ii,.m 23.1�., i Keilllge des„Jormötts" Kerlim Pollislilatt.»«?»««. Zur Diskussion über den Massenstreik. Wir erhalten folgende Zuschrift: An die Redaltion deZ„Vorwärts'. Die allgemeine Ueberrasckning der Parteigenossen, denen in den Protestversammlungen vom 21. Januar, 18. März und 1. Mai der Versuch eines Massenstreiks als schlicht che Steigerung der preußischen Wahlrechtsdemonstrationen von den meisten Referenten angedeutet war und die nun erfahren, daß niemals an etwas anderes gedacht war als an eine Diskussion dieses in irgend einer revolutionären Zukunft mal vielleicht anwendbaren Mittels,— diese Ucbcrraschung suchen Sie dadurch zu beseitigen, daß Sie in der letzten Nummer des„Vorwärts" meine unbeträchtliche Person als einen Revisionisten der schaudernden Oeffentlichkcit preisgeben. Ich glaube nun, daß das Vergnügen, einen neuen Revisionisten entdeckt zu haben, nicht die Parteigenossen für jene Ucberraschung und Enttäuschung ent- schädigt und die Lage des Diskutier- Radikalismus um nichts vcr- bessert. Ich verzichte deshalb auch, um diese ernsteste Partei- frage nicht in der Ableitung auf das persönliche Gebiet einer Auseinandersetzung zwischen amtierenden und gewesenen„Vorwärts"- Redakteuren verwirren zu Helsen , aus eine ausführliche Zurückweisung des gegen mich gerichteten Artikels. Nur ein paar tatsächliche Richtig- stellungen glaube ich der Stellung schuldig zu sein, die ich so viele Jahre hindurch eingenommen habe. E r st e n s: Meine Ausfassungen über den politischen Massen- streik habe ich vor Jena in einer Reihe von Artikeln im„Vorlvärts" dargelegt. Ich war gegen den Generalstreik als ein leeres. müßiges Diskussionsthema für irgend eine blaue Zukunft, ich toar jedoch für den Generalstreik als ein mögliches Macht- mittel zur Verteidigung oder Erringung unmittelbarer politischer Rechte(wie in Hamburg II). Man vergleiche z. B. meinen Artikel vom ö. September 1905. In der Resolution von Jena konnte ich eine Anerkennung meiner Auffassung begrüßen, und in den Vorgängen und Ankündigungen der preußischen Wahlrechtsbewegung mußte ich, wie alle andern, den Versuch einer praktisckien Anwendung jener Auffassung vermuten. Wenn jetzt freilich der„Vorwärts" zu der von mir im Vorjahr bekämpften Auffassung zurückkehrt, so ist das ein Verstoß gegen die Resolution von Jena . Und wenn alle die Parteigenossen, die die Ankündigungen im letzten Winter und Frühjahr ernst genommen haben, damit sich als Revisionisten erlveisen sollen, so sind offenbar Radikale diejenigen, die au das preußische Herrenhaus petitionieren. Zweitens: Ich habe niemals eine Taktik auch nur als Möglichkeit empfohlen, die uns vor die Lassallesche Bewegung zurückwirft. Ich war schon vor den Stichwahlen 1903 ein Gegner der grundsätzlichen sozialdemokratischen Stichwahlbeihülfe für die Freisinnigen bei den Reichstagswahlen, und bin es heute noch. Das weiß auch die heutige„Borwärts"redaktion. Wie kann sie mir also auch nur die Erwägung insinuieren, daß ich auf irgend eine Weise die selbständige sozialdemokratische proletarische Klassenpolitik aufgeben wolle. Die Meinung, die manche Parteigenossen über die Möglichkeiten einer den Unsinn und die Uicberechenbarkeit des Wahl- systems ausnützenden preußischen Wahltaktik haben, läuft gerade auf das Gegenteil der vom„Vorwärts" vcrnmteten Tendenz heraus. Es ist also nicht meine Schuld, wenn der„Vor- wärts" den Sinn jener Anregung nicht versteht. Eine nähere Auseinandersetzung darüber aber halte ich für um so weniger zweck- mäßig, als die Frage, wie ich(ohne Prophet zu sein) überzeugt bin, über kurz oder lang die Partei ernstlich beschäftigen wird. Drittens: Ich habe niemals die Anschauung