9., Mi. 2u�.s. it Ktllllge des„Potsiiöilö" Kerlim WldsdlM. A.»« Zum Prozeß Hilger. Man schreibt uns: Es ist eine alte Geschichte, daß nach dem Jahre 1871 in der preußischen Armee der militärische Größenwahn sich ebenso eingenistet hat, wie nach der Beendigung des siebenjährigen Krieget Für einen preußischen Offizier, der von diesem Spleen befallen ist. ist alles Nichtpreußische Schlamperei und Mumpitz. Kommt ein solcher Herr nach Württemberg , so fühlt er sich als ein militärischer Luther. der die dummen Württemberger erst auf die Höhe wahrer kriegerischer Größe bringen mutz. Einer von dieser im Schwabenlande natürlich hoch- beliebten Sorte war der k g l. preußische O b e r st A. H ü g e r. der in der zweiten Hälfte der 90 er Jahre an die Spitze des württembergischen Feldartillerieregiments Nr. 13 gestellt wurde. Er entwickelte denn auch eine eifrige„Reformtätigkeit", wollte jeden Plunder selbst regeln und rief dadurch im Offizierkorps eine große Erbitterung gegen sich hervor. Einmal beschwerten sich über ihn nicht weniger als 13 Offiziere zugleich. Unter anderem hielt der Oberst es auch für geboten, sich in die Frage zu mischen, ob die Pferdegeschirre im Stall oder im Freien geputzt werden sollen. Selbstverständlich hat ein Regiments- kommandeur sich um solche Kleinigkeiten überhaupt nicht zu kümmern. Ob die Reinigung der Pferdegeschirre im Stall oder im Freien vor- zunehmen ist, hängt in erster Linie von der Witterung ab. Und da man das Wetter nicht im voraus kommandieren kann, so muß hier von Fall zu Fall entschieden werden, das heißt man muß die Entscheidung den Batteriechefs überlassen. Der Herr Oberst Hüger aber wollte auch hier den Alleinregierenden spielen und daher gab er den— es ist heute noch nicht gewiß— Befehl oder Rat, daß im Freien zu putzen sei. Am 16. Februar 1897 nun ließ der Chef der 3. Batterie Hauptmann Schmahl(jetzt Major) die Pferdegeschirre mit Rücksicht auf die kalte Witterung und die im Regiment herrschende Ge nick st arreinr Stalle putzen. Der Oberst bemerkte es und gab am nächsten Tag folgenden Regimentsbefehl heraus: Entgegen dem diesseitigen Parolebefehl vom...(Tag und Monat waren ausgelassen, weil dieser Parolebefehl mit dem besten Willen in den Akten nicht zu finden war) waren gestern nach- mittag fast sämtliche Fahrer der 3. Batterie im Stall mit Putzen von Stallsachen bezw. Zaumzeugen usw. beschäftigt. Der Futter- meister war hierbei zugegen. Ich ersuche, die diesseits gegebenen Befehle genau zu beachten. Der Befehl beweist, daß Herr Hüger trotz Winter und Genick- starre auf seiner unsinnigen Anordnung beharrte. Mit dem Eigen- sinn, der besonders die Gamaschenknöpke negativ auszeichnet. riskierte er lieber das Leben seiner Soldaten, als daß er Vernunft annahm. Der letzte Satz des Befehls richtete sich direkt gegen den Haupt- mann Schmahl, denn die Wendung„ich ersuche" wird von den Vorgesetzten nur im Verkehr mit Offizieren gebraucht. Da der Re- gimentsbefehl dem ganzen Regiment bekanntgegeben wurde, bedeutete er für den Hauptmann Schmahl einen vor dem ganzen Regiment erhaltenen schriftlichen Verweis. Derartige Verweise sind aber gegen Offiziere nicht zulässig und daher beschwerte Hauptmann Schmahl sich mit Recht. In seiner Beschwerdeschrift schilderte er zunächst"en Tatbestand und wies darauf hin, daß er sich persönlich verletzt und in seinen