einen liberalen Partikularisten, ein paar Fortschrittsleute, einen Mann der Reichspartei, zwei Natioualliberale, zwei Konservative und einen »Genossen"; man findet also eine Musterkarte, die fast ebenso bunt ist, wie die Mnsterkarte von Dresden , nur datz in Döbeln bisher ein Antisemit noch nicht durchgedrungen ist. Aber da die Antisemiten bei der vorigen Wahl eine Stimmenzahl aufbrachten, die noch größer war, als die Ziffer, mit der die Nationalliberalen paradieren durften, so wollen sie auch jetzt mit einem Kandidaten erscheinen und den Versuch machen, die Stimmung, die vor dreizehn Jahre» in Sachsen für sie so günstig war, die ihnen auch noch bei der letztenNachwahl inMarien- bürg zum Siege verhalf, von neuem zu beleben. Vielleicht erscheinen auch die beiden freisinnigen Parteien auf dem Plane, die Wasser- stiefler, um Herrn Günther aus Plauen den erstaunten Wählern vorzuführen, die Männer vom Wadeustrumpf, um der Welt zu zeigen, daß auch in Döbeln für Herrn Theodor Barth keine Hütte gebaut ist. Und so werden all die Parteien miteinander ringen, auf daß das Mandat von Döbeln von neuem an einen Gesinnungsgenossen der Herren Singer und Bebel fällt. Denn ist die Möglichkeit schon gering, den früheren Sitz der Herreu Mehncrt und Sachße, den später der Alldeutsche Lehr durch einen Husarenritt gewann, nach der Ueberflutung durch die Roten zurückzugewiuuen, die Zahl von 13 160 Stimmen, der die Nationalliberalcn und Antisemiten zusammen nur 11000 Stimmen entgegenzusetzen hatten, so zu verringern, und die eigene Mannschaft so zu verstärken, daß über- Haupt an einen Sieg gedacht werden kann, so wird jene Möglichkeit doppelt und dreifach vermindert, wenn in Döbeln wieder die bürgerlichen Parteien im ersten Gange Frontstellung gegeneinander nehmen, und eine Erbitterung schüren, die in der Stichwahl stets die übelsten Folgen trägt. Kommt es also zu einer Zersplitterung der Stimmen, so wäre es wenigstens dringend zu fordern, daß der Hauptkampf unter den bürgerlichen Gruppen nicht gegeneinander, sondern gegen den gemeinsamen Feind von der äußersten Linken ge- führt wird, daß die Riesen des Jason sich nicht wieder untereinander zerfleischen." Hoffen und harren— macht manchen zum Narren. Keine Gehaltsaufbesserung für Lehrer! Der Erlaß des K u l t u s m i n i st e r s, wonach zur Berhinde- rung der Landflucht der Bolksfchullchrer die Regierunge» den Ge- haltserhöhunge» der städtischen Lehrer in den Weg treten solle», tut schon seine Wirkung.„Es wird g e b r e m st", ruft die„P ä d a- gogische Zeitung" aus und führt auS der kurzen Zeit seit der Veröffentlichung des Erlasses folgende Beispiele an: 1. In Hayn au hatten die städtischen Behörden beschlossen. die Gehälter der Volksichullehrer dadurch aufzubessern, daß die Alterszulagen von ISO M. auf 200 M. erhöht wurden. Hierzu versagte die R e g i e r u n g z u L i e g n i tz die Erlaubnis mit der Begründung, daß der Unterrichtsmiuister auf keinen Fall mehr eine Besserstellung der Volksschullehrer durch Erhöhung der Alterszulagen auf 200 M. dulde. Aber die Regierung verstand sich dazu, der Stadtverwaltung eine Erhöhung des Grundgehalts von 1100 auf 1200 M. zu empfehlen. Die älteren Lehrer erleiden damit eine jährliche Einbuße von 3S0 M. 2. Jir