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Nr. 149. 23. IahrMg. 1 ßtilM des Jonsöttf Kerlim lolMU. Zovnabevd. 30. M 1906. Der Gelvallßreich gegen die Nemscheider Ortskraukell- küsse vor GeriG. Unsere Leser entsinnen sich auS der Mitteilung im.Vorwärts' dom 6. und 11. Februar d. I. und aus den im Reichstage ge» pflogenen Verhandlungen, datz am 1. Februar der freisinnige Ober- bürgermeister der Stadt Remscheid   formell und materiell rechtswidrig den Vorstand der Remscheider Ortskrankenkasse seines Amtes entsetzte. Die.Freisinnige Zeitnng', damals noch auf Wunsch des Ab- geordneten RichterFreie Deutsche Presse' genannt, damit die ' Zeitungsartikel nicht ihm zur Last gelegt würden, behaupteten, eS fei durch den Oberbürgermeister amtlich die schlimmste Korruption dort festgestellt usw. Das unter halbamtlicher Flagge segelnde Lügenschisi der.Freisinnigen Zeitung' lud seinen Unrat auch in frei- sinnigen, nationalliberalen, ultramontanen und selbstredend auch in konservativen Blättern ab. Die schamlosen zwecks Beseitigung der Selbstverwaltung und zwecks Unterstützung organisatorischen Vor- gehens kontraktbrüchiger Aerzte ausgestreuten Verdächtigungen wurden bereitwilligst aufgenommen. Die Remscheider   Kassenmitglieder Arbeitgeber und Arbeitnehmer widerlegten Punkt für Punkt der von der bürgerlichen Presse kolportierten Unwahrheiten. DieFrei- sinnige Zeitung' verblieb trotzdem bei ihren Anwürfen. Im Reichstage spendete gar der freisinnige Abgeordnete Eickhoff am 8. Februar dem Remscheider   Oberbürger- meister für seinen Eingriff in die Selbstverwaltung begeisterte Lobsprüche. Auch im Reichstage tvurde Punkt für Punkt der von dem Oberbürgermeister ausposaunten, von der bürgerlichen Presse nachgebeteten.Enthüllungen' über dieMihwirtschaft' der .sozialdemokratisch geleiteten' Kasse widerlegt. Die bürgerliche Presie verblieb bei ihren schamlosen Lügen; nur vereinzelte bürgerliche Organe verwiesen darauf, dah die Gerichtsverhandlungen ja die Wahrheit enthüllen tvürden. Nlm hat am 27. d. Mts. die Elberselder Straf- kammer in erster Instanz ihr Urteil über die schwerste Be- schuldigung des Bürgermeisters gesprochen: Es lautet vernichtend gegen den von Herrn Eickhoff in Schutz genommenen Arzt und gegen den Oberbürgermeister. Dieser hat eine Niederlage erlitten, wie sie schlimmer nicht gedacht werden kann. Als das schlimmste Vergehen hatte der Oberbürgermeister w Slr. 6 seiner denkwürdigen Amtsentsetzungsverfügung behauptet: .Zum Vorteil des Verwandten eines Vorstandsmitgliedes ist dieser Verwandte auf Kosten der Kasse sowohl über die statutew mätzige Zeit hinaus kassenärztlich behandelt und mit Heilmitteln der Kaffe versehen worden, als auch noch vom 2. Januar bis 13. Februar 13!)S im hiesigen städtischen Krankenhause unrecht- mätzig auf Kosten der Kasse behandelt und verpflegt worden. Wegen dieser rechtswidrigen Verwendung von Kassengeldern zum Nutzen des Verwandten eines Vorstandsmitgliedes ist die Einleitung des Strafverfahrens wegen Untreue in Gemätzheit des § 42 des Krankenversicherungsgesetzes, unabhängig von der in- zwischen erforderten und erfolgten Rückerstattung des Betrages an die Kasie, beantragt worden." Ueber diesen Punkt ist