Nr. 143. 23. Jahrgang.L KilM lies.lorninrts" Krliier KAMFreitag, 23. Juni IM.Die Revolution in Rußland.Bialystok.Für einige Zeit ist die Schmach von Bialystok zu einer ständigenRudrik in allen Zeitungen des Erdballes geworden, sofern in derenRedaktionen— von Partei-, Religions- und sonstigen Unterschiedenabgesehen— Menschen fitzen, denen eS nicht versagt oder—- ver-boten ist, die Stimme des Anstands und Mitgefühls hören zu lassen.Man braucht nur ganz oberflächlich mit den russischen Verhältnisten bekannt zu sein und man wird von vornherein gewustt haben,daß die neue Kulturs cbande von Bialystok nur dadurch möglich war,»ah die korrupte russische Beamtenhorde der schwarzen Bande mitbehaglicher Willfährigkeit Hchlerdienfte leistete.— Diese Aufsassnngwird bestätigt durch folgenden Privatbericht, den die»Voss. Ztg.*aus Warschau erhält:Der hiesige„Knrjer Poranny", ein gut geleitetes und, soweitdie hiesigen Verhältnisse es zulassen, gut unterrichtetes Blatt.entsandte einen tüchtigen Mitarbeiter, Herrn Wilamowski, nachBialystok. Dieser sandte von dort eine lange, wenn auch vor-läufig noch unvollständige Liste der ermordeten und der schwer-verwundeten Juden. Wer die Mörder waren, erhellt auSdem Umstand, daß fünf Sechstel der Wunden vonKarabinerkugeln und Bajonettstichen herrühren. Die äffendlichc Stimme bezeichnet als die Urheber der Judenhetzeden Polizcikommistar Scheremetjew und den ehemaligen Redaktenrdes„Bielostockij Listok" Wassiljew, einen Trunkenbold, den diewohlhabenden Juden mehrmals unterstützt haben, bis sie ihmschließlich, als die Betteleien kein Ende nehmen wollten, die Unter-slütznng versagten. Vor zwei Jahren wurde er wegen Diebstahlszu einer Zuchthausstrafe verurteilt, die er erst vor einigen Wochenabgebüßt hatte. Der Berichterstatter der„Korjer Poranny" befragte den Stationsvorstand von Tscharna WeSj, der erstenStation bei Bialystok in der Richtung nach Grodno, um seineAnsicht über die Lage. Auf die Frage, wie sich die Arbeiter derdortigen beiden Fabriken verhielten, antwortete der StationS-vorstand:.Vierzig von ihnen wollten unter Anführung von zweiSozialistinnen, die erst im vorigen Jahre das Gymnasium beendethaben, nach Bialystok den Juden zu Hülfe eilen, aber es wurdemir untersagt, ihnen Fahrkarten zu verkaufen. Die Kunde vonder Judenhetze verbreitete sich schnell in der Umgegend, und Haufenvon Bauern zogen nach Bialystok, um.die Juden zu hauen".—.Diesen wurden doch gewist keine Fahrkarten verkauft?"— ,O,auf die erstreckte sich daS Verbot nicht."Ein anderes Beispiel: Am zweiten Tage des Pogroms wolltedie jüdische Gemeinde von Bialystok einen Hülferuf an die Dumasenden. Aber daS Telegramm wurde auf dem Postamt zu Bialystoknicht angenommen!Die mit der Untersuchung der Bialhstoker Schandtaten beauf.kragte Duma-Kommission beniüht sich folgende Feststellungen zumachen:1. Untersuchung über die Herkunst der Hooligans. Wer liestsie nach Bialystok kommen, wer zahlte Transportkosten, wer besorgteBeköstigung und Wohnung? 2. Wer gab Soldaten Befehl zum Einschreiten, zur Verteilung von Munition? Selbe Frage für Kosakenund Polizisten. 3. Durch wessen Vermittelung wurden den Holigan« diejüdischen Geschäfte und Wohnhäuser und solche der Christen und Ans-länder ganz genaufzurKennwiS gebracht? 