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aufzuhetzen, weil Bialhsto! eine Industriestadt und deshalb fozia- listisch sei. Diesmal aber habe die Polizei besser gearbeitet, indem sie das Boll in seinen religiösen Gefühlen verletzt habe. Uebrigens sei Bialystok   eine fast jüdische Stadt und die verfolgende Menge setzte sich vornehmlich aus den Bauern der Umgegend zusammen, , unterstützt von Truppen, die ihnen ihre Waffen liehen. Zum Schlüsse registrieren wir noch folgende Lassan  - Depesche: Aehnliche Judenmetzcleien wie in Bialystok   drohen in Hömel, Odessa  , Cherson  , Nikolajew   und Kiew  . Die Lage der Juden ist verzweifelt. Der Minister des Innern sandte ein scharfes Tele- gramm an den Gouverneur von Bialystok   mit der Aufforderung, der Judcnhetze Einhalt zu tun. Der Minister erließ ferner an die anderen Gouverneure ein Zirkulartelegramm, öhnliche Borkommnissc in ihren Bezirken zu verhindern. Unter den Bauern. Die Charlotver ZeitungCharkowskaja SchiSrtj' meldet, daß der Kampf zwischen den Bauern und Gutsbesitzern des Gou« vernements Kiew   und Podolien neue Formen annimmt. Die Bauern bereiten einen General st reik während der Ernte vor. Es werden Streikkomitees gebildet und Tarife für verschiedene land- wirtschaftliche Arbeiten ausgearbeitet. Die Stimmung unter den Bauern ist eine gehobene. AuS dem Gouvernement Mogilew   schreibt man, daß dort die Gutsbesitzer sehr beunruhigt sind. Die größeren unter ihnen organi- sieren auf eigene Kosten eine Schutztrupve aus Angehörigen der kaukasischen Stämme und tvandeln ihre Gutshöfe in wahre Festungen um. Die Regierung mobilisiert auch ihre Kräfte und verteilt kleine Abteilungen in allen Dörfeni. Die Dnma-Ferien. Slowo  " schreibt:In Regierungskreisen will man unter keinen klmständen die Lteichöduma länger als bis zum. Juni(russ. Stil) tagen lassen. Zu diesem Termin wird die ReichSdmna durch ein allerhöchstes Dekret in die Ferien entlassen werden." Auch die Birsh. Wcd." wollen von bestinformiertcr Seite erfahren haben, daß die Duma zwischen dem 10. und 12. Juni in die Ferien gehen werde. Um dieselbe Zeit soll über alle irgendwie unruhigen Gebiete des Reiches der Kriegszustand verhängt werden. Die Re- gierung wäre fest entschlossen, um jeden Preis die Ordnung aufrecht zu erhalten. Dazu paßt folgende Meldung aus London  : Von einem Mitglieds des ReichSrateS erfährt der Petersburger Korrespondent derTribüne", der Hof habe beschlossen, die Duma am 23. d. MtS. zu schließen und den Großfürsten Nikolaus Nikolaje« Witsch zum militärischen Diktator zu erklären. Nun hat die parlamentarische Fraktion der Partei der Volks- freihcit am Freitag beschlossen, darauf hinzuarbeiten, daß für die Duma keine Sommerferien eintreten. Die Negierung scheint sich darüber klar zu sein, daß eS bei gewaltsamer Ferialisierung der arbeitsfrcudigen Reichsduma sehr leicht zu schweren Konflikten in erster Linie am Tagungsorte der Duma: in Petersburg   kommen könnte. Die ehrenwerte Regierung erfindet daher bereits Vorwände, um schon jetzt ihre Borbercinmgen zu treffen, ohne deren Ziel und Zweck vorläufig zu entschleiern. So läßt sie z. B. folgende Meldung in alle Winde drahten: Wegen des immer bestiinmter auftretenden Gerüchtes von einem drohenden Streik ist die Zahl der Truppen in den Fabrik- vierteln Petersburgs erheblich verstärkt worden.