Hamborn, der größten preußischen Landgemeinde mit rund 70 000 Einwohnern, hatte die Gemeindevertretung 80 000 M. zur Aufbesserung der Lehrergehälter bereitgestellt. Die Regierung zu Düsseldorf versagte die Genehmigung zu diesem Beschlüsse mit der Begründung, daß die Gemeinde nicht leistungsfähig sei. 3. In Wetter hatte die Gemeindevertretung beschlossen, die Lehrergehälter von 1100 M. und 200 M. Alterszulage auf 1500 M. und?00 M. zu erhöhen. Die Regierung zu Arns- b e r g versagte diesem Beschlüsse ohne Angabe von Gründen die Genehmigung. 4. In S ch ü t t o r f, der bedeutendsten Industriestadt des Kreises Bentheim, hatte der Schulvorstand in anbetracht der erhöhten Lebensmittelpreise jedem Volksschullehrer eine persönliche nicht pensionsfähige Zulage für das laufende Etatsjahr in Höhe von 100 W. belvilligt. Die Zulage ist bereits ausbezahlt worden. Jetzt hat die Regierung zn Osnabrück die Genehmigung ver- weigert. 5. In Dortmund war im Dezember vorigen Jahres die Erhöhung des Grundgehalts von 1500 auf 1600 M. beschlossen worden. Vor kurzem wurde nun einer Deputation des Lehrer- Vereins seitens des Ministerialdirektors Dr. Schwartz- k o p f f eröffnet, daß die königliche Behörde nicht in der Lage wäre, einer Erhöhung des Grundgehalts über die jetzt noch als äußerste Grenze zu bezeichnende Höhe von 1500 M. zuzustimmen. Die Erhöhung des Einkommens in einer anderen Form würde sie auf Antrag in wohlwollende Erwägung ziehen. So hat es kommen müssen I Die preußischen Lehrer in ihrer ungeheuren Ueberzahl glaubten bisher, statt durch gerades, im- erschrockenes Auftreten, durch ängstliche Leisetreterei am weitesten kommen zu können. Ihr Protest gegen die Schulverpfaffung war kläglich zahm und noch auf dem letzten Münchener Lehrertage feierte die feige Opportunitätspolitik, die man dem Freisinn abgeguckt hatte, traurige Triumphe. Die Autwort der Regierung auf diese traurige RechnuugSträgerei sind brutale Stockprugel auf den Magen! Die Behandlung, die die Regierung den Lehrern zuteil werden läßt, erscheint um so n i ch t a ch t e n d e r, wenn man die Fürsorge bedenkt, die sie den Stützen der Reaktion, speziell den Polizei- organen zuwendet. Während man � trotz des ärgsten Lehrer- mangels!— den Lehrern den Brotkorb Häher hängt, hält man es für selbstverständlich, dem Polizisteumangcl fder in Wirklichkeit gar nicht vorhanden wäre, wenn man den Schutzleuten nicht den lächerlich st en politischen Ueberwachungsdienst aufhalste I) durch Gehaltsaufbesserungen abzuhelfen. So wird jetzt amtlich gemeldet: Bei der B e r l i n e r S ch u tz m a n n s ch a f t ist eine größere Anzahl von Schutzmanns st ellen zu besetzen. Das Einkommen der Schutzmänner ist kürzlich nicht unbe« deutend erhöht worden. Sie erhalten jetzt außer dem Anfangsgehalt von 1200 M. einen Wohnuiigsgeldzuschuß von 360 M.< früher 240 M.f und eine Stellenzulage von 120 M. jährlich. Auch den zunächst erst zur Probe eingestellten Schutzmännern wird dieses Einkommen von monatlich 100-j- 30-j- 10 M.