Nachschub. Petersburg » 29. Juni. (Meldung der Petersburger Tel* graphcnagentur.) Nach einer Meldung aus C Harbin vom 27. d. Mts. ist die letzte Staffel der Mandschurei -Armee nunmehr nach Rußland abgegangen. Die in der Mandschurei zurück gebliebene, sehr kleine Zahl von Truppen wird erst im nächsten Jahre allmählich zurückbcfördert werden. Die russische Regierung braucht neue Kämpfer gegen den »inneren Feind"! Wenn sie sich nur nicht täuscht: Die Krieger, die den jämmerlichen Feldzug gegen Japan mitgemacht haben, sind zum Glück nicht gerade das beste Material im Kampfe gegen die Revolution. Die Streiks. Baku , 28. Juni. (Meldung der Petersburger Telegraphen- vgentur.) Auf den Naphtawerken herrscht Ruhe. Auf den Werken zweier Firmen dauert der Ausstand fort. Nach einer Mvldung aus Rostow a. Don sind dort die Hafen- Arbeiter in den Ausstand getreten. Noworossiisk» 29. Juni. Die hiesigen Hafenarbeiter streiken. Die Duma. Petersburg, 29. Juni. (W. T. SS.) Die Duma verhandelte heute über den Gesetzentwurf betreffend das Versammlungsrecht. — Vor Eintritt in die Tagesordnung wurde eine Erklärung der Sozialisten verlesen, in der diese der Duma ihre Unterstützung im Kampfe gegen das Willkürregimcnt zusagen, die Duma aber nur als erste Etappe auf dem Wege zur konstituierenden Versammlung bezeichnen. Mehrere Redner der Linken sprachen sich gegen den Gesetzentwurf aus, da er wenig liberal und voller Einschränkungen sei, wie sie nur in der deutschen Gesetzgebung beständen. Abgeord- neter Ramischvili verurteilte in langer Rede die von der Regierung gegen Versammlungen der extremen Parteien ergriffenen Masz- nahmen und erklärte, sich an das Zentrum und die Sstechte wendend: Die Sozialiste» sind zwar nicht zahlreich in der Duma, sie haben aber den Trost, daß sie das wahre russische Volk vertreten, das sie unterstützen wird. Alle Versicherungen, daß Rußland einen neuen Weg zum Fortschritt ohne eine Revolution beschreiten könnte, sind falsch. Petersburg. 29. Juni.„Slowo " widerspricht heute einer gestrigen Auslassung der„Nowoje Wremja", in der die Stellung des Kabinetts Goremykin als sehr fest bezeichnet wurde. Mit seinem letzten Vortrage über die Reichsduma, schreibt das Blatt, habe Goremykin Fiasko gemacht. In Peterhof erkenne man an, daß der Ncichsduma die Funktion der höchsten Staatseinrichtung gebühre und daß die Minister verpflichtet seien, sede Interpellation der Reichsdüma zu beantworten. Diese sei befugt, jede Frage zur Er örterüng zu bringen. Goremykin habe sich überzeugt, daß eine Aus lösung der Reichsdüma unter keinen Umständen erfolgen werde. Verblendung. Der Senat beschloß, die Geschäftsordnung der Duma, die ihm zur Veröffentlichung übergeben worden ist, zu einer neuen Redal tion an die Duma zurückzugeben. Der Senat fand, daß die Duma in mehreren Artikeln der Geschäftsordnung ihre Kompetenz über schritten hatte. Hieraus resultiert ein neuer Konflikt mit der Nr gierung. Abgeschnitten! Warschau , 29. Juni. Seit gestern, ist die telegraphische Ver bindung mit Spetersburg und Moskau unterbrochen. Die Aufregung ist groß.. In der italienischen Kammer kam Turati zum Schluß einer Rede auf die russische Revolution zu sprechen. Er widmete den russischen Revolutionären anerkennende Worte, verurteilte auf das schärfste die Grausamkeiten des Zarismus und begrüßte die russische Duma als den Keim des zukünftigen Parlaments eines späteren russischen Kulturstaates. Seine Rede wurde von der Linken und dem Zentrum bis lveit hinein