--- AuS Moskau  . Telephonische Berichte aus Moskau   besagen, daß dort eine sehr erregte Stimmung herrsche. Fast täglich kämen Straßendemonstrationen vor: ernste Zusammenstöße mit der Polizei seien jedoch bisher nicht eingetreten. politische(lebersicbt. Berlin  , den 16. Juni. Die Herrenhäusler. Das Herrenhaus hat am Sonnabend die allgemeine Be- sprechung des Volksschulgesetzentwurfes beendet und die Vor- läge einer Kommission überwiesen. Die Debatte blieb mehr als belanglos. Uebcrraschend war lediglich das Auftreten der Oberbürgermeister, in deren Namen die Herren Struck- mann- Hildesheim und Bender- Breslau sprachen. Die Prophezeiungen: die Oberbürgermeister würden ihre Stellung im Herrenhause benutzen, um gegen die durch den Entwurf herbeigeführte Beschränkung des Selbstverwaltungsrechtes der Gemeinden geharnischten Protest einzulegen, erwiesen sich als falsch. Nur an Einzelheiten haben diese Repräsentanten des Bürgertums etwas auszusetzen. im großen ganzen aber sind sie mit der Fassung, die die Vorlage im Abgeordneten- hause erhalten hat, einverstanden. In dem Verhalten der Oberbürgermeister spiegelt sich so recht deutlich der Verfall der Bourgeoisie wieder. Das Bürgertum hat nicht mehr die Kraft, sich der Regierung zu widersetzen; es ist für jede noch so reaktionäre und kulturfeindliche Maßnahme zu haben; es schließt mit der Regierung Kompromisse über Kompromisse und merkt nicht, wie es bei jedem Kon, promiß von neuem übers Ohr gehauen wird. Wenn das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden heute nur noch ein Märchen aus alten Zeiten ist, so haben die Vertreter der Städte im Herrenhause ihr redlich Teil zu der Vernichtung dieses einst so hoch ge­schätzten Rechts beigetragen. Mit der Regelung der konfessionellen Fragen, wie sie das Gesetz beabsichtigt, ist ein Teil derLinken", in deren Namen der Berliner   Oberbürgermeister Kirschner sprach, nicht ein- verstanden. Dagegen legten sich für die Konfessionsschule besonders Professor Bierling, der Vertreter der Universität Greifs- wald, und Freiherr v. Durant ins Zeug. Professor Bierling bezeichnete die Konfessionsschule alsdie natürliche Form der Schule" und machte die Entdeckung, daß der wissenschaftliche Charakter der Konfessionsschulen höher stehe als der der Simultanschulen, da sich keine Wissenschaftlichkeit erzielen lasse, wenn man immer zwischen zwei verschiedenen Änschauungen lawieren müsse. Hiernach wären also die, die da glauben, nicht nur seelig, sondern auch von wissenschaftlicher Bedeutung. Nennenswerte Aenderungen dürste die Kommission an dem EntWurfe kaum vornehmen, wenn auch nicht zu erwarten ist, daß sie der Fassung des Abgeordneten- Hauses ihre Zustimmung gibt. Voraussichtlich wird also der Entwurf nochmals an das Abgeordnetenhaus zurückgelangen, so daß die Session sich noch bis in die ersten Tage des Juli hinziehen kann. Vor der Beratung des SchulunterhaltungSgesetzes hatte das Haus eine Reihe kleinerer Vorlagen ohne Debatte er- ledigt und gleichfalls ohne Debatte in der durch die Verfassung vorgeschriebenen nochmaligen Abstimmung die Gesetzentwürfe betreffend Aenderung des Wahlgesetzes an- genommen I DieReform" ist also ohne Schwierigkeiten glücklich unter Dach und Fach gebracht., Wcinn das Herrenhaus wieder zusammentreten wird, das hängt von dem Verlaufe der ArbeUen der Schulkommission ab. Die Meutereien in Südwestafrika. lieber die von uns gemachten spezialisierten Angaben sich endlich zu äußern, haben wir dieNorddeutsche Allgemeine Zeitung" jetzt jeden Tag ausdrücklich und nachdrücklich auf- gefordert. DieNordd. Allg. Ztg." aber schweigt, sie schweigt des Morgens und des Abends. Wir können warten, aber die Regierung darf nicht glauben, daß' wir vergessen. Es gibt noch andere Stellen, wie sie weiß, wo wir unsere Fragen wiederholen können, und wo das Schweigen die Zustimmung bedeuten würde. Nachdem wir nun vor einigen Tagen in den blauen Dunst, den die Scherlblätter und die.Vossische Ztg." in trautem Verein in dieser Sache zu machen versucht hatten, so kräftig hineingeblasen hatten, daß beiden Organen bis