vertreten, daß der Dreimillionensieg durch Bekehrung zun, MillerandiSmuS ausgenutzt werden müsse. Ich habe da? weder geschrieben, noch gesagt. noch gedacht. Nur ein Narr könnte derlei Möglichkeiten in Deutschland annehmen und solche Pläne einen, anderen zuwauen. Groß-Lichterfelde , 12. Juli 06. K u r t E i S n e r. Wir bemerken hierzu: Genoffe Eis n er hat also trotz der Debatten vor Jena , trotz Bebels Rede in Jena und der sich daran anschließenden Debatte. trotz der neuerlichen Diskussion über den Massenstreik noch immer nicht begriffen, daß man den Massenstreik erst dann inszenieren kann, wenn die Partei sich durch vorhergehende Diskussion über zeitliche Möglichkeit und Charakter einer solchen Aktion klar geworden ist. Genosse Eisner beruft sich dann 1) darauf, daß e r schon im vorigen Jahre die Resolution in Jena als eine Konzession an seine Ausfassung, der Massenstreik laffe sich ohne vorhergehende Ver- ständigung der Genossen und sorgfältige Erwägung der ganzen politischen Situation blindlings inszenieren, ausgelegt habe. Es kommt aber gar nicht darauf an, wie E i S n e r nach seinem persönlichen Bedürfnis und Verständnis Partcidebatten und Parteitagsbeschlüsse interpretiert, sondern wie sie nach Wortlaut und Sinn der Debatten und Resolutionen ausgelegt werden müssen. Dunkel ist uns, was Eisner unter den„Ankündigungen im letzten Frühjahr und Winter" versteht. Unseres Wissens ist iveder vom Parteivorstand, noch im„Vorwärts", noch auch in der übrigen Partechreffe für Preußen der bevorstehende Massenstreik angekündigt worden.— Ebenso dunkel ist uns, waS die Petition an den preußischen Landtag mit Revisionismus und Radikalismus zu tun hat. 2. bestreitet Eisner, eii,e Taktik empfohlen zu haben, die die Partei vor die Lassallesche Taktik zurückwerfe. Gleichzeitig aber erklärt er, davon überzeugt zu sein, daß die von ihm erörterte Frage der preußischen Wahltaktik„über kurz oder lang die Partei ernstlich beschäftigen" werde. Das heißt die Frage, ob es nicht empfehlens- wert sei, unsere Bourgeoisie, die„gar keine politische Herrschaft mehr will", die„als Schutzjude des Junkertums vor dem Pro- letariate gesichert sein will", in„entschlossener Rc- signation" politisch zu beleben und zur politischen Herrschaft zu bringen. Jeder politische ABC- Schütze weiß, daß Lassallcs Losreißung deS Proletariats vom Freisinn, der damals in Preußen herrschte, gerade deshalb erfolgte, weil der Freisinn vom allgemeinen gleichen Wahlreckit nichts wissen wollte. Die Taktik, dem Freisinn abermals in„entschlossener Resignation" zu einer solchen Herrschaft zu verhelfen, würde die Partei also in der Tat hinter die Lassalleschen Anfänge der sozialistischen Klassenbcwegung zurückschleudern. Aus ein näheres Eingehen auf dies famose taktische Projekt verzichten übrigens auch wir, wenn auch aus dem umgekehrten Grunde wie Genosse Eisncr: in der Ueberzeugung nämlich, daß eS von der Partei nie- m a l S auch nur in eutserntcste Erwägung gezogen werden könnte. 3. erklärt Eisncr, daß er niemals weder geschrieben, noch gesagt, noch gedacht habe,„daß der Dreiinilliouensicg durch Bekehrung zum MillerandiSmus ausgenutzt werde» müsse".' Davon war auch in unserem Artikel keine Rede. Wir sagten nur, daß die Partei nicht so naiv gewesen sei,„von dem Drcimillionensicg deS Jahres 1903 eine„Wcltenwende" mit preußischem Millcrandismus und anderen Dokumenten der vermeintlichen„politischen Macht" deS Proletariats zu erwarten".'ES mar also von der Bekehrung deS herrschenden Regimes zum MillerandiSmus, d. h. der Politik der Kon- Zessionen, die Rede. Und daß Eisner in der Tat über- triebene Hoffnungen an den Dreimillionensieg knüpfte, be- weisen