4. Durch wen wurden christ-liche Bedienstete der Juden rechtzeitig veranlaßt, ihre Stellungenwegen Gefahr für Leib und Leben zu verlassen? S. Wer istUrheber des Befehls, zu morden und zu rauben in Bialystok, undvon»em und woher erhielt er Befehl von auswärts? Auf Grundwelcher Befehle haben Soldaten, Kosaken und Polizisten nicht nurHooligans gegen jeden Angriff geschützt, sondern sie zum Mordenund Rauben befehligt? S. In wessen Händen befindet sich in diesemAugenblick der mörderische Befehl für das Massaker? 7. WelcheSoldatenabteilung, welche Polizisten und Hooligans nahmen anMetzeleien teil? 8. Was taten während der Metzeleien dieOber- und Unterbefehlshaber der Truppen und der Gendarinerie?8a. Woher erhielten die einzelnen Tnippenteile ihre Instruktionen?g. Zahl der demolierten oder geplünderten Geschäfte und Wohnungen?9a. Wie hoch ist der Gesamtschaden? 19. Wieviel Menschen fielen?Iva. Wieviel Verwundete, wieviel Krüppel, wieviel Geschändete?11. Zahl der Obdachlosen und Waisen? 12. Ist Befehl zur Ver-hastung von Räubern, Mördern, Dieben gegeben? 12a. Ist fürdie Rückerstattung der geraubten Güter gesorgt worden? 12b. Werhat hierfür die Befehle gegeben? 13. Sind Mörder und Diebebereits festgenommen? 14. Welche Mastregeln sind zur Verhütungweiterer Katastrophen getroffen?Zu den guten Seelchen, die Abscheu vor den Greueln desJudenschlachtenS mimen, aber.nichts tun" zu können erklären,gesellt sich Herr Roosevelt von Amerika, der schon bei minderempörenden Anlassen zuweilen eine ganz andere.Lippe riskiert'hat. Am Mittwochabend fand nämlich in der Synagoge von NewYork eine jüdische Trauerversammlung aus Anlast der Metzeleien inBialystok statt, an der 3000 Personen teilnahmen. Eine großeMenge Juden, die das Gebäude nicht mehr aufnehmen konnte.sanunelte sich austerhalb an. In der Versammlung wurde einSchreiben des Präsidenten Roosevelt zur Verlesung gebracht,in dem es heißt:.Ich werde mich über die Angelegenheit mitdem Staatssekretär Root besprechen. Sie wisien, wie sehr wirIhre Gefühle teilen, wie ergriffen und entsetzt wir über die Vor-gänge in Rußland sind. Sie wissen aber auch, dost es nahezuunmöglich ist, durch eine Intervention etwas anderes als Unheil an-zurichten."---Die deutsche Regierung schiert sich bekanntlich den Teufeldarum, ob irgendwo in stemden Lande» fremdes Volk gepeitscht,gefoltert, verbrannt, erwürgt wird. Nur wenn Deutsche in Be-tracht kommen, wird kleinen Staaten gegenüber sofort mit demgroßen Säbel gerasselt, großen Staaten-- zumal Rustland—gegenüber eilt leises ÄnstandSprotestchen vom Stapel gelassen. So hatdenn auch jetzt daS deutsche Auswärtige Amt angesichts der Vor-gänge in Bialystok— wie verlautet—.das dringende Ersuchen nachPetersburg gerichtet, geeignete Mastregeln zu treffen, um deutscheReichSangehörige und deutsche Unternehmungen, die in Bialystokzahlreich vertreten sind, ausreichend zu schützen. Darauf hat dierussische Regierung erwidert, daß sie derartige Mastnahmen getroffenhabe. Klagen deutscher ReichSangehöriger über erlittene Schädigungenliegen einstweilen nicht vor."Die Gärung im Heere schwillt..Nowole Wremja" meldet aus