dienstlichen Befugnissen beeinträchtigt fühle. Dann fuhr er wörtlich fort: Ich kannte einen Befehl derartigen Inhalts auch nicht. Dem Vermittler*) erklärte der Herr Oberst, wenn er den Befehl nicht schriftlich gegeben habe, so habe er ihn mündlich gegeben. Ich er- kläre mich außerstande, alle die tief in Kleinigkeiten des Batterie- dienstes einschneidenden Bestimmungen noch im Gedächtnis zu haben, aber ich kann durch Zeugen beweisen, daß der Herr Oberst gegebenenfalls solche Bestimmungen, welche teils in Parole- befehlen, Umlaufschreiben, teils auf zur Aenderung zurückgegebenen Uebungszetteln, teils mündlich gegeben waren, wiederholt als lediglich Anhaltspunkte, gute Ratschläge usw. nachträglich bezeichnet hat. welche gar nicht die eigene Befehlsfreiheit des Batteriechefs beschränken sollen. Man sehe sich diese Zeilen genau an, denn sie sind die eigent- liche Ursache des wochenlangen Prozesses, der soeben mit der Frei- sprechung des Oberst aus pathologischen Gründen geendet hat. Daß Herrn Hüger die Beschwerde des Hauptmanns Schmahl kein Ver- gnügen bereitete, ist klar. Aber weniger verständlich ist seine Ent- deckung, daß sie zwei schwere militärische Vergehen enthielt, nämlich eine Achtungsverletzung und eine B e- leidigung seiner Person. „Die Beleidigung", schrieb er in seiner ersten Broschüre:„Meine Erlebnisse in der Militärrechts- und Offiziersehrengerichtspflege", „liegt ausschließlich in�den Worten„gegebenenfalls nachträglich", indem mir damit ein Nichteiustehenwollen für meine Befehle, eine Unlauterkeit, ja eine gewisse Feigheit gegenüber meinen Untergebenen vorgeworfen wird. Eine Achtungsverletzung liegt in den Worten„tief in die Kleinigkeit des Batteriedienstes einschneidenden", indem er sich bannt eine ab- fällige Kritik über meine Befehle erlaubt." Wer Offizier ist oder war, weiß, daß Kommandeure, namentlich solche, die ihren Untergebenen sehr viel dreinreden und sich in alles mischen, gar nicht selten sagen, sie hätten diese oder jene Aeußerung nicht als Befehl, sondern nur als ungefähre Direktive oder guten Rat gemeint. Solche Hinweise geschehen auch meistens„gegebenen- falls nachträglich", d. h. wenn ein besonderes Vorkommnis dazu Veranlassung bietet. Kein vernünftiger Mensch wird in derartigen Hinweisen eine Feigheit und ein Nichteinstehenwollen für gegebene Befehle erblicken. Dies blieb Herrn Hüger vorbehalten. Noch schöner ist es, daß der Herr Oberst eine abfällige Kritik seiner Maßnahmen auch dann als eine Achtungsverletzung taxiert, wenn sie in einer Beschwerde gegen ihn angebracht wurde. Ohne eine abfällige Kritik der einschlägigen Anordnung des Vorgesetzten ist eine Beschwerde unmöglich, denn die Klage muß auch be- gründet werden. Selbstverständlich konnten die höheren Vorgesetzten sich der An- schauung des Oberst Hüger nicht anschließen, wenn sie über ein normales Rechtsgefühl verfügten und nicht zu den Gamaschenknöpfen gehörten, die glauben, daß mau dem Vorgesetzten im Interesse der Disziplin immer recht geben müsse. Glücklicherweise kamen gerechte Vorgesetzte in Betracht: Hauptmann Sckmahl geschah nichts, der Oberst aber wurde pensioniert. Der Fall Schmahl hatte ihm das Genick gebrochen. Und nun begann der Oberst seinen Kampf um das, was er in unglaublicher Verblendung für fein Recht hielt. Zunächst forderte er gerichtliches Einschreiten gegen den Hauptmann