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rechten und Ungerechten ohne jegliche Untersuchung medergeknallt> Dabei ging er mit Vorliebe Ivie folgt vor: nachdem er die ihm als verdächtig be- zeichneten Personen zu sich kommen ließ, richtete er einige Fragen an sie, und wenn die Gefragten ihre völlige Unschuld zu beweisen bereit waren, trieb er sie mit dem Bemerken fort, sich schnurstracks nach Hause zu scheren. Kaum hatten sie einige Schritte getan, als ihnen Minn und sein Konvoi mehrere ivohlgezielten Kugeln nach­jagten, die die Unglücklichen niederstreckten. Verwundete Zivilisten, die in den überfüllten Krankenhäusern Moskaus   keine Aufnahme finde» konnten und in dem Sanitätszug untergebracht waren, wurden auf Minus Befehl hinausgeworfen und sind elend erfroren. Auch ließ Minn seine Mannschaften allzu oft das Bajonett in An- Wendung bringen und mehrere Klagen überlebender Krüppel warten noch der gerichtlichen Entscheidung. Diese und andere Taten Minus wurden seinerzeit von den russischen Blättern unbeanstandet ge- bracht und erregten viel Aufsehen. Noch' kürzlich wurde Minn von militärischer Seite öffentlich aufgefordert, wenigstens einen Teil der ihm unter eidlichen Aussagen zur Last gelegte» Grausamkeiten zu widerlegen. Doch Minn schwieg, de» Zar aber beförderte ihn zum General, ernannte am 4. August seine Tochter zur Hofdame der Zarin und beabsichtigte jetzt, den General Minn mit einer Straf- expedition nach den Ostseeprovinzen zu entsenden, was die russischen Nevolutiouäre mit der Ermordung des verhaßten Generals Minn quittierten. Der jüdische NrVeiterbund über den letzten Massenstreik. Die russische sozialdemokratische Partei ist gegenwärtig ihrer Preßorgane beraubt und kann sich über den mißlungenen Massenstreik öffentlich nicht äußern. Das Zentralkomitee hat sich im fünften Briefean die Parteiorganisationen"(11. August) über den von ihm eingenommenen Standpunkt und die Ursachen des Mißerfolges aus- esprochen: es besitzt aber kein öffentliches Sprachrohr, um sich an re Allgemeinheit zu wenden. Im Gegensätze dazu besitzen die Bundisten die Möglichkeit, ihren Standpunkt öffentlich bekannt zn machen. Im Wochenorgan der Bundisten(Nr. 5 und 6) sind Mitteilungen über den Massenstreik enthalten, die so wichtig sind, daß wir sie hier wiedergeben müssen, obgleich wir gleichzeitig darauf aufmerksam machen, daß sie der Aus- druck der Meinungen einer gewissen Partei sind und nur als solcher gelten können. Nach der Dumaauflösung", wird da mitgeteilt,fanden Be- ratungen der Vertreter verschiedener Organisationen statt, ursprüng- lich in vielumfassender Zusammensetzung, nämlich unter der Betei- ligung vieler Verbände(Eiseubahuer, Postbeamte, Ingenieure, Lehrer, Ncchtsanwälte, Verband der Verbände usw.) und nachher in engerer Zusammensetzung, als Konferenz der revolutionären Organisationen und der Arbeits- und sozialdemokratischen Dnmafraktionen. Die Mehrzahl war für die Losung:Einberufung einer Konstituante"; das Zentralkomitee der russischen sozialdemokratischen Partei verteidigte die Losung:Durch die Duma zur Konstituante". Als Taktik wurde von der Mehrzahl Abivartcn empfohlen; das Zentralkomitee der russischen sozialdemokratischen Partei schlug den Generalstreik vor; die polnische S. D. P. empfahl einen ein- oder zlveitägigen DemonstrationSstreik. Die abwartende Taktik siegte. Man beschloß, ein gemeinsames In- formationsbureair zu bilden. Die Militärmcutereien änderten die Sachlage. Die Streikfreunde argumentierten: Wenn die Militärmeutereien nicht unterstützt werden, so werden sie erfolglos verlaufen, im Militär wird Enttäuschung und Erbitterung gegen das Proletariat zurückbleiben, künftiges