Sewastopol, daß in dem erstenFestungSarttllerie-Bataillon eine Gärung auSaebrochen ist. EinigeUntennilitär» verweigerten den Gehorsam! infolgedessen wurde daüganze Bataillon entwaffnet und eine Untersuchung eingeleitet. Hierauferklärte sich das zweite Bataillon mit dem ersten solidarisch und be-setzte die nördlichen Küstenbatterien, kehrte aber, als eS von In-fanterie ringsum eingeschlossen wurde, wieder in seine Kaserne zurück.Wie.Dwad Wer auS Rjäsan gemeldet wird, ist auch in demdortigen Truppenlager eine Gärung im Regiments Bolchow ans-gebrochen. Soldaten feuerten einige Schüsse in die Luft ab. DieOffiziere waren gezwungen, das Lager zu Verlasien. In der Nachtwurde das Zeughaus eingeäschert. Die Soldaten weigern sich, dieWache zu beziehen.Die Zeitung„Duma" benchtet, die von vier Kompagniendes jetzt w Petersburg stehenden Regiments Wiborg gestelltenForderungen seien erfüllt worden, worauf die Mannschaften deneingestellten Wachtdienst wieder aufnahmen.In der Tulaer Garnison ist eine Gärung in vollem Gange, dadie von den Mannschaften gestellten Forderungen abgelehnt wordensind. Bald darauf wurde konstatiert, daß aus den dortigenStaatSfabriken zahlreiche Gewehre und Patronen abhanden ge-kommen sind.Die Uurnhe im Lande wächst.„Slowo" meldet ans Riga: Die Lage in Livland, besonder?im Kreise Walk, ist höchst beunruhigend. Dasselbe Blatt meldetaus R y b i n s k. daß der Ausstand der Schiffsarbeiter große Ver-Wickelungen herbeizuführen drohe; auch unter den Eijenbahnarbeiterngäre es.„Slowo" meldet ferner auS Odessa: Das Militärgericht verurteiltedrei Personen wegen eines Raubüberfalles zum Tode durch Er-schieben, befürwortete aber Milderung des Urteils.Riga, 21. Juni. Sämtliche hiesigen Privatbanken haben an denGeneralgouverneur die Bitte gerichtet, ihnen militärischen Schutz zugewähren, da die revolutionäre Bewegung neuerdings im Zunehmenbegriffen ist. Die Arbeiter der großen Maschinenfabrik Pohle sindgestern in den Ausstand getreten.Kiew, 21. Juni. Der reichste Grundbesitzer OstrustlandS, Kra-sinSli in Belajazerkow, hat� wegen des drohenden Ausbruches vonAgrarunruhen eine eigene Sckintzwache von mehreren hundert Manngebildet und aus England sechs Maschinengewehre komme» lassen.Aus der Duma.Petersburg, 21. Juni. In der VormittagSsttzung wird über dieAnträge auf bürgerliche Gleichheit berate». Verschiedene Rednertreten für die Gleichberechtigung der Frauen und der Juden ein.Aladjin führchauS, man müsse der Frau die Freiheit geben, bevorsie selbst sich ihre Rechte mit Gewalt nehme I Besondere Auf-merksamkeit erfordere die Lage der zahlreichen mohammedanischenFrauen in Rustland. Redner spricht dann von den Vor-rechten der hohen Würdenträger und erzählt, eine« TageS seiein Generalleutnant in die Duma gekomnien, habe sich den großenKronleuchter angesehen und gesagt: dieser eigne sich nicht übeldazu, daß an ihm Aladjin und einige andere Dumamitglieder von derArbeitsgruppe aufgehängt würden. Leider, so fährt Aladjin fort,könne dieser General nach dem in Rußland bestehenden Gesetz nichtwegen seiner Aeusterung bestraft werden.— Redner verlangt dieAbschaffung aller auS einer hohen gesellschaftlichen Stellung sich er-gebende» Borrechte und aller Privilegien des Adels. Die russischeNation achte nur zwei Klassen, die Bauern und die Arbeiter.