Schmahl; als es abgelehnt worden war, rief er das Ehrengericht zu Hülfe. Und als auch dieses ihn abwies, griff er in zwei Broschüren die Vorgesetzten heftig an, die ihm nicht zu Willen gewesen waren. Seine zweite Broschüre schrieb er so scharf, daß sie ihm eine Reihe von Bc- leidigungsklagen eintrug, die in Dortmund entschieden wurden. Vom Prozeß selbst ist nur einiges zu melden. Der Herr Oberst erfreute sich von der Staatsanwaltschaft einer Nachsicht, deren Sozialdemokraten selten gewürdigt werden. Der staatsanwaltliche Antrag lautete auf drei Monate Gefängnis. Möge einmal ein Sozialdemokrat solche Vorwürfe erheben, wie der Oberst Hüger, dann wollen wir sehen, ob der Herr Staatsanwalt auch nur drei Monate schwedische Gardinen vorschlägt. Gewaltige Entrüstung. herrschte im tugendsamen bürgerlichen Preßlager, weil ein Sach- verständiger ausgesagt hatte, ein Offizier, der die Frau eines •) Beschwert ein Offizier sich über einen Vorgesetzten, so hat er im allgemeinen die Verpflichtung, die Sache einem Vermittler, der Offizier sein muß, zu übergeben- � Kameraden verführt habe, bleibe satisfaktionsfähig. Dies ist aber ein„alter Schnee", den die bürgerliche Presse schon längst genau kennt. Der verstorbene bayerische Kriegsminister v. Asch hat dieses Prinzip sogar in einem langen Kriegsministerial- reskript verfochten. Es ist dies das nämliche Reskript, das er vor dem bayerischen Landtage ableugnete. Da er dabei ertappt wurde, kostete ihn die Geschichte sein Portefeuille. Herr Hüger kam während des Prozesses auch auf den Gegen- satz zwischen Nord und Süd zu sprechen, wobei er er- zählte, daß die Jungen ihm in Ulm „Preuß, Preuß!" nachgerufen hätten. Wer ist denn schuld, daß Preußen speziell in Württemberg so verhaßt ist? Niemand anders, als Preußen selbst. In Württemberg hat man die Borussifizierungsversuche des Generals v. Alvenslebcn, der Ende der achtziger Jahre das württembergische Armeekorps kommandierte und dann infolge der Enthüllungen des württembergischen Hauptmanns z. D. Edmund Miller unhaltbar wurde, nicht vergessen. Und erst vor ein oder zwei Jahren hat ein preußischer General, der als Divisions- kommandeur nach Württemberg kommandiert war, den heftigsten Unwillen erregt, weil er den für den in Württemberg häufigen agrarischen Kleinbetrieb so notwendigen Ernteurlaub beschränken loollte und sich höchstselbst zur Kontrolle cinpasfierender Urlauber auf den Bahnhof begab. Außerdem hatte er sich in einem Befehl an die Offiziere in wegwerfendem Sinne über den württembergischen Landtag geäußert. Der Erste Staatsanwalt Dr. Schulze nahm die Aeußerung des Oberst Hüger über den Gegensatz zwischen Nord und Süd sehr krumm. Wir wissen nicht, ob der Herr Staatsanwalt überhaupt politische Erfahrungen in Süddeutschland gesammelt hat. Da wir felbst Süddeutscher sind, so gestatten wir uns die ergebene Bemerkung, daß abgesehen von den hinter der grotzpreußischen nationalliberalen Fahne Herlaufenden alle Süddeutschen von dem Gegensatz zwischen Nord und Süd überzeugt sind, ja in Anbetracht der reaktionären preußischen Zustände der submissesten Meinung huldigen, daß ein solcher Gegensatz geschaffen werden müßte, wenn er nicht schon da wäre. Wir haben keine Lust, auf preußisch glücklich zu werden. „Die Vernichtung des Veutscheu Kuchbinderverbnudes durch den Vriu;ipalsvkrband." So lautete die