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Nr. 138.

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Vorwärts

Berliner Volksblatt.

23. Jahrg.

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Telegramm Adresse: ,, Sozialdemokrat Berlin".

Zentralorgan der fozialdemokratifchen Partei Deutschlands .

Redaktion: S. 68, Lindenstrasse 69.

Fernsprecher: Amt IV, Mr. 1983.

Der 17. internationale

der

Bergarbeiterkongreß.

Man schreibt uns aus London :

Sonntag, den 17. Juni 1906.

Expedition: S. 68, Lindenstrasse 69.

Fernsprecher: Amt IV. Nr. 1984.

Regimeutern und den kommandierenden Rosaten ist ein Regiment aus Brest Litewsk zur Assistenz bei den Mezeleien hinzugezogen worden. Allgemeine Panit ergreift auch die Nachbarstädte.

Von Bialystok nach Grajewo zurückgekehrte höhere Zoll­beamte erzählen, sie hätten selbst gesehen, wie Poilzeibeamte den Mordbanden vorangingen. Die Christen waren vorher gewarnt und aufgefordert worden, in ihre Fenster Heiligenbilder zu stellen. Russische Offiziere teilen mit, daß niemand während der Prozession eine Bombe geworfen habe, vielmehr habe die Prozessionsmenge Fenerwerk explodieren lassen, was die Polizei als Signal zur Metzelei benutzte. Durchreisende wurden wieder­holt aus dem Zuge herausgeschleppt und in Gegenwart der Gendarmen und Soldaten von Hooligans totgeschlagen. Juden werden aus Bialystok nicht herausgelassen. Die Vorgänge sollen jeder Beschreibung spotten.

Sofortige Schritte beim Ministerium hatten zwar die beruhigendsten Versicherungen zur Folge, tatsächlich aber sind keine Maßregeln zum Schuße der Bevölkerung ergriffen worden. Soeben telegraphiert der Stationschef von Bialy­ stok an die Warschauer Eisenbahnverwaltung in Petersburg , daß die Militärbehörden die Station ohne Schuh gelassen hätten. Banden von Plünderern überfielen die im Passagier­zug Ankommenden und Vorbeifahrenden.

Hier ist die Nachricht eingelaufen, daß Bialystok in Flammen stehe. Eine Bestätigung von zuverlässiger Seite aus Bialystok selbst steht noch aus. Das Berliner Tageblatt" erhielt folgende zwei Privat­Telegramme:

"