--- 140 M. am Schlüsse jedes Monats gezahlt. Es versteht sich von selbst, daß wir ein Gehalt von 140 M. monatlich den Schutzleuten von Herze» gönnen. Aber daß man Schutzleuten anstandslos ein Gehalt gewährt, das die meisten preußischen Lehrer nicht erreichen, ja daß man die städtischen Gemeinden direkt hindert, ihren Lehrern menschenwürdige Gehälter zu zahlen, um nicht auch von Staats wegen den Lehrern Gehälter in der Höhe eines Schutz m a n n s geholtes zahlen zu müssen, das sollte unsere„Volksbildner" doch über das Wesen unseres preußischen Staates endlich einnial aufkläre»!— Die Gönner JeSkos an der Arbeit. Ueber die Disziplinaruntersuchung gegen JeSko von Puttkamer berichten die„ H a n, b u r g e r N«a ch r." das Folgende: Die Vernehmungen nehmen einen ziemlich schnellen Fortgang. So hatten dieser Tage verschiedene Offiziere, die sogenannte Freiin von Eckardtstein, der Kameruner Oberrichter Meyer sowie Dr. jur. Esser und Direktor van de Loo als Vertreter der Viktoria- Pflanzung vor dem die Unter- suchung führenden Richter. Kammergerichtsrat Strähler. unter ihrem Eide ihre Bekundungen abzugeben. Eine große Zahl weiterer Zeugen ist geladen. Zwei der er- wähnten Offiziere haben. wie privatim über den Inhalt der Aussagen verlautet, erklärt, daß sie die später in Kamerun aufgetauchte Dame dem Gouverneur h r e r in Berlin als Freifrau von Eckardtstein vorgestellt haben. Eine erhebliche Rolle in der Untersuchung spielt das von der BaSler Mission gelieferte Anklagematerial. Von der Basler Mission geht nämlich die Behauptung aus, Puttkamer habe in un- zulässigen Beziehungen zu den Esserschen Gesellschaften gestanden und diese daraufhin begünstigt. So sollte von Puttkamer unter anderem bei sämtlichen Esserschen Faktoreien unbeschränkten Kredit gehabt und benützt sowie einen baren Rabatt von zehn Prozent auf die ihm kreditierten Einkäufe bezogen haben. Die Vertreter der Viktoriapflanzung haben demgegenüber erklärt, daß Puttkamer keinerlei Vorteile. Kredit, Zu wen dun gen. Provisonen usw. erhalten und auch in keinerlei Form jemals irgend etwas Derartiges verlangt oder angeregt habe. Die Oeffentlichkeit soll also offenbar darauf vorbereitet werden, daß der wackere I e s k o denmächst aus der Disziplinaruntersuchung als Unschuldsengel hervorgehen wird I Mit Recht wirft diesen Machenschaften gegenüber die„Freis. Ztg." die Frage auf: „Im übrigen möchten wir doch fragen, wie es kommt, daß derartige Mitteilungen über eine noch im Gange befind- l i ch e Untersuchung in die Oeffentlichkeit gelangen konnten. Als wir unser Material gegen JeSko von Puttkamer veröffentlichten, erhob die„nationale" Presse ein Zetergeschrei über den damit begangenen Vertrauensbruch. Wenn aber dieselben„nationalen" kolouialhypnotisierten Blätter irgend etwas erfahren, das geeignet ist. ihren Schützling zu entlasten, so genieren sie sich keinen Augenblick, eö zu ver- öffentlichen, auch wenn das Amtsgeheimnis ver- letzt sein sollte."—_ Shaws Verehrer. Nachdem wir gestern zwei abfällige Aeußerungen deutscher bürgerlicher Blätter über Herrn Shaw registriert haben, zwingt uns die Gerechtigkeit dazu, auch einige zustimmende Auslassungen mit- zuteilen. Groß ist die Ausbeute nicht. Voran steht das Weltblatt vom Rhein , die„Köln . Ztg." In weiser Mäßigung beschränkt sie sich ans folgende Zeilen: „Die wissenschaftliche und politische Pedanterie, die in der deutschen Sozialdemokratie in innigstem Verein mit ihrer praktischen Unfruchtbarkeit und vaterlaudsfeindlichen Klassenverhetzung blüht, kann nicht besser gegeißelt werden, als es hier von einem an- erkannten„Genossen" geschieht." Getrübt wird der hohe Wert dieses Urteils mir ein wenig da- durch, daß die„Köln . Ztg." allen Ernstes der Ansicht ist. Shaw sei bisher„irischer Sozialdemokrat" gewesen. Der großen Kollegin vom Rhein sekundiert das Hamburger Scherl-Blatt, der„Hamb . Corrcsp." mit folgenden Sätzen: „Der„Vorwärts" tut, als fände er diesen Brief furchtbar komisch, und ganz ernst wird man i'hn auch im bürg er- lichen Lager nicht nehmen. Besonders mit der politischen Moral der deutschen Sozialdemokratie hat man ja erst in aller- jüngster Zeit wieder seltsame Erfahrungen gemacht. Aber daß nebenbei in dieser deutschen Sozialdemokratie auch ein ganz er- hebliches Quantum dogmatischer Borniertheit und Schildbürgerei steckt, darin hat Bernhard Shaw allerdings ganz recht" Als drittes Blatt, das Herrn Shaw die Wirkung seiner„ver- nichtenden Kritik" attestiert, meldet sich die antisemitische„Staats- bürger-Zcitung". Sie schreibt: „Auch wenn man die eitle Selbstbespiegeluiig dcS Herrn Bernhard Shaw der Sozialdemokratie zugute rechnet, dürfte doch der Gegenhieb, den der„Vorwärts" heute führt, allzuviel innere Ohn- macht zeigen. Er besteht einfach in einigen Schimpfworten:„der famose Bernhard Shaw".„Ueberbrettl-Dramatiker",„größenwahn- sinniger Literaten-„SozialismuS". Damit bestätigt der„Vorwärts", daß der Hieb gesessen hat. Daß gerade Männer wie Bernhard Shaw und Professor Sombart , deren haltlose Weltanschauung auf demselben Baume gewachsen ist, wie die modern-sozialistische, sich von dem veralteten Dogmatismus eines Marx abwenden, ist charakteristisch für die intellektuelle Vereinsamung derer um Kautsky ." Der kindischen Eitelkeit des Herrn Shaw dürften allerdings diese Verehrer kaum gefallen, denn der„Hanibnrg, Correspondent" attestiert dem großen irischen Epigonen Shakespeares, daß man ihn selbst im bürgerlichen Lager nicht„ganz ernst" nimmt, und die „Staatsbürger-Ztg." spricht von„eitler Selbstbespiegeluiig". Doch eS ist das Schicksal fast aller gewaltigen„literarischen Genies", daß sie erst nach ihrem Tode die gebührende Anerkennung finden.— Kuslancl. Schweiz . Der Kampf in Zürich . Zürich , 25. Juli. (Eig. Ber.)„Klein-Rußland", so heißt gegenwärtig Zürich und Umgebung. Alle Gesetzlichkeit, Zucht und Ordnung hat aufgehört! eS herrscht nur die rohe Gewalt, aber nicht die des„Pöbels, sondern die der herrschenden Klasse, die ohne Scheu am hellen Tage ihre ungezügelte Bestialität betätigt. Nicht nur Polizisten und Soldaten hausen wie Kosaken unter der Arbeiter- schaft, sondern auch die wildgewordenen Bourgeois, vor deren Ex- zcssen niemand sicher ist. Zahllose Arbeiter sind von den uniformierten und bürgerlichen Ordnungsbanditen anfs schwerste mißhandelt worden, ohne daß danach ein Hahn krähte: sie sind eben vogclfrei. Die bürgerliche Presse schweigt vollständig über die un- glaublichen Exzesse veS Gesindels, in dessen Diensten sie steht, und die umformierien Hüter von Gesetz und Recht schreiten dawider nicht nur nicht ein, sie lassen im Gegenteil unter beifälliger Zustimmmig die rohen Bestien gewähren. Sagt aber ein Arbeiter nur ein Wort gegen die Polizei, gegen das Militär, gegen das Unternehmertum. gegen