in die Rechte und von den Tribünen mit großem Beifall begleitet. poUrtfehe üeberlicbt Berlin , den 29, Juni. Altena -Jserlohn. Die Nachwahl in Altena -Jserlohn hat. obgleich sich das Stimmenverhältnis seit der letzten Hauptwahl nur wenig ver- schoben hat, eine äußerst interessante politische Situation ge- schaffen, indem dadurch, daß die Freisinnigen 64 Stimmen verloren und das Zentrum 1170 Stimmen gewann, jetzt der Zentrumskandidat. Regierungsrat Klocke. mit unserem Partei- genossen Haberland in die Stichwahl kommt. Das Zentrum hatte, wie so oft, die Kirche in den Dienst der Politik gestellt, und da 26 Proz. der Bevölkerung des Kreises katholisch sind, gelang es dem Zentrumskandidaten von 34188 Stimmen 7774, also 22,7 Proz., zu erobern. Jetzt sind die liberalen Kulturkämpfer, die seinerzeit Lenzmanns Wirken im Alexianerprozeß als eine Kulturtat ersten Ranges priesen, genötigt, sich vor den ultra- montanen Karren zu spannen. Es ist bitter für die armen Freisinnigen, aber sie werden sich in das Unvermeidliche fügen und mit echtem Mannesmut für den Kandidaten eintreten, der jeden Satz des freisinnigen Programms bekäinpft. Würde Richter noch leben, dann würde sicher die Moralpredigt nickt ausbleiben, daß die Sozialdemokraten wieder durch ihre Wahl- beteiligung der Reaktion Vorspanndienste geleistet hätten. Wenn die Freisinnigen in Stichwahlen für ultrareaktionäre Kandidaten eintreten, dann sind nach freisinniger Logik die Sozialdemokraten die Schuldigen, weil ein Freisinniger lieber alle seine Ideale vernichtet sieht, als daß er für einen Sozial- demokraten stimmt. In diesem Wahlkampf hatten sämtliche Parteien andere Kandidaten wie 1903. Unsere Genossen brachten für Haber- land 401 Stimmen mehr auf, als 1903 Genosse Gewehr er- halten hat. Sie stiegen damit von 30,4 Proz. auf 30.9 Proz. der abgegebenen Stimmen. Was wird nun aus all den schönen Schlagworten, mit denen die Nationalliberalen und Freisinnigen im letzten Wahlkampf operiert haben? Da hieß es in den national- liberalen Wahlaufrufen:„Ein Wahlkreis mit 73 Proz. pro- testäntischer Bevölkerung kann und darf nicht durch einen Zentrumsmann im Reichstage vertreten werden." Und die Freisinnigen wiesen rühmend darauf hin, daß an kultur- kämpferischen Taten Lenzmann, der verstorbene freisinnige Abgeordnete des Kreises, allen nationalliberalen Kultur- kämpsern überlegen gewesen ist. indem er in dem Alexianer- prozeß mit kräftiger Faust in das Wespennest gegriffen und der Welt bewiesen hätte, daß unter dem Deckmantel christlicher Nächstenliebe sich ein System abscheulicher Menschenquälerei verborgen hatte. Und nun?— In den nächsten Tagen müssen die freisinnigen und nationalliberalen Freihändler und Kulturkämpfer Wahlaufrufe unterschreiben, in denen sie alle Gegner der Schutzzöllnerei und der Klerikalisierung der Politik auffordern, für den schutzzöllnerischen katholischen Regierungs- rat Klocke zu stimmen. In der schlimmsten Zwangslage ist der Freisinn. Aus eigener Kraft kann er kein Mandat mehr erobern. Er muß in jener Gegend von der Mildtätigkeit des Zentrums leben. Am 19. Juli ist Nachwahl im Nachbarkreise von Iserlohn , in Hagen , wo ein Nachfolger für Richter gewählt werden muß: dort aber hat die freisinnige Volkspartei das Zentrum inso- fern beleidigt, als sie gewagt hat, ohne vorher die Erlaubnis des Zentrums einzuholen, den Oberbürgermeister Cuno von Hagen aufzustellen, der in früheren Zeiten einmal in einer Festrede das Zentrum arg gekränkt hat. Nun droht das