Zusammen­wirken von Proletariat und Armee wird erschwert werden. Auf plamnäßiges Hervortreten des Bauerntums zu warten, ist zwecklos, solche planmäßige Bauernbewegung ist nicht möglich; die Agrar- unruhen tverden, wie jetzt, so auch künftig, sporadisch und planlos ausbrechen. In den Städten sich sieben Monate lang, bis zur neuen Duma, abwartend zn verhalten, ist unmöglich; nach der Unter- drückuug der Militärmeutereien wird aber die Situation für Massen- bcwegungcn viel weniger günstig sein; der Augenblick der Militär- Meuterei soll benutzt werden auch für die Mastenbewegung in den Städten. Außerdem hat das Zentralkomitee der russischen sozialdemo- kratischen Partei in einem Zirkularschreiben hervorgehoben, daß die aufgelöste Duma das einzige Gebilde ist, das als Zentrum der Massenbewegung dienen und der zarischen Regierung als Gegen- regierung entgegengesetzt werden kann; gerade jetzt soll die Duma benutzt werden, bevor sie als feststehendes und vom Volke an- erkanntes Gebilde zu existieren aufgehört hat; bei einer Massen- bewegu»(j im gegenwärtigen Augenblick läuft auch das Proletariat am wemgsten Gefahr, isoliert zu bleiben. Falls eine aktive Be- wegung unmöglich ist, soll ein andauernder, sich in die Länge ziehender Kampfeszustand und dafür eine revo- lutiouäre Atmosphäre geschaffen werden; Streiks, Demonstrationen, Proteste, Lokalkämpfe, dies alles soll die gehobene Stimmung auf« recht erhalten, die nachher in den Entscheidungskampf übergehen wird, und für diesen Zweck wird der Generalstreik ein Hebel sein. Ein letzter Stoß drängte zum Streik: das Petersburger Komitee der russischen sozialdemokratischen Partei h�tte, ohne den allgemeinen Beschluß abzuwarten, selbst in St. Petersburg   den Massenstreik proklamiert. Der Bund äußerte sich in seinem Zirkularbrief dahin, daß er bei der gegenwärtigen Situation auf Erfolg nicht rechnet und den Augenblick für ungünstig hält, daß er aber, nachdem fast alle größeren Organisationen den Streik proklamiert haben, die allgemeine Soli- darität nicht verletzen und an der Gesamtbewegung auch teil- nehmen wird. Nachdem der Massenstreik mißlungen war. legte der Bundist Genosse Winitzky im Wochenorgan seiner Partei die Ursachen aus- einander, die nach den Ansichten seiner Parteigenossen zum Mißerfolg geführt hatten. 1. Aus der aufgelösten Duma ein Revolutions- zcntrum machen zu wollen, das bedeutete, sich auf ein leeres Nichts stützen zu wollen. Die Duma ließ sich auflösen; der Moment, wo sie sich an die Spitze der Bewegung stellen konnte(falls sie selbst dazu fähig wäre), ist nicht benutzt worden; sie ist nicht mehr. 2. Die Zeit, wo eine Reihe Denionstrationen und Streiks, die im voraus zur Unterdrückung bestimmt waren, als Agitationsmittel dienten, ist vorüber. Gegenwärtig sind Massenbewegungen so vielumfassend, so furchtbar ernst, so bedeutungsvoll, daß sie nur als wirkliche Kampfesbewegungen inszeniert tverden können, und dies ist nur daun möglich, wenn auf den Sieg gerechnet wird, was hier nicht der Fall war. 3. Die Städte wissen, daß sie ohne das Bauerntum nicht siegen können. Die Bauernrevolution kann nicht so plan- mäßig organisiert werden, wie die städtische; es ist aber falsch. daß auf dem Lande nur sporadische Ausbrüche wie die jetzigen möglich sind. Die Bewegung auf dem Lande kann quantitativ eine so umfassende werden, daß die Regierung nicht mehr festen Fuß hat und qualitativ sich zu einer bestimmt politischen entwickeln. 