folgende von ihm am 17. Juni 1903 geschriebenen Sätze: „Die Wahlen sind ein zerschmetternder Schlag für d a S ganze herrschende S h st e m. Wenn die Nacht vollendet, was bis Mitternacht begann, dann bereitet sich eine Weltwende der deutschen Politik vor. Deutschland wird zum Lande des Sozialismus, des unüberwindlich Vorwärtsdrängenden, des Befreiers und Erlöiers. Der Sieg des deutschen Proletariates Ist der Sieg der Kultur. Unser das Reich— unjer dte WeltI" » �» Ucber die Verhandlungen zwischen Parteivorstand und General- kommissson wegen Freigabe des den Punkt Partei uno Ge- werkschasten behandelnden Teiles deS Protokolls der GewerkschajtSkonferenz gibt folgender Schriftwechsel Aufschluß: Berlin , 2. Juli 1906. An die Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands . Berlin . Werte Genossen I Die Redaktion des„Vorwärts" teilt uns mit, daß Sie ihr ein Protokoll der„Konferenz der Vertreter der Vorstände der Zentral- verbände" zur Information, jedoch mit dem Verbot der Ver- öffentlichung des Inhalts zugesandt haben. Die Redaktion hat sich nicht entschließen können, diese Be- dingung anzunehmen, da der Zweck des Ersuchens um Ueberlassnng eines Exemplars des Protokolls die Besprechung der Diskussion über Partei und Gewerkschaft auf der Gewerkschaftskonferenz war. Nachdem die Verhandlungen jener Konferenz, veranlaßt durch Indiskretion der„Einigkeit" sowie durch die wechselseitigen Er- klärungen der Generalkommission und des Parteivorstandes nun auch von einem Teil der Parteipresse besprochen worden, kann es, wie wir glauben, dem Zentralorgan der Partei nicht verlvehrt werden, auf Grund des Protokolls Stellung zu der Frage zu nehmen. Wir sind daher der Ansicht, daß unter diesen Umständen der vertrauliche Charakter des Protokolls nicht aufrecht erhalten werden kann und ersuchen die Generalkommission in beiderseitigem Interesse die Vertraulichkeit über den Punkt„Partei und Gewerkschaften" auf- zuHeben, damit auch wir diesen Teil des Protokolls den Partei- genossen unterbreiten können. Mit Parteigruß Der Parteivorstand. Berlin , den 10. Juli 1906. An den Parteivorstand. Werte Genossen! Die Gencralkommission hat sich in ihrer am Sonnabend stattgefundenen Sitzung mit Ihrem Ersuchen- der Redaktion des„Vorwärts" das Protokoll der Konferenz der Vor- stände zur freien Verfügung behufs Stellungnahme zur Jndis- kretion der„Einigkeit" zu überlassen beschäftigt; die Generalkom- Mission hat beschlossen, an ihrem bisherigen Standpunkt, das Proto- koll nicht zur Veröffentlichung freizugeben, festzuhalten. Die Verhandlungen der Vorstandskonferenzcn und die dar- über aufgenommenen Protokolle haben durchaus internen Charakter und sollen die letzteren lediglich den Zweck haben, den Teilnehmern die Möglichkeit der Nachkontrolle zu gewähren. Das ist bisherige Praxis gewesen und die in �Rede stehende Konserenz hat diese Praxis durch besonderen Beschlutz(vcrgl. Protokoll Seite 9, letzter Absatz) noch durch ausdrücklichen Beschluß bestätigt. Die General- kommission kann somit nicht eigenmächtig, sondern nur auf Be- schluß einer Vorstandskonferenz eine Aenderung in dieser Praxis eintreten lassen. Dieselbe hatte ihre Befugnisse eigentlich schon überschritten, als sie der Redaktion des„Vorwärts" ein Exemplar des Protokolls zur Information überließ. Außerdem sind wir der Meinung, daß, sobald der Redaktion des„Vorwärts" das Protokoll zur freien Verfügung gestellt wird, die sämtlichen Parteiblätter nicht nur das gleiche Recht bcan- spruchen können, sondern wir halten uns dann für verpflichtet, es der gesamten Parteiprcffe zu übermitteln. Dies ist aber zur- zeit unausführbar, weil die Auflage des Protokolls