Tagesordnung einer öffentlichen Versammlung der Buchbinder und verwandten Berufsgenossen, die am Dienstag bei Keller in der Koppenstratze stattfand und den großen Saal samt seinen Galerien füllte. Das Referat hielt der Verbandsvorsitzende Kloth. Er führte aus, daß, nachdem der Verband deutscher Buch- bindereibesitzer in seinem an die streikenden Buchbinder und Ar- beiterinncn gerichteten Flugblatt erklärt hat:„Unsere Mitglieder geben Mitgliedern Ihres Verbandes keine Stellung in ihren Be- trieben", kein Zweifel mehr darüber bestehen kann, daß ihr Ziel die Vernichtung des Buchbindcrverbandes ist. Erreichen werden sie dies Ziel nicht. Merkwürdig ist, wie jetzt in den Veröffentlichungen des Prinzipalverbandes die Maifeier der Berliner Buchbinder nur höchstens noch nebenbei erwähnt und damit gleichsam stillschweigend zugegeben wird, daß sie den Prinzipalen nur als Vorwand für ihre Gewalttat, ihren Tarifvertragsbruch diente. Sie suchen in der am 18 Juni erschienenen Nummer des„Börsenblattes für den Buch- Handel" ihren Auftraggebern, den Buchhändlern, weißzumachen, daß die Lohnforderungen der Gehülfenschaft, eingerechnet die geforderten „Veränderungen der Produktionsmethoden", Lohnerhöhungen bis zu 39 Prozent ausmachen, und die geforderten Akkordlöhne Erhöhungen von 8 bis zu 25 Proz. Damit wollen sie die Auftraggeber glauben machen, daß die Ablehnung der Forderungen nicht nur in ihrem eigenen, sondern auch im Interesse der Buchhändler liegt. Die Streikleitung der Leipziger Buchbinder erhielt aber so frühzeitig Kenntnis von dieser Auslassung der Prinzipale, daß sie zur selben Stunde, als das„Börsenblatt" erschien, die Buchhändler in einem Rundschreiben über den wahren Sachverhalt aufklären konnte.— Einen neuen Versuch, die Ausständigen zum Streikbruch zu ver- leiten, machte der Prinzipalsverband am Dienstag. Durch die Post sandte er ihnen ein Rundschreiben, worin behauptet wird, der ReverS, durch den sich die Ausständigen verpflichten, falls sie Streik- bruch verüben, empfangene Streikunterstützung zurückzuzahlen, sei rechtsungültig, und eine darauf fußende Forderung könne unter Um- ständen als Erpressungsvcrsuch verfolgt werden. Das ist selbst- verständlich eitel Schwindel. Wenn die Herren außerdem von Terrorismus reden, den der Buchbinderverband ausüben soll, so sollten sie doch lieber erst einmal vor ihrer eigenen Türe kehren. Hat doch die Streikleitung ein Rundschreiben des Prinzipalsverbandes an die Lieferanten der Buchbindereibesitzer in Händen, das nichts Geringeres bezweckt, als das Geschäft des königlich bayerischen Hof- buchbinders und Obermeisters der Leipziger Buchbinderinnung Hübel, von der Firma Hübel u. Denk, lahmzulegen und zu ruinieren. Diese Firma hat sich nicht an der Aussperrung beteiligt, sie wollte wirklich Herr im eigenen Hause sein und sich nicht den törichten Befehlen des Prinzipalsverbandes unterwerfen.„Herr tübel," heißt es in dem Rundschreiben,„erlaubt seinen Leuten, fcie treckenden zu unterstützen,"— und als größte Sünde wird es ihm angerechnet, daß er gerade jetzt 79 seiner Arbeiter mit Grati- fikationcn von 79 und 39 M. in die Sommerferien schickte.