in Elberfeld   am 27. d. MtS. verhandelt. Bereits in der Voruntersuchung mutzte die Anklage gegen den Vorsitzenden der Kasie fallen gelassen werden. ES kam zu einer Anklage gegen das ehemalige Vorstandsmitglied Zeil und gegen den Rendanten Röttger. Beider völlige Schuldlosigkeit wurde erwiesen. Der Sachverhalt war genau der von uns berelts am 11. Februar mitgeteilte. Neu war, datz sich herausstellt», daß Dr. W e i n e r t der Denunziant war. Aus de» Verhandlungen fei einiges hervorgehoben. Inhalt der Anklage. Den Angeklagten wurde zur Last gelegt, datz sie veranlatzt hätten, datz zum Borteil emeS Verwandten des Angeklagten Ferd. Zeil Äasiengelder rechtswidrig verwendet worden waren. Im Jahre 1904 soll Zeil den Kasienarzt Weinert angehalten haben, seinen Neffen nach Ablauf der statutenmäßigen Unterstützungsfrist noch weiter zu verbinden. Hierbei sollen Verbandmaterialien der Kasse verbraucht worden sein. Ferner soll der Patient vom 2. Januar bis 18. Februar unrechtmätzig auf Kosten der Kasie im hiesigen städtischen Krankenhause behandelt und verpflegt worden sein. Der Rendant hatte hierzu den Garantieschein an das Kranken- hauS ausgestellt. Aussage« der Verdächtigten. Angeklagter Zeil: J�ch gebe zu. daß mein Nesie auch nach Ablauf der UnterstützungSfrlst von den Herren Dr. med. Stier und Weinert verbunden wurde. Unter dem System der beamteten Kasienärzte wurden die Kranken auch nach Ablauf der Unter- stützungSzeit von den Aerzten behandelt, wie dieses in Hunderten von Fällen nachzuweisen ist. Es war den Aerzten aber verboten, für diese Pattenten Arznei und Heilmittel zu verordnen. Wenn nun Verbandsstoffe der Kasse von den beiden Aerzten bei der Behandlung meine? Neffen gebraucht worden find, so ist dieses gegen meinen Willen geschehen; ich wußte, datz mein Neffe selbst Verbandstoffe besaß. Bezüglich der Behandlung im Krankenhause sprach ich vorher privatim mit Röttger und er- zählte ihm, daß mein Neffe wieder ins Krankenhaus gehen müsse. Da aber die Pflegekosten im voraus zu zahlen seien, müsse ich mich an die Armenverwaltung wenden. Röttger erklärte, wenn ich mich verpflichte, die Kosten baldigst zurückzuerstatten, sei dieses nicht nötig. er wolle dann die Behandlung auf Kosten der Kasie übernehmen. Ich habe dann am b. März Herrn Nötiger die Pflegekosten in Höhe von 73 M. gezahlt. Angeklagter Röttger bestätigt im wesentlichen die Aus- führungen des Mitangeklagten Zeil   und erklärt auf Befragen des Vorsitzenden: Die monatlichen Rechnungen des Krankenhauses er- halten wir am Schlüsse des nächsten Monats. Dieselben werden dann erst geprüft und nach kurzer Zeit bezahlt. Noch bevor die Rechnung beglichen worden, war das Geld von Zeil ein- gezahlt. Ich buchte den Betrag nicht sofort, weil eS mir klar wurde, daß ich nickt ganz korrekt verfahren hatte, und legte das Geld zu den unaufgeklärten Beiträgen, die am Jahres- schlusie in Einnahme gestellt werden, um es mit diesen zu buchen. Zeil lvar zweifellos in der Lage, die Kosten zu decken. Keineswegs habe ich unter dem Drucke des Vorstandes gestanden. Aussagen der Aerzte. Dr. med. Stier hat den Neffen mehrmals verbunden und schätzt den Wert der verbrauchten Verbandsstoffe auf zwei Mark, weiß