—Die äußerste Linke nimmt die Rede mit großem Beifall auf.— GrafHeyden wendet sich gegen Angriffe, die im Laufe der Debattegegen ihn gerichtet worden sind, und erklärt, er sei bereit, fürdie Verkündigung der bürgerlichen Freiheit einzutreten, essei aber unmöglich, die Gesetzgebung Rußlands im Handumdrehenzu reformiere».— Der Abgeordnete Lrwin erklärt, eine Judenfragegebe eS nur in Rumänien. Es sei notwendig, daß Rustland mdieser Angelegenheit Frankreich, England und Deutschland ähneleund nicht Rumänien. Redner schließt mit den Worten:„Ich binJude, ich habe nicht das Recht, in der Hauptstadt zu weilen. Ichwerde sofort nach Schluß der Sitzungsperiode der Reichsduma davon-gejagt werden."— Die Verhandlungen dauern fort.Wenn der„Rufs. Kur." richtig informiert ist, so macht sich beieinigen Reichsdumamitgliedern der gemäßigten Parteien eineversöhnliche Stimmung gellend. Die«versöhnlichen" Herrenwollen sich— wie's scheint— durch ein paar heuchlerische Phrasender ehrenwerten Regierung betölpeln lassen, die behauptet,„auf-richtig sl) gesonnen zu sein, der Duma weitgehende Konzessioneneinzuräumen und Mastnahmen zu treffen, um dle Beruhigung(I) imReiche schneller herbeizuführen".Zu diesem Regierungsschwindel bildet eine andere Meldung einhübsches Pendant. Sie besagt, daS Ministerium Goremykin sei er-schüttert und Nikolaus liege' dem biederen Trepow in den Ohren,daß dieser die Kabinettsbildung übernehme.Sollte Trepow tatsächlich beim Zaren wieder Hahn im Korbesein, so dürfte dazu vielleicht der Unistand beigetragen haben, daßder edle Mann eS verstanden hat, letzter Tage eine sensationelleNachricht über ein verunglücktes Attentat auf sein kostbares Leben indie Welt posaunen zu lassen.— Den guten Nikolaus aber rührt soetwas; denn er hat bekanntlich ein sehr weiches Herzchen.Und Trepow weiß das.—„Gebt eine Zeitung! Gebt eine Zeitung!"AuS Petersburg wird geschrieben:In der Provinz, unter der Bauernschaft, wird eine ungeheureNachfrage nach Zeitungen beobachtet. AuS dem GouvernementP e n s a wird gemeldet, daß dort die Zeitungen jetzt in viel höheremGrade gelesen werden als die Telegramme während des russisch-japanischen Krieges I AuS dem Gouvernement R i a s a n j schreibtman, daß während der letzten Tage dort dasselbe beobachtet wurde,was lvährend des Krieges beobachtet werden konnte: Wenn einEil'enbahnzug unweit eines Dorfes passiert, stellen sich der Eisen-bahnlinie entlang die Dorfjungen auf und schreien:„Gebt eineZeitung l Gebt etne Zeitung!" AuS den Wagenfenstern fliegen ihnenZeitungen entgegen, und die Kinder schlagen sich um sie, wobei aberdie Zeitung selbst auf daS sorgfältigste geschont wird. Sobald einergesiegt hat, läuft er mit dem gedruckten Blatt Papier nach Hause,um den erwachsenen Bauern die heistersehnte geistige Nahrung zuliefern.In Petersburg in den politischen Klubs und heute auch inden Zeitungen werden immer mehr Stimmen laut, die das Publikumauffordern, eine Organisatton für Gratisversendung der Zeitungenan die Bauern zu schaffen.Je lauter das Verlangen des Volkes zutage tritt, über denVerlauf der Ereignisse im