Zentrum, welches im Hagener Kreise über rund 4500 Stimmen verfügt, so wie so schon, daß es Cuno durchfallen lassen will Sicher würde das Schicksal des Hagener Mandats für die Freisinnigen besiegelt sein, wenn die Freisinnigen es in Jsev lohn an dem nötigen Eifer fehlen lassen sollten. Diese können also nicht anders, Arm in Arm mit den Kaplänen müssen sie. die Vorkämpfer für Freihandel und bürgerliche Rechte, von Haus zu Haus ziehen, um für ihren Gegner Stimmen zu betteln. Sie müssen es, obwohl noch nicht einmal feststeht, daß sie das Hagener Mandat erlangen. In Hagen wie in Iserlohn sind unsere Genossen tapfer an her Arbeit. Der Iserlohner Kreis ist insofern ungünstig für uns, weil er gar keine Großstädte hat, denn die beiden größten Orte des Kreises, Lüdenscheid und Iserlohn , haben kaum 25 000 Einwohner. Anders liegt die Sache im Kreise Hagen Dort wohnen von den 200 000 Einwohnern 124 608 in Städten mit mehr als 10 000 Einwohnern, und im selben Verhältnis wie die Großindustrie angeschwollen ist, ist auch unsere Be wegung dort gewachsen. 1903 hatten wir von 36 721 abge gebenen Stimmen bereits 13 870, also 37,8 Proz. So kann es dem Liberalismus passieren, daß er zwei Kreise, die seit Gründung des Deutschen Reiches sein ununterbrochener Besitz waren, innerhalb eines Monats in der Nachwahl verliert. Im Iserlohner Kreise war auch S t ö ck e r auf dem Kampfplatz erschienen, um die Arbeiterstimmen für den christ lichsozialen Rüffer einzusaugen. Die Flugschriften für Rllffer (christl. soz.) waren aus den Flugschriften des Reichsverbandes gegen die Sozialdemokratie zusammengesetzt. Wie wenig aber Stöcker und Reichsverband uns schädigen, zeigt die Tatsache, daß unsere Stimmenzahl von 10 146 auf 10 547 stieg. Stöcker und der Reichsverband haben nur bewirkt, daß die Stimmen für den nationalliberalen Kandidaten von 7440 auf 6552 zurück gegangen sind. In Zentrumskreisen wird man Herrn Stöcker für diese Hülfe danken. Wir können mit dem Erfolg der Wahl in jeder Beziehung zufrieden sein, denn wir haben trotz der wüstesten Agitation der Gegner 400 Stimmen gewonnen. Für die Kandidaten der gegnerischen Parteien stellt sich das Ergebnis wie folgt: Letzte Zu- resp. Wahl dlbnahme 7774 6604-f 1170 7673 7737— 64 6552 7440— 888 1637 1457+ 180 haben die Nationalliberalen abge Zentrum.... Freis. Volkspartei Nationalliberal. Christlickikozial.. Am schlechtesten schnitten, deren Blätter noch vor einigen Tagen hofften, mit unserem Kandidaten in die Stichwahl zu kommen. Die„Köln . Ztg." gibt denn auch die Niederlage offen zu, indem sie schreibt: „Das Ergebnis der gestrigen Reichstagswahl ist eine be- schämende Niederlage des Liberalisn, us und ein großer, unerwarteter Erfolg des Zentrunis. Rund 14 300 Stimmen haben die beiden liberalen Parteien zusammen aufgebracht, und doch sollen sie das Mandat, das seit der Gründung des Reiches in liberalen Händen ivar, an das Zentrum abtreten, das nur an 7800 Stimmen für seinen Kandidaten zählen konnte. Deutlicher kann den liberalen Parteien nicht vor Augen geführt werden. wohin der ewige Hader zwischen ihnen führt und wie not eS wäre, gegen die beiden gemeinsamen Feinde: UltramontanismuS und Sozialdemokratie, sich eng zusammenzuschließen, statt sich zu befehden in unfruchtbaren und. wie die gestrige Wahl zeigt, ver- derblichcn. selbstmörderischen Kämpfen." Dennoch, trotz dieser Feindschaft gegen den„Ultramontw nismus", hält es das Blatt für selbstverständlich, daß die Nationalliberalen in der Stichwahl