heute kein einziges Wort der Er- widerung möglich wurde, versucht eS jetzt eine andere, mitunter offiziöse Kloale, den Sachverhalt zu verwirren, wenn nicht abzu« leugnen. Es ist dieNeue Milit. Korr.", die--- wie üblichauf Grund zuverlässiger Informationen" mitteilt: Gänzlich falsch ist die Meldung, es sei ein Offizier erstochen worden. An der Meldung über Ausschreitungen einem Wachtmeister gegenüber ist so viel richtig, daß auf einer Etappenstasion im Windhuler Distrikt neu hin« aus-gekommene Reiter bei einem. Trinkgelage und unter dem Einfluß übermäßigen Alloholgenusses einen Portopee- Unteroffizier bedroht und ihn gezwungen haben, mit ihnen e i n Hoch auf die Sozialdemokratie auszubringen. Die Beteiligten junge, unerfahrene Leute sind vor ein Kriegs- gericht gestellt und zu schweren Freiheitsstrafen ver- urteilt worden. Der Fall steht aber ganz vereinzelt da. Im übrigen kann die Truppe mit Stolz gerade auf das ausgezeichnete, vom Geiste der Kameradschaft getragene VerhälwiS zwischen den Offizieren und den Unteroffizieren und Mannschaften hinweisen." Zerlegen wir diese Angaben ein wenig: all 1. Erstechung eines Offiziers; die Meldung hierüber soll falsch sein. So lange das von einer nicht ver- antwortlichen Stelle aus erklärt wird, können wir darauf ver« zichten, solche einfache, kostenloseWiderlegung" gebührend zu beantworten. Die Regierung wird wissen, warum sie eine solche ableugnende Erklärung nicht durch ihre anerkannten Organe wie ReichSanzeiger" oderNordd. Allg. Ztg." abgeben läßt... ad 2. Verprügelung eines Wachtmeisters; das wird nicht geleugnet, sogar noch weit mehr zugegeben. Die von derNeuen Milit. Korr." nämlich zur Abwehr jetzt veröffentlichte Affäre ist gar nicht die, um welche eS sich in unseren Bc- richten handelt I Wir haben es also mit einem weiteren, bisher nicht gekannten Fall von Meuterei zu tun I Durch diese Mitteilung hat sich die genannte Korrespondenz also immerhin einiges Verdienst erworben, das wir willig anerkennen. Aber von dem Fall, den w i r meinten, hat sie danach keine blasse Ahnung. Das mag sie sich gesagt sein lassen. Was nun diesen von der offiziösen Korrespondenz mit- geteilten Fall betrifft, so müssen wir offen gestehen, daß, wenn er an uns direkt gemeldet wäre, wir ihn nicht für m ö g l i ch gc- halten hätten, es sei denn, wir hätten zugleich absolut vollgültige Beweise dafür bekommen. Also: ein Portepeeunteroffizier läßt sich vonjungen, unerfahrenen' Leuten, die noch dazu b e- zecht sind, zwingen,ein Hoch auf die Sozialdemo- kratie auszubringen"! Wir fragen: wie hoch schätzt das offiziöse Organ de» Mut derjenigen Portepeeunteroffiziere ein, auS deren Reihe dieser Mustermensch stammte, der sich von jungen und bezechten Leuten zwingen läßt, auf die Sozialdemokratie ein Hoch auszubringen?! Mit der Verwirrung unserer Mitteilungen durch dieNeue Milit. Korr." war eS also auch nichts; wir warten weiter auf offizielle Erklärungen durch denReichSanzeiger" oder dieNordd. Allg. Ztg."-_ ReichSland oder Bundesstaat. Straßburg  , 13. Juni.  (Eig. Bcr.) Seit einigen Jahren ist die früher nur sporadisch behandelte elsaß  -lothringische Vcrfassungsfrage von der politischen Bildsläche nicht mehr verschwunden, und jetzt scheint sogar, nach glaubhaften Meldungen,«ine Lösung bevorzustehen. Allerdings ist es ja auch durchaus begreiflich, daß in der ersten Zeit der schroffen nationalen Gegensätze zwischen Einheimischen und Eingewanderten die staats- rechtliche Sonderstellung Elsah-LothringenS im Deutschen Reich nicht lastig empfunden wurde, während sie heute weit unangenehmer auffallen muß, wo im ganzen Wirtschaftsleben und auch im Geistes- leben enge Verbindungen zwischen Alt- und Neudeutschland geknüpft