von vornherein so bemessen ist, daß nach der Zustellung desselben an die Beteiligten nur noch wenige Exemplare vorhanden sind. Zum Schluß möchten wir noch darauf hinweisen, daß mit dem Protokoll keine Geheimniskrämerei getrieben werden soll, aber andererseits auch für uns kein Anlaß vorliegt, den internen Charakter der Konferenz aufzuheben. Auch für die Partei machen sich Beratungen notwendig, deren Ergebnisse nur auf den Kreis der unmittelbar Beteiligten beschränkt bleiben. Wir halten eine solche Diskretion für durchaus richtig und nehmen an, daß der Parteivorstand und die sonstigen Parteiorgane sich von diesem ihren Standpunkte nicht dadurch abbringen ließen, daß ein unberufener Dritter von diesen Verhandlungen in widerrechtlicher Weise etwas in die Oeffentlichkeit bringt, wie es die„Einigkeit" in dem vorliegenden Falle getan hat. Mit Parteigrnß Die Generalkommission. A. Knoll. Berlin , 12. Juli 1906. An die Generalkoinmission der Gewerkschaften Deutichlands. Berlin . Werte Genossen I Der Parteivorstand hat in seiner heutigen Sitzung Kenntnis ge- nommen von Ihrem gestrigen Schreiben, mit dem Sie es ablehnen, den Punkt„Partei und Gewerkschaften" des Protokolls der„Konferenz der Vorstände" zur fteien Verfügung zu stelle». Gegenüber dem von der Generalkoinmission eingenommenen Standpunkt hat der Parteivorstand beschlossen, die General- kommission zu ersuchen, die Freigabe dieses Protokollteiles durch Be- fragung der Teilnehmer an der Konferenz zu belvirkcn, wo- durch die von Ihnen geltend gemachten HindcrungSgründe für Ihre selbständige Erfüllung unseres Ersuchens beseitigt werden würden. Bei dein dringenden Interesse, welches die Partei an der öffent- lichen Klarstellung dieser Angelegenheit hat. ersuchen wir die General- kommission, uns bis spätestens Ende dieses Monats von dem Er- gebnis ihrer Umfrage Mitteilung zu machen. Mit Parteigruß I Der Parteivorstand. Soziales. Polizei gegen Wohltätigkeit. Einem englischen Schriftsteller, der kürzlich Berlin besuchte, fiel eS auf. daß hier Armut und Elend öffentlich nicht in dem Maße in Erscheinung treten, wie es in London der Fall ist. Der Engländer sprach die Vermutung aus, daß daS Elend der Armen in Berlin wohl nicht geringer sein werde als in London , und er meint, die Berliner Polizei werde wohl dafür sorgen, daß das Elend sich nicht öffentlich bemerkbar mache.— Wie zutreffend diese Annahme des englischen Reisenden ist, das zeigt uns eine kleine aber recht bezeichnende Episode, welche sich dieser Tage vor einer Abteilung des Schöffengerichts Bcrlin-Mitte abspielte. Das Bild, welches die Verhandlung entrollte, sieht im wesentlichen so aus: Verschiedene große Geschäftsleute, Hoflieferanten und Firmen mit bekannten Namen, haben den Brauch eingeführt, daß jeder Arme, der sich in ihrem Geschäftslokal zeigt, ein kleines Almosen erhält, ohne daß er erst ausdrücklich darum bitten braucht. Bei anderen Geschäftsleuten herrscht die Praxis, daß Arme am Ersten jeden Monats im Kontor vorsprechen dürfen, wo ihnen dann ohne weiteres ein kleines Geldgeschenk verabreicht wird. Die Ausübung solcher Wohltätigkeit kostet nicht viel, sie trägt aber, ebenso wie die Illuminationen an hohenzollernschen Familicnfcsttagen dazu bei, das Renommee der betreffenden Firmen zu erhöhen, also kann man sich die kleine AüSggbe wohl leisten, gp könnten NUN beide Teile zufrieden sein, sowohl die akmoscnspendenden Firmen als die almosenempfangenden Armen, wenn>— die Polizei nicht wäre. In Berlin gibt es ja, dank der göttlichen Weltordnung kapi- talistischen Gepräges, Arme in Hülle und Fülle, und so wird denn selbstverständlich von den Wohlfahrtseinrichtungen der betreffenden