sondern auch konservative Parlamentsmitglieder in der letzten Zeit der Arbeitersache dienen wollen, sollte dem noch halb schlummernden englischen Riesen die Augen öffnen über die Macht, die in ihm ist. Die Debatte legte auch wieder das un­erquickliche Verhältnis bloß, das zwischen der Häuern und ihren jugendlichen Hülfsarbeitern in den beiden nördlichen Grafschaften Englands existiert. Man weiß, daß die Grubenarbeiter der beiden Wer die Bergarbeiterbewegung der letzten Jahre verfolgte Grafschaften Northumberland und Durham ( bei den letzteren und Gelegenheit hatte, dem eben stattgefundenen internatio- findet übrigens eine Wendung zur besseren Einsicht statt) gegen nalen Kongreß beizuwohnen, wird sich nicht verhehlen können, ben gefeßlich festgelegten Achtstundentag sind, und die Miners daß etwas Neues im Werden begriffen ist, daß die mächtig Federation führt mit Recht diese Opposition auf die Tatsache heranwachsenden nationalen Verbände anfangen, ihre feit zurück, daß, während die Häuer in den Gruben Nord- Englands 17 Jahren bekundete Gesinnung allen Ernstes durch die nur 5/2, 6 und 612 Stunden arbeiten, ihre jugendlichen Hülfs­Zat zu bekräftigen, Dinge, die bis vor kurzem noch in weiter arbeiter 10 Stunden arbeiten müssen. Dieses klassische Beispiel Ferne zu liegen schienen, gewinnen durch die Verhandlungen proletarischer Kurzsichtigkeit und der Wahrnehmung engherziger und speziell durch den Geist, der die Verhandlungen beseelte, Staſteninteressen sollte eine Warnung für jene sein, die das greifbare Formen, und die internationale Aktion, die gerade hohe Lied von der rein gewerkschaftlichen Organisation fingen. für die Bergarbeiter so vielversprechend ist und die schon im borigen Jahre durch die Gründung eines von den Deutschen Kongreß der Antrag gestellt, den internationalen Kongreß in Von den Deutschen und Desterreichern wurde auf dem vorgeschlagenen und zuerst von vielen Seiten mißbilligten Anbetracht der häufigeren Zusammenfünfte des internationalen internationalen Komitees einen fräftigen Anstoß bekam, scheint Somitees nur alle zwei Jahre stattfinden zu lassen. Der An­jekt der Wirklichkeit näher zu rücken. Allgemeine Befriedigung trag wurde aber abgelehnt mit der Begründung, daß es für über den guten Anfang, den das Komitee gemacht hat, und die internationale Bewegung von großem Vorteil sei, wenn sich Hoffnung auf seine fünftige Wirksamkeit gab sich fund. Der die Vertreter der verschiedenen Nationen einmal im Jahre Geist des Internationalismus und des Sozialismus begegneten und in allen das Wohl und Wehe der Bergleute Ein Telegramm des Hülfsvereins an die Kommerzbant trat in allen Debatten scharf hervor. Der Sozialist, betreffenden Fragen persönliche Fühlung nähmen. Ohne in Bialystok : ob die Mezeleien noch fortdauern, wurde am vor etlichen Jahren einen internationalen Berg- Zweifel war es von großem Vorteil für die deutsche Dele- Sonnabend früh 4 Uhr 50 Minuten mit" ja" beantwortet. arbeiter- Kongreß besuchte und die zuweilen sehr kurz gation, einmal nach England zu kommen und sich ein wenig fichtigen und engherzigen Ansichten der älteren englischen Berg im Lande umzusehen. Dieser Besuch war den meisten der Telegramm meldet: Ein etwa 8 Stunden später in Grajewo aufgegebenes arbeiterführer hören mußte, wird diesmal angenehm über Delegierten ein" eye- opener"( wörtlich: Augen- Deffner), wie rascht gewesen sein über die Sympathie und das Verständnis, die Amerikaner sagen. Was werden meine Kameraden das die jezigen maßgebenden Leiter der englischen Berg- fagen", meinte ein Bezirksleiter aus dem Ruhrgebiet , arbeiter den neuen Ideen entgegenbringen. Jedenfalls hat wenn ich ihnen von der Freiheit im öffentlichen Leben, die die Taff Bale- Entscheidung und der noch wichtigere, kürzlich