gärenden Vaterlande aufgeklärt zu werden,desto brutaler suchen die Schergen Väterchens den verhaßtenZeitungen zu Leibe zu gehen. So hat— um nur ein Beispiel zunennen— General Timofojew während seiner viermonatigen Herr-schaft in Tiflis nicht weniger als 23 Zeitungen unterdrückt, wohldie höchste Zahl, die in dieser Beziehung jemals erreicht worden ist.Da aber dte findigen und opferwilligen Journalisten und Druckerin TifliS Mittel und Wege finden, immer wieder neue Zeitungenherauszugeben, so verfährt er in der Ausübung seines eigenartigenSports jetzt so, daß er alle Personen, die in den Verdacht kommen,„Zeitungsmenschen" zu sein, aus dem ihm unterjochten Gebiete ein-fach ausweist.—__Die beiden taktischen Auffassungen inder russischen Sozialdemokratie.Der letzte Parteitag der russischen Sozialdemokratie, der so-genannte.Vereinigungsparteitag", hat zwar die beiden einander be-kämpfenden Fraktionen organisatorisch tn den Rahmen einer Parteizusammengefaßt, doch haben sich die takttschen Gegensätze als zutiefgehend erwiesen, als daß eine Versöhnung derselben möglich ge-weien wäre. Diese Gegensätze wurzeln in einer verschiedenen Auf-fassung der gegenwärtigen politischen Lage, und da der ftit demParteitag verflossene Zeitraum noch keiner der beiden Richtungenendgültig recht gegeben hat, so fährt jede von ihnen fort, auf ihremStandpunkte zu verharren und ihn in zahlreichen Resolutionen. Auf-rufen usw. zu verfechten. In nachstehenden Zeilen wollen wirversuchen, in knapper Form eine objektive Darlegung der beidentaktischen Auffassungen zu geben, da die Bekanntschaft mit ihnen fürjeden unerläßlich ist. der sich für den inneren EnlwickelungSgang derrussischen Sozialdemokratie interessiert.Die Fragen, die am meisten zur taktischen Scheidung der beidenFraktionen beitragen und um die sich der ganze Streit dreht, sind:das Verhalten der Sozialdemokratie zur Duma und die Unterstützungder bürgerlichen Demokratie. Diese beiden Fragen sind bei dergegenwärtigen Lage der Dinge in Rußland io eng mit einanderverflochten— da ja die Dunra gerade der bürgerlichen Demokratieihren oppositionellen Charakter zu verdanken hat—, daß ihre ge-trennte Diskussion überhaupt kaum möglich ist; deshalb wollenauch wir hier die beiden Fragen mit einander verbunden behandeln.Wir legen zuerst den Standpunkt der sogenannten„Majorität" dar,deren namhaftester Vertreter Lenin ist; die taktischen Ansichten der„Minorität" unter der Führung PlechanowS können dann leichtdurch Gegenüberstellung mit den ersteren klar gemacht werden.Der selbständige Aufmarsch der bürgerlichen Demokratie hatsich unter der Fahne der K.-D.-Partei vollzogen; dieS ist leichtdadurch zu erklären, daß die extremen Parteien dank der BemühungenWitte-Durnowos von der Wahlbeteiligung ausgeschlossen waren unddie„kadettischen" Kandidaten daher die Stimmen derjenigen Ele-mente aus den Reihen der städtischen Kleinbourgeoifie und derBauern auf sich vereinigt hatten, die unter günstigeren Umständenzweifellos viel, viel radikaler gestimmt hätten. Diese revoluttonär ge-sinnten Mitläufer haben nicht vermocht, der Partei ihren Stempelaufzudrücken; tonangebend bleibt in der Partei der gemästigteSemstwo- und Profesiorenliberalismus; sein Ideal ist eine kon-stitutionelle Monarchie, in der die Macht zu drei gleichen Teilendem Kaiser, dem Grundbesitz und dem Unternehmertunt in der„Oberen", dem„Volke" aber in der.Unteren" Kammer ge«hört. Gegenwärtig sind sie— wie sie auch in ihrer offiziellenPresse oft genug durchblicken lassen— sogar bereit, sich mit etwa?weniger zufrieden zu geben! So ist ihnen denn jedes Mittel gut,das den revolutionären Kampf des Volkes, der in seiner vollen Eni-faltung die kadettischen Pläne zu nichte machen würde, zum Still-stand bringen kann. Ein solches Mittel sehen sie mit Recht in derDuma. Darin liegt eben die größte Gefahr für die K.-D.,daß sie, während in Rustland jetzt der austerparlamentarischeKampf des Volkes uni den wahren Parlamentarismusan der Tagesordnung steht. aus Leibeskräften bemühtsind, die Massen durch Schein konstitutionalismus zu be-tören, sie durch die Verherrlichung konstitutioneller Illusionen vomrevolutionären Kampfe unt eine konstituierende Versammlung abzu«lenken.Die erste Pflicht und die vornehmste Aufgabe der Sozial-demokratie ist daher nicht nur die Gekämpfung der konstitutionellenIllusionen selbst, sondern auch die Bekämpfung der Partei, die sichderen Verbreitung als Ziel gesteckt hat, um in Wirklichkeit ihreliberal-monarchischen Kompromißpläne realisieren zu können. DieWeigerung, sie zu unterstützen, ist aber durchaus nicht gleichbedeutendmit einer Weigerung, die bürgerliche Demokratie überhauptzu unterstützen. Die Sozialdemokratte versagt ihre Unterstützung nurdem rechten Flügel, der einen konsequent durchgeführte»Demokratismus fürchtet und sich an den ScheinparlamentariS-muS klamniert; sie gewährt aber Unterstützung dem linken Flügel— dem städtischen Kleinbürgertum und den Bauern, in derenInteresse ein voller, uneingeschränkter Demokratismus liegt; zwarhaben sie für die Kadetten gestimmt, zwar hält sie in bedeuten-dem Maße der Bann der kadettischen konstituttonellen Jllufionen ge-fangen, aber sie werden ihn sofort abschütteln, wenn sie sich auseigener Anschauung überzeugen werden, dast mit dieser Duma ihrZiel nicht erreicht werden kann. Aufgabe der Sozialdemokratie ist eS,diesen AbschüttelungSprozeß nach Kräften zu unterstützen und daSrevolutionäre Bauerntum und die Kleinbourgeoisie zum gemein-samen austerparlamentarischen Kampfe Hand in Hand mit demProletariat aufzurufen. DieS der Standpunkt der.Majorität."Der Standpunkt der„Minorität" ist wesentlich ein anderer. ImGegensatz zur„Majorität" legt sie der Dunta keine antikonstituttonelle,sondern eine revolutionäre Bedeutung bei. Der Gang derEreignisse wird sie— mag sie wollen oder nicht— auf revolutionäreBahnen drängen, aus ihr eine Etappe auf dem Wege zur.kon-stituierenden Versammlung" machen. Es ist daher notwendig, die Dumaals s o l ch e, als G a n z e S. zu unterstützen. Ausgabe der Sozialdemo-kratie ist es nur, die Duma auf dem ihr beschiedenen revolutionäre»Wege vorwärts zu treiben. Im Gegensatz zur.Majorität"betrachtet die„Minorität" Kadetten und Arbeitsgruppe als einenkompakten Block der demokratischen Bourgeoisie, ohne einen Unter-schied zwischen ihren verschiedenen Teilen zu machen; daher kommtsie logisch zu dem Schluß, dast