4. Es ist falsch, daß, wenn der Augenblick der Militärmeutereien nicht benutzt wird, die Bewegung in einer noch ungünstigeren Situation geschehen soll. Es sollen überhaupt keine Bewegungen stattfinden, während die Situation dieselbe bleibt; sie dürfen erst inszeniert werden, wenn der Kampf um den Sieg möglich geworden ist. Man kann nicht mehr so. wie in der früheren Agitationszeit, die Massen aus die Straßen rufen, ohne die volle Sicherheit zu haben, daß nicht mehr eine Demonstration, sondern ein allgemeiner Kampf entstehen wird.* Die Revolution war noch nicht mächtig genug, um den Zarismus zu stürzen. Die Reaktion ist nicht stark genug, um die Revolution zu unterdrücken. Die Regierung selbst sorgt dafür, daS revolutionäre Feuer immer mächtiger zu entfachen. Wenn im Volke selbst die revolutionäre Welle wieder steigt, dann wird der Augenblick ge- kommen sein, um den wirklichen Kampf zu beginnen. Die Verfolgung der Dumaabgeordnete«. Wir haben früher mitgeteilt, daß in Kamenka, Gouvernement Pensa, sich das Volk der Verhaftung des Abgeordneten Wragow widersetzt hat. Am 17. August wurde denRusskija Wed." aus Pensa   telegraphiert:Am 15. August wurde auf Grund des§ 21 des Reglements vom verstärkte» Schutz i» Kamenka der ehe--" malige Dumaabgeordnete Wragow verhaftet; 32 vermeintliche Rädelsführer, auf welche der Stanowoj(Bezirkschef) und der Urjadnik(Landpolizist) hinwiesen, wurden zu gleicher Zeit verhaftet. Der Gouverneur Alexandrowskl) hatte selbst die Gemeinde- Versammlung einberufen und mit Kosaken   umzingelt; er zwang die Gemeinde, vor ihm zu knieen und forderte, sie sollte die Rädelsführer nennen und selbst ausliefern; diese Forderung wurde aber nicht erfüllt. Der Priester, der am 12. August(Geburtstag des Thronfolgers) eine Totenmesse für Herzcnstein gehalten halte, wurde auf Befehl der Gouvernementsbehörden in ein Kloster ein- gesperrt.", Bei der Haussuchung beim Abg. Seffer wurden als Trophäen RenansLeben Jesu", MarxKapital" und eine Nummer der ge- werkschaftlichen ZeitungSemapkor" gefunden. Nach einigen Tagen Haft wurde Seffer freigelassen; die drohende Haltung der Bauern- bevölkerung hat dazu beigetragen.(Oko", 8./21. August). Sonstige Meldungen. Riga  , 26. August. Das in Drestenhof, wo bekanntlich Revo- lutiouäre einen Landgendarmen ermordeten und sonstige Greueltaten verübten, eingetroffene Kosakenstrafkorps hat drei Räuber auf der Stelle hingerichtet. 40 erhielten Knutenhiebe. Ssamara, 28. August. Gestern abend veranstaltete eine etwa 400 Köpfe zählende Menschenmenge unter Vorantragung roter Fahneir und unter Absingung revolutionärer Lieder einen Umzug. Beim Eingange zur Dworjanskajastroße stieß die allmählich auf gegen 2000 Menschen angewachsene Menge mit der Polizei zu- sammen, hierbei erhielt ein Polizist eine leichte Dolchwuude, der Gehülfe des Polizeimeisters sowie mehrere Polizisten wurden durch Steinwürfe verletzt. Riga  , 23. August. Auf offener Straße wurde ein Steuer- einuehmer überfallen und um 1500 Rubel beraubt. Ein herbei- aeeilter Schutzmann wurde getötet. Eine Patrouille verhaftete einen Räuber, der eine Verwundung erlitten hatte. Ein anderer, bei dem daS Geld vorgefunden wurde, wurde getötet, die übrigen ent- kamen. Jwanowo-WoSncssensk, 28. August. In den Kreisen Kowrow  und Susdal   haben sich Banden gebildet, deren hauptsächlicher Zweck es ist. die Kronsbranntweinbuden auszurauben. Petersburg, 28. August.  (W. T. B.) Im Leichenhaus des Peter-Paul-Hospitals befinden sich noch zehn nichtrekognoszierte Opfer der Explosion in der Villa des Ministerpräsidenten Stolypin  , darunter zwei Kinder und eine Frau. Politische(Jebeflicdt. Berlin  , den 28. August. Graf Strachwitz gegen dieKölnische Volkszeitung". Bekanntlich hatte dieKölnische Volkszeitung" den Grafen Strachwitz, den Zentrumsagrarier und Feind des allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts, der trotz oder auch wegen dieser Eigenschaften Mit­glied der preußischen Zentrumsfraktion ist, wegen seiner in derDeutschen Tageszeitung" mit allzu zynischer Offenherzigkeit geäußerten Anschauungen gelinde abgerüffelt. Das rheinische Zentrumsorgan hatte zwar dem Grafen Strachwitz zu verstehen gegeben, daß man ihm keine Träne nachweinen werde, wenn er freiwillig aus der preußischen Zcntrumsfraktion austreten werde, allein zu der kategorischen Forderung der Hinausbeförderung dieses Fraktionsmitgliedes hatte sich auch- dieKölnische Volkszeitung" nicht aufzuschwingen vermocht! Graf Strachwitz ergreift nun abermals in dem Organ Knuten-Oertels das Wort gegen dieKölnische Volkszeitung". In diesem Blatte, behauptet der Zentrumsgraf, der es als Preußischer Zcntrumsabgeordneter ja wissen muß, komme zum Teil eine Richtung zum Ausdruck, die durchaus nicht die Wünsche des katholischen Volkes in seiner konservativen Mehrheit vertrete. DieKölnische Volkszeitung" übersehe in ihrerDiktatorenlaune", daß die Beurteilung der inner- politischen Lage Deutschlands  , wie er sie sich erlaubt habe, nicht nur von weiten Kreisen der konservativ ge- sinnten Zentrumsparteigänger geteilt werde, sondern daß auch bereits links st ehende Katholiken zu der Ueberzeugung kämen, daß es mit der modernen Sozialpolitik der Reichsregiernng so nicht weiter gehe! Die Kölnische Volkszeitung" dürfte doch wissen, daß in der Zentrumsfraktion des preußischen Abgeordnetenhauses schon so mancher Herzenswunsch derjenigen Richtung begraben worden sei, die in derKölnischen Volkszeitung" manchmal zum Durchbruch komme. Deshalb würden sich die Alt- Preußen, katholische wie evangelische, vor der Zensur der Kölnischen Volkszeitung" nicht allzu sehr fürchten. Be- fonders zurzeit gelte es für die konservativ gesinnten Katho- liken, zusammenzuhalten und sich nicht von dermodernen Richtung an die Wand drücken zu lassen, sowohl in ihrem eigenen Interesse als besonders in dem der Allgemeinheit." Graf Strachwitz scheint also in der Tat der kleine Kirchen- bann derKölnischen Volkszeitung" nicht allzu sehr zu im- panieren. Er weiß genau, daß er einen Rückhalt findet in der Zentrumsfraktion des preußischen Ab- geordnetenhaufes. Er weist denn auch darauf hin. daß schon einmal dieKölnische Volkszeitung" gegen ihn Stellung genommen habe, als er in einem benachbarten Wahlkreise im Einverständnis mit der preu- ßischen Zentrumsfraktion in den katholischen Ortschaften für den konservativen Kandidaten ein- getreten sei. Auch damals habe diehohe Erlaubnis" der Kölnischen Volkszeitung" gefehlt, worum sich die preußische Zentrumsfraktion nicht im geringsten gekümmert habe. Graf Strachwitz weiß, daß nicht nur in der Zentrumsfraktion des preußischen Abgeordnetenhauses, sondern auch in der Fraktion des Reichstages die konservativen Tendenzen über- .wiegen, und daß sein Wortdas Zentrum wird agrarisch sein oder es wird nicht sein" in Erfüllung gegangen ist. DieKölnische Volkszeitung" wird die Antwort nicht schuldig bleiben aber Graf Strachwitz   wird nichtsdesto- weniger als preußischer Zentrumsabgcordneter die konser- vativ-agrarische, antisozialpolitische Richtung weiter vertreten. Er wird mit seinen Gesinnungsgenossen fortfahren, die Re- gierung zu versichern, daß sie es fchon auf einen Staatsstreich ankommen lassen dürfe, um gegebenenfalls einen Reichstag zustande zu bringen, der entgegen der famosen Flottengesetz- klausel unter Schonung der Leistungsfähigen dem Prole- tariate neue schwere indirekte Steuerlasten aufbürden könne!