„Wir haben seit Wochen diesem Treiben des Herrn Hübel zugesehen," heißt es weiter in dem Rundschreiben. Schließlich werden die Lieferanten — natürlich nicht aufgefordert— nein, es wird ihnen überlassen, die Lieferungen für die Firma einzustellen, weil das ja„in Ihrem und auch in unserem Interesse liegt". Herr Hübel hat sich übrigens auch infolge der zarten Behandlung, die ihm von seinen Kollegen zuteck wurde, genötigt gesehen, sein Amt als Obermeister niedcrzu- legen. Ein Mann, der seinen Arbeitern gegenüber anständig handelt, ist ihrer Meinung nach offenbar jener Würde nicht wert. Der „feine Ton", den der Prinzipalsverband hier gegen einen ungehor- samen Buchbindereibcsitzer anwendet, zeigt sich natürlich noch viel lieblicher in seinen Ergüssen gegen den Buchbinderverband. Da scheut man sich nicht, in einem Flugblatt auf Grund einiger dus der Abrechnung des Buchbindervcrbandes herausgeklaubter Zahle» den Ausständigen den Glauben beibringen zu wollen, als würden die Gelder des Verbandes größtenteils vergeudet; ja, man versucht sogar, die Verbandsleiter als unehrliche Leute zu verdächtigen, selbstverständlich nicht in irgendwie bestimmten Worten, nein, hinter- rücks sucht man Verdacht bei den Streikenden zu erwecken. Man fordert sie auf:„Verlangen Sie heute einen wahrheitsgetreuen Bericht über Ihre Kassen II" Die Streikenden werden aber nicht auf diesen Leim kriechen und den Prinzipalen haarklein erzählen lassen, welche Mittel der Verband noch zur Verfügung hat. Wenn aber die Prinzipale glauben oder ihre Scharfmacher sie glauben zu machen suchen, der Buchbinderverband sei schon am Ende seiner Leistungsfähigkeit angelangt, dann haben sich die Herren arg verrechnet. Selbst wenn es so schlecht mit den eigenen Mitteln des Verbandes bestellt wäre, so könnten die Gegner noch lange nicht froh- locken. Die übrige Arbeiterschaft, der die Buchbinder in ihren Kämpfen so oft tatkräftige Hülfe geleistet haben, wird sicherlich auch jetzt, wenn die Not es erheischt, den Buchbindern beistehen. Schon der Umstand, daß trotz aller Anstrengungen der Prinzipale in den sieben Wochen des Kampfes fast keiner der Ausständigen ab- trünnig geworden ist, birgt«ine Gewähr des Sieges in sich. Die Streikbrecher, die die Prinzipale sonst herbeigelockt haben, die mehr arbeitswilligen als arbeitsfähigen Leute, können ihnen nicht viel nützen, den Ausständigen nicht viel schaden. Zum Schluß sprach der Redner über die schlimme Behandlung, die den Streikenden hier in Berlin — nicht aber in Leipzig und Stuttgart — von der Polizei zuteil wird. Obwohl die«streikenden sich keiner Belästigung oder Verkehrsstörung schuldig machen, laufen immer wieder Straf« Mandate mit dem höchsten zulässigen Satz von 39 M. ein. Man könnte auf den gewiß nicht zutreffenden Gedanken kommen, als wollte die Polizei dazu mitwirken, die Kassen des Verbandes zu leeren. Weniger eifrig ist die Polizei, wie der in der Dienstags- nummer des„Vorwärts" erwähnte Fall„Fiala" zeigt, wenn der Verband, der ihr nun so manche Extrasteuer zahlt, einmal ihrer Hülfe zur Festnahme eines notorischen Schwindlers und Erpressers bedarf.