worden sind. So sind denn auch in den Parteiprogrammen an Stelle der früher lakonisch gefaßten ForderungGleichstellung Elsaß  - Lothringens   mit den deutschen Bundesstaaten" konkrete Vorschläge getreten, denen durchweg freilich der Mut der Konsequenz fehlt. Das zeigt sich namentlich in den im Reichstag niedergelegten Anträgen der klerikalen Abgeordneten P r e i h und Wetterle, die an Halb. heit nichts zu wünschen übrig lassen, und schließlich auch in den Absichten des Bundesrats, wie sie vor kurzem hier bekannt ge- worden find. Elsaß-Lothringen   ist geblieben, was eS 1871 war: eine den ge- samten verbündeten deutschen Staaten abgetretene Provinz und als solche Reichsland. An der Spitze der Landcsverwoltung steht als Vertreter des Reichskanzlers der Statthalter, dem gleich- zeitig landesherrliche Befugnisse vom Kaiser übertragen sind, und ihm zur Seite eine Art Reichsamt, das M in i ste r i u m für Elsaß- Lothringen  , tvs von einem Staatssekretär g-leitet wird und in vier Abteilungen gegliedert ist. Die LandeSgesetzc in Elsaß-Loth- ringen sind naturgemäß Reichsgesetze und sie können daher, wie alle Reichsgesetzc, vom Reichstag und vom Bundesrat festgestellt und vom Kaiser publiziert werden. An Stelle des Reichstags tritt regel. mäßig seit 1877 der Landesausschuß für Elsaß-Lothringen  . Von ihm abgelehnte Gesetzentwürfe können aber jederzeit vom Reichstag angenommen werden. So ist im Jahre 1887 das sogen, Berufsbürgermeistergesetz gegen den Willen des Landesausschusses zustande gekommen. Hierauf und auf die Aushebung dieses Gesetzes im Jahre 189S ist freilich die Tätigkeit des Reichstags als gcsetz- gebender Faktor für Elsaß-Lothringen   seit dem Bestehen deS Landes- auSschusses beschränkt geblieben. Trotzdem wird von den meisten bürgerlichen Parteien am hef- tigstcn für die Ausschaltung deS Reichstags plädiert, während die Mitwirkung des Bundesrats bei der Gesetzgebung und besonders die Ernennung des Statthalters, des Staatssekretärs und der Unter» staatssekretäre durch den Kaiser weniger Gegenstand von Angriffen sind. Auf diese einzig« Forderung der Umgestaltung des Landes- ausschusses in einen vollberechtigten Landtag reduziert sich nament- lich der schon angedeutete Antrag der Abgeordneten Preiß und Wetterle im Reichstag. Für die klerikale Partei ist diese Re. form der erste Schritt. Dagegen hat dt».�Sozialdemokratie schon vor Jahren einen ganz entgegengesetzten Ständpunkt eingenommen, den später auch linksstehende bürgerliche Elemente, wie Blumenthal, sich zu eigen gemacht haben. Die ganze Verfassungsfrage ist keine Frage von sehr großer Bedeutung. Ob der Bundesrat oder ein« elsaß  -lothringische Regierung neben dem Parlament Faktor in der Gesetzgebung ist, kann uns ziemlich gleichgültig sein. Dagegen lehnen wir die Ausschaltung beS Reichstags ab, so lange nicht auch zum Landesausschuß das all. gemeine, gleiche, geheime und direkte Wahlrecht besteht. Diese Reform muß Voraussetzung der ersten sein, da diese sonst ein Nachteil und kein Vorteil ist. Die Klerikalen denken anders, wie gesagt, und auch der Bundes- rat. Wenigstens hat neulich in der hiesigen Sozialwissen. schaftlichen Vereinigung der der klerikalen Partei nahe ftehead« Herr SBrorn die bisher eicht dementierte Mitteilung ge. Macht, der Bundesrat gedenke zuerst den Reichstag auszuschalten, sodann dieW a h l r e f o r m" in dem Sinne vorzunehmen, daß die drei Bezirkstage allein die Abgeordneten zum Landtag wählen. Freilich bestritt die liberaleStratzburger Zeitung" die Genauigkeit dieser Angabe und erklärte, so viel sie wisse, sollten die Bezirkstage selb st den Landesaus- s ch u ß bilden. Das jetzige Wahlsystem ist, das sei vorausgeschickt, möglichst reaktionär: 4 