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Nr. 253.

Erscheint täglich außer Montags. Prets pränumerando: Viertel­jährlich 3,30 Mart, monatlich 1,10 Mr, wöchentlich 28 Bfg frei in's Haus. Einzelne Nummer 5 Pfg. Sonntags- Nummer mit illuftr. Sonntags- Beilage Neue Welt" 10 Pig. Post- Abonnement: 8,30 Mt.pro Quartal. Unter Kreuz band: Deutschland u. Desterreich­Ungarn 2 Mt., für das übrige Ausland 3 Mr.pr.Monat. Eingetr. in der Post- Beitungs- Preisliste für 1892 unter Nr. 6652.

Vorwärts

9. Jahrg.

Insertions- Gebühr beträgt für die fünfgefpaltene Betitseile oder deren Raum 40 Pfg., für Bereins- und Bersammlungs- Anzeigen 20 fg Inserate für die nächste Nummer müffen bis 4 Uhr Nachmittags in der Expedition abgegeben werden. Die Expedition ist an Wochen­tagen bis 7 Uhr Abends, an Sonn­und Festtagen bis 9 Uhr Vor­mittags geöffnet.

Earn[ prech- Anschlus Amt I, Nr. 4186.

Berliner Bolksblatt.

Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands .

Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.

Freitag, den 28. Oktober 1892.

Expedition: SW. 19, Benth- Straße 3.

Abonnements- Einladung.

Mit dem 1. November eröffnen wir ein neues Abonnement diesfälligen Andeutungen. Daß die Söhnchen der Bourgeoisie, leben nachweisen und die Garantie bieten, daß sie auf Zucht auf den

Vorwärts"

Berliner Volksblaff

mit der illustrirten Sonntagsbeilage

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Neue Welt".

Für Berlin nehmen sämmtliche Zeitungsspediteure, sowie unsere Expedition, Beuthstr. 3, Bestellungen entgegen zum monatlichen Preise von

1 Mark 10 Pfennige frei ins Haus,

wöchentlich 28 Pfennige.

Für außerhalb nehmen sämmtliche Bostanstalten Abonnements

zum Preise von

2,20 M. für die Monate November u. Dezember entgegen.( Eingetragen in der Post- Zeitungs- Preisliste für 1892

unter Nr. 6652.)

Im Feuilleton unferes Blattes veröffentlichen wir den Roman von Guy de Maupassant : Bel- Ami .

Die Redaktion und Expedition des Vorwärts" Berliner Volksblatt.

Sittlichkeits- Apostel.

moderne Unfittlichkeit ihren breiten Nährboden grade in Sittlichkeitsapostel wollen auch, daß nur solchen den besitzenden und übersättigten Klassen findet. Auch auf Männern die Konzession zur Führung von Gastwirth­der Darmstädter Konferenz fehlte es vorige Woche nicht an schaften ertheilt werde, welche ein tadelloses Vor­die auf der Universität ihre Zeit und das Geld ihrer Väter und Sitte halten". Davon aber, daß rheinisch- westfälischen todtschlagen, sittliche Borlesungen sehr gut brauchen können( wenn Großunternehmern, die in ihren Betrieben Stempel fälschen sie auch nichts wirten!), gestand der eine Redner ein; daß die lassen und außerhalb derselben Steuerdefraudationen en gros hohe Finanz diejenigen Künstler am meisten umschwärmt, betreiben, die" Qualifikation" zur Betriebsleitung versagt die ihr das Weiblich- Nackte in der sinnlichsten Farben- werde, war natürlich keine Rede. Die Volksfeste" sollen gebung entgegenbringen, betonte der andere unter Hinweis 11 Uhr, spätestens 12 Uhr" geschlossen werden. Ob wohl auf Makart ; es mögen auch noch manche andere solche einer der Herren Sittlichkeitsapostel daran gedacht hat, daß Dinge besprochen worden sein, allerdings niemals mit der für die oberen Zehntausend die lustige Nacht" vielfach erst traftvollen Ausdrucksweise, die jedesmal dann beliebt wurde, 11 Uhr anfängt, und daß die Arbeiter der groß­wenn die Unfittlichkeit der unteren Schichten" zur Rede mächtigen badischen Anilinfabrik in Ludwigshafen , welche stand. Darin zeigten sich aber auch die Bourgeois, die ihren die Herren so nahe zum Studium hatten, theilweise erst eigenen Klaffengenoffen fein Auge aushacken können. Aber 10 Uhr Abends nach Hause kommen, um 5 Uhr früh schon die Sünden der Bourgeoisie wurden doch wenigstens theil- wieder von Weib und Kind zu müssen? weise mit erwähnt. Das eigentlich Komische begann erst, wenn es an die Aufzählung der Abhilfemittel ging. Laster der Besitzenden ganz Da verschwanden die Laster der plöglich wie in einer Versenkung, und nun wurde auf dem fittenlosen, verwahrloften, verderbten u. f. w., Bolte"