die Regierung oder gar gegen die— Streikbrecher, so wird er auf der Stelle verhaftet und unter Mißhandlungen in die Kaserne geführt. Die Verhaftungen dürften die Zahl von 150 erreicht haben. ivovon allerdings verschiedene nicht aufrechterhalten wurden. Auch Arbeitersckretär Rieder und der nach ihm verhaftete Genosse Sigg wurden wieder entlassen. Gegen beide, ferner auch gegen andere Genossen sowie gegen den anarchistisch-antimilitaristischen Arzt Dr. Brupbacher sollen Anklagen erhoben werden, und zwar gegen erstere aus Grund des eidgenössischen Militärstrafgesetzes, dessen Artikel 5g am Schlüsse besagt:„Die Zuständig- keit des Kriegsgerichts wird durch Artikel 1 Ziffer 10 der Militärstrafgerichts- Ordnung vom 23. Juni 1889 be- gründet:„Der MilitärstrafaerichtSbarkeit sind unterworfen: Zivil- Personen, welche Militärpersonen im aktiven Dienst zur Verletzimg wichtiger Obliegenheiten verleiten oder zu verleiten suchen." Zu den Greueltaten in den Straßen Zürichs werden also noch drakonische Urteile des Kriegsgerichts kommen, durch die die uniformierten Arbeiterfeinde ihren Haß in gesetzlicher Form betätigen dürften. Den Ausländern, die in die Hände der Ordnungsbanditen fallen, droht durchweg die Ausweisung. Etwa 40 verhaftete Ausländer sollen bereits diesem Schicksal geweiht sein. In der Inseraten- Plantage des„Züricher Tageblatt" fordern bürgerliche Schufte die Ausweisung unseres Genossen Emil Hauth in seiner Eigenschaft als Redakteur dcS.Volksrecht". Also nicht mehr nur Anarchisten, sondern auch Sozialisien, überhaupt jeder, der dem herrschenden OrdnungS- klüngel nicht paßt und Ausländer ist, soll ausgewiesen werden! Es ist eine böse Saat, die in diesen Tagen die blind wütenden Bürgerlichen in Zürich ausstreuen. Eine Verschärfung der Klassen- gegensätze und Klassenkämpfe wird als deren Frucht zurückbleiben. Die unerträgliche Situation veranlaßte auch das christliche Gewerkschaftskartell in Zürich zur Stellungnahme. Es hat in einer längeren Resolution energischen Protest gegen das Streikpostenverbot und gegen das Militärausgebot erhoben, und eS wirst der Regierung unverhüllt vor, daß sie sich einseitig in den Dienst dcS scharf- macherischen Unternehmertums gestellt habe. In der Resolution wird zutreffend darauf hingewiesen, daß im vorigen Jahre die in ihrer Mehrheit katholische Regierung des Kantons Luzern die Scharf- machereien des Unternehmertums gegen die Arbeiter zurückgewiesen hat. Und Luzem steht heute noch! Einer in Zürich abgehaltenen Versammlung ber Bmiunter- nehmer haben deutsche Banunternehmer ihre Sympathien mit den Scharfmachereicn ausgesprochen! Diese Internationale lassen sich die schweizerischen OrdiumgSbanditen gern gefallen. Die Regierung hat beschlossen, morgen das jetzt aufgebotene Militär wieder zu entlassen und dafür das Bataillon 67 aufzubieten. Die Schlvadron 18 wird auf Rikett gestellt. Der Krieg, der— ohne den Verdienstentgang der auS der Arbeit gerissenen Arbeiter— täglich zirka 7000 Frank kostet, dauert also weiter. Vielleicht kommt eS noch zum stehenden Heer gegen den„inneren Feind" nebst Garnisonen in jedem Orte, wo eine Fabrik und eine Arbeitergewerk- schaft besteht. Dem profitwütigen Schweizer Bourgeois ist jede Schändung der Demokratie