aber von den an der Kasie vorgenommenen Unregelmätzigleiten nichts. Zeuge prakt. Arzt Paul Weinert swelcher die Sache bei der Regierung denunzierte): Ich hatte mit dem Vorstand Differenzen und bin auch zeitweife mit meinen Berufskollegen in Streit ge- raten. Im Kasienlokal wurde ich von feiten Röttger und Zeil an- gehalten, den Neffen von Zeil zu behandeln. Ich wußte, daß die UnterstützungSfrist abgelaufen war. Später habe ich nnt Röttger wegen der Verbandsstoffe gesprochen, welcher mir sagte, ich solle die Sachen der Klasse gebrauchen, dieselben mögen wohl einen Wert von 4 bis 6 Mark betragen haben. Verteidiger Rechtsanwalt Schweitzer: Wie kam es. datz Sie in diesem einzelnen Falle anfragten? Ihnen hielt es doch sonst so genau nicht. Sie haben doch in einer ganzen Reihe von Fällen für Ihre Privatpatienten die Verbandsstoffe der Kasse gebraucht, ohne sich hierüber Gewissensbisse zu machen. Zeuge: Ich tat dies wegen der Revision, welcher die Arznei- und Heilmittel- kosten unterworfen waren. Verteidiger Rechtsanwalt Lande: Sie dursten doch die Verbandsmaterialien der Kasse nicht verwenden, auch wenn Kvttger Ihnen das sagte. Zeuge: ES kam mir selb st nichtsovor, datz ich etwasUnrechteStat. Verteidiger Rechtsanwalt Lande: Haben Sie denn niemals dem Koch gesagt, er solle sich Verbandsstoffe mitbringen? Dieses war doch naheliegend, da Sie doch keine Sachen von der Kasie brauchen durften. Zeuge: Nein. Leumundzeugnisse über Dr. Weinert. Dr. M i t t e r: Weinert hat die Stellung an der Kasie miß braucht, entweder lag er im Wirtshaus oder zu Hause und hat ge- soffen. Weinert ist ein Mensch von geringem Pflichtgefühl, beim er hat sich den Pflichten der Kasse gegenüber entzogen. Eine Zeitlang führte er den Doktortitel, bis es herauskam, datz er denselben nicht besaß. Vor dem Ehrengerichtshof in Berlin   hat er wisienv lich die Unwahrheit gesagt. Den Vorstand habe er gequält, daß er einen langfristigen Vertrag erhalten habe, und einige Wochen später habe er die Sprengung des Systems der beamteten Aerzte inszeniert. Im übrigen halte er Weinert für eine Person, die es mit der Wahrheit nicht genau nehme. Demgegenüber sagt Dr. H i l l a r aus, daß er Weinert als einen wahrheitsliebenden Kollegen kenne. Rechtsanwalt Lande beantragt, den Zeugen Weinert nicht zu vereidigen, weil er mitschuldig sei. DaS Gericht beschließt demgemäß. Der Staatsanwalt beantragt. Zeil freizusprechen und Röttger zu zwei Tagen Gefängnis zu verurteilen. Beide Verteidiger beantragen Freisprechung und die Kosten der Verteidigung der Staatskasse zur Last zu legen. Nach langer Beratung kommt das Gericht zu der Ansicht, daß beide Angeklagten sich der Untreue nicht schuldig gemacht haben. Weil aber Röttger den Kassenarzt Weinert dazu bestimmt hat, weiter Verbandsstoffe bei Koch zu ge« brauchen, habe er sich der Anstiftung zur Unterschlagung schuldig gemacht, jedoch bei dem ganz geringen Wert der Sache sei eine geringe Geldstrafe als ausreichend zu erachten gewesen und wird Röttger in eine Geldstrafe von 2l) M. genommen. Der Angeklagte Zeil wird freigesprochen und die Kosten des Verfahrens werden der Staatskasse auferlegt. Voraussichtlich wird jetzt gegen Dr. Weinert Anklage wegen