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Alle Ungereimtheiten dieser Art, welche auf der Sittlichkeitskonferenz" in Darmstadt die Verhandlungen füllten, lassen sich nicht festnageln; dazu gehörten mehrere hundert Artikel. Aber das eine muß jedem ehrlichen Theilnehmer an diesen Bestrebungen doch bei unbefangener herumgedroschen, daß es nur so eine Art hatte." Man denke Betrachtung klar werden solche Verhandlungen mit ihrer fich noch ein paar hübsch klingende Redensarten vom Mit- unvermeidlichen Endrichtung gegen das arme Volk" dienen leid und von der Liebe Bessergestellter für die Schlecht lediglich dazu, das Pharisäerthum der Bourgeoisie noch ſituirten hinzu, und man hat den ganz en Brei vor sich, von größer zu ziehen als es ohnedies schon ist, und so müssen dem die allgemeine Konferenz" in endloser Breite zehrte. Die Sittlichkeitsapostel ebenfalls ihr Theil dazu beitragen, Daran erweist sich aber das Fruchtlose und Utopische den von ihnen so wehleidig beklagten schroffen Gegensatz dieser Bemühungen, bei denen natürlich neben dem ehrlichen zwischen den einzelnen Bevölkerungsschichten" noch schroffer zu machen das ist bie ſittliche Aufgabe, welche die

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Herren in dieser bürgerlichen Welt unbewußt lösen und durch deren Lösung sie gründlicher zur Heilung aller Schäden beitragen, als sie es selbst denken.

Wollen und dem schlechten Nönnen auch eine gute Portion Heuchelei mit unterläuft. Das Reden davon, daß die Be sitzenden auch recht lasterhaft sind und die materielle Noth der Nichtbesitzenden die Urquelle aller Verwahrlosung auf diefer Seite ist, hilft noch nichts. Man muß erkennen, daß beide Erscheinungen einen gemeinsamen Grund, die für den Die 15 Sittlichkeitsvereine", mit denen Deutschland Abbruch reife bürgerliche Wirthschaftsordnung, haben und durch einige Bastoren und höhere Beamte gesegnet ist und daß an Stelle dieser sogenannten Ordnung nur eine sozia­die in ihrem heurigen Jahresbericht selbst sagen, daß sie liftische Gesellschaft gesetzt werden kann, wenn nicht aller die große Maffe nicht hinter sich haben", haben vorige Kulturgewinn verloren gehen foll- erft mit( faren Woche ihre unvermeidliche allgemeine, Konferenz", diesmal Erkenntniß kann man auch für die sog. Sittlichkeitsfange" Politische Weberlicht. zu Darnistadt im lieben Hessenlande, abgehalten, natür lich unter Theilnahme der hohen und höchsten Behörden" Die Träger dieser Sittlichkeitsbewegung" sind wahre Muster von bürgerlicher Unklarheit. Manche von ihnen mögen den ganz guten Willen haben, ehrlich zu bessern und zu helfen; aber der Dunft der bürgerlichen Weltanschauung führt sie in geradezu komischer Weise allemal dann, wenn fie schon recht nahe am Ziel sind, ebenso gründlich irre, genau wie das bekannte Thier auf dürrer Haide. Und des halb ist es so interessant, das Thun und Treiben dieser Herren zu analyfiren. Man analysirt damit die Ohnmacht der ganzen Bourgeoisie.