hierzulande herrscht, erzählen werde! schließlich doch zugunsten der Gewerkschaft entschiedene Fall, einen Aufschneider nennen, wenn ich ihnen darlege, was ich Sie werden mich bei dem 3 000 000 M. an Gewerkschaftsgeldern auf dem Spiele mit eigenen Augen gesehen habe. standen, sehr heilsam auf die hiesigen Gewerkschaftsführer ein- mir Glauben schenken, wenn ich ihnen berichte, daß sich irgend Denken Sie, sie würden gewirkt. Als vor einigen Monaten die Arbeiterpartei in London jemand an eine Straßenecke oder auf einen der großen Pläze eine große Versammlung abhielt, um den eben errungenen glänzen in den zahlreichen Londoner Parts aufstellen und frei über den Wahlerfolg zu feiern, erklärten die Gewerkschaftsmitglieder alle Dinge in der Welt, über Religion und Politit, Philosophie des L. R. C., daß sie, die bis jetzt nur das Gewerkschafts- und Wissenschaft reden, Sozialismus predigen oder das Bater­wesen verstanden hätten, nun, da sie mit Sozialisten zu einer unser beten kann, ohne die Polizei um Erlaubnis zu fragen? Partei bereinigt seien, von diesen auch einen weiteren Blid Sie werden ungläubig lächeln, wenn sie erfahren, daß für das ökonomische und politische Leben zu lernen hofften. Die Hauptarbeit der hiesigen Polizei darin besteht, den Nun gehören zwar die Bergarbeiter zu dem rechten, dem riesigen Verkehr zu regulieren, Kinder und liberalen Flügel der Arbeiterpartei; aber es war auf diesem Personen über die durch das starke Getriebe gefährlichen Kongreß doch nicht zu verkennen, daß sie sich besonders von Straßenkreuzungen zu geleiten und die Kutschen der feinen den Deutschen und Amerikanern, die auf dem Kongreß durch Welt aufzuhalten, damit die Demonstrationszüge der Arbeiter die als Sozialisten wohlbekannten Führer vertreten waren, am ersten Mai und bei sonstigen Gelegenheiten ungehindert sehr beeinflussen ließen und ließen und daß sie sich stets be- auf ihrem Wege nach dem Hyde Park die fashionabeln Viertel mühten, den prinzipiellen Anschauungen der Sozialisten des Londoner Westens durchziehen können!" Es tritt flar entgegenzukommen. Was weiter für die Ideenentwickelung, zutage, daß solche Delegationen einen großen erzieherischen die sich zurzeit in den Reihen der englischen Bergarbeiter Bert besonders für den Deutschen haben, der so in recht an­vollzieht, bezeichnend ist, war die Anwesenheit von dreizehn schaulicher Weise den Unterschied zwischen der bedrückenden Abgeordneten des englischen Unterhauses, welche sämtlich Schwüle eines Polizeistaates und der freien Luft eines Beamte der Bergarbeiter sind oder doch waren. Der Gedanke Landes mit demokratischen Einrichtungen kennen lernt. Einige einer stärkeren parlamentarischen Aktion, die schon vor einigen folcher Delegationen deutscher Arbeiter würden unendlich mehr zu Jahren auf dem internationalen Bergarbeiterkongreß zu unserem Verständnis des englischen Volkes und zur Eintracht London von der englischen Delegation eifrig diskutiert wurde, zwischen beiden Nationen beitragen, als alle die Bürgermeister hat tiefe Wurzeln geschlagen und wird notwendigerweise zum und Journalisten, die doch nur zurückkehren mit Erinnerungen Sozialismus führen, was schon aus den Debatten des neuen an die zahlreichen Festessen, nicht aber mit Eindrücken, die in Parlaments deutlich zu erkennen ist. Uebrigens sind schon der Berührung mit dem Charakteristischen dieses Landes_ge­manche der fähigsten und einflußreichsten Köpfe der englischen wonnen sind, durch die Anschauung der großartigen englischen Bergarbeiterbewegung, wie Smillie, Whitefield und andere, Rede- und Versammlungsfreiheit, deren Fehlen in unserem recht tüchtige Sozialisten. Vaterlande den Deutschen mehr in den Augen der Engländer herabsegt, als alle unseren nationalen Schwächen und Un­tugenden.