Unterschlagung erhoben. Hus der Partei. Zur Frage des Massenstreiks. Auf den Wunsch der General kommission hin wurde der Abdruck der Erklärungen der General- kommission und des Parteivorstandcs bis morgen verschoben. Erklärung. In der am Sonntag, den 24. d. M., stattgefundenen General» Versammlung de? Metallarbeiterverbandes hat der Genosse Cohen nach dem Bericht desVorwärts' u. a. folgendes ausgeführt: Die 80 000 M.. die den MaiauSaesperrten von der Partei gewährt lourden, seien durchaus nicht soohne weiteres und.stillschweigend' hergegeben worden. Bis zum 11. Mai waren überhaupt noch keine Gelder von der Partei eingegangen. Da aber bereits in der Presie stand, daß die Partei Geld geben wolle, so wurden die Ausgesperrten eben ungeduldig und ver- langten nun auch endlich den Draht. Da gab es denn die ersten 40 000 M., wobei aber gleich gesagt wurde, daß man sich .einrichten' möge! Die zweite Rate von 30 000 M. hat man abererst nach einigen Klimmzügen' erhalten. Dannt sollte Schluß sein. Schließlich habe man noch 10 000 M. als letzte Rate losgemacht, und damit war die Herrlichkeit zu Ende. Also nicht 100000 M.. wie anfänglich in Aussicht gestellt, habe die Parteibereitwilligst" und.stillschweigend' gegeben, sondern nnr 80 000 M. und die auch er st nach verschiedenem hin und her.' Mehreren Anregungen folgend, wollen wir hierzu erklärm, daß wir für die Berliner   MaiauSgesperrten bisher eine Unterstützung im Betrage von 90000 M. bewilligt haben. Die Rechnung Cohens stimmt deshalb nicht mit der unsrigen überein, weil nicht mit derlosgemachten" dritten Ratedie Herrlichkeit zu Ende' war, sondern von uns anstandslos auch noch eine vierte Rate im Betrage von 10 000 M. bewilligt und bereits am IS. Juni dem Genossen Körsten ausgehändigt wurde. Der Genosse Körsten, mit dem wir alle diesbezüglichen Ver- Handlungen geführt haben, hat uns auf Anfrage auch be- st ätigt, daß feine Anträge von un« glatt erledigt wurden, so daß durchaus nicht behauptet werden kann, das Geld sei.erst nach einigen Klimmzllgen' oder.erst nach verschiedenem hin und her' gegeben worden. Vor dem 11. Mai konnten wir schon deshalb keine Gelder ab- führen, weil erst am 11. Mai durch Schreiben der Ortsverwaltung des Metallarbeiterverbandes der erste UnterftützungSanttag bei uns einlief. Vielleicht kann sich auch der Genosse Cohen dessen noch er- mnern; denn das Schreiben trägt seine eigene Unterschrift. Berlin  . 29. Juni 180L. _ Der Parteivorstand. Genosse Cohen sendet uns zu der Erklärung der Preßkommission eine längere Zuschrift, aus der wir mitteilen, datz Genosse Cohen erklärt, ihm sei bis heute ein Beschluß der Preßkommission über die endgültige Sperre deLVorwärts' für die neue Organi- satton nichr bekannt. Seine unwahre, von der Preß- kommission zurückgewiesene Behauptung, die Preßkommission habe nicht aus eigener Initiative den.Vorwärts' gesperrt, da» sei erst auf Veranlassung des MetallarbeiterverbandeS geschehen, nimmt Cohen nicht ausdrücklich zurück. Er hat die un- wahre Behauptung am 24. Juni öffentlich aufgestellt, obwohl in der Ausschußsitzuug am 3. Juni festgestellt wotden ist. datz die Preß- kommission auS eigener Initiative gehandelt hat. Cohen begnügt sich in der