Geschäftsleute reichlich Gebrauch gemacht werden. Nun hat aber irgend jemand, der an dieser Ausübung der christlichen Tugend der Barmherzigkeit Anstoß nimmt, der Polizei eine anonyme An- zeige gemacht, des Inhalts, daß die Geschäftsleute in der Leipziger- stratze durch Arme belästigt würden und die Polizei hielt es für ihre Pflicht, gegen die Armen, welche von den Geschäftsleuten freiwillig beschenkt werden, vorzugehen. Kriminalschutzleute wur- den nach der Leipzigerstraße beordert, um die„Bettler" abzu- fangen. Die Beamten erledigten sich ihres Auftrages in der Weise, daß sie Personen, die ihrer ärmlichen Kleidung nach nicht zu de* Kunden der feinen Geschäfte gehören konnten, trotzdem aber solche Geschäftslokale aufsuchten, anhielten und wegen Bettelns zur An- zeige brachten. Die Betreffenden bestritten zwar, daß sie gebettelt hatten, sie waren dabei auch im Recht, denn sie empfingen ja Almosen, die ihnen ohne weiteres verabreicht wurden. Die Be- amten hatten auch sonst keine Anhaltspunkte, die dafür sprechen, daß hier eine Bettelei im Sinne des Gesetzes vorlag, aber trotzdem wurden die Almoseneinpfänger als Bettler bor den Richter gebracht. In dem vorliegenden Falle saß eine arme Frau auf der An- klagebank und ein Kriminalschutzmann stand ihr als Zeuge gegen- über. Nichts konnte er dafür anführen, daß die Merkmale des Bettelns wirklich erfüllt waren, dagegen bemühte er sich mit einer Freiheit, die sich ein Zeuge sonst wohl nicht herausnehmen dürfte, dem Richter klar zu machen, daß es für die Geschäftsleute eine arge Belästigung sei, wenn sie von armen Frauen, die nicht einzeln, sondern gleich sektionswcise antreten, aufgesucht würden. Der Richter belehrte den Zeugen, daß ja die Anklage nicht auf Be- lästigung oder Verkehrsstörung, sondern auf Betteln laute.— Da sich die Angeklagte darauf berief, daß ihr die Almosen freiwillig, in einem Falle sogar regclinäßig verabreicht werden, so beschloß das Gericht, die Verhandlung zu vertagen und die betreffenden Ge- schäftsleute als Zeugen für die Behauptung der Angeklagten zu laden. So viele Umstände macht man im christlichen Staat, um fest- zustellen, ob jemand, der die christliche Barmherzigkeit christlicher Mitmenfchcn in Anspruch nahm, sich nicht strafbar gemacht hat. Internationales Uebereinkommcn betreffend das Verbot der indnstriellen Nachtarbeit der Frauen. Der schweizerische Bundesrat veröffentlicht soeben im „Schweizer . Bnndesblatt" das von ihm an die bei der internationalen Arbeiterschutzkonferenz beteiligten Staaten gerichtete Kreisschreiben, sowie den Entwurf zu einein internationalen Uebereinkommen be- treffend das Verbot der industriellen Nachtarbeit der Frauen. Auf die Frage, ob es zweckdienlich erscheine. vehufS Um- Wandlung der auf der internationalen Konferenz für Arbeiterschutz im Mai 1905 gefaßten Beschlüsse eine diplomatische Konferenz statt- finden zu lassen, haben 13 Staaten(Deutschland , Oesterreich, Ungarn , Belgien , Dänemark , Frankreich , Großbritannien , Italien , Luxemburg . die Niederlande , Portugal , Schweden und die Schweiz ) in zu- stimmendem Sinne geantwortet. Norwegen hat abgelehnt, weil eS die zu vereinbarenden Verpflichtungen einstweilen nicht vollständig ein- halten könne. Spanien hat überhaupt noch nicht geantwortet. Die japanische Regierung hat erklärt, über eine Beteiligung am Uebereinkommen betreffend die Frauennachtarbeit eine Antwort noch nicht geben zu können, da die betreffende Untersuchung noch nicht ab- geschlossen sei. Der von dem Schweizer Bundesrat im Anschluß an die Be- schlüsse der Berner Konferenz vom Jahre 1905 vorgelegte Entwurf eines internationalen Uebereinkommens betreffend daS