die Kadetten in gleichem Maße aufdie Unterstützung der Sozialdemokratie Anspruch erheben können.wie auch andere demokratische Schichten der Bevölkerung.Beide von uns dargelegten taktischen Ansichten haben in ge-wislent Grade Recht, sowie sie auch in gewissem Grade Unrechthaben. Ein Fehler, der beiden im gleichen Maße anhaftet, ist, dastsie ihre Taktik nur auf eine Entwickelungsmöglichkeit der Revolutionzugcichnitten haben: die„Majorität" auf Volkserhebung, unabhängigvon der Duma, die„Minorität" auf die Revolutionierung derDuma, während eS doch in der äußerst verwickelten politischen LageRußlands Elemente gibt, die je nachdem die eine oderdie andere Lösung der Krise herbeiführen können. Bei derFeststellung der zu befolgenden Taktik müssen daher beideMöglichkeiten im Auge behalten werden. Der Standpunkt der„Minorität" führt sie zu einer Vertuschung des Gegensatzes zwischendem rechten und dem linken Flügel der bürgerlichen Demokratie,zu einer Ueberschätzung der Duma zuungunsten der Massenaktionendes Proletariats und der kleinbürgerlichen Schichten. Die.Majorität" begeht den entgegengesetzten Fehler, indem sie die Be-deutung der Duma als eines wirksamen Agitationsmittels, daszurückgebliebenen Schichten aufrütteln hilft, außerdie politischacht läßt.ES gibtfassung derrichtigere istjedoch Anzeichen, die dafür sprechen, daß die Auf-Majorität" trotz ihrer Fehler dennoch vielleicht dieDie Gärung und die Unruhen, die jetzt erneutim ganzen Lande ausbrechen, legen Zeugnis ab von einem neuenAnschwellen des revolutionären Geistes. Die Duma macht aberkeinerlei Anstalten, den Weg zu betreten, sie versumpft im Gegenteilimmer mehr im Moraste der„gesetzlichen",„parlamentarischen"Tätigkeit; ihr Ansehen, die auf sie gesetzten Hoffnungen, das ihrentgegengebrachte Vertrauen sinken mit jedem Tage, die Unzuftieden«hcit der Bevölkerung w ä ch st, die Situation spitzt sich immer mehrz», und wenn die Dunia endgültig das Vertrauen verliert, ehe imLande genug Zündstoff flir die Entscheidung aufgehälift ist, dannwird der einmal zum Durchbruch gelangende revolutionäre Sturmsich nicht mehr der diskreditierten D u nr a als Werkzeug bedienen,sondern achtlos an ihr vorbei seinen eigenen Weg gehen.TIiis der Partei.vom Wachstum der Presse. Seit Anfang dieses Jahres ist dieAbonnentenzahl der.Freien Presse" zu Elberfeld-Barmen um über 3000 gewachsen.Totenliste. Ein Parteiveteran starb zu Mittweida(König-reich Sachsen), der Genosse Anton Fischer. Er hat mit an derWiege der Partei gestanden, in Mittweida war er unter den Gründernder Bewegung. Bis ins Greisenalter hat er für die Partei gewirkt.auch in der Zeit des Sozialistengesetzes hat er tapfer seinen Manngestanden. Ins Stadtparlament wurde er wiederholt gewählt. Inallerletzter Zeit trug er sich noch mit dem Gedanken der Abfassungeiner Geschichte der Parteibewegung von Mittweida, zu der er wiekaum ein zweiter berufen gewesen wäre. Weber von Beruf, warer im Leben von Unglück verfolgt und Not und Sorge waren oftbei ihm zu Gaste.Die Zwifligkeiten im Wahlkreise Sorau-Forst. Zu der ErklärungdeS Genossen Marckwald in Nr. 140 des.Vorwärts" schreibt unsGenosse Paul P l o t t k e« Forst, Expedient der»Märkischen Bolls«