Hauptsache damit, jetzt zu erklären, daß auch der Verband sich an die GewerkschaftSkommiision gewendet habe wann sagt er aber nicht. In der ganzen Erklärung Cohens, auch in ihrem weiteren Teile, drückt er sich um den springenden Plinkt mit Eleganz Herilm. Franz MorawSkiS Begräbnis gestaltete sich, wie un» auS K a t l o w i tz berichtet wird, zu einer erhebenden, für Oberschlesien  ganz unerhörten öffentlichen Kundgebung der Sozialdemokratie. einer Kundgebung, die durch das unerhörte Vorgehen der Polizei gegen den Trauerzug eine besondere, ganz oberschlesische Charakterisierung ersuhr. Am Nachmittage deS Mittwoch hatten sich vor dem Trauerhause etwa tausend Leidtragende eingefunden, während viele Hunderte Zu- schauer die Straßen bis zum Friedhof umsäumten. Da dem Kattowitzer Blumengeschäft von der Polizei verboten war, die die Kränze schmückenden Schleifen im Schaufenster auszustellen, konnte man annehmen, daß die Polizei auch gegen daS Mitführen von roten Kranzsckleifen im Zuge Einwendungen erheben würde. Genosse Bruhns ging daher am Vormittage des Begräbnistages zum Ersten Bürgermeister Pohlmann beiläufig ein denLinks- liberalen' zugehörender Mann um ihm zu erklären, daß er eS als sein Recht ansehe, einen Kranz mit roter Schleife im Trauerzuge zu tragen und daß er einer polizeilichen Aufforderung, die Schleife zu entfernen nicht Folge leisten, sondern erst der Gewalt weichen werde. So wle er würden aber auch die anderen Kranz- träger wohl denken, er weise daher auf die Gefahren einer solchen polizeilichem Störung des Zuges hin und bitte, von kolchen Maß- nahmen, falls sie geplant sein sollten, abzusehen. Der Bürgermeister wollte zunächst Rücksprache mit seinem Polizeiinspektor nehmen und versprach baldigen Bescheid. Beim dann folgenden Besuch des Bürgermeisters erklärte dieser, eS tue ihm leid, aber er müsse nach anderer Seite Rücksicht nehmen und werde daher die roten Schleifen nicht passieren lasse». Der wiederholte Hinweis auf die möglichen Folgen ließ den Herrn Kommunal- und Pölizeichef kalt, auch der Vorschlag, die Schleifen passieren zu lassen, wenn sie in schwarzen Flor gehüllt seien, fand keine Gnade vor seinen Augen. Er über- lasse alles dem Taktgefühl feines Polizeiinspeltors, erklärte der liberale' Mann und dabei blieb eS. Als sich der Zug ordnete, nahmen die Kranzträger vor dem Leichenwagen   Aufstellung, doch fand die Polizei nichts wegzunehmen, da die vorhandenen Schleifen nicht rot waren, die meisten Kränze aber ohne Schleifen waren. An der Spitze deS Zuges gingen die Träger der vom Vorstand der polnisch-sozialistischen Partei, vom Vorstand der sozialdemokratischen Partei Deutschlands   und der polnisch-sozialistischen Partei Rußlands   gewidmeten Kränze. Diesen folgte» die Kränze der Berliner   und Bremer   polnischen Genossen, des polnischen Frauenvereins in Berlin  , des sozialdemokratischen Vereins in Breslau   und dann in bunter Reihe die Kränze der polnischen und deutschen   Genossen aus einer ganzen Reihe ober- schlesifcher Orte, darauf die Kränze der oberschlesischen Gewerkschafts- kartelle und vieler einzelnen Gewerkschaften usw. Mehr wie fünfzig prächtige Kränze wurden dem Sarge so vorangetragen. Kaum hatte der