und schwache

Die Revolution in Rußland .

Das Judenschlachten zu Bialystok .

Die

Das überraschendste Ereignis war wohl das Erscheinen der Vertreter der deutschen christlichen Bergarbeiter. Den Engländern, besonders den organisierten englischen Arbeitern, ist die Religion eine so selbstverständliche Privatsache, daß man es ihnen wohl verzeihen muß, wenn sie bei dem Namen Christliche Bergarbeiter" unwillkürlich an jene angenehmen Böglinge eng­lischer Kapitalisten, an die sogenannten freien Arbeiter", b. h. die organisierten Streifbrecher, dachten. Bei den Deutschen , Die weiteren Meldungen der Petersburger Telegraphen- Agentur die jahraus jahrein die Duertreibereien dieser Christen durchge- über Urfache und Verlauf der entfeßlichen Vorkommnisse in Bialystok macht haben, mußte ihr Erscheinen auf einem Stongreß, bei dem find so läppisch, daß man am besten tut, diese Informationen" mehr wie jemals der internationale und sozialistische Gedante ganz unbeachtet zu lassen. Nur ein Beispiel für den hohen Grad zum Ausbruch fam, von dem einstimmig eine warme Sym- bon Raivität, den die famose Petersburger Telegraphen- Agentur europäischen Lesern nicht antisemitischer Couleur zutraut: pathiekundgebung für die russischen Revolutionäre angenommen faustdide Lüge, daß die Bialystoker Juden die sicher froh find, wurde, die sonderbarsten Gedanken erregen. Was ist aus den wenn man sie ungeschoren läßt und sich hüten werden, Streitigkeiten staatserhaltenden, Sozialisten fressenden, fönigstreuen Arbeitern vom Baune zu brechen die Lüge also, daß diese Juden am geworden?! Handelte es sich um einen plump ausgeführten Donnerstag in die Fronleichnams- Brozeffion Bomben geworfen Versuch, auf die vermeintliche Borniertheit der Verbändler haben sollen, mag den berufsmäßigen Verteidigern und Bemäntlern bauend, eine Szene zu provozieren, um daraus Agitations- aller Auswüchse des Barismus zur Not noch hingehen. Aber zu material gegen den Verband zu schöpfen, oder war es mur dumm dreist und unverschämt ist doch die neue Züge: die Juden eine Probeleistung des modernen Proteus, der allein felig bon Bialystok hättenwahrscheinlich aus dem sehnlichen Wunsche heraus, noch mehr Glaubensgenossen ans Messer zu liefern machenden Stirche, den Teufel durch Beelzebub auszutreiben heraus, noch mehr Glaubensgenossen ans Messer zu liefern- am Man tut gut, aus anderen Quellen zu schöpfen, wenn man über Vielleicht haben sich die Christen die Tragweite dieses Schrittes Freitag abermals mehrere Bomben geworfen"! gar nicht überlegt. Jedenfalls wird erst der nächste inter die scheußlichen Megeleien glaubwürdigere Nachrichten haben will. nationale Bergarbeiterkongreß entscheiden können, inwieweit Dem Hülfsverein der deutschen Juden sind folgende Telegramme diese unverhofften Gäfte die Beschlüsse des Kongresses in Ge- aus Bialystok zugegangen: danken und Tat befolgt haben, und von dem Resultat dieser Untersuchung ihre Zulassung abhängig machen müssen.

Beim Thema Achtstundentag wurde die erfreuliche Tat­fache betont, daß vor kurzem im englischen Parlament die zweite Lesung des Gesetzes, durch das der Achtstundentag für Grubenarbeiter festgelegt wird, mit großer Majorität an genommen wurde. Der Eifer, mit dem nicht nur liberale,

K

Die Mezeleien in Bialystok dauern im verstärkten Maße fort. Das Militär hält noch immer die Stadt umzingelt und die Hooligans morden und plündern. Nach dem Walde Geflüchtete wurden vom Militär eingeholt und ermordet. Augenzeugen erzählen, ein Offizier habe auf dem Bahnhofe zwei Durchreifende ohne jeden Anlaß mit seinem Revolver erschossen. Außer den in Bialystot liegenden vier

Bialystok , 16. Juni, 2 Uhr 40 Minuten nachmittags. Das Plündern und Morden dauert auch heute fort. Die hiesige und einige benachbarte Garnisonen haben die Stadt eingeschlossen und beschießen sie unausgesetzt. An verschiedenen Stellen der Stadt ist Feuer ausgebrochen. Die Lage ist troftlos. Nur wenige Juden vermochten nnter hohen Geldopfern aus der Stadt zu ent tommen.