zuzutrauen. Frankreich . Die Witwe» von Courrisres aus die Straße gesetzt! Paris , 26. Juli. (Eig. Ber.) Die Ausbeutergesellschaft von Courrisrs hat nicht genug daran, aus schuftiger Raffgier tausendfachen Mord begangen zn haben. Als das gräßliche Unglück geschehen war, begann sie sofort mit„Rettungs- arbeiten", d. h. sie suchte ihr Kapital über und unter der Erde zu retten. Das Opfer unterirdischer„Rettungsarbeit" waren die Hundert« Grubenproletarier, die ersticken und verhungern mußten, weil die Rettungswege vermauert wurden. Die Opfer der„RettungSarbeiten" über Tage waren die Hinterbliebenen der im Schacht Getöteten. Die Ausbeutersippschaft wollte die Not der Ueberlebenden ausnutzen, um von ihnen einen Nachlaß der gesetzlich geschuldeten Entschädigungssumme zu erpressen. Einige Witwen hatten indes genug Widerstandskraft und wiesen den angebotenen„Ausgleich" ab. Die edlen Ausbeuter warfen darauf die Mitleidsmaske ab und kehrten zum brutalen Herrenstandpunkt zurück. Am Anfang des Monats bekamen die widerspenstigen Proletarierinnen einen Bescheid, worin sie verständigt wurden, daß die Gesellschaft, die von März bis Juni keine Miete von den in ihren Häusern wohnenden Witwen erhoben habe, vom Juli an Ivieder die gewöhnliche Miete berechne I Gleichzeitig teilt sie die Kündigung des Mietskontraktrs für de» I. Ottover mit? von diesem Tage an müsse sie über die Wohnungen wieder disponieren. Die Witwen von Conrriöres haben die Absicht, in ihren Häusern zu bleiben und zu warten, ob man es lvagen wird, sie samt ihren Kindern wirklich auf die Straße zu setzen. Die Ausbeuter von Courrtöres werden es lvagen. Sie lassen sich von proletarischen Hungerleidern nicht Trotz bieten. Und dann— sie brauchen ja Platz für neue Arbeiter, die Mehrwert schaffen sollen für elenden Lohn und unter der Gefahr, daß einst auch ihren Witwen und Waisen nicht einmal ein Stück Brot und ein dürftiges Obdach ge- lassen wird.— Belgien . „Booruits" Jubiläum. Ein Freudenfest, einzig in seiner Art und Größe, wurde am Sonntag in Gent gefeiert. Es war das 25jährige Jubiläum der Genoffenschaft„Vooruit", die in einem Festgesange als«die gute Mutter" gepriesen wird. Der„Vooruit" ist entstanden ans winzig kleinen Unternehmungen, die den Spott und Hohn der Gegner herausforderten. Im Jahre 1873' gründeten 80 Mitglieder der zu jener Zeit schon arg zusammen- geschrumpften„Internationale" in Gent mit kaum 100 Fr. Kapital eine Genossenschaftsbäckerei. Diese wuchs und gedieh. Aber der Erfolg führte nach wenigen Jahren dazu, daß ein Teil der inzwischen stark gewachsenen Zahl der Genossenschafter dem sozialistischen Gedanken untreu wurde und das Unternehmen in bürgerlichem Sinne geleitet wissen wollte. Sie waren gegen die Aufnahme neuer Mit- glieder, gegen die Verteilung sozialistischer Schriften, gegen den Gebrauch einer roten Fahne, gegen die Errichtung von Geschäfts- lokalen in allen Arbeitervierteln der Stadt usw. 150 Sozialisten traten auS der Genossenschaft aus und gründeten im Jahre 1881 die Genossenschaftsbäckerei„Vooruit�-----„Vorwärts". Wer von den leitenden Genossen auf diesen Namen gekommen ist, weiß man nicht. Aber er entspricht besser als jeder andere der Wirksamkeit und Eni- Wickelung des Unternehmens, das längst nicht mehr