Die deutschen Sittlichkeits- Apostel mit ihrem schmalen Anhang sind ja allerdings heute nicht mehr so schlecht unterrichtet, wie früher. Sie wissen recht gut, daß die

Feuilleton.

Nagbrud verboten.)

Die Waffen nieder!

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etwas Praktisches anfangen. So ereifern sich die Sittlichkeits­Berlin, den 27. Oktober. apostel doch schließlich nur über die Volksfeste und Der Reichstag ist auf den 22. November ein­öffentlichen Tanzvergnügungen". Haben sie nie etwas berufen. von den berüchtigten nackten Bällen" der Herren Lebemänner gehört, die beileibe nicht zum Bolt" Gegen die neue Militärvorlage spricht sich die gezählt sein wollen? Die Herren möchten durch eine obli- Bresse aller Parteien wenn auch in verschiedener Tonart gatorische Fortbildungsschule für 14-18 Jährige das sitt und ungleich an Nachdruck und Kraft mit einer Ein­liche Leben der Jugend erneuern"? Dabei scheinen sie nicht müthigkeit aus, die in der Geschichte des deutschen Journa zu wissen, daß sie sich mit dieser Forderung in der Gesell- lismus ohne Beispiel dasteht. Mit alleiniger Ausnahme schaft der+ Sozialdemokraten befinden, deren Welt der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung", die als ein­anschauung so schlecht ist", daß der eine der Redner fich fames Monument Pindter'scher Charaktergröße emporragt, ordentlich gescheut zu haben scheint, sie nur in den Mund giebt es in Deutschland unseres Wissens teine einzige zu nehmen; und dabei thun sie so, als ob sie nicht wüßten, Beitung, die bis jetzt für die Militärvorlage einge­daß grade die Herren Unternehmer von Geldfactswegen die treten wäre. Sogar die Kölnische Zeitung ", der die ge­ärgsten Feinde jener Fortbildungsschule sind. Die frommen bratene Taube"" unrechtmäßig" in den Mund geflogen ist,

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habe ich jetzt wieder in der Nähe gesehen," erwiderte auf ein anderes Feld verlegt. Die Friedensbestrebungen Friedrich nachdenklich. der Freidenkenden leiden an keinem inneren Widerspruch, Hierauf wurde er von der armen Frau über die beiden und gerade den Widerspruch, welcher zwischen den Sagungen Feldzüge ausgefragt, wovon er den einen mit den andern der Christenliebe und den Geboten der Kriegsführung be­gegen Gottfried mitgemacht. Er mußte hundert Einzel- steht, wollte ich von einem militärischen Oberpfarrer heiten anführen und konnte dabei der beraubten Mutter d. h. also von einem Vertreter chriftlichen Soldatenthums Senselben Trost geben, den er einst mir aus dem italienischen erläutern hören." Kriege gebracht: nämlich, daß der Betrauerte eines raschen Der Geistliche stellte sich pünktlich ein. Offenbar war Eine Lebensgeschichte von Bertha von Suttner . und schmerzlosen Todes gestorben sei. Es war ein langer, ihm die Aussicht verlockend, eine belehrende und bekehrende denn nichts trauriger Besuch. " Ich weiß zwar das Gegentheil Auch die ganzen Einzelheiten der Predigt vorbringen zu können. Ich hingegen blickte der hält" mehr zusammen als der Priester- und der Soldaten- schaurigen Cholerawoche habe ich da wiedererzählt und Unterredung mit etwas peinlichen Gefühlen entgegen, denn stand aber mir fehlt die Beredtsamkeit, dies meiner meine Erlebnisse auf den böhmischen Schlachtfeldern. Gh' es fiel mir darin eine unaufrichtige Rolle zu.- Aber zum Frau flar zu machen. Würden Sie sich nun herbei wir sie verließen, führte uns Tante Kornelie noch in Wohle der Sache, welcher Friedrich fortan seine Dienste laffen, Herr Konsistorialrath, uns morgen oder übermorgen Gottfried's Zimmer, wo ich beim Durchlesen des oben geweiht, fonnte ich mir schon einige Ueberwindung aufer­angeführten Briefes eine Stunde Unterredung zu schenken, um" von dem ich mir später eine Ab- legen und mich mit dem Sazze trösten: Der Zweck heiligt O sehr gern," unterbrach der Geistliche. Wollen Sie schrift erbat von neuem bittere Thränen vergießen die Mittel. mir ihre Adresse?..." Friedrich gab ihm seine Karte und mußte. es wurde sogleich Tag und Stunde des erbetenen Besuches festgesetzt.