---_ Südwestafrikanische Aussichten! In dem halboffiziösen Scherl-Blatt findet sich ein sehr interessanter Artikel über dieVerminderung der Schutztruppen in Südwestafrika". Selbstverständlich, heißt es darin, herrsche das Streben vor. die Rückführung aller entbehrlichen Streitkräfte so schnell wie möglich zu bewerkstelligen, doch feien diese Maßnahmen keineswegs so leicht durchführbar, als es auf den ersten Blick erscheinen möge. Auf den drei Abschnitten des südwest- afrikanischen Kriegsschauplatzes seien die Verhältnisse ganz ver- schieden. Nichts destoweniger müsse in allen drei Gebieten die Frage sorgfältig geprüft werden, welche Höhe die in Zukunft in Süvwestafrika zu belastende Schutztruppe überhaupt haben müsse. um vor Ueberraschungen ein fiir allemal sicher zu fein. Dazu sei auch im Friede» eine entsprechende Machtcntfaltung unbedingt erforderlich. Die zurückbleibende Truppenmacht würde sich nicht nur auf das Besetzen der Hauptzentrcn beschränken, sondern müsse auch die zur Kolonifation besonders geeigneten Terrains an den größeren Wasserstellen umfassen, denn den schwarzen Eingeborenen imponiere nur derjenige alsHerr", dessen Macht sie sähen und fühlten. Eine entsprechende Machtentfaltung sei also auch im Frieden unbedingt notwendig. Und man werde fchwerlich fehlgehen, wenn man sage, daß die hierzu erforderliche zukünftige Gesamt- stärke der im Schutzgebiet zu belastenden Truppen auf etwa 7000 Köpfe bemessen werde. Die Gliederung dieser Kräfte im einzelnen unterliege zurzeit noch der Erörterung. Voraus- sichtlich würde die Truppenzahl auf etwa 20 Kompagnien, 6 Batterien und 12 Maschinengewehrsektionen a 2 Maschinengewehre bemessen werden, auch die Verwendung von Kamelreiter- t r u p p e s zur Ueberwindung von Durststrecken sollen in Erwägung gezogen worden sein. Da man weiß, welch vorzügliche Informationen das Scherl« blatt gerade aus kolonialen und kolonialmilitärischen Kreisen er- hält, dürften seine Angaben jedenfalls den Plänen maß- gebender Stellen entsprechen! Diese Pläne gehen aber dahin, nicht nur für die nächste Zeit, also die nächsten zwei oder drei Jahre, ein Truppenaufgebot von 7000 Mann in der Kolonie zu unterhalten, sondern überhaupt für alle Zukunft. Das ist aber ein Projekt, das dem Reiche dauernd ganz enorme Aus- gaben verursachen ivürde. Nehmen wir an, daß die Unter- Haltung der 7000 Mann pro Tag nur 100 000 M. betragen würde, so machte das für den Monat 3 Millionen, fiir das Jahr also 36 Millionen Mark! Und diese enormen Ausgaben sollen für eine Sandwüste verausgabt werden, über deren wirtschaftliche Ent- Wickelung selbst die kühnsten Optimisten die deprimierendsten Auf, fastungen hegen. Und doch kann es als sicher gelten, daß auch für eine solche aberwitzige Geldverschleuderungspolitik die maßgebenden Parteien des Reichstages zu haben sein dürften. Selbst Herr E r z b e r g e r hat ja bereits angekündigt, daß das Zentrum im Herbst neue hundert Millionen für den Kolonialkrieg bewilligen würde, sofern nur die Regierung einigen guten Willen beweise, den kolonialen Augiasstall auszumisten". Und ganz zweifellos wird das Zentrum auch für die Kosten der Unterhaltung einer 7000 Köpfe starken südwestafrikanischen Kolonialarmee eintreten, wenn nur den Missionen der gewünschte Spielraum gelassen wird. Und wenn gar, wie jetzt verlautet, der katholische Regierungspräsiden« von Schorlemer als Nachfolger Podbielskis bestimmt sein sollte, wäre der Palt des Zentrums mit der Regierung vollends perfekt!, Dcutfches Reich, Bülow Podbielski. "Selbst' dieDeutsche Tageszeitung" gibt jetzt zu, daß Podbielski in dem Scherlorgan die Unwahrheit gesagt hat. Sie schreibt nämlich: ... Vermutlich liegt eine Verwechselung(der angeblichen Aufforderung durch den Kaiser) mit dem Schreiben des Reichs- kanzlers an den Landwirtschaftsminister