Ittt Unruhen ht OfoTtjflo! daS Militär aus den Häusern von Revolutionären beschossen worden ist. In dem Krankenhause fand der Prokurator vier Tote und sieben Verwundete, die mitten in der orthodoxen Prozession von Bomben und Schüssen getroffen waren. Beim Eindringen in zwei Häuser, aus denen auf Feuerwehrleute geschossen wurde und in denen. Patronen explodierten, fanden die Truppen neun getötete Juden. Die Meldung der Petersburger Telegraphen-Agentur, daß in Bialystok Bomben geworfen worden seien, findet durch die vorstehende amtliche Meldung des Proluraiors ihre Bestätigung. Wir geben als Pendant zu diesem Telegramm die folgenden bltereffanten Mitteilungen nach dem„XX. wiek": »Vor neun Tagen verlieb Herr Jerogin, der Organisator der regierungsfreundlichen Wahlen und PensionSbesitzer der staatlichen Wohnung, in der regierungsfreundliche Bauerndeputierte abgerichtet werden, seine Pensionäre in Petersburg und begab sich nach dem Grodnoer Gouvernement. Er traf gerade zwei Tage vor dem Pogrom in Bialystok ein, t ch unwillkürlich sucht man nach einem Zusammenhang zwischen ' mer Ankunft und den Ausschreitungen gegen die Juden. Unwahrscheinlich ist dieser Zusannnenhang nicht; denn die Jero- ginschen Baucrndeputierten sind vorzüglich abgerichtete Antisemiten, und wir sind von jeher daran gewöhnt, daf; zu den Judenhetzen stets„Hooligans" aus fremden Städten als Gastrollengeber zugezogen werden. Wer weiß, in was für einer abgerissenen Hooligan-, Umfornl" Herr Jerogin am Krawall aktiv teilgenoinmen hat I— Jedenfalls ist es wünschenswert, daff Herr Jcrogm auf seinen wichtigen Posten zurückkehrt; denn schon vor seiner Abreise schmolz die Anzahl seiner »Zöglinge" von 72 auf 15, und auch von diesen 15 Mann sind viele unsicher, da die Duma ihre Mandate als unrechtmässig erworbene zu kassieren gedenkt. Die Gefahr ist also nicht ausgeschlossen, daß die»Pension" auf der Kirotschnaja, oder besser gesagt: die Fabrik von Regierungsfreundlichen ins Stocken gerät, wenn dort nicht vielleicht eine Filiale des Hauses in der MorSkaja 52, des Ver- sammlungsortes des Generals Bogdanowitsch, Bischofs Eudokius und anderer Oberjudenkrawallveranstalter eingerichtet wird."— Von einem Privatkorrespondenten erhält Scherl folgendes Telegramm; Moskau , 20. Juni, 10 Uhr 55 Minuten vormittags. Einer der nach Bialystok entsandten Dumaabgeordneten, Jakobsohn, telegraphierte an den Abgeordneten Winawer, die Bialystoker Stadtverordnetenversammlung habe einstimmig die Abwesenheit jeglichen Nationalhasses in der Stadt, das Vorliegen einer Provokation beim Beginn der Metzeleien sowie der Mitwirkung von Polizei und Militär beim Morden und Plündern konstatiert. Alle Nachrichten über Beschießung verschiedener Häuser durch Revolutionäre und Juden sowie über den angeblichen Ueberfall der Juden auf die Christen seien erlogen. Ein Soldat erzählte dem Abgeordneten Profeffor Szczepin, der Kommandeur des Kasanschen Regiments habe sich vor Beginn de« Massakers an feine Mannschaften mit einer Ansprache gewandt, in welcher er erklärte, die Juden beabsichtigten die Soldaten einzeln abzu- schlachten, daher stehe es ihnen frei, mit den Juden nach Belieben zu verfahren: dies sei der Wunsch der Obrigkeit. Und der»Russ . Kur." weist zu melden: Der vom russischen Ministerium deS Innern nach Bialystok zur Untersuchung der JudenmassakerS und der Entstehung der falschen offiziellen Berichte der Telegraphenagenturen entsandte Stallmeister Frisch meldete soeben dem Minister Stolypin , daß die Beweisaufnahme überaus belastendes Material für die Bialystoker Behörde und den„Verband wahrhaft russischer Leute" geliefert hat. Die Zahl der Opfer erweist