geschlossen für den Zen trumskandidaten eintreten: Bei der Stichwahl erhofft die ZentrnmSpartei des Wahlkreises die glatte Wahl ihres Kandidaten. Schon vor Wochen hat die Leitung der Zentrumspartei dort bestimmt erklärt: komme ihr Kandidat in die Stichwahl und finde nicht die volle Unterstützung der Freisinnigen, dann werde das Zentrum bei der bevor st ehe„den Wahl in Hagen , wo die Frei finnigen das Mandat Eugen Richters in Stich- wähl mit der Sozialdemokratie behaupten wollen, an den Freisinnigen Vergeltung üben. Diese Lage der Dinge in Hagen dürfte in erster Linie die Frei- sinnigen in ihrer Haltung in der Stichwahl in Altena -Jserlohn zugunsten des ZentiumS beeinflussen. Die nationallibe- rale Partei wird tvohl die Parole ausgeben, in der Stichwahl für den Zentrumskandidaten ein- zutreten, denn die Wahl des sozialdeinokrati« tchen Kandidaten muß natürlich unter allen Um- st änden verhindert werden. Noch ein kaiserliches Festspielhaus. Aus Kassel wird uns geschrieben: Außer Berlin . Hannover und Wiesbaden hat auch die. Residenzstadt " Kassel den großen Vorzug, ein königliches Hofiheater in seinen Mauern zu bergen. Das ist der Fall seit nunmehr vierzig Jahren, nämlich seit 1866, seitdem Wilhelm I .. Preußenkönig von Gottes Gnaden. feinen liebwerten Vetter Friedrich Wilhelm . Hessen - Kurfürst von Gottes Gnaden, vom Throne jagte. Bei der Expropriation, die der Preutzenkönig bei dem Expropriateur, dem Hesfenfürsten, vornahm. ging auch das Theater in den Besitz der— wie man zu sagen pflegt:—„preußischen Krone" über. Das Kasieler Hoftheater ist— mit gebührendem Respekt zu bemerken— sozusagen ein alter Kasten. Es soll ein neues Thealer gebaut werden. Nach langem hin und her wurde zwischen den Vertretern der Krone und den Vertretern der Stadt Kassel vereinbart: Das alte Thealer wird auf Abbruch verkauft; zu der Summe, die für das Grundstück bezahlt wird— 2005 000 Marl — soll die Stadt Kassel 600 000 Mark zulegen und für den Betrag von 2605 000 Marl soll das neue Theater erbaut werden. Das Grundstück für den Neubau sollte vom Fiskus gratis ab- gegeben werden. Soweit so gut. Nun entstand aber eine Streit- frage wegen des Platzes, auf dem das neue Theater errichtet werden ollle. Die verschiedensten Vorschläge wurden gemacht. Schließlich entschied der Kaiser sich für einen Platz, der nach der Ueber- zeugung sehr vieler Menschen unter keinen Umständen geopfert werden dürfte: den Friedrichsplatz. DaS ist einer der größten Plätze Deutschlands , einer der schönsten, zweifellos aber der eigenartigste aller uns bekannten Plätze. Er ist 324 Meter lang, 152 Meter breit. Im Nordwesten wird er begrenzt von der Haupt- traße Kassels, der Kriegsstraße; an der nordöstlichen Längsseite stehen nebeneinander: zwei Schlösser aus kurfürstlicher Zeit, das Museum, die Kriegöichule und die katholische Kirche . Dieser imposanten Front gegenüber' stehen Geschäfts- und Privathäuser. Die besondere Eigenart des Platzes stellt der Abschluß im Südosten dar. Hier steht das Auetor, ein niederes, zierliches, von zwei kleinen Wachthäufern flankiertes Tor aus rotem Sandstein, durch das man das berühmte Karlsaue, den Kasseler Tiergarten, betritt. Da nun der Friedrichs- platz wesentlich höher liegt als die Karlsaue, so sieht man von allen Seiten des Friedrichsplatzes durch und über das Tor hinweg über die Karlsaue und das entzückende Fuldatal hinaus nach den fernen Höhen- zügen— Söhre und Meißner. Das ist ein wahrhast entzückendes Bild. Zweifellos ist