»Indem die Duma durch ihre aufreizenden Reden und durchIhre Verbreitung in den finsteren Massen den Zweck der Revolutionverfolgte, hat sie klar gezeigt, wie wenig ihr an der Beschwichtigungder Unruhen gelegen war, die von ihren Mitverschworencn im Innerndes Landes geichlirt werden und zum Untergange und zur Verelendungdes Landes führe».«Ja, es erweist sich, daß die Juden sich nicht mit ihrer materiellvorherrschenden Stellung begnügen, sie streben nach Macht, um allesund alle zu unterjochen, und bedienen sich des Terrors, des Geldes,der Aufreizung des Volkes, um ihr Ziel zu erreichen.„In dieser wahrheitsgetreuen Richtung ersuche ich Sie, meineHerren Offiziere, die Soldaten über die Dumaauflösinig zu belehren."Mit solchen Mitteln und„wahrheitsgetreuen" Schilderungensucht die Regierung den immer weiter um sich greifenden revolutio-vären Geist in der Armee zu bekämpfen.Die Meinung der Kadetten über die Lage.Der«Russ. Korrespondenz" wird vom 21. August ausPetersburg telegraphiert:Eine seit einigen Tagen versammelte Konferenz der Delegiertender Gouvernementskomitees der konstiwtionell-demokratischen Parteiist sehr wichtig, weil sie Klarheit brachte über die Stimmungder Bevölkerung. Vertreten lvaren 8V Gouvernements. Aus allenRegionen des Reiches wird berichtet, daß die Nachricht von derDumaauflösung derart unglaublich erschien, daß die tiefe Empörungerst jetzt zum Dnrchbruch kommt. Bemerkenswert ist, daß nach allenBeobachtungen das Volk jetzt nicht über die Ministerallein empört ist, sondern auch über den Zaren. Das Verhaltender Dumamitglieder nach der Auflösung wird allgemein gebilligt.Der Wiborger Aufruf wird von der städtischen Bevölkerung fürundurchführbar erklärt, besonders für den Kaufmannsstand. Andersist'S bei der Landbevölkerung. Piele Gemcindebeschliisse sind gefaßtworden, keine Abgaben zu zahlen, auch Boykottierung der Brannt-wein- Monopolbuden wurde beschlossen. Die Konferenz konstatiert,daß bei den nächsten Wahlen nur der Zusammenschluß mit links-stehenden Parteien möglich sei. Im allgemeinen ist die Stimmungder Bevölkerung sehr erregt, nach Beendigung der Feldarbeitenwird ein Aufflammen der Agrarunruhen erwartet. Die Konferenzhat beschlossen, als Parole für die weitere Agitation aufstellen: diesofortige Berufung der Volksvertretung, parlamentarisches Ministerium,die zwangsweise Enteignung deS Privatbodens, soweit es für Bc-seitigung des Landmangels der Bauern nötig. Das Zentralkomiteeder Partei versendet an alle Lokalgruppen einen entsprechendenAufruf.Revolutionäre Aufrufe.Trotz der Bemühungen der Regierung, die Verbreitung desWiborger Aufrufes und der anderen Aufrufe der Zentralorganisationenzu verhindern, geschieht deren Verbreitung doch in dem größten Um-fange. Jeden Tag bringen die Zeitungen aus zahlreichen Orten,aus allen möglichen Gegenden Rußlands Nachrichten darüber, daßDruckereien von Unbekannten besetzt und die Aufrufe massenhaft der-vielfältigt sind: bisweilen werden die bei der Abdruckung Beschäftigtenverhaftet, bisweilen nicht: bisweilen werden auf der Post oder beiHaussuchungen große Sendungen der vervielfältigten Aufrufe ent-deckt und beschlagnahmt; solche Fälle lassen vermuten, wie viel nichtentdeckt und tatsächlich verbreitet wird.Aufs Geratewohl führen wir ein Beispiel an: Am lt. Augustwurde aus Stawropol telegraphiert, daß 25 bewaffnete Männer indie Druckerei der Zeitung„Sewero-Kawkaßky Kraj' um 3 Uhr nach-mittags eingedrungen sind und die Setzer zwangen, den Aufruf desZentralkomitees der Arbeitsgruppe, der sozialistischen Parteien unddes Bauernverbandes„an die Bauern" zu drucken; bis 8 Uhrabends wurden 15 000 