sich von Tag zu Tag als größer, denn selbst sehr hohe Schätzungen anzunehmeil gewagt hatten. So teilt z. B. die«Alliance JSrarnite Universelle' mit: Bialystok , 19. Juni, ö Uhr 32 Min. nachniittagS: Im Laufe des gestrigen und heutigen Tages sind 107 Erschlagene auf dem jüdischen Friedhofe beerdigt worden. Die Zahl der Verwundeten ist im Augenblick noch nicht festznstelle.r, da viele innerhalb der Stadt, auch in der Umgegend, zerstreut sind. Im hiesigen jüdischen Krankenhaus liegen 50 Verwundete. Viele Verwundete sind nach Warschau gebracht worden, um dort operiert zu werden. Zayl- reiche Familien schicken sich zur Auswanderung an. Der Gouverneur erklärte sich bereit, da« Militär aus Bialystok zurückzuziehen und eine Bürgerwehr einrichten zu lassen. Die Notlage der betroffenen Bevölkerung ist sehr groß. Seit Sonntag sind weitere Gewalt- tätigkeiten nicht vorgekommen. Die englische Regierung will nach einer»Standard'-Mitteilung Wohl etwas tun, um der Stimnnmg im Lande nachzugeben, indessen soll der russischen Regierung nicht zu scharf an den Leib gerückt werden. Zwar— aber, wie'S in der betreffenden Depesche auS London heistt: Wie»Standard" erfährt, hat die englische Regierung zwar nicht die Absicht, wegen der Vorgänge in Bialystok Borstellungen bei der russischen Regierung zu erheben, Sir Edward Grey hat aber den englischen Botschafter in Petersburg zur eingehenden Berichterstattung aufgefordert. In Kreisen, die lveit über London hinauöreichen, wird der Meinung offen Ausdruck gegeben, daß der Besuch einer englischen Flotte in Rußland tatsachlich unmöglich sei, falls nicht Rustland schleunigst Schritte we, um sich in den Augen Europas zu rehabilitieren. Vom selben Tage(Mittwoch, 20. Junis, von dem eben diese Depesche stammt, kommt aus London die Meldung, daß am Dienstag daselbst mehrere hundert jüdische Flüchtlinge nebst Frauen und Zkindern ans Odessa und Kronstadt angekommen seien, welche über die Panik haarsträubende Dinge erzählen. Handel und Wandel sei völlig ins Stocken geraten. Hoffentlich wartet die englische Regierung, wenn eS ihr mit ihren Vorstellungen beim.Väterchen" Ernst ist, nicht so lange, bis aus den Hunderten von jüdischen Flüchtlingen Hunderttausende werden I— Einstweilen hat die englische Regierung jedenfalls noch keine rechte Lust, der Stimmung des Volkes in der geschilderten Richtung nachzugeben. Da? beweist folgende Depesche: London , 20. Juni. (Unterhans.) Der liberale Stuart Samuel fragt an, ob der Staatssekretär deS Auswärtigen Sir Edward Grey gewillt sei, bevor irgendwelche Schritte unternommen werden, die Freundschaftsbande zwischen England und Rußland enger zu knüpfen, die russische ilicgierung über die Ansichten zu unterrichten. die das britische Volk über die Jutzeumetzeleien hegt. In Vertretung des Staatssekretärs erwidert Parlamentsuntersekretär Walter Runccimann:»Der Eindruck, der durch die Ruhestörungen und den Verlust an Menschenleben hervorgerufen, und die Sympathie, die nicht nur in England, sondern überall für die Bettoffenen geweckt worden ist, sind der russischen Regierung wohl bekannt; es sind dies keine Angelegenheiten, bezüglich deren eine offizielle, diplomattsche Einmischung üblich und ivunschenSwert ist." Das Militär! Scherl erhält über London (20. Juni, 2 Uhr 10 Min. nachm.) folgende sensationelle Nachricht: Aus Petersburg wird hierher telegraphiert, in Kronstadt werde heftig gefeuert; die Matrosen rotteten sich auf den Straßen zu- sammen und hielten Beriammlungen ab. Niemand wird in die Stadt hineingelassen. Die Ursache der Mentereien ist untckannt; eS werden fcharsc Maßregeln getroffen, um die AuSdreitung des Aufstandes zu verhindern. Die