihm verttetene christliche Gewerkverem sei in bezug auf diese Frage nicht einig. Die Behandlung, die den 70000 staatlichen Bergleuten zu teil werde, wirke nicht ermuttgend auf den Gedanken der Verstaatlichung. Deshalb werde seine Delegation sich der Abstimmung enthalten. Ebenso enthielt sich die amerikanische Delegation, da sie keine Jnstruktton hat. Die übrigen Delegierten stimmten für die Resolution. Der deutsche Delegierte Hoffeld stellte den Anttag auf Aus- dehining der Versicherimgsgesetze, um jedem in seinem Berufe in- valid gewordenen Arbeiter eine genügende Pension zu gewähren. Der Anttag wurde angenommen. Die Schlußsitzung am Freitagnachmittag war geheim. Sie be- schäftigte sich mit der Regulierung der Kohlenausbeute, besonders mit den ausländischen Kohlenlieferungen nach einem Lande, wo die Bergleute sich im Streik befinden. Es wurde ein Antrag angenommen, daß es die Pflicht der Bergleute sei, alles zu unterlassen, was einen Streik brechen könnte. Die Einladung der österreichischen Delegation, den nächsten Kongreß in Salzburg abzuhalten, wurde angenommen. Elfte Gtneralvtrsmmlullg des Zeutralvelbandes der Schuhmacher Deutschlands . Nürnberg , 11. Juni. Im Bürgersaale zu Nürnberg traten heute, am 11. Juni, die Delegierten des Zentralverbandes der Schuhmacher Deutschlands zu den Verhandlungen der elften ordentlichen Generalversammlung zusammen. Angemeldet sind 76 Delegierte; der Vorstand ist vertreten durch den ersten Vorsitzenden Simon und den Hauptkasfierer Reuß (der Sekretär Kölle ist kurz vor der Generalversammlung aus dein Bureau ausgetteten), der Ausschuß durch Haupt-Magdeburg, das Fachblatt durch Bock-Gotha. Der Generalversammlung liegt ein ausführlicher Bericht des Vor- standeS und der Gauverwaltungen gedruckt vor. Bezüglich der Lohnbewegungen und Streiks wird bemerkt, daß, von einer zweitägigen Aussperrung in Dresden abgesehen, der Ver- band in den zwei Berichtsjahren von Aussperrungen verschont ge- bliebeu ist. Lohn- und Streikbewegungen fanden an 239 Orten in 1137 Be- trieben statt, an denen 14 547 Personen beteiligt waren. 155Bewegungen mit 7725 Beteiligten wurden durch Verhandlungen ohne Sttcil erledigt, während eS in 84 Orten mit 6824 Beteiligten, die sich aus 552 Bettiebe verteilten, zum Streik kam. Bei diesen Stteiks wurden 268 247 M. Streikunterstützung ausgegeben. Erreicht wurden fü, 2318 Personen 12 474 Stunden Arbeitszeitverkürzung und fül 3551 Personen 6191 M. Lohnerhöhung pro Woche, das ergibt pro Jahr, das Jahr zu 50 Woche» gerechnet, 623 700 Stunden Arbeitszeitverkürzung und 309 550 M. Lohnerhöhung. Jeder der Beteiligten hat somit im Durchschnitt pro Jahr 26g Stunden
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten