ES fällt unS gar nicht ein. leugnen zu wollen, daß nicht auch unsere Agitation hier und da systematischer und intensiver betrieben werden könnte. Aber in unserer Wahlrechtsagitation hat die Partei, sowohl Leitung wie Masse, ihre Schuldigkeit getan. Daß das Wahlrecht durch unsere Agitationsposaunen nicht gleich den Mauern von Jericho umgeblasen werden konnte, wußte jeder Mensch mit fünf gesunden Sinnen. Trotzdem haben wir alle Ursache, mit den Erfolgen unserer bisherigen Wahlagitation zufrieden zu sein. Kleinmütige Berzagtheit wie exaltierte Projektenmacherei sind gleich wenig am Platze. Selbstverständlich geht der Kampf weiter. Aber welche Pressions- oder Agitationsmittcl man auch anwenden wird: man wird die Lehren und Prinzipien des Klassenkampfes niemals ignorieren, wie das bei den Vorschlägen Maurenbrechcrs und seiner Gesinnungsverwandten geschieht. Genosse Maurenbrecher wird erst dann keinen„Unmut" mehr über die sozialdemokratische KampfeStaktik empfinden, wenn er sich etwas gründlicher mit dem Wesen des proletarischen Klassenkampfes vertraut gemacht haben wird! Las Blutbad in Nürnberg . Aus Nürnberg wird uns geschrieben: Noch nie in meinem Leben ist mir die volle Wahrheit des Sprichwortes„Der lügt wie telegraphiert!" so begreiflich ge- worden, als beim Lesen der offiziösen Telegramme über das schauerliche Blutbad in Nürnberg , das die dortige Polizei am Donerstag, noch viel mehr aber am Freitagabend im Stadtviertel St. Peter, rings um die Aut�mobilfabrik Union (Firma Maurer) angerichtet hat.— Die Volksversammlungen vor der Automobilfabrik dauern seit Freitag,, den 17. August, an welchem Tage der durch den Fabrildirektor zu Gewalttätigkeiten aufgereizte Arbeitswillige einem friedlichen Streikposten drei Nevolverhigeln in den Leib gejagt hat. Die Ansammlungen waren aber voll- ständig harmlos, sie beschränkten sich lediglich auf Besichtigung des Tatort es. Die Menschen haben sich verlaufen wie sie gekommen waren. Nun wurde die Tatsache bekannt, daß der Mörder des Streik- Postens nicht wie jeder andere Mörder behandelt wird, daß man von Notwehr nicht sprechen kann, daß der Mordbube aber trotzdem wegen Annahme von Notwehr auf freien Fuß gesetzt worden ist. Dazu kam, daß die Polizei schon während der mehrwöchigen Dauer des Maurerstreiks wiederholt und im nämlichen Stadtviertel in vollständig ungesetzlicher Weise gegen Streikposten der Maurer aufgetreten ist. Streikposten wurden ohne jeden Grund vertrieben oder auch, wenn sie nur den Versuch machten, auf ihr gesetzliches Recht aufmerksam zu machen, sofort ver- haftet. Daß sich dabei Menschen ansammelten, ist wohl ganz natürlich. Daß die Polizei nun, anstatt den Schauplatz ihrer Heldentat zu verlassen, gegen die paar Zuschauer mit Püffen und den bekannten tänzelnden Hufen der Schutzmannspferde vor- ging, war der Grund zu größeren Ansammlungen und die Ursache von Groll und Erbitterung gegen sie. Nun kam wenige Straßen entfernt der Mord vor und die bereits erwähnte erneute Partei- lichkeit gegen die streikenden Arbeiter; was lag näher als daß neue Ansammlungen vorkamen? Hätte es nichts weiter zu sehen gegeben als die Stelle, wo jener unselige Mensch einen anderen niedergeschossen hatte, so wäre das Bleiben des Einzelnen über wenige Minuten nicht hinausgegangen. So aber war schon seit dem Mordstag stets ein großes Polizeiaufgebot zu Fuß und zu Pferd am Platze zu einer Zeit, wo außer dem gewöhnlichen Ver- kehr kein Mensch am Platze war. Selbstverständlich blieb nun jeder, der Zeit