Streikbewegung. Petersburg, 20. Juni. Die Zahl der ausständigen Bäcker in Petersburg beträgt etwa 1000. Der Ausstand hat sich auf alle bei Petersburg und an der Warschauer Bahn gelegenen Sommerfrischen ausgedehnt. An» Kaluga meldet„Russkoje Slowo", daß wegen de? dort aus- gebrochenen Ausstandes die Bahnhofsgebäude, das Telegraphenamt, die Filiale der Reichsbank und das Postamt militärlsch bewacht werden. Das Haus des Gouverneurs ist von Truppen umgeben. Das Kabinett wackelt? Innerhalb des Kabinetts soll eS kriseln, weil die»Popularität" des Justizministcrs seinen neidischen Herren Kollegen mißfalle. Man munkelt von»Demission" usw. Warten wir ab, was da wird. Echt rassische Frechheit. Die Memoiren des früheren französischen Kriegsministers Andrö kommen gerade recht, um an der Hand eines in ihnen geschilderten hochsensationcllen Vorganges zu zeigen, mit welcher beispiellosen Unverschämtheit russische Diplomaten aufzutreten wagen, wenn sie annehmen können, ihre Regierung hinter sich zu haben. Man lese folgende Meldung aus Paris vom 20. Juni: Der frühere Kriegsminister AndrS, welcher im„Matin" seine Memoiren veröffentlicht, erzählt heute, daß alsbald nach seinem Amtsantritt der damalige russische Militärattache, Oberst Murawiew, zu ihm gekonimen sei und ihn ersucht habe, er möchte den Beschlutz, gewisse Generalstabsoffiziere aus dem Kricgsministerium zu entfernen,, zurückziehen. Er, Andrö, sei von diesem Schritt außerordentlich überrascht gewesen und habe erklärt, daß er dies nicht tun werde. Oberft Murawiew habe darauf scharf geantwortet:„Ich ersuche Sie darum als Vertreter einer verbündeten Macht." Andrö habe erwidert, daß er nur vom französischen Parlament Befehle entgegenzunehmen habe. Oberst Murawiew habe nun aus- gerufen:„Unter diesen Umständen, Herr Minister, mutz ich Ihnen sagen, daß Sie sich gegen das Bündnis vergangen haben." Er, Andrö, habe hierauf dem russischen Militärattachö die Tür gewiesen und den Vorfall Waldeck-Rouffeau mitgeteilt, der sein Vorgehen durchaus gebilligt und anerkannt habe, daß der Bündnis- vertrag mit Nutzland nichts dergleichen enthalte. Waldeck- Rousseau habe hinzugesetzt:„Wir sind Herren in unserem Hause." Auf den Rat Waldeck-Rousseaus habe er. Andrö, auch den damaligen Minister des Acutzern, Delcassö, ver- ständigt. welcher anscheinend sehr unangenehm berührt ge- Wesen sei und gesagt habe, er. Andrö, möge große Vorsicht und Zurückhaltung bei seinen Reformen beobachten; man dürfe bei niemand Anstoß erregen. Später habe Delcassö die Abberufung MurawiewS veranlaßt. poUtilchc Qcberllcbt. Berlin , den 20. Juni. Die Zustände im südtvestafrikanischen Expeditionskorps. Ein Mitarbeiter der„Köln . Volkszeitung" schreibt dem Blatte zu den„angeblichen" Meutereien in Südwest- afrika: Aus einem Soldatenbriefe au» Südwestafrika dürften einige Sätze vielleicht ein Licht werfen auf das b e d a u e r l i ch e Schweigen, in welches sich die»Rordd. Allg. Ztg." noch immer in bezug auf die„Vorwärts"- Veröffentlichunaen hüllt. Es heißt in dem Briefe:»In voriger Woche(der Brief ist geschrieben in Windhuk , den 13. Mai 1906) sind wieder drei zum Tode verurteilt worden. An den beiden von meiner Kolonne wird das Urteil bald vollstreckt werden." Weöhalb die Leute zum Tode verurteilt wurden, schreibt der Soldat leider nicht, auch spricht er nicht von Meutereien unter den Soldaten. Es mag sich ja wohl um ein schweres Verbrechen handeln. Eine solche Verurteilung scheint in- des nicht»vereinzelt dazustehen", wie das Wörtchen»wieder' anzudeuten scheint. Der Bericht der Neuen mil.-polit. Korresp. (»Köln . VolkSztg." Nr. 521) dürfte sich doch etwa» euphemistisch ausdrücken. Die Leute in der afrikanischen Schutziruppe haben meistens ihre Dienstzeit, für die sie sich gemeldet haben, vollendet, und möchten nun wieder in ihre Heimat, aber immer wieder wurden sie noch zurückgehalten. Als Morenga gefangen wurde, schien ihre Hoffnung in naher Er- füllung zu sein. So schreibt auch der betreffende Soldat: »Hoffentllch wird nun bald Demobilmachung. Dann kommen wir auch bald nach HanS," ES ließe sich darum ganz leicht er- klären, wenn hier und da Unzufriedenheit bei den Leuten herrscht (wovon der Soldat allerdings nicht» schreibt) und e» auch schon zu Gewalttätigleiten kommt. Genaue Informationen wären jedenfalls am Platze. Eine wertvolle Ergänzung finden diese Angaben durch eine Veröffentlichung der„Augsburger Abendzeitung". Ein langjähriger Leser schreibt ihr: „Auch ich habe die Briefe eines dort feit Beginn des Auf- standeS m Slldwestafrika kämpfenden Soldaten, der mehrfach dekoriert wurde, also gewiß nicht zu den schlechtesten Elementen äiehört, gelesen und daraus gcfunoen, daß es dort faul, sehr faul teht. Der Mann schreibt u. a,, daß die Abteilung, die >as fürchterliche, bekannte dreitägige Gefecht zu bestehen hatte, auf dem Hinmarsche exerzieren! I mußte und so ae- drillt wurde(der Hauptmann/ der dann alS erster fiel, soll die Leute forttvährend angebrüllt haben), daß alle» total ermüdet war, al» die ersten Schüsse überraschend fielen. Und dann noch drei Tage kämpfen."— In einem anderen Briefe schreibt der Mann: Gebt nur keinen Pfennig zu den für uns stattfindenden Sammlungen her, denn wir bekommen doch nichts. Seit Beginn des Aufftande» habe ich zwei Flaschen Mineralwasser, drei Päckwen Tabak und Zigarren erhalten, sonst nichts. Wo bleiben die Liebesgaben? Verschimmeln sie irgendwo oder herrschen bei uns auch russische Zustände? Ferner beschwert sich der Mann bitter über die jungen al» Nachersay hinüber- kommenden Offiziere, die die alten Mannschaften schlechter al» die Schwarzen behandelten und die Patrouillen trotz der War« nungen der alten, erfahrenen Soldaten direkt an die Gewehre dcö Feindes führen. Auch er beschwert sich darüber, daß den Leuten nicht der Konttakt eingehalten werde, und daß sie länger, als sie sich verpflichtet haben, zurückbehalten werden. Er schließt einen Brief mit den Worten:»Daö eine ist sicher, wer von Südwest- afrika heimkommt, der kommt als Sozialdemokrat heim." Ich wiederhole, der Mann ist ein Soldat von tadelloser Führung und aus einer Familie, aus der keine Sozialdemokraten kommen. So schließt sich Glied an Glied I Aus allen diesen Nach- richten aus den Reihen der Soldaten selbst ergibt sich, daß Unzufriedenheit unter ihnen umgeht, und daß sie dafür mehr als hinreichende Gründe haben, daß schwere Strafen, sogar Todesstrafen, deS öfteren verhängt und vollstreckt werden, in einem Falle an drei Verurteilten zugleich," daß also außer- ordentlich ernste Dinge vorgekommen sein müssen. DaS deutsche Volk, so sollte man meinen, hätte ein Recht darauf, über diese Dinge amtliche Nachricht zu erhalten, amtliche Dar- stellung der Verhältnisse, schon um prüfen zu können, ob seine Söhne, die dort für die Interessen weniger deutscher und ausländischer Kapitalisten bluten und schwere Strapazen erdulden müssen, so behandelt werden, wie eS gefordert werden muß I Aber daS deutsche Volk hat nach Ansicht der Regierung anscheinend nur daS Recht, die Hunderte von Millionen zu zahlen, die in den südwestafrikanischen Sand geworfen werden und daS andere unveräußerliche Recht, den Mund zu halten. Denn noch immer schweigen»Nordd. Allg. Ztg." und„Reichs-Anzeiger".— Die Klassenscheidung über alles! »... Es muß sich zeigen, ob alle Gefühle der Menschlichleit, ob alle» Empfinden für Menschenpflicht im Bürgertum erwürgt wird von Sozialisten« und Rationalitätevhaß und«Furcht l" schriebe» wir am Sonnabend in unserem Protestartikel gegen die Greuel im Rigaer Prozeß der Sechsunddreißig. „Es muß sich zeigen..." Die Fassung verriet unseren Zweifell Die Tatsachen haben ihm recht gegeben. Es hat sich ge- zeigt, daß es so ist, wie wir uns am Sonnabend, trotz aller schweren Gründe, die dafür sprachen, immer noch endgültig anzu- nehmen weigerten. Es hat sich gezeigt, daß alle Gefühle der Menschlichkeit, daß alles Empfinden für Menschenpflicht schweigt, wo der Sozialistenhaß und die Sozialistenfurcht herrschen, daß der Klassengegensatz eine Kluft ist, die die vielgerühmte Humanität nicht mehr zu überbrücken vermag. Die deutsche Presse, das deutsche Bürgertum ist so gut wie stumm geblieben zu den Meldungen über die Rigaer Greuel I Kein Wort empörten, leidenschaftlichen Protestes, kein noch so winziges Wort gegen die Vollstreckung der Bluturteile von Riga ist laut geworden in jenem Lager. Das äußerste, was man getan hat, war die Veröffentlichung einer knappen Meldung über die Greuel und allenfalls zwei, drei Zeilen lahmer Verurteilung. Die aber zählt schon zu den Seltenheiten I Die„Franlfurter Zeitung", das demokratische Blatt, hat selbst eine solche Verurteilung nicht über sich gebracht. Kühl, wie eine Börseimotiz. registrierte sie daS Entsetzliche. Selbst ein reakttonäreS Blatt, die„Verl . Neuesten Nachrichten", durfte die „Frankfurter Zeitung " beschämen, indem eS mehr tat. Wie würde die bürgerliche Presse, wie würde das Bürgertum sich gebärden, wenn es bürgerliches Fleisch und Blut wäre, daS zu Riga gefoltert wurde! Wie haben sie geschrieen über die stark über- triebenen, maßlos aufgebauschten Leiden der baltischen Barone l Wie schreit die liberale Presse über die Judenmetzelei zu Bialystok , wo bürgerliches Blut geflossen ist. Aber um Revolutionäre, um Sozialdemokraten regt sie sich nicht auf. am allerwenigsten, wenn es sich um die Bedränger der kostbaren baltischen Edelinge handelt, wenn es sich um Greuel handelt, die unter den Augen und mit der Billigung dieser„Kulturträger" geschehen, die deutscher Nationalität sind, zur Schande des deutschen Namens! Der Klassengegensatz erstickt im bürgerlichen Lager alle humani- tären Anwandlungen. Selbst die Schändung und Peitschung von Frauen läßt das Bürgertum und seine Press» stumpf und gleich. gültig. Sie hat nichts gar nichts zu sagen zu den Meldungen, daß Frauen und Mädchen, die im Verdacht revolutionärer Taten oder Gesinnung stehen, gepeitscht, gefoltert werden. Heute hat kein Hahnau mehr zu fürchten, daß ihn daS Bürgertum ächte! Er kann seinen bestialischen Trieben zügellos nachgehen, wenn er sie nur an Proletariern, an Revolutionären, an Sozialdemokraten und Gegnern des deutschen Junkertums in den Ostseeprovinzen betätigt. Tann wird ihm selbst die Schändung und Peitschung wehrloser Frauen und Mädchen nachgesehen! DaS Bürgertum gibt uns klar und unzweideutig zu erkennen. daß eS Menschenpflicht gegen seine Gegner nicht mehr kennen will, daß eS den Kampf in jeder, selbst der bestialischsten Form, gegen die Feinde seiner Vorzugsstellung für erlaubt hält. Der Begriff Menschheit existiert für die Bourgeoisie nicht mehr. Die Partei der Unterdrückten und Enterbten, die gewiß am ehesten zu entschuldigen wäre, wenn sie nur an sich selbst dächte, hat in ihrem Programm den Satz, daß sie in der heutigen Gesellschaft nicht bloß die Ausbeutung und Unterdrückung der Lohnarbeiter be- kämpft,„sondern jedeArt der Ausbeutung und Unter- d r ü ck u n g. richte sie sich gegen eine Klaffe, eine Partei, ein