vor, in dem dieser freilich weder zur Rechenschaft noch zur Einreichung eines Entlassungs- gesuches aufgefordert, sondern lediglich ersucht wurde, dem Fürsten Bülow Material zur Verfügung zu stellen, auf Grund dessen er die Haltlosigkeit der gegen Herrn v. Podbielski in der Presse erhobenen Vorwürfe beweisen konnte. Daraufhin hat aller« dings der Landwirt schaftsmini st er gebeten, seinen Wunsch nach Entlassung dem Kaiser zu unterbreiten. Es hat wahrhaftig keinen Zweck, diesen Sachverhalt, der nunmehr so gut wie festgestellt ist, zu verdunkeln." Wenn diese Lesart richtig ist, wäre Bülow glänzend ge- rechtfertigt ,d. h. insoweit, als er durch dieNorddeutsche Allgem. Ztg." hatte verkündigen lassen, daß Pod ihn ersucht habe, dem Kaiser seinen Wunsch nach Entlassung zu unter- breiten. Doppelt unerklärlich wäre es freilich, daß Bülow auf die Erklärung des Landwirtschaftsministers, die Nordd. Allgem. Ztg." sage die Unwahrheit, er habe seine Entlassung nicht cingekeicht, mit der kläglichen Er- klärung quittiert hat, daß Wilhelm II.   im Einverständnis mit Bülow zurzeit einen Entscheid über das Entlassungsgesuch nicht fällen könne. Der Auffassung, daß Bülow jämmerlich die Segel gestrichen hat, ist auch dieKölnische Volkszeitung". Sie bemerkt zu demDuell Blllow-Podbielsk i": Die offiziöse Presse brachte zwei Notizen, die nur dann be« greiflich sind, wenn man weiß, daß Fürst Bülow   unter allen Um st än den den Minister los haben wollte. Podbielski hat als seine Garde gewisse Kreise in der Umgebung des Kaisers, die auf die Presse schlecht zu sprechen find, und den Lokalanzeiger", dem er sich anvertraute. Seine Position muß damals noch gut gewesen sein, sonst wäre Herr Scherl kaum auf seine Seite getreten. Es ist nämlich nicht hin- reichend bekannt, daß derLokalanzeiger" an höchster Stelle ganz vorgelegt wird; von anderen Zeitungen kommen nur Ausschnitte auf den Lesetisch. Die Tatsache, daß der Kaiser von allen deutschen  Blättern nur denLokalanzeiger" unzerschnitten zu Gesicht bekommt, erklärt allerdings zur Genüge sein wenig schmeichel- Haftes Urteil über die deutsche Pressel Die Tätigkeit derSttdwestafritanischcn SiedelungSgescllschast" bildete gestern abermals den Mittelpunkt einer Verhandlung, die die 8. Ferienstrafkammer des Berliner   Landgerichts I   mehrere Stunden hindurch beschäftigte. Es handelte sich um die Privatllage des Konsuls Ernst V o h s e n gegen den Kreisassessor Gerstenhauer und den Redakteur derDeutschen Zeitung" Eichler. Als in der Oeffentlichkeit und auch in der Reichstagskommission eine Reihe von Angriffen gegen die Tätigkeit der Siedelungsgesellschaft erhoben wurden, veröffentlichte Konsul Vohsen in derNational- Zeitung" einen längeren Abwchrartikel. in welchem er die Berechtigung der Angriffe schroff zurückwies und seine Gegner als Leute kennzeichnete, die diese Angriffe aus schlechter Absicht erhöben. Der Angeklagte Gerstenhaner veröffentlichte darauf in derDeutschen Ztg." zwei Artikel und kritisierte darin an der Hand von Zahlen die Tätigkeit der Siedelungsgesellschaft höchst abfällig, indem er ihr dkn Vorwurf machte, daß sie die ihr gewährte staatliche Landkonzession nicht dazu benutze, um möglichst viel Ansiedler nach Südwestafrika zu ziehen, sondern um Landspekulationen zu treiben und einen mühelosen Gewinn einzuheimsen. Als Konsul Vohsen darauf eine Erwiderung derD. Ztg." einsandte, folgten noch einmal zwei Artikel des Angeklagten Gerstenhauer, der darin die ersten Be- Häuptlingen durchaus aufrecht erhielt. Diese Artikel bilden den Gegenstand einer vom Konsul Vohsen erhobenen Privat- klage gegen Herrn Gerstenhauer als Verfasser und Herrn Eichler als Redakteur. In den