—„Mag auch alles sich gegen uns wenden", so schloß der Redner,„die ganze Arbeiterschaft steht hinter uns, und niemals wird es den Prinzipalen gelingen, den Deutschen Buchbinderverband zu vernichten!" Der Vortrag erweckte stürmischen Beifall. Dann schilderte Zinke aus Leipzig , der zufällig in Berlin weilte, die unermüdliche Ausdauer und die Begeisterung, mtt der die Leipziger Buchbinder den ihnen aufgezwungenen Kampf führen. Sie genießen ja den zweifelhaften Vorzug, sich immer zuerst an den Auslassungen des Prinzipalsvcrbandes ergötzen zu können. Aber mit staunenswerter «Schnelligkeit haben sie immer gleich die rechte Antwort bereit. Lassen die Prinzipale Plakate anschlagen, um Arbeitswillige zu fangen, gleich prangt auch das Plakat der Streikenden daneben; geben sie Flugblätter heraus oder verschicken sie Rundschreiben, so ist auch schon das Gegenstück der Streckenden da, um ihre Fälschungsversuche zunichte zu machen. Merkwürdig ist es, wie sich in Leipzig die an». geblich noch nicht geschwundene Tariftreue der Prinzipale offenbart. So soll Fritzsche weiblichen Arbeitswilligen 19 Pf. Stundenlohn ge- boten, und ihnen dann, ihre Unzufriedenheit zu dämpfen, aller- gnädigst 15 Pf. bewilligt haben; männliche Arbeitswillige aber mit 29 Pf. Stundenlohn abspeisen.— Diese Mitteilung erregte teils Ent- rüstung in der Versammlung, teils wurde die Meinung laut, daß Arbeitswillige nichts Besseres verdienten. Einstimmig wurde folgende Resolution angenommen: „Die Versammlung erkennt die feste Haltung der Ausgesperrten nach so langer Dauer des Kampfes als durchaus lobenswert an, da die Ausgesperrten allen Machinationen des Verbandes deutscher Buchbindereibesitzer gegenüber ihre unerschütterliche Widerstands« kraft bewahrt haben. Die in Arbeit stehenden Kollegen versprechen dafür, ihnen an Opferwilligkeit nachzueifern und durch freiwillige Gaben an ihrem Teil dazu beizutragen, daß die wackeren Kämpfer nicht infolge von Mangel an Mitteln sich jenen Plänen des Unter- nehmertums zu fügen brauchen, die eingestandenermaßen auf Ver- nichtung des Buchbinderverbandes hinzielen." Ktjirkskommaudeur Major a. D. v. Zander u. Genossen vor den Geschlvorenen. (Telegraphischer Bericht.) Breslau , den 29. Juni. Dritter Tag der Verhandlung. In der heutigen Sitzung spielten die Vernehmungen über daS Kalilager in der Lüneburger Heide die erheblichste Rolle. Zwischen- durch liefen Klagen über Voreingenommenheit des Untersuchungs- richters. Der Prozeß wird voraussichtlich noch 14 Tage andauern. Wir werden über etwa vorkommende besondere Vorfälle sofort be- richten, im übrigen aber am Schluß ein zusammenfassendes Bild und das Ergebnis des Prozesses bringen. Angel l. v. Zander erzählt auf Befragen: In der Lüne- burgcr Heide ist von meinem Freunde Lüttich ein Kalilager entdeckt worden, das sich über eine Grundfläche von 399 999 Morgen erstreckt. Die angestellten Bohrungen ergaben eine Mächtigkeit von 462 Meter des vorzüglichsten Salzes. Die Bohrungen erfolgten durch die Herren Fritz v. Friedländer, Bergwerksdirektor Rader, einen alten kränklichen Herrn und noch einigen anderen Herren, die ebenfalls ziemlich bejahrt waren. Die Inbetriebsetzung eines solchen Werkes ist natürlich sehr langwierig. Die Abteufungen erfordern lange Zeit, Wassereinbrüche sind unvermeidlich. Daher verloren die Herren die Geduld. Ich unternahm es deshalb, einen Engländer namens Dr. Groot für das Unternehmen zu gewinnen. Dieser erklärte sich bereit, das gesamte Kalibcrgwerk für eine eng- lische Gesellschaft zu erwerben. Das Geschäft kam zustande. Der Kaufpreis betrug 1 899 999 Pfund. Ich erhielt 59 999 Pfund in Prefcred Shares und 49 999 Pfund in ordinären Sharcs. Man könnte einwenden, Sharcs sind nur Papiere. In England haben aber Shares denselben Wert wie gute Schecks. DaS Geschäft hatte für die englische Landwirtschaft eine ganz außergewöhnliche Be- deutung, da die englische Landwirtschaft mit ihrem Kalibezug voll- ständig auf Deutschland angewiesen ist. Es sollen nun die in London abgeschlossenen Verträge verlesen werden. Der Staatsanwalt wendet ein, daß diese Verträge, vor dem Londoner Notar Ohlemann geschlossen, der amtlichen Be- glaubigung entbehren.