hatte, stehen und jene, die aus der Ferne die 25 bis SO Helmspitzen blitzen sahen, kamen heran. Einer fragte den anderen, was denn' loS sei und keiner wußte etwas, folgedessen mußte erst etwas loS w e r d e n, zudem ja die Polizeileute sämtlich ihre Revolvertaschen anhängen hatten, was man sonst nur bei Nacht zu bemerken Gelegenheit hatte. Als auf ganz natür. liche Weise die Menge immer größer wurde, ließ die Polizei der ersten Ungeschicktheit die zweite folgen: sie ließ die Ansamm- lung nicht wieder sich ruhig verlaufen, sondern ihrer Tradition ge- mäß ging sie mit Gewalt vor. Die durch die bereits erwähnten Umstände schon erregten Menschen wurden dadurch natürlich nicht beruhigt— und die objektive Gewalt der Polizei wuchs zur brutalen Gewalt aus. Nachdem bereits Mißhandlungen von Zivil- Personen vorkamen, flog der erste Stein aus der Hand eines ISjährigen Jungen. Nun schwand der letzte Rest von Zurückhaltung bei der Polizei. Jetzt flogen die Säbel heraus und ohne Rücksicht auf Schuldig oder Unschuldig wurde dreingehauen, vorerst nur mit der flachen Klinge. Die Buben, die Steine geworfen oder gejohlt hatten, hatten sich natürlich längst in Sicherheit gebracht. niedergeworfen und niedergeschlagen wurden nur Ahnungslose, die eben des Weges gekommen oder die in nächster Nähe liegende Ausstellung verlassen hatten, woher um diese Zeit Tausende auf dem Heimwege begriffen sind. Abscheuliche Szenen sind vorge- kommen und die Erbitterung des gesamten Publikums gegen die Polizei wuchs ob dieser himmelschreienden Ungerechtigkeiten. Das war am Donnerstagabend. In der Erwartung, daß die Heldentaten der Polizei mit diesem Abend noch nicht abgeschlossen sein würden, begab ich mich am nächsten Abend schon um 5 Uhr auf den Kriegsschauplatz, mietete mir ein Zimmer, um von dort aus die Vorgänge beobachten zu können. Schon von 3 Uhr ab war die Straße dicht belebt, nicht aber von„Tumultuanten", sondern von den Massen, die zu dem 5 Minuten entfernt abgehaltenen und zur Eröffnung gelangen- den Volksfest gingen. 40 bis 50 Schutzleute bannten die Massen Natürlich wieder an den Platz. Die Sache entwickelte sich wieder wie am vorigen Tage ,und daß es heute(also am Freitag) noch schrecklicher werden sollte wie am vorigen Tage, bewies die wie ein Lauffeuer durch die Menge gegangene Aeußerung eines dem Dialekt nach preußischen Schutzmannes:„Heute gehts nicht wie gestern, heute muß mit jedem Hieb einer fallen." Und es kam so! Um 8 Uhr wurde die Regensburgerstraße, in welcher die Fabrik Union liegt, oben und unten abgesperrt, und hinter der Schutzmannskette ging nun die Schießerei und die Säbclhackerei los. Ich hatte mein Standquartier verlassen und war zu dem Hauptschauplatz geeilt, eine Kreuzung von sieben Straßen, davon eine direkt zur Ausstellung(5 Minuten) und eine direkt zum Volksfest(2 Minuten), die übrigen meist ins Stadtinncre. Was ich nun hier sah, ist einfach unbeschreiblich. Kalter Schauer über- lief mich. Viele Dutzendmale hörte ich das schauerliche Knacken, wie es mir noch in den Ohren klingt von jenem Moment her, wo das Fallbeil die knochige Wirbelsäule eines ebenfalls amtlich gemordeten Raubmörders durchschlug, von welchem Akt der„Ge- rechtigkeit" ich vor Jahren einmal Zeuge wqr. Einmal da, einmal dort sausten die Säbel auf Schädelknochen, auf die Schultern oder anf die Hände nieder, ein ununterbrochenes wildes Schlachten. Ziel- und planlos ranüten die bei ihrer Blutarbeit rasend ge- wordenen Pylizeilente umher, hieben, stachen und schössen alles