Abgeordnete iverden von den Gemeindcräten der Städte Straßburg  , Mülhausen  , Colmar   und Metz gewählt, 20 durch die Wahlmänner der Gemeinderäte des in 20 Kreise zer- fallenden Landes und 34 durch die Bezirkstage(10 im Oberelsaß, 13 im Unterelsah und 11 in Lothringen  ). Demnach könnte eine einigermaßen annehmbare Volksvertretung gewählt werden, da das Gemeinde- und Bczirkswahlrecht nicht ungünstig ist, wenn nicht, abgesehen von den Städten, bei diesen Wahlen politische Moments trotz aller Anstrengungen von unserer Seite immer zurückgedrängt würden. Deshalb bedeutete auch die Entfernung der Geiyxindcräte als Wahlkörperschaften die Unmöglichkeit für, die Sozialdemokratie. in das Sändesparlament einzudringen. Hat jedoch dieStraßburger Zeitung" recht, so kann man sich mit den Absichten des Bundesrats schon eher befreunden, da es dann wohl gelingen würde, den Bezirks- togswahlen die Bezirkstage sind heute lediglich Verwaltung?- körper wie die Provinzialausschüsse in einigen Bundesstaaten einen politischen Charakter zu geben. Das jetzt bestehende Wahl- recht ist allgemein und enthält nurKautelen" bezüglich der An- sässigkeitsdauer und der Veranlagung zu einer direkten Staatssteuer. Zwei Aenderungen wären dann noch unvermeidlich: die heute 9 Jahre betragende Wahlperiode müßte verkürzt werden, ebenso müßten die Wahlen allgemein sein statt der jetzt bestehenden teil- weisen Erneuerung. Jedenfalls muß die Sozialdemokratie jede Verfassungsrevision ablehnen, die das allgemeine Wahlrecht nicht zusichert. Die Solidarität der Reaktion. London  , 16. Juni. Wie dieTimes" aus Petersburg   meldet, ist dort ein Gerücht im Umlauf, die Regierung verhandele mit Deutsch- land und Oesterreich über ein gemeinsames Vorgehen im Falle einer Erhebung in den westlichen Provinzen. Der Besuch de» Großfürsten Wladimir in Berlin   stehe mit diesen Verhandlungen in Verbindung. Wahrscheinlich wird das Gerücht, wie so manches ähnlichen In- Halts, die ihm voraufgingen, dementiert werden. Wir halten es aber doch für nötig, die Meldung zu registrieren, da die Versuchung zu solchen Abmachungen jedenfalls vorhanden ist. Daß der Jnter« nattonalität der Reaktion ihr Gegenstück in der Jnternationalität der Unterdrückten gegenübersteht, mögen aber die Herrschenden nicht vergessen. « Die WienerAllgemeine Korrespondenz" läßt sich aus PeterS- bürg berichten: In den Hoskreisen verlautet mit Bestimmtheit, daß auf der Nordlandsreise des Kaisers Wilhelm in diesem Sommer eine Begegnung desselben mit dem Zaren in den finnländischen Gewässern stattfinden werde. Es wäre dies eine Erwiderung des vorjährigen Besuches des deutschen Kaisers im Hasen von Björlö. DeutFeheo Reich. Vom Danziger Freisinn. AuS Danzig   wird uns geschrieben: Das liberale Kartell, das für Ostpreußen   als funkelnagelneue Attraktion gepriesen wird und der politischen Welt Wunderdinge zeigen soll, bestand in Danzig   schon seit langer Zeit. Der männliche und der hier besonders weibische Freisinn gingen schon seit jeher, eng verbündet mit den Nationalliberalcn, den gleichen Krebsgang. Deshalb bezeichnete sich diese wunderliche Mischung, die tatsächlich schon mehr Breisinn als Freisinn war, auch nur allgemein als liberal" und vermied peinlich die sonst übliche Parteibczeichnung. Neuerdings ist diese liberale Durchfallsversicherung sogar in Hin- ficht auf die nächste Reichstagswahl schon zum allgemeinen ..Ordnungskartell" ausgebaut worden, ohne daß indes in der Oeffentlichkeit über diesen oberfaulen Eründungsschwindel die Sicgesfanfaren geblasen werden, die vor kurzem aus Ostpreußen  erschallten. Nach dem Tode RickertS fiel es hier allgemein auf, daß der sonst vom engherzigsten Lokalpatriotismus triefende