nur eine Genossenschaftsbäckerei ist. sondern für das leibliche und geistige Wohl seiner Mitglieder sorgt und weit darüber hinaus für den Fortschritt auf allen Gebieten der Arbeiterbewegung und Eni- Wickelung tätig ist. Die Bäckerei stellte im Anfang mit ihren einfachen Einrichtungen 1057 Brote in der Woche her. Jetzt werden in der neuen, mit 10 doppelten Heißwasseröfen ausgestatteten Bäckerei jede Woche 120 000 Brote gebacken. Schon im Jahre 1886 war der„Vooruit" so leistungsfähig, daß er den streikenden Kohlengräbern des Borinage 15 000 Brote senden konnte. Im Laufe der Jahre hat der„Vooruit" Kleider- und Koloniallvarenmagnzine, Apotheken und Kohlenmagazine eingerichtet. Nach einem großen Brande im Jahre 1897 wurden die Magazine prächtiger und größer wieder erbaut. Im Jahre 1902 wurde die Volksdruckerei gegründet, die größte und am besten eingerichtete Druckerei des Landes, verbunden mit einer reich ausgestatteten Buch- und Papierhandlung. In der Bolksdruckerei wird jetzt auch der „Vooruit", das einzige sozialistische Tageblatt in Vlämisch- Belgien , gedruckt, daneben noch 10 besondere sozialistische Wochen- b l ä t t e r. Es wurden weiter Prodnktivgenossenschaften der Zigarrenmacher. der Maurer, der Dockarbeiter, der Metallarbeiter, der Holzarbeiter gegründet, und schließlich hat der„Vooruit" auch eine Genossen- schaftSweberei errichtet. Eine Krankenkasse des„Vooruit" Ivurde im Jahre 1900 durch Zusammenschluß von 19 kleinen Krankenkassen mit 2700 Mitgliedern gegründet. Die Mitgliederzahl war im Jahre 1905 bereits auf 30 000 gestiegen. Die Kasse beschäftigt 17 Aerzte, darunter sechs Spezialärzte, und verfügt über einen eigenen Operationssaal. Sie hat seit der Gründung 1645 009 Frank Krankengeld ausgezahlt. Außerdem besteht seit 1897 ein Wochenbettfonds, der in 4311 Ge- burtSfällen bereits für 16 745 Frank Unterstützung an Waren und Bargeld geleistet hat. Im Jahre 1900 wurde ferner ein PensionS- fonds für Altersunterstützung gegründet, der bis zum April 1906 bereits 77 040 Frank Pensionen ausgezahlt hat. Für daS Geschäfts- jähr 1906/1907 ist die Ausgabe für 194 pensionierte Mitglieder des „Vooruit" auf 20 733 Frank berechnet. Für die geistige, sittliche und ästhetische Erziehung seiner Mit-. glieder wie der gesamten Bevölkerung sorgr der„Vooruit" durch einen Studienverein, durch zwei große öffentliche Volksbibliotheken mit Lesesälen, durch einen Bühnenvercin, durch Musik-, Gesang- und Turnvereine und durch einen ErziehungSverein(die„VolkSkinderen"), dem sich für Jünglinge und junge Mädchen der Verein„Gelvazen Volkskinderen" anschließt. Wie sich der„Vooruit" finanziell entwickelt hat, geht daraus hervor, daß die Bilanz von 1881 mit 15 984,20 Fr. abschloß, wo- gegen die von 1903 die Endsumme von 3 290 928,39 Fr. onfiveist. Die Gebäude, die Maschinen und das Meublement des„Vooruit" haben einen Wert von 1 931 000 Fr. Die Volksdruckerei„Vooruit" hat zur Feier des Jubiläums eine Festschrift herausgegeben. Der Druck des Werkes beweist, daß die Druckerei außerordentlich leistungsfähig ist. Ans der ersten Seite tritt uns das Bildnis des im Jahre 1897 verstorbenen Genoffen Edm. van Veveren, des Vaters der genossenschaftliche» Bewegung
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