nieder, was ihnen in den Weg kam, Frauen und Kinder, Burschen und Greise. Aus halbdurchhacktcn Händen und Fingern, ans an- gehackten Schädeln und Schnltertnochen/ ans durchschossenen Armen und Beine», au3 zerstochenen Frauenbrüsten sah ich Blut in Strömen fließen. Äahnsinnverratendes Brüllen der Polizei, Jammer- und Wehcgeschrei der Attakierten und das Krachen der Revolver erfüllte die Lufj. So ging rS von Eintritt Ver Dunkelheit an bis 12 Uhr nachts. Um 11 Uhr lösten zwei Kompagnien Infanterie die die Regensburgerstraße absperrenden Schutzleute ctzb; die Zahl der Säbelhacker und Rcvolverknaller war somit vermehrt. 300 Verwundete, zum Teil sehr schwer, dürfte nicht überschätzt sein. 90 Prozent davon aber waren harmlose Passanten, die vom Volksfest oder von der Ausstellung kamen und die Stelle passieren mußten. Neben Arbeitern und„einfachen" Bürgern sind„bessere" Leute in Menge ebenfalls zerhauen worden. Amtsrichter, Lehrer, Fabrikanten und viele, viele„bessere" Damen, die nicht schnell genug laufen konnten. In ihrer blinden Wut haben die Polizisten sogar ihre eigenen Kollegen verwundet, einem wurde von seinem„Mit- kämpfer" sogar die Hand vollständig durchstochen. Daß das Publikum die Polizei angegriffen habe, ist eine absolute Lüge. Es beschränkte sich lediglich auf die Notwehr, indem die in die Wirtschaftslokale mit Säbel und Revolver herein- stürmenden Polizisten mit Bierflaschen abgewehrt wurden, das waren aber nur ganz wenige Fälle und es geschah erst, nachdem das Wüten schon lange angedauert hatte. Total erfunden aber ist, daß die„Ausschreitungen" von Streikenden herrühren. Seit Freitag den 17. August stand kein einziger Mann der Streikenden mehr vor oder in der Nähe der Fabrik. Die Posten wurden sämtlich eingezogen mit der strengsten Weisung, die Fabrik zu meiden, was ohne Ausnahme befolgt worden ist. Am Sonnabendabend war die„Ordnung" wieder die alte. Nur wenige Schutzleute standen da und diese ersuchten die Leute äußer st höflich, weiterzugehen. Das gleiche auch am Sonntag. Um weiteres Blutvergießen zu verhindern, hatte das Gcwerk- schaftskartell Nürnbergs am Sonnabendvormittag an den Bürger- meister das Anerbieten gestellt, für den kommenden Abend 100 oder mehr Ordner zu stellen und die Polizei in den Hintergrund zu setzen. Eine sofort einberufene Sitzung des magistratischen Polizeisenats flber hatte«das freundliche Anerbieten... nach Lage der Umstände... dankend abgelehnt", man hatte schon Militär für die folgenden Tage bestellt l Die russische Revolution. Das Attentat auf Stolhpin. Von einem niederschmetternden Eindruck oer blutigen Kunde im Zarenpalaste berichten die Blätter. Sie werden Wohl recht haben. Wer soll sich noch sicher fühlen, wenn der Ministerpräsident nicht mehr sicher ist in seiner stark bewachten Villa! Für die todcntschlossenen Terroristen gibt es kein Hindernis mehr— da sie ihr eigenes Leben kaltblütig aufs Spiel setzen, werden sie den Herrschenden um so gefährlicher. Sie weihen sich selbst dem Tode, um den Feind zu töten. Diese bis zur Todbereitschaft gehende Hingabe ist der Grad- mcsser der furchtbaren Erbitterung, die die russische Reaktion weckt. Ströme Blutes sind geflossen und darunter unschuldiges Blut— Blut von Kindern. Die Ordnungspresse ist voll Abscheu. Eine Ministertochter ist schwer verletzt, ist zum Krüppel geworden. O über die Barbaren der Revolutionäre! So tönt's durch die Spalten vom rechten bis zum linken Flügel der Bürgcrpresse. Wieviel Kinder die„Ordnung" ge- mordet hat, danach