Zug einige Schritte zurückgelegt, als plötzlich an allen Kränzen im glühe nd st en Rot prangende Schleifen flatterten. Doch da stürzten sich auch schon von allen Seiten andringende uniformierte undzivile' Polizisten auf die Kranz» träger. Man fordert die ersten drei, die Genossen Biniszkiewicz, BruhnS und Trabalski, auf. die Schleifen zu entfernen, und da sie sich dessen entschieden weigern, reißt man sie ihnen gewaltsam herunter, die anderen Kranzträger werden aar nicht gefragt, sondern die Kränze werden gleich gewaltsam deS Schmuckes entledigt. Die kostbaren Seidenschleife» werden zusammengeballt in die Polizei- taschen gestopft,beschlagnahmt'. Eine furchtbare Aufregung erfaßte die Teilnehmer am Zuge, und auch ganz unbeteiligte Leute aus bürgerlichen Kreisen sprachen entrüstet von der Schändung eines Leichenzuges. Dann ging es weiter, bald aber ent- deckte die Polizei, daß Genosse Bruhns an dem vo» ihm getragenen Kranz des deutschen   Parteivorstandes wieder eine große rote Schleife habe und als er der Aufforderung zur Ent- sernung derselben nicht Folge leistet, wird ihm von Polizeibeamten die Schleife und mit ihr ein Teil deS Kranzes gewaltsam entrissen. Als dann auch Genosse Adamek sich weigert, die an dem von ihm getragenen Kranze der Kattowitzer   polnischen Genossen plötzlich wiedererstandene Schleife abzunehmen, packt ihn ein Polizeibeamter und zerrt ihn mit Gewalt aus den Reihen der Leidtragenden heraus. Ein vielhundertstimmiger Pfuiruf begleitet diese rohe Handlung. Der Zug stockt von neuem und wer weiß, was bei der leichten Erregbarkelt der oberschlesischen Arbeiter geschehen wäre, wenn der Beanite unseren Genossen nicht wieder losgelassen hätte, während die den Zug fiihrenden Genossen zur Kaltblütigkeit ermahnten. Auf dem Friedhofe war daS Redenhalten und ein Grabgesang streng verboten, ja der Vertreter des Pfarrers machte sogar den Versuch, den Kranzträgern zu verbieten, beim Niederlegen des Kranzes auf das Grab die Spender zu nennen. welcyeS Verbot allerdings nicht beachtet wurde. Als die am Grabe harrende nach mehreren Tausenden zählende Menge darüber aufgeklärt wurde, wes- halb man den braven FranziSzek MorawSki sang- und klanglos in die Grube senken müsse, brach die Empörung über solche Ungerechtig- keit in scharfen und bitteren Worten über die staatlichen und kirch- lichen Machthaber aus. Die denkenden klassenbewußten Arbeiter Oberschlcsiens werden sich die Lehren dieses Begräbnisses ins Herz schreiben und im Sinne des unvergeßlichen Toten weiter kämpfen für unsere gemeinsame große Sachet Der Zentralivahlverew für den Wahlkreis Züllichao-SchwieduS« Sommerfeld hielt am Sonntag in Züllichau   feine diesjährige Kreiskonferenz ab. Der Vorstandsbericht wie die Berichte der Delegierten lassen eine günstige Entwickelung erkennen. Hinder- nisse bereiten der Ausbreitung der Oraanisatton die schikanösen Polizei- lichen Verfolgungen und die unsäglich erbärmlichen Löhne. Wurde doch aus Sommerfeld berichtet, daß dort die Textilarbeiter, die übrigens jetzt in der Streikbewegung stehen, mitunter bei vierzehn- stündiger Arbeitszeit nur 46 M. wöchentlich verdienen. Erheblich besser als die politische sieht die gewerkschaftliche