der Friedrichsplatz mit dem offenen Auetor- abschluß die schönste Perle unter den vielen berühmten Stadtbildem Kassels. Man kann sich denken, welche Auftegung in weiten Kreisen Kassels entsta>rd, als der Kaiser bestimmte, daß das Auetor zu beseitigen und an seine Stelle das neue Theater zu bauen sei. Daß die Kasseler Stadtverordneten, unter denen bei der entscheidenden Abstimmung nur e i n Sozialdemokrat sich befand, bis auf einen Vertreter, dessen Gefühl für Schönheit sich entsetzt sträubte, sämtlich umfielen, jede Opposition unterließen und den kaiserlichen Willen devot zu beachten beschlossen, wird die Leser dieser Zeilen nicht überraschen, wenn festgestellt wird, daß diese Stadtväter liberal sind.... Allmählich hat man sich in Kassel mit dem Gedanken verstaut gemacht, daß demnächst das Auetor mitsamt der herrlichen Aussicht verschwunden und der Friedrichsplatz an jener Stelle durch einen Theaterbau zugemauert sein wird: daß aus dem prächttgen Unikum, das der Friedrichsplatz bisher darstellte, ein Dutzendplatz ge- worden sein wird. Man nahm allgemein an. daß die Platzverschande- lung bald losgehen werde. Da kommt wie ein Blitz aus heiterem Himmel eine Nachricht, die den ehrsamen Spießern in Erinnerung ruft, daß „Plötzlich" noch immer Trumpf ist. In einem der vier„unpolitischen" Blätter, die in Kassel erscheinen, wurde mitgeteilt: „Wie wir hören, hat sich bei einer Nachprüfung des Karstschen Projekts herausgestellt, daß, wenn es in voller Opulenz unter Anwendung der neuesten innertechnischen Errungenschaften ausgeführt wird, sich Mehrkosten von einer Million ergeben. Die Krone hat sich nun bereit erklärt, von dieser Summe noch 200000 M. zu übernehmen, wenn sich die st ä d t i s ch e n Behörden entschließen, für den Rest aufzukommen und die entsprechenden Mittel zu den bereits zugestandenen zu bewilligen. Wir würden aber dann auch ein Thealer von seltener Schönheit erhalten, das vorbildliw werden dürste. Es liegt im Plan, das königliche Theater unter diesen Voraussetzungen zu einer Musteranstalt zu machen. Ferner soll die Absicht bestehen, all- jährlich im August während der Residenz des Kaisers aus Wilhelmshöhe Musteraufführungen ähnlich wie die Maifestspiele in Wiesbaden zu ver- anstalten. Es liegt auf der Hand, daß bei Durchführung dieser Pläne ein außerordentlich wirksames Mittel für die Förderung des Fremdenverkehrs in Kassel gegeben wäre." Die bürgerlichen Blätter— alle bürgerlichen Blätter in Kassel nennen sich parteilos und suchen sich gegenseitig an Katz- buckelei zu übertreffen— haben das vor Monaten vom Kaiser für gut befundene Theaterprojekt des Herrn Karst in den höchsten Tönen gepriesen. Kaum ist jetzt der neue Wunsch, in Kassel ein F e st s p i e l h a u s zu errichten, durchgesickert— von welcher Seite der„Wunsch" ausgeht, steht nicht in Frage—, da finden dieselben Blätter, daß dieser Wunsch geradezu bewundernswert sei. Daß die Stadtverordneten sofort über den Stock springen, ist ganz selbst- verständlich, man ist dort, wie bereits angeführt, liberal. Ueber kurz oder lang wird also das herrlichste Stadtbild Kassels zerstört und an seiner Stelle ein Prunkbau entstanden sein, der würdig ist, alle Jahre wenige Musteraufführungen zu erleben. Lio volo, eio jubso! W �» Deutfchea Reich. Auö dem Kolonialsumpf. Die„Koloniale Zeitschrift" entrüstet sich über die Anmaßung deS Zentrums, die Kolonialpolitik der klerikalen Konstolle unterstellen zu wollen. Hinter dem Vorgehen deS Zentrums in der Kolonialpolitik