Mischmasch- liberaliSmus keinen Danziger Kandidaten aufstellte, sondern sich den ausgesuchtesten Börsenreaktionär aus Berlin   holte. DaS Mandat RickertS, der doch wenigstens noch etwas liberale Ideologie besaß, wurde dein politischen Charakterhelden Bankdirektor Mommsen, der sich mit Hand und Fuß gegen die Anerkennung eines Pro- gramms sträubte und die politische Programmlosigkcit als die liberale Haupttugend proklamierte, ausgeliefert. DieKönigs- berger Volks-Zeitung" konnte schon 1903 des Rätsels Lösung durch die Feststellung enthüllen, daß der einzig als Kandidat in Betracht kommende hiesige Kommerzienrat Münsterbcrg deshalb in die Ecke gestellt wurde, weil er-- Jude war! In der unvermeidlichen Stichwahl mit"der Sozialdemokratie fürchtete man, für ihn die Stimmen der antisemitisch gefärbten Konservativen, Zentrunislcute und selbst gewisser Nationalliberaler nicht erlangen zu können I Der sonst gepriesene Musterbürger erster Klasse wurde deshalb gesinnungstüchtig ins alte Eisen geworfen und für ihn der tadcl- lose Arier und Börsenmann Mommsen zum Liquidator der liberalen Konkursmasse bestellt. Nun hat es aber derBerliner   Unglücks- mensch", wie sich der arische Bankdirektor in der Erinnerung an gewisse interessante Vorgänge hinter den freisinnigen Kulissen im Jahre 1903 öffentlich selbst betitelte, verstanden, sich selbst mit der unbeschränkten politischen Bedürfnislosigkeit der Tanziger Auch» liberalen so gründlich zu überwerfen, daß man mit ihm bei dem Vorrücken der Sozialdemokratie auf einen weiteren Wahlsieg nicht mehr hofft. In der Erkenntnis, wie sehr das einst als unbesiegbar gerühmteliberale Bollwerk" schon schwankt, proklamierte der stets unentwegte KommerzienratS-Liberalismus die berüchtigte Soli- darität aller Ordnungsparteien und kroch schon im Jahre 1904 vor dem Zentrum und den Konservativen hündisch zu Kreuze. Damals kam der Ordnungskompromiß zustande, nach welchem dieFrei- sinnigen" den ganz schwarzen Reaktionären bei den Stadt- verordnetenwahlen nicht nur eine Reihe von Sitzen ohne Schwert- streich auslieferten, sondern sich sogar dazu verstehen mußten, selber für ihre politischen Todfeinde zu stimmen! Wie tief die unsägliche Würdelosigkeit des flottcnschwindlichen Demagogen- freisinns schon gesunken ist, beweist wohl die unerhörte Tatsache, daß selbst der krasseBrotwucherpolitiker und persönlich unangenehmste- Gegner der hiesigen Liberalen, der konservative Redakteur Brunzen der hochagrarischenDanziger Allgemeinen Zeitung", mit freisinniger Hülfe in das Rathaus gewählt ist! Nach dem schmäh- lichen Kompromißvertrage haben jedoch die Zentrümler und Konservativen in Aussicht gestellt, demJuden" Münsterberg für die fatale Beschneidung gnädigst Absolution zu erteilen. Und so soll denn dasfreisinnige" Tanzig bei der nächsten Reichstagswahl wieder dieGenugtuung" haben, mit einemechten" Sohn des nordischen Venedig   und nicht mit einemschnoddrigen Berliner  " auf den politischen Bauernfang zu gehen. So ganz schmerzlos scheint sich aber der große Mommsen doch nicht abhalftern lassen zu wollen. Wenigstens war er am 26. April in einer unter dem Ausschluß der Oeffentlichkeit tagenden Versammlung seiner Un- getreuen offen genug, ihnen die Pille zu applizieren, daß Danzig  wegen der Diäten bei der nächsten Wahl einen heimischen Kandidaten aufstellen werde! Dieser nicht ganz schlechte Witz erscheint wahrhaftig nicht weniger bissig im Lichte der Tatsache, daß Münsterbcrg bloß Millionär ist! Wenn nicht alles trügt, soll nun Münsterberg nicht bloß in der Stichwahl, wie Mommsen, alsKandidat aller nichtsozial- demokratischen Wähler" paradieren, sondern schon gleich bei der Lputztwatzl, uatcc völliger Ausschaltung jeder Parteilandidatur,