fragen die Moralisten nicht! Wieviel unschuldiges Blut der Zar durch seine Henker vergossen hat und weiter vergießen läßt, das kümmert sie nicht. Elende Heuchlersippe I Die heutigen Nachrichten über das Attentat lauten: Petersburg , 26. August, lieber Sie Explosion im Hause Stolypins werden nachstehende Einzelheiten gemeldet, durch welche die früheren Berichte eine teilweise Abänderung erfahren: Die Täter trafen in einem offenen Wagen ein, als die Besucher- liste bereits geschlossen war, infolgedessen wollte die Dienerschaft sie nicht durchlassen. Darauf versuchten sie mit Gewalt in das Zimmer einzudringen, das neben dem Empfangssaal lag, und in dem zahlreiche Gäste den Minister erwarteten. Bei dem* Handgemenge mit der Dienerschast ließ einer der Eindringlinge, der die Uniform eines Gendarmerieoffiziers trug, eine Bombe fallen, die mit großer Gewalt explodierte. Durch die Stärke der Explosion wurde das Vorzimmer, in dem die Bombe explodierte, das diesem benachbarte Zimmer und teilweise auch der Empfangssaal vernichtet, ebenso auch das Vestibül, die Freitreppe und der Balkon des zweiten Stockwerks. Der Minister, der in seinem Arbeitszimmer empfing, blieb, wie bereits gemeldet, unversehrt. Seine Tochter und sein Sohn, die sich auf dem Balkon aufhielten, wurden verletzt; beide Kinder wurden nach dem Hospital gebracht. Die Gesamtzahl der Opfer beläuft sich auf nahezu 00 Personen, von denen 2? getötet sind. Unter den Toten befindet ftch das Mitglied des Ministerrats Chwostow. Von den Tätern sind nicht, wie zuerst gemeldet, alle vier, sondern drei durch die Explosion getötet worden, der vierte ist verhaftet. Getötet sind außer General Samjatin. Zeremonienmeister Woronin und C h w o st o w auch Fürst Nakaschtdze, der Hauptmann der Gendarmerie Fedorow, der Polizeibeamte Kasantzew, sowie Wachen, Diener und Boten. Verwundet sind 25 Personen, darunter zwei Ministerialbeamte und ein General der Artillerie. Das Gebäude ist schrecklich zugerichtet. Die Feuer- Wehrleute sind mit Bergungsarbeiten beschäftigt. Durch die Untersuchung ist ermittelt worden, daß die Täter aus Moskau hier eingetroffen sind und sich in der Morskajastraße möblierte Zimmer' gemietet haben. Sie hatten am Abend vor dem Mordanschlag die Sommeroper besucht, wobei sie sich des- selben Wagens bedient hatten, in dem sie vor der Villa des Ministers vorfuhren. Der Haupttäter, dessen Leiche von Militär bewacht wird, ist ein ziemlich kräftig ge- bauter junger Mann von etwa 25 Juhren. Unter feiner ganz neuen Uniform befand sich eine givilweste und außerordentlich schmutzige Wäsche. Wie jetzt bekannt wird, wollte bereits vor einigen Tagen ein verabschiedeter Offizier namens Boborykin den Minister- Präsidenten vor einem gegen ihn geplanten Attentat warnen, wurde aber nicht vorgelassen. Heute wurde Boborykin auf Befehl des Ministergehüifen Makarow vernommen. Petersburg, 26. August. (Von einem besonderen Korrespon- deuten.) Unter den im Gefängnishospital befindlichen wegen der gestrigen Explosion verdächtigen Personen ist auch ein Polizist. Die Beratung der Aerzte ergab, daß eine Operation bei der Tochtep Stolypins vorläufig nicht nötig sei. In das Peter- und Paul-Hospital wurden 24 Leichname und 22 Verwundete geschafft; drei von den letzteren sind beim Ver- bände gestorben; außerdem sind noch drei am Spätabend gestorben. Die Gesamtzahl der durch die Explosion Getöteten beträgt mit- hin dreißig. Vier von den Verwundeten, die der Teilnahme an dem Verbrechen verdächtig/ sind, wurden in das Gefängnis- Hospital geschafft. Vier Männer und zwei Frauen, die bei der Explosion schwer verwundet wurden, bleiben in dem Peter- und Paul-Hospital und werden von Militär bewacht, ebenso wie die Leichname. Neue Attentate. Petersburg, 26. August. (Meldung der Petersburger Tele- grapHeti-%-jUur.)/ SXi KoMMandeur dxs Semmowskyschsn giments, General M i n n, ist heute abend in Peterhof getötet worden. Der General befand sich auf dem Bahnhof mit seiner Familie, als ein junges Mädchen sich ihm näherte und fünf Re- volverschüsse auf ihn abfeuerte, die den General in den Rücken trafen. Frau Minn faßte das Mädchen bei der Hand, das sofort verhaftet wurde. Sodann zeigte die Verhaftete der Polizei eine auf dem Bahnhof liegende Bombe und- bat, sich in acht zu nehmen. General Minn verstarb sofort. Bei der Verhafteten wurde ein Paß auf den Namen der aus Pensa stammenden Bäuerin Sophie Larionoff vorgefunden. Ein seit dem 3. August in der Nähe von Peterhof ansässiger etwa 30 Jahre alter, der Mitschuld verdächtiger unbekannter Mann, der unweit der Larionoff wohnte, ist seit dem Augenblick, in dem das Attentat erfolgte, verschwunden. General Minn sollte zu einer„Strafexpedition" nach den Ostseeprovinzen abgehen. Warschau , 27. August. Heute nachmittag wurde der hiesige stellvertretende Generalgouverneur General W o n l j a r l i a r s k i, als er in einer Droschke durch die Wiejska- stratze fuhr, von Unbekannten erschossen. Die Täter sind entkommen. London , 27. August. Ein neues Attentat wurde, laut Mel- düngen aus Odessa , gestern abend gegen den dortigen Gouverneur General Kaulbars versucht. Der Anschlag mißlang. Ebenso, wie in dem kürzlich borgekommenen Fall, näherte sich ein junges Mädchen dem Palast des Gouverneurs, ließ aber die Bombe zu früh fallen. Das Mädchen, das bei der Explosion verletzt wurde, ist ver- haftet worden. Revolutionäre Agitation unter den Soldaten. Petersburg, 26. August. Das Komitee der revolutionären Kampf- organisation hat neuerdings einen Aufruf an die Soldaten erlassen, in welchem nach Aufzählung aller Sünden, welche sich die jetzige Regierung hat zu Schulden kommen lassen, die Soldaten zum Sturz der Regierung, zum Kampfe für die Konstituante aufgefordert werden. Wer nicht mutig genug sei, um offen gegen die Volksfeinde zu kämpfen, solle wenigstens nicht gegen seine Brüder, die meuternden Soldaten, schießen. Der Aufruf trägt die Unterschrift der Arbeiterpartei der Reichsduma. Wieder eine Militärmeuteret. Nowgorod , 26. August.(Von einem besonderen Korrespon- deuten.) Im Kyriller Konvoikommando entstanden Unruhen. Eine Anzahl Soldaten verweigerten den Gehorsam. 16 von ihnen wurden in das Gefängnis abgeführt. Sonstige Meldungen. Riga , 27. August. In einer Vorstadt wurden in einer Privat- Wohnung 24 Bomben. 8 Pyroxilingeschosse, sowie viele Spreng- Materialien vorgefunden. Eine Patrouille vereitelte einen geplanten Ueberfall auf eine staatliche Branntweinniederlage; fünf an dem Ueberfalle beteiligte Personen wurden erschossen. Hömel, 26. August. Kurz nach Mitternacht kam es hier zw einem Zusammen st oß zwischen Juden undRussen. Es wurden dabei mehrere Schüsse abgegeben, jedoch niemand ge- troffen. Das Eingreifen der Polizei beugte weiteren Aus- schreitungen vor. Ein Jude, der geschossen hatte, und fünf andere wurden verhaftet. Tambow , 27. August. (W. T. B.) Gestern abend wurde auf der Jnschawinje-ZweigbaHn ein Personenzug überfallen; ein Polizeiosfizier, ein Schutzmann, ein Gendarm wurden getötet, ein Schaffner tödlich