Petersburg, 16. Juni. Gestern waren zwei Duma­abgeordnete, Jakubfon und Scheftel, bei dem Minister des Innern, um die Ergreifung außerordentlicher Maßnahmen zwecks Been­digung der Judenhete in Bialystok zu erbitten. Minister Stolypin erklärte den Abgeordneten, daß den letzten ihm zugegangenen Depeschen zufolge eine Beruhigung der Bevölkerung bereits eingetreten sei. ( Bergleiche das obige Telegramm! Red.) Der Kriegszustand sei verhängt. Diese Antwoet befriedigte die Abgeordneten nicht. Jakubson erklärte, er werde selber nach Bialystok reisen, um alle Nachlässigkeiten der Administration festzustellen. Einzelne Juden aus Bialystok haben sich an Berliner Banfiers um Hülfe gewandt. Man spricht von 20 Toten und über 150 Verwundeten. Der Materialschaden soll ungeheuer sein.

Die Vossische Zeitung" bringt folgenden Eigenbericht: Eine einem Juden gehörende Apotheke wurde vernichtet, das ganze Personal erschlagen; am Leben blieb nur ein etiva zwei­jähriges Kind, das man später auf dem Boden entdeckte. In dem Hause, aus welchem man auf die orthodore Prozession geschossen hat, wurden 22 Personen verhaftet. Man fand dort 8 Getötete. Weder Polizei noch Militär machte gegen die Mörder und Plünderer von der Waffe Gebrauch. Unter anderem wurden ermordet: der Fabrikant Lapides mit Tochter und zwei Söhnen; zwei Töchter sind verwundet: der Angestellte der Russischen Transportgesellschaft Frejdkin mit zwei Söhnen. Beraubt wurden hauptsächlich Juive­liers, Uhrmacher, Tabat- und Kolonialwarenläden. Die Kaufleute Grüßmann, Babisch, Herzke, Feige, Gebr. Jonas Surasti find gänzlich zugrunde gerichtet. Die Straßen sind mit zerbrochenen Möbeln, Hausgerät und dergleichen bedeckt. Die Staatsbant und alle Brivatbanken, sowie auch Läden, die verschont blieben, find geschlossen. Es verbreitet sich das Gerücht, daß Juden außerhalb der Stadt einige Christenmädchen ermordet haben, was neue Er bitterung hervorruft. Eine Abordnung von 40 Juden erschien bei dem Polizeimeister und verlangte die Bewaffnung des Selbst­Der schuzes, den die Polizei neuerdings entwaffnet hatte. Polizeimeister verwies fie auf den Gouverneur, der ab­wesend ist. Heute wurde auf eine Patrouille eine Bombe geschleudert. Auf der Nikolausstraße beraubte eine Bande bon 100 Leuten einige große Magazine und überfiel das Bankhaus Goldberg. Militär erschien, umzingelte die Leute und führte sie ab, ohne ihnen Leid zu tun. Etwa 6000 Juden flüchteten sich in die benachbarten Wälder; man schickte ihnen Dragoner nach. Wozu? Man erfährt, daß der Gouverneur Misler am Dienstag einer jüdischen Abordnung, die bei ihm wegen der beunruhigenden Gerüchte erschienen war, versichert hat, daß er den geringsten Versuch zu einer Judenhezze rücksichts­los niederschlagen" werde, und daß die jüdische Bevölkerung dieserhalb vollständig ruhig sein könnte. Die Untersuchung wird von einem Staatsanwalt und drei Untersuchungsrichtern geführt. Einer der letteren meinte, daß man den Bombenanschlag feineswegs fategorisch" den Juden in die Schuhe schieben darf, denn eine böswillige Herausforderung ist nicht absolut ausge­fchloffen".

Und die B. 3. a. M." erhält folgende Depesche aus

Paris :

Eine hohe russische Persönlichkeit hat einem Vertreter der Betite République" erflärt, nach seiner Ansicht habe nicht ein Jude, sondern ein Spitel der Polizei von Bialystok die Bombe ver fertigt und auf die Prozession geworfen. Schon vor einem Jahre fei von der Polizei und dem Militär ein Blutbad unter den Juden von Bialystok organisiert worden. Das diesmalige Blutbad jei die Rache für das Attentat der Revolutionäre auf den Bolizeipräfekten. Jm vorigen Jahre sei es nicht gelungen, die Bevölkerung in genügender Weise