Organisation. So sind in Sommerfeld 104 Maurer rm Verbände organisiert, von denen aber kein einziger dem Wahlverein angehört. Aehnlich sieht es in den anderen Orten und auch in anderen Berufen aus. Zum neuen OrganisationSentwurf für die Provinz Brandenburg   gab die Konferenz ihre Zustimmung. Als ReichStagSkandidat wurde Genosse Grauer. Gemeindevertreter m Lichtenberg  , proklamiert. Gemeine Verleumdungen und gehässige Verdrehungen sind dieser Tage wieder in den Ordnungsblättern wider mehrere Genossen ver- breitet worden, die in der sozialdemokratischen Stadtverordneten« fraktion zu Mülhausen sElsaß) sitzen. Zum Teil sind die Verleumdungen alten Datums und schon früher von unserem Mülhauser Parteiblatt als Lügen gekennzeichnet worden, zum Teil sind sie neu zusammengeschwindelt. Um einmal an dem Verleumdergefindel ein Exeinpel zu statuieren, beschloß die sozialdemokratische GemeinderatSfraktion von Mülhausen   in ihrer Sitzung vom 20. Juni, daß ihre Mitglieder gegen die betreffenden Zeitungen die gerichtliche Klage anzustrengen haben. Zunächst sollen dieStratzburger Post", dieMülhauser Bürgerzeitung" und der Expreß" durch Gerichtsurteil zunr Widerruf gezwungen werden. später kommt auch das übrige bürgerliche Preßgesindel dran. In der Sitzung wurde betont, daß die Prozesse lediglich anS politischen Gründen geführt werden sollen. Der ArbeiterbildungSvcreinEintracht" in Zürich   hat soeben in Form einer Broschüre seinen Jahresbericht für 1905 veröffentlicht, nach dem er 747 Mitglieder zählte. 1060 durchgereiste Genossen wurden in der Speisegenossenschast des Vereins gepflegt. Sie hatte am Schlüsse des Berichtsjahres 172 Mitglieder. Bei 74 374,44 Frank Urnsatz erzielte sie nur einen Ucberschuß von 276,49 Frank, gibt also die Kost zum Selbstkostenpreise ab. Die Einnahmen des Hauptvereins betrugen 11085,36 Frank, der Ueberschuß 301,69 Frank. Im Lese- zimmer liegen 54 in- und ausländische Zeitungen auf. Vorttäge über verschiedene ThemataS wurden 11 gehalten. Die Adresse des Vereins ist Neumarlt 5. polrzeiUcbco, OtrCchtUcbto uftv. Dortmunder   Justizakttoneu. Die Dortmunder  Arbeiterzeiwng" soll durch ihren Maifeierartikel, in dem für den Völkerstirden Propa- ganda gemacht worden war, öffentlich beunruhigt und dadurch groben Unfug verübt haben. Angeklagt war aber nichr nur der verantwort- liche Redakteur Genosse Franke, sondern auch der Genosse Becker als Drucker. Und wirklich wurden auch beide verurteilt. Der Genosse Franke erhielt 90 M der Genosse Becker 30 M. Geldstrafe. Der AmtSanwalt hatte sür beide 6 Wochen Gefängnis beantragt. Der Herr meinte in bezug auf den Genossen Becker, wenn er die Arbeitergroschen einstreichen wolle, müsse er auch mitverantworten, was in der Zeitung stehe,. Und das Gericht erachtete es als Pflicht deS Drucker a daß er sich vor dem Jndruckgehen der Zeitung davon ül jeugen müsse, ob auch nichts Strafbares in derselben entha ei. Gegen die Verurteilung wird selbstverständlich Berufung e? bei gelegt.! v-i Weiter haben eine Anzahl Dortmunder Genossen amtSgerichilich bei Strasbefehle in Höhe von je 30 M. erhalten, weil sie sich am 1. an einer nicht genehmigten Versammlung un freiem Himmel beteiligt haben sollen. Tatsächlich bat