— Vert. Justizrat Mamroth: Der Untersuchungsrichter hat die Untersuchung sehr einseitig geführt. Dadurch ist die Entlastung sehr erschwert. Es ist für den An- geklagten von hoher Wichtigkeit, nachweisen zu können, daß, wenn das Londoner Geschäft perfekt geworden wäre, er eine Million ver- dient und keine Schulden mehr gehabt hätte. Dadurch würden auch alle Tagebucheintragungcn hinfällig. Das Projekt scheiterte, das konnte aber der Angeklagte nicht annehmen. Es ergab sich die Not- wendigkeit, neue Bohrungen vorzunehmen, es mußte dazu neues Geld beschafft und zu diesem Zweck neue Aktien emittiert werden. An diesen und anderen Schwierigkeiten scheiterte das Geschäft. — Oberlehrer Dr. Wende- Breslau übersetzt darauf die in eng- lischcr Sprache abgefaßten Verträge.— A n g e k l. Lüttich bemerkt auf Befragen, daß er die Angaben des Angeklagten v. Zander nur bestätigen könne. Er bedauere nur, daß nicht wenigstens ein Teil der Geschworenen die Kaliindustrie in Hannover kennt, um ein richtiges Urteil über die Bedeutung des entdeckten KalilagerS zu haben.— Hierauf wird als Sachverständiger Berg- assessor Lienarz- Berlin vernommen. Er bestätigt im all- gemeinen die von den Angeklagten gemachte Schilderung dcS in der Lüneburger Heide gelegenen Kalilagers Teutonia und gibt auch die Möglichkeit zu, daß, wenn das englische Geschäft zustande gc- kommen wäre, v. Zander eine Million verdient hätte. Es fei üblich, bei solchen Geschäften die Vermittler mit Aktien zu be- teiligen. Das Kaliwerk Teutonia an sich konnte nicht nach England verkauft werden, sondern nur die Aktien.— Auf Befragen deS Verteidigers Justizrats Mamroth bemerkt L ü t t i ch, v. Zander sei auch Vertrauensmann des Grafen Henckel v. Donnersmarck und des Geh. KommerzienratS Fritz v. Friedländer gewesen. In deren Auftrage war er für den Erwerb einer Reihe erstklassiger Unter- nehmungen, so auch für ein neu entdecktes Petroleumlager in BoriSlaw in Galizien tätig.— Staatsanwalt: Wie konnte der Angeklagte v. Zander beschwören, er habe eine Vermittlungs- gebühr von Dr. Groot in Aussicht, während es sich nur um eine Gewinnbeteiligung handelte?— A n g e k l. v. Zander: Damals entsprach meine Angabe auch der wirklichen Sachlage. Aus dem weiteren Verlauf der Sitzung ist noch die Beweisaufnahme über den Leumund des Angeklagten Lüttich von Erheblichkeit. L a n d r a t v. B r o t t, der im Auftrage der Untersuchungs- behörde über Lüttich amtliche Auskunft eingeholt hat, erklärt: Lüttich erfreue sich nicht des besten Rufes. Es seien ihm ver- brecherische Handlungen zuzutrauen. Er neige zu Uebertretungen, sei jähzornig, gewalttätig, streitsüchtig, wenig wahrheitsliebend, behandele seine Dienstboten schlecht. Bei der Steuererklärung habe er mehrfach unwahre Angaben gemacht. Allerdings sei zu berücksichtigen, daß der Gutsbesitzer in Landgemeinden bei den vielen oft unvermeidlichen Streitigkeiten sich selten großer Beliebt,
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