verwundet. politifcbe(leberkickt. Berlin , den 27. August Staatliche Zwangsenteignung der Polen ? Ein Berliner Blatt hatte vor einigen Tagen die Mit- teilung gebracht, daß, wie es aus bester Quelle erfahre, man im preußischen Ministerium des Innern an einem Gesetzentwurf arbeite, der der Ansiedelungs- kommission das Recht verleihen solle, innerhalb ihres ganzen Gebietes, Posen und Westpreußcn, jedes landwirtschaftliche Gut zu enteignen. Die„Tägliche Rundschau" spielte sich in diesem Falle wieder einmal als freiwilligen Offiziosus auf, indem sie erklärte, daß„zurzeit" im Ministerium des Innern kein Polengesetz ausgearbeitet werde, da„die bisher angestellten Erhebungen in der Ostmarkenfrage noch kein ausreichendesMaterial geliefert hätten, um darauf- hin gesetzgeberische Maßregeln zu ergreifen, die einen Erfolg gewährleisteten." Die„N o r d d. A l l g e m. Z t g." hüllt sich auch in diesem Falle in charakteristisches Schweigen. Daß in der Tat etwas Außerordentliches im Werke ist, beweisen die Verhandlungen der gegenwärtig in Marienburg tagenden Generalversammlungdes Ost marken- Vereins. In der Verhandlung am 26. August hielt Justiz- rat Wagner einen Vortrag über den Punkt 6 der Tages- ordnung:„Fortführung und Ausgestaltung einer nationalen Bodenpolitik in den Ostmarken." Wagner führte aus, daß es sich gezeigt habe, daß die bisherige Arbeiter- ansiedelungskommission ebensowenig wie die Tätigkeit der privaten Ansiedelungsgesellschaften in der Lage gewesen sei, denRückgangdesGrundbesitzesderDeutschen aufzuhalten. Es Müßten deshalb wirksame Maßregeln ergriffen werden, die den Staat in die Lage versetzten,„auf den Grundstückverkehr im Sinne einer deutschen nationalen Politik einzuwirken." Als solche Maßregeln schlage er vor: 1. In den Ostmarken mutz jedem Grundbesitzer die Pflicht auferlegt werden, wenn er sein Grundstück verkaufen will, seine Absicht der Behörde anzuzeigen. 2. Die Behörde muß das Recht erhalten, innerhalb einer kurz bemessenen Frist zu erklären, daß sie das Grundstück, dessen Verkauf beabsichtigt wird, selbst über« nehmen will. 3. Bei der Uebernahme des Grundstücks ist der Preis so zu bestimmen, daß die Behörde nach ihrer Wahl entweder den Preis zahlt, der von dem Grundstücksbesitzer mit dem Kauf- lustigen in Aussicht genommen war, oder einen Preis, der nach den für die Enteignung bestehenden Vorschriften ermittelt, wo- bei jedoch dem Grundstücksbesitzer das Recht bleiben soll, jederzeit unter Erstattung der entstandenen Kosten von dem Verkauf Ab, stand zu nehmen. 4. Es mutz umfassende Vorsorge getroffen werden, daß der Staat die von ihm übernommenen ländlichen und städtischen Grundstücke im Ganzen oder in Teilen verkaufen kann, sofern er sie nicht der Ansiedelungs-Kommission zur Bestedelung überweist. 5. Der AnsiedelungS-Kommission ist, um ihren Besiedelungs-Unternehmungen freie Bahn zu schaffen, das Eni, eignnngsrecht zu verleihen. Eine Resolution im Sinne dieser Leitsätze wurde denn auch angenommen, trotzdem in der Debatte mehrfach be- tont worden war, daß ein solches Gesetz im Abgeordnetenhause wohl keine Mehrheit finden werde. Der wohl informierte Vorstand des Ostmarkenvereins muß also wohl doch der An- ficht sein, daß die von ihm empfohlene staatliche Zwangs- enteignungspolitik wenigstens bei der Regierung auf keinen Widerstand stoßen werde! Sollte die Regierung tatsächlich eine derartige Vorlage einbringen, so opsexte sie damit zugunsten ihrer bakatUtistben
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