stecke nichts, als das kirchliche Interesse der Partei. Das ist an sich ganz richtig, ändert aber nicht das geringste an der Berechtigung der noch viel zu schonenden Zentrums- kritik. Die„Köln . Volksztg." hält übrigens höhnisch dem kolonial- freundlichen Blatte folgendes ihm selbst entnommene Zitat unter die Nase: „Der Reichskanzler hat ein schönes Programm für die Reform in unseren Schutzgebieten von der Tribüne des Reichstages herab verkündet. In der Denkschrift über die EntWickelung der deutschen Schutzgebiete wird, wenn man von den Ausgaben für Südwest- afrika absieht, dargelegt, wie prozentualster die eigenen Einnahmen im Verhältnis zu den fortdauernden Ausgaben gestiegen sind. Woher soll aber das Vertrauen zu diesen amtlichen Aus- lassungen kommen, wenn seit Jahren ein solches, möchte man sagen, systematisch zerstört worden ist? Die langen Berichte in den Zeitungen über die gemachten Fortschritte lesen sich wunderhübsch, wer aber fortdauernd hinter die Kulisse geblickt hat, der weiß, mit welcher Vorsicht gerade diese Mitteilungen aus den Kolonien aufgenommen werden müssen, der weiß, wie mit den öffentlichen Geldern in wenig angemessener Weise gewirtschaftet worden ist. Gott ist groß und der Gouverneur ist weit: in sinngemäßer Weise kann das russische Sprichwort recht wohl auch auf unsereKolonien angewendet werden." Auch die nationalliberale„Dortmunder Ztg." bringt pikante Indiskretionen. So behauptet ein Berliner Korrespondent de« Blattes ent« gegen der am 22. Mai veröffentlichten offiziösen Erklärung, der Erbprinz habe„lediglich eine Remuneration in Höhe des etatsmäßigeen DiensteinkommenS des Direktors der Kolonialabteilung bezogen," daß Erbprinz Hohenlohe seit Jnnehabung des Kolonialdirektor- anstes außer dem Gehalt des Kolonialdirektors von 20 000 M. jährlich»ine Zulage von 24000 M. auS dem kaiserlichen DisposittonssondS erhalten haben soll, ebenso soll seine Berliner Wohnung in der Hohenzollernstraße am Tiergarten mit weiteren 20 000 M. aus dem Dispositionsfonds bestritten worden sein. Diese Extravergütungen an den Erbprinzen seien angeblich vorläufig dem Teil des DisposittonSfondS entnommen worden, der zur Unterstützung von Offiziers witwen und-Waisen bestimmt, aber nicht völlig verbraucht worden sei. Und im Zu- sammenhang mit den C h i c a g o e r F l e i s ch s k a n d a l e n, die doch angeblich der preußischen Regierung„längst be- kamst" gewesen sind, registriert die„Dortmunder Zeitung" die Behauptung, daß„seit vielen Monaten regel- mäßig große Sendungen von solchem amerikanischen Corned Beef nach Südwestafrika gehen und dauernd einen Hauptbestandteil der Verpflegung unserer Truppen bilden.„Noch im Monat Mai sind mehrere tausend Kisten C o rn e d B e e f amerika- Nischen Ursprungs nach Lüderitzbucht verschifft worden."— AuS der württembergischen Landespolitik. Stuttgart , 28. Juni. (Eig. Ber.) Das wichtigste, über das zu berichten ist, ist die Stellung- nähme der Ersten Kammer zur VerfassungS- e v i s i o n. Zwar hat das Plenum der Ersten Kämmer noch nicht gesprochen, sondern nur erst die Kommission, aber man ist nach der bisherigen Erfahrung berechtigt, darin bereits den Willensausdruck der gesamten Kammer zu sehen. Diese Kommissionsbeschlüsse er- weisen nun. daß die Erste Kammer offenbar willens ist. das Zu- standekommen der Verfafsungsreform ihrerseits wirklich zu fördem und vor allem den aufaiias allgemein erweckten Eindruck zu ver-
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