Verbot der industriellen Nachtarbeit der Frauen lautet in seinen wesentlichsten Teilen: Artikel 1. Die industrielle Nachtarbeit der Frauen soll ohne Unterschied des Alters, unter Vorbehalt der folgenden Aus- nahmen, verboten sein. Das Uebereinkommen erstreckt sich auf alle industriellen Unternehmungen, in denen mehr als zehn Ar- beiter und Arbeiterinnen beschäftigt sind. Es findet keine An- Wendung auf Anlagen, in denen nur Familienglieder tätig sind. Jeder der vertragschließenden Staaten hat den Begriff der in- dustriellen Unternehmungen festzustellen. Unter allen Umständen sind aber hierzu zu rechnen die Bergwerke und Steinbrüche, sowie die Bearbeitung und die Verarbeitung von Gegenständen; dabei sind die Grenzen zwischen Industrie einerseits, Handel und Land- Wirtschaft andererseits durch die Gesetzgebung jedes Staates zu bestimmen. Artikel 2. Die im borhergehenden Artikel vorgesehene Nachtruhe hat eine Dauer von mindestens elf aufeinander- folgenden Stunden. In diesen elf Stunden soll in allen Staaten der Zeitraum von zehn Uhr abends bis fünf Uhr morgens inbe- griffen sein. In denjenigen Staaten jedoch, in denen die Nacht- arbeit der erwachsenen industriellen Arbeiterinnen gegenwärtig nicht geregelt ist. darf die Dauer der ununterbrochenen Nachtruhe während einer U e b e r g a n g s f r i st von höchstens drei Jahren auf zehn Stunden beschränkt werden. Artikel 3. Das Verbot der Nachtarbeit kann außer Kraft treten: 1. im Falle einer nicht vorherzusehenden, sich nicht perio- disch wiederholenden Betriebsunterbrechung, die auf höhere Ge- walt zurückzuführen ist; 2. für die Verarbeitung leicht Verderb- licher Gegenstände, zur Verhütung eines sonst unvermeidlichen Verlustes an Rohmaterial. Artikel 4. In den dem Einflüsse der Jahreszeit unter- worfencn Industrien(S a i s o n i n d u st r i e n). sowie unter außergewöhnlichen Verhältnissen in allen Betrieben, kann die Dauer der ununterbrochenen Nachtruhe an sechzig Tagen im Jahre bis auf zehn Stunden beschränkt werden. Artikel 6.... Das Uebereinkommen tritt drei Jahre nach dem Schluß des Hinterlegungsprotokolls in Kraft. Die Frist für das Inkrafttreten beträgt zehn Jahre: 1. für die Fabriken, die Rohzucker aus Rüben herstellen, 2. für die Schaf- Wollkämmerei und-Spinnerei. 3. fiir die Arbeiten über Tag in Bergwerken, sofern diese Arbeiten für die Dauer von mindestens vier Monaten im Jahre infolge von klimatischen Verhältnissen eingestellt werden müssen. Artikel 7. Die am Uebereinkommen nicht beteiligten Staaten können ihm beitreten.... Artikel 8. Das Uebereinkommen kann jederzeit gekündigt werden. Die Kündigung wird erst ein Jahr nach der schriftlich an den schweizerischen Bundesrat erfolgten und von diesem sofort an alle anderen Vertragsstaaten vermittelten Mitteilung wirk- sam.... Die diplomatische Konferenz soll am 17. Sep» tember, nachmittags 3 Uhr, in Bern stattfinden. Auf die Tagesordnung dieser Konferenz ist ferner die eventuelle Festsetzung eines internationalen Uebereinkommens betreffend das Verbot der Vcr- Wendung von weißem(gelbem) Phosphor in der Zündholzindustrie gesetzt. Die von dem schweizer Bundesrat über das Verbot der Ver» Wendung von weißem(gelbem) Phosphor ergangenen Anfragen haben ein ungünstiges Resultat gezeitigt. Es war in der Berner Uebereinkunst vom Jahre 1905 für ein Inkrafttreten des Uebereinkommens der Beitritt Japans vorausgesetzt. Die japanische Regierung hat aber mitgeteilt, daß sie zlvar die Wichtigkeit der Frage vom sanitären Standpunkt aus anerkenne, aber einstweilen eine endgültige Ent- fchließung nicht treffen könne. Unterdes hat auch in dieser Frage
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