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Hierauf blieben wir mit der Tante allein. Gewährt Dir der Zuspruch dieses Freundes wirklich Trost?" fragte sie Friedrich.

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Nach den ersten Begrüßungen wir faßen alle drei auf niederen Lehnstühlen in der Nähe des Ofens- begann der Konsistorialrath also:

" Jetzt erkläre mir," sagte ich zu Friedrich, als wir unferen vor Frau von Tessow's Willa wartenden Wagen ,, Lassen Sie mich auf den Zweck meines Besuches ein­bestiegen, warum Du den Konsistorialrath-" gehen, guädige Frau. Es handelt sich darum, aus Ihrer " Bu einer Konferenz mit Dir gebeten? Berstehst Du Seele einige Strupel zu bannen, welche nicht ohne schein­Trost? Den giebt es für mich hienieden nicht mehr. nicht. Das soll mir als Studienmaterial dienen. Ich bare Berechtigung sind, welche aber leicht als Sophismen Aber er spricht so viel und so schön, von den Dingen, von will wieder einmal hören und diesmal notiven mit dargelegt werden fönnen. Sie finden 3. B., daß das welchen ich jetzt am liebsten höre- von Tod und Trauer, welchen Argumenten die Priester den Völkermord verthei- Gebot Christi, man solle seine Feinde lieben und ferner von Krenz und Opfer und Entfagung... er schildert die digen. Als Führerin des Streites habe ich Dich vor der Sat: Wer das Schwert nimmt, soll durch das Schwert Welt, die mein armer Gottfried verlassen mußte, und von geschoben. Einer jungen Frau geziemt es besser, vom christ umkommen" in Widerspruch zu den Pflichten des Soldaten welcher auch ich mich wegsehne, als ein solches Thal des lichen Standpunkte aus Zweifel über die Berechtigung des stehen, der ja doch bemächtigt ist, den Feind an Leib und Jammers, der Berderbniß, der Sünde, des zunehmenden Krieges zu hegen, als einem Herrn Oberst Leben zu schädigen-" Berfalles... Und da erscheint es mir denn weniger traurig, daß mein Kind abberufen worden. Er ist ja im Simmel, und auf dieser Erde-"

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Walten oft Höllengewalten, das ist wahr das

Du weißt aber, daß wir solche Zweifel nicht vom religiösen, sondern vom humanen Standpunkt-" " Diesen müssen wir dem Herrn Konsistorialrath gegenliche über gar nicht hervorkehren, sonst würde die Streitfrage

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Allerdings, Herr Konsistorialrath, dieser Widerspruch scheint mir unlöslich. Es kommt auch noch das ausdrück­Gebot des Dekalogs hinzu: Du sollst nicht tödten." Nun ja- auf der Oberfläche beurtheilt, liegt hierin