Exemplare abgedruckt, die in kleinen Mengenallmählich fortgebracht wurden. Es wurde niemand verhaftet.Presiverfolgungen.Die zerstörende Tätigkeit der Regierung wendet sich nicht mehregen die Tagespresse allein, sondern auch gegen die Verlags«uchhandlungen. Während des letzten JahreS find zahlreicheVerlagSuntcrnehmungen in Rußland entstanden, die massenhaftbillige Bücher und Broschüren, teilweise bürgerlich radikalen, teil-weise sozialistischen Inhalts herausgegeben haben. In ganz Rußlandwerde» auf diese Weise politische und sozialistische Schriften ver-breitet. Bekannte Werke ausländischer Sozialisten wurden insRussische übersetzt und für spottbillige Preise massenhaft gedrucktund verkauft. Gegenwärtig sucht Stolypin dieser aufklärendenTätigkeit der Verleger ein Ende zu setzen.Der Verlag„DonSkaja Rjetsch" hat fich durch Massenverbreitungpolitisch-radikaler Broschüren und Flugblätter und wertvoller Werkeüber die Geschichte der russischen Freiheitsbewegung berühmt gemacht.Jetzt meldet die Zeitung ,XX. Jahrhundert"(10. August):„Am9. August wurde der Verlag„DonSkaja Rjetsch" zugesiegelt." Siemeldet auch:„Ani 8. August abends erschien die Polizei in derBücherniederlage Prawo und siegelte sie zu"(Prawo ist einbürgerlich- liberales, hauptsächlich juridisches Unternehmen, dasaber auch sozialistische Werke geführt hat);„am 2. Augusterschien die Polizei in den Räumen des Verlags Molotund siegelte auf Befehl des Stadthanptmanns die Räume zu."„Molot" war ein sozialistischer Verlag, der mehrere Schriften vonMarx, KautSky, auch JneckhS„Internationale", LissagarayS„PariserKommune", Roland-HolstS„Generalstreik" herausgegeben hat.„XX. Jahrhundert" vom 11. August:„Am 8. August wurdeaus Befehl des Stadthauptmanns der Verlag„Nowyj Mir" zu-gesiegelt". Der Verlag„Nowyj Mir" gab insbesondere gcwcrl-schaftliche Literatur heraus, Uebersetzungen von Schriften und Artikelder Genossen Bebel, Ströbel, Schippel, Legten, russische Broschürenüber die gewerkschaftliche Bewegung usw.Unterdrückung von Verbänden.Ueber viele suspendierte und unterdrückte Verbände haben wirbereits berichtet. Der„Toivnrisch"(10. August) bringt über dasSchicksal der St. Petersburger Verbände eine nachträgliche voll«ständigere Uebersicht.„Die meisten Verbände wurden noch am2.-3. August, vor dem Streik vom 4. August geschlossen. Zuerstwurde der Verband der Pharmazeuten-Ange st eilten nachVornahme einer Haussuchung geschlossen, darauf die Verbände derB u ch d r u ck er. der Uhrmacher, der Arbeiterband(RabotschiSojus), die Verbände der HandlungSgehü Ifen, der Bäcker,der Holzarbeiter, der Kontoristen und Buchhalter.der Konditoren u. a." Es geschahen auch Haussuchungen undVerhaftungen; die Haussuchung im Zentralbureau dauertemehrere Stunden(am 11. August), worauf die Räume zugesiegeltwurden.„Bei den Haussuchungen wurden Dokumente und auchGeld konfisziert, die Korrespondenz, die Rechnungen, die von Unter«nehmern unterschriebenen Verträge mit.den Verbandsmitgliedern,welche die Arbeiter vertreten hatten, beschlagnahmt." Die ge«schlossenen Verbände werden polizeilich überwacht.Nach der„Stzana"(10. August) sollen folgende Verbände fürdie Dauer des außerordentlichen Schutzes suspendiert worden sein:Metallarbeiter. Ho lzarbeiter, Schuhmacher,Elektrotechniker. Bauarbeiter. Droschkenkutscher.Bei den Gold« und Silberarbeitern wurden vier HaiiS-suchungen vorgenommen, der Verband wurde aber nicht geschlossen.Bei de» Schneidern wurden die Räume zugesiegelt.«Russkija Wedomosti"<15. August), Moskau: Nach den von der„Torgowo-Promyfchlennaja Gaseta" im Ministerium des Innern er-haltenen Informationen ist der Moskauer Arbeitslosen»rat deswegen vom Stadthauptmaun aufgelöst worden, iveil er sichin die aktive Politik eingemischt und am letzten Massenstreik be«teiligi haben soll. Gleichzeitig hat der Stadthaupwiann befohlen,die Speisehäuser der Arbeitslosen zu schließen, indem diestädtische Selbstverwaltung die Mittel dazu nicht mehr lieferte,und bei dem Mangel an einer Arbeitslosenorganisationleine Garantie vorhanden war, daß die Geldspenden für die Speise»Häuser verwendet werden würden und die Ordnung dort herrschenwürde.Auf Grund dieser echt russischen offiziellen(von uns etwas ge-kürzten) Argumentation wurde den hungemden. die schrecklichste Noterleidenden Arbeitslosen die notdürftige Unterstützung entzogen lRache an den baltischen Henkern.Riga, LI. August. Eine aus dem Kreischef, mehreren Land-Polizisten und sechs Deutschen bestehende Kommission wurde ineinem Walde von Revolutionären gestellt. Es kam zu einemheftigen Kampf, wobei der Gutsadministrator KrauS, zwei Land-Polizisten und ein Deutscher schwer verwundet wurden. Dieübrigen Mitglieder entkamen. WaS auS den Zurückgebliebenenwurde, ist mich unbekannt.Noch einige Sivers!Bezugnehmend auf die Anklage de? Herrn v. Eivers-RSmershofgegen, den Genoffen Weber, schreibt der baltische Korrespondent der„Leipziger Voltszeitung" in der Nr. 175 aus Riga noch folgendes:„Dieser Tage haben wir das Unglaubliche erlebt, daß ein liv-ländischer Baron v. Sivers sich durch einen Artikel des„Vorwärts",in dem von den Hunnentaten eines ähnlich heißenden Adeligen dieRede ist, beleidigt gefühlt und den Genossen Weber vor einpreußisches Gericht gezogen hat. Die liberalen lettischen undrussischen Blätter können diese Unverschämtheit der Junker einfachnicht begreifen. Trotz der heftigsten Angriffe gegen den baltischenAdel in der„Rußj", der„Nowosti", dem„20. Jahrhundert" usw.,haben die Barone keines von diesen Blättern zu verklagen gewagt.In Rußland, wo die Zeugen zu haben wären— wenn die„Straf"«cxpeditionen sie nicht etwa alle umgebracht haben—, wagen dieBaron« die Redakteure nicht zu verklagen; die russischen Gerichtesind den Baronen noch zu liberal, sie müssen nach— Preuße»gehen! Bei dieser Gelegenheit wollen wir hervorheben, daß derKorrespondent der„Rußj" und der„Molwa", Herr Klimkow, ebensein« Aufsätze über die Blutarbeit der baltischen Junker gesammeltund in Buchform herausgegeben hat. Schon in diesen Aufsätzenallein figurieren vier v. SivcrS(russisch obne„e geschrieben)als Führer von Strafexpeditionen und als„Ehrcnpolizisten". Alsoist dieses edle Geschlecht wirklich ziemlich häufig im Verzeichnis derHenker vertreten!"Soweit der Korrespondent der„Leipziger BolkSzeitung". Wirkönnen unsererseits noch hinzufügen, daß die russischen Gerichtewirklich den baltischen Baronen zu liberal sind. Eben hat nämlichdaS Kriegsgericht zu Tuckum einen von diesen vier Helden, der imDezember v. I. den Lehrer von Dalsen erschoß, beschlossen, zur Verantwortung zu ziehen.Genosse Michajlitschenko lebt.Wie der„Zwadzaty Wjel" meldet, sind die Gerüchte von derHinrichtung des früheren sozialdemokratischen DumaabgeordnctenMichajlitschenko völlig unbegründet. Auch die Meldungen von seinerVerhaftung haben sich als unhaltbar erwiesen. Michajlitschenko be-findet sich gegenwärtig in Jusowka(Gouv. Jekaterinoslaw), wo er umGenehmigung für Vorträge über die Tätigkeit der Duma nachsucht.poUtifchc öcbcrficbtBerlin, den 21. August.Die schwarze Parade.n. Esten, 20. August.(Eig. Ber.)Glockengeläute von den katholischen Kirchen der KanonenstadtEssen verkündete am Sonnabendabend, daß den folgenden Tag die53. Generalversammlung der Katholiken Deutschlands beginnenwerde. Der Sonntag gehörte den Arbeitern. Seit daS Zentrumsein soziales Herz entdeckt hat, legt eS Wert darauf, durch einenFestzug von Arbeitern, dem sich eine Anzahl von Versammlungenanschließt, die Katholilentage würdevoll zur höheren Ehreder glorreichen„Volkspartei" einzuleiten. DaS bringt Leuteauf die Beine, gibt Anlaß zu Bewegung, Lärm und buntem Aufputzund schafft so den wimmelnden Hintergrund, auf dem sich daS, wasnun folgt, wirkungsvoll abhebt. 43 000 Mann sollen sich am Sonntagan dem Umzug beteiligt haben. Die Zahl ist mit Vorsicht aufzu-nehmen. Sie ist zustande gekommen durch die Addierung der Mit-gliederzahl der Vereine, die sich zur Teilnahme gemeldet haben; aberwir sahen Fahnen in dem Zuge, hinter denen ein halbes Dutzend Per-sonen einhcrgingen, die so für ebenso viele Hunderte von nicht an-wescnden Personen gelten mußten. Aber wenn eS wirtlich auch43 000 Mann gewesen wären— was will das heißen in einer Gegend,wo sich Millionen von Arbeitern häufen, und bei einem Anlaß, wodie Fahrpreisermäßigung und die Aussicht auf einen lustigen Sonn«tag verlockend genug wirken....Am Burgplatz bewegte sich der Zug an dem auf einer Tribünethronenden Erzbischof von Köln vorbei. Jubel und Hutschwenkenbegrüßte den Kirchenfürsten. Wem galt die Huldigung? Nicht derPerson des scharlachbekleideten Mannes, denn sie keimen ihn nichtpersönlich, und wenn sie ihn kannten, würden sie finden, daßAntonius Fischer nicht geeignet ist, zu Huldigungen herauszufordern.Der Jubel galt dem Vertreter einer Macht, die viele Jahr«hunderte die Welt beherrschte und deren Banne sich auch heute nochdie Masse der Armen am Geiste fügt, einer Macht, die ehemals alsKulturmacht gelten konnte, aber jetzt seit lange schon der Inbegriffalles Rückschrittes, aller Bolksfeindlichkeit ist. Und deshalb befieluns Wehmut beim Anblick des langen Proletarierzuges, dessen Teil-nehmer den: Feinde ihrer Klasse zujubeln....Im Anschluß an den Umzug fanden in 10 Lokalen der Stadt,darunter der großen Festhalle, Versaininlungen statt. Die Redenbewegten sich in den bekannten Geleisen: Die christlichen Arbeiterlvollen den Ausgleich der Interessen, sie verwerfen den Klassenkampf,sie fordern Gleichberechtigung mit den anderen„Ständen", Fort«fllhrung der Sozialresorm auf christlicher Grundlage— als einzigesMittel, Staat und Gesellschaft vor der revolutionären Sozialdemo-kratie zu retten. Hier und da klang in dem allgemeinen Geredeauch ein entschiedenerer Ton durch. So forderte ein Redner An-passung der Steuerbelastung an die Leistungsfähigkeit der ein-zelnen Bevölkerungsklassen, Erweiterung des Wahlrechts und Zu«laffung von Arbeitern in die Parlamente und Gemeindevertretungen.Gewiß schöne und berechtigte Forderungen, nur scheint uns derParteitag des Zentrums nicht derjenige Ort zu sein, wo sie auf Er-füllung zu rechnen haben.Im übrigen spielte die Bekämpfung der Sozialdemo«kratie eine Hauptrolle in den Reden der Arbeiterversammlungen.Ein katholischer Arbeitersekretär meinte: Die politische Unwissenheitsei der größte Feind des BolkeS, ihr verdanke die Sozialdeniokratieihre drei Millionen Stimmen. Wir gedachten des Schauspiels, daswir wenige Stunden vorher am Burgplatze beobachtet hatten, undverziehen dem Manne. Die meisten Versammlungen am Sonntaghatten die Gnade, auf wenige Minuten von Sr. Eminenz demKardinal Fischer von Köln oder auch von seinem WeihbischofMüller besucht zu werde». Wer im Menschen, auch wenn erden Purpur trägt, nur den Menschen sieht, der ist eigen-tümlich getroffen, wenn in einer Versammlung ohne sichtlichenAnlaß ein plötzliches minutenlanges Beifallklatschen den Rednerunterbricht, sich aller Lugen nach einem Punkte richten, wo einescharlachene oder violette Persönlichkeit erscheint, die nunmehr dasWort ergreift, die ganze Versammlung zum Segen auf die Kniezwingt, dann den Saal unter demselben Beifallssturm wieder ver«läßt, worauf der Redner des Abends in seinem Vortrag fortfährt.Wie eine traumhaste Erscheinung au» längst vergangenen Zeitenmutets den unbefangenen Beschauer an, der dann inne wird, wiegroß noch die Macht der Ueberlieferung und der Einfluß der Welt«anschauung ist. bei der die Triebe des Gemütes mehr gelten als dieGründe der Vernunft.Am Abend des gestrigen Sonntag? fand bann in der großengesthalle, die eigens für den Katholikentag mit einem Kosten«aufwände von 00 000 M. erbaut worden ist, die Begrüßungsfeierfür die nun folgenden vier Verhandlungstage statt. 10 000 Personensaßt die Halle, und sie war dicht gefüllt. Die katholische Volksseeleoffenbarte hier ihre Begeisterungsfähigkeit, die sich beim Er-scheinen einer namhaften Persönlichkeit. ja bei der bloßenNennung eines Namens oder der Anführung eines abgelegtenSchlagworte» in tosenden Beifallsstürmen äußerte. Und wiederumgedachten wir deS Redners in einer der Arbeiterversamm-lungen, der im Bollgefühl katholischer Ueberlegenheit die Erfolgeder Sozialdemokratie der Dummheit ihrer Anhänger zuschreibt. Undwir verziehen dem Mann zum zioeitenmal...Am Montag begannen nach den Vorbereitungen zweier Tage,nach Glockeugeläute und Anrufung deS HI. Geistes, die eigentlichenVerhandlungen des Katholikentages. Wa» sie bringen werden, weißbis zur Stunde niemand, denn eine Tagesordnung mit Angabe derzu behandelnden Gegenstände wird vorher nicht bekannt gegeben.Nur daS eine weiß man: jeder der vier Berhandlungstage beginntmit einem Gottesdienst und endet mit einer Festlichkeit; dazwischenliegt am Vormittage«ine geschlostene und am Nachmittage eineöffentliche Generalversammlung.Wie die Zentrumsprcjje verkündete, soll der Essener Katholiken«tag im Zeichen der sozialen Frage stehen. Schon in berZusammensetzung des Präsidiums, das heute morgen in der erstengeschlossenen Versammlung gewählt wurde, kam das zum Ausdruck.Von Herrn Gröber, dem diesjährigen Präsidenten, wußte die Fest-zeitung zu melden, daß er nicht nur der Sohn eines Arbeiters, sondernsogar eines armen Arbeiters ist; außerdem wurde neben einemjunkerlichen Agrarier der Abgeordnete Giesberts, der in Vorahnungder seiner wartenden Würde in Frack und weißer Binde erschienen war,zum Vizepräsidenten gekürt. Herr GiesbertS dankte„im Namen seinerengeren Freunde", namentlich der katholischen Arbeiter, die nebendem Kampfe um die wirtschaftlichen Interessen im besonderen Maßeauch den Kampf um die christliche Weltanschauungzu bestehen hätten; wenn die Gegner behaupteten, die Arbeiter seienauf den Katholikentagen nur Staffage, so zeige seine Berufung insPräsidium, daß die Arbeiter hier als gleichberechtigt anerkanntwürden. Wie leicht doch gewisse Leute zu befriedigen sind, wennman ihnen erlaubt, sich in Frack und weißer Binde an der Seiteeines Junkers und eines LandgerichtSrateS zu zeigen IDie Verhandlung in den geschlossenen Versammlungen gestaltenfich sehr einfach. Wie Herr Gröber, der Präsident, betonte, komme manauf den Katholikentagen zusammen, um die Einigkeit deS katholischenBolkeS zu zeigen; deshalb lasse man nur solche Fragen zur Be-Handlung zu, über die Meinungsverschiedenheiten nicht vorhandenseien. Um diese„Einigkeit" zu wahren und jede den Friedenstörende Auseinandersetzung fernzuhalten, haben die Anträgeer st einenSusschuß zu passieren, der über ihreZulSssigkeit und ihre Formulierung bestimmt.In der Versammlung werden die so genügend vorbereiteten Anträgeformelmäßig unter völliger Teilnah in losigkeit der An-w e s e n d e n erledigt. DaS ist die eigentliche„Arbeit" desKatholikentages IDie öffentliche Versammlung am Nachmittage ist der Gemüts-bewegung, der Massenbegeisterung gewidmet. Hier zeigen sich diepolitischen und geistlichen Autoritäten des Klerikalismus demkatholischen Volke, daS für die erwiesene Gnade durch eine Beifalls«Willigkeit ohnegleichen und ohne Grenzen dankt. Hier finden diegroßen Paradereden statt, die von unaufhörlichen ZustimmungS-kundgebungen begleitet und am Schluffe mit dem bekannten„nicht»endenwollenden" Beifallssturm ausgezeichnet werden. Debattensind ausgeschlossen. Das katholische Volk ist an Unter«ordnung gewöhnt; seine Größen reden, die Masse glaubt undjubelt....Wie Herr Gröber ankündete, liegt den Vorträgen in den öffent-lichen Versammlungen der Gedanke zugrunde: die Kirche ist dieFörderin der wahren Kultur und des allgemeinen Wohle»; sie be»darf aber, um diese Aufgaben zu erfüllen, der Freiheit— ein Thema.das auf den Katholikentagen bereits 52 Mal verhandelt worden istund das in diesen Tagen nunmehr zum 53. Mal verhandelt werdensoll. Und was Herr Gröber sprach, der in längerer Rede die Ver»sammlung eröffnete, was Herr Porsch über die Schulfrage und wasweiter Herr Racke über die Religion als Grundlage der Familieredete— es war das alte, seit der ersten Katholikenversammlung inMainz immer wieder geleierte Lied mit demselben Text, dem einig»neue Strophen zugefügt worden waren.—Pod Triumphator?In der Affäre des, wie man annahm, auch fiir die„Matz-gebende Stelle" unmöglich gewordenen Landwirtschaftsministers ist schon wieder eine neue überraschendeWendung eingetreten. Man vergegenwärtige sich noch ein-mal kurz den Verlauf der Affäre. Podbielski hatte imScherlblatt erklären lassen, daß er gar nicht daran denke, seinAbschiedsgesuch einzureichen, da sein Verhältnis zur FirmaTippclskirch schon seit oielen Jahren der für ihn allein matz«gebenden Stelle bekannt ist. Nachdem Podbielski dies Thema ver-schiedentlich variiert und noch am letzten Sonnabend in demScherlblatt erneut erklärt hatte, datz er kein Abschieds-a c s u ch eingereicht habe, brachte die„Nordd. Allg. Ztg." diebülowoffiziöse Mitteilung, daß Pod bereits voreiniger Zeit den Kanzler gebeten habe, sein Rücktritts-gesuch an maßgebender Stelle zu befürworten. Wir haben gestern dies offiziöse Spiel charakteri-siert. Wir äußerten die Vermutung, daß Bülow durch dieErklärung Pods gezwungen worden sei, ihm jenen offi-ziösen Gnadenstoß in der„Nordd. Allg. Ztg." zu versetzenund dadurch sein Verschwinden von der politischen Bildflächennsanf�zu beschleunigen und sich selbst aus der Schußliniezu bringen iWie alle Welt, so waren auch wir der Auffassung, daßnunmehr die offizielle Verabschiedung des Kompagnons derFirma Tippelskirch nur noch die Frage von höchstenseinigen Tagen sein werde.Inzwischen aber hat die„Norddeutsche A l l g e-meine Zeitung" abermals eine hochoffiziöse Er«k l ä r u n g gebracht. Tieselbe hat folgenden Wortlaut:„Wie wir hören, hat der Reichskanzler und MinisterpräsidentdaS von uns bcieitS erwähnte Schreiben des Herrn Landwirt-schaftsininisterS vom 13. d. Mts. zum Gegenstand eines eingehenden Vortrages bei Seiner Majestät dem Konige und Kaisergemacht. Se. Majestät hat darauf in Ueber»einstimmung mit dem Antrage des FürstenBülow erklärt, daß Allerhöchst Er auf Grund derAusführungen des Herrn Ministers vom 13. d. Mts. zurzeitnicht in der Lage sei, über die Frage der Entlassungvon Exzellenz v. Podbielski au» dem Staatsdienst einedefinitive Entschließung zu fassen."