Ge- schlecht oder eine Raffe". Und die Sozialdemokratie hat hundert. fach bewiesen, daß dieser Satz für sie nicht bloß eine schöne Phrase ist. Sie hat ihre Kraft aufgeboten für DreyfuS, für die Buren, für die PhilippinoS, für die Armenier! Di« Sozialdemokratie, die Klassenpartei, die Partei des Klassenkampfes, hat noch allemal, wo eS galt, allgemein-menschliche Interessen zu verteidigen, ihren Mann gestanden. Die Bourgoisie aber, die den Klassenkampf verdammt und den Klassengegensatz offiziell leugnet, sie stellt den Klassen- gegensatz über die Gebote der Menschlichkeit! DaS ist ihre Kultur! Der Kulturfirnis schwindet, sobald der Klassenkampf die Bourgeoisie bedrängt, und zutage tritt die Barbarei. Der Klassengegensatz ist stärker alS alle» andere! OeutfcKes Reich. Torpedo> Aufgaben. Aus Krefeld wird vom 20. Juni ge» meldet: Auf eine Immediateingabe des Oberbürgermeisters Oehler ging die Antwort ein, daß der Kaiser die Entsendung eines großen und zweier kleineren Torpedoboote zu der am 6. Juli stattfindenden Einweihung de» Krefelder RhcinhafenS befohlen habe,— Der mitleidige NntersuchungSrichter. AuS Leipzig wird uns geschrieben: Die Leipziger Justiz setzt den Kampf gegen die„VolkSzeitung" in ver- schärster Form fort. Am Dienstag war der verantwortliche Redakteur, Genosse S e g e r, zu einer Vernehmung zum Ober- amtsrichttr Meißner geladen, wo ihm eröffnet wurde,»baß e S mit der»VolkSzeitung" so nicht weiter gehen könne. In der einstündigen Vernehmung erfuhr Genosse S e g e r. daß eS sich um eine Nottz und einen Artikel in Nr. 123 vom 31. Mai handelt, worin die Leipziger Justiz behandelt wird. Die Notiz ist ein kurzer Vorbericht über die Verhandlung gegen den Genossen K r e s s i n wegen deS Artikels»Der Tiger als Affe". Der Vor- bericht, überschrieben»In eigener Sache", protestiert gegen die in letzter Zeit bei der Leipziger Justiz eingerissene Gepflogenheit, herabsetzende Bemerkungen über die„VolkSzeitung" und über nicht der Verhandlung beiwohnende Redakteure der»VolkSzeitung" zu machen. Dieser Artikel hat die Leipziger Justizbeamten völlig außer Fassung gebracht, und das Justizministerium, an daS sie sich wandten. hat Sttafantrag gegen die.Volkszeitung" bei den Leipziger Justiz« behörden für diese gestellt. Mit rührendem Mitleid für die geplagten verantwortlichen Re- dakteure suchte der Amtsrichter Meißner den Genossen S e g e r zur Nennung de« Verfassers besagten erschrecklichen Artikels zu bewegen. Als er ablehnende Antwort erhielt, sagte der Herr:»Gut, dann will ich es Ihnen sagen, den hat Franz Mehring ge- schrieben." Als ihm Seger bedeutete, daß diese Unterhaltung zwecklos sei, da er doch nichts aussagen werbe, ging der Herr zu seinem Lieblingsthema Über:»daß es mit der „VolkSzeitung" so unter keinen Umständen weiter gehen dürfe; sie untergrabe die staatliche Ordnung bis in den letzten Winkel", und wendeten die Gerichte pflichtgemäß die Gesetze zur Aufrechterhaltung der staatlichen Ordnung gegen sie an, dann schreie sie über Klassenjustiz, barbarische Strafe usw.»Nach meiner Auf- fassung", sagte der Herr,»sind Sie bis jctzt�viel zu gelinde bestraft worden. Ich begreife nicht, wie es Arbeiter gibt, die da als ver- antwortliche Redalteure zeichnen und für die Sünden anderer büßen können. Sehen Sie doch die schöne Freiheit und da drüben daS Gefängnis." Genosse Seger hätte ja längst gehen und den Herm Richter seinen»VolkSzeitnngS'-Tchmerzen überlassen können, aber dann wäre er ja um den Genuß der Rede und um den Einblick in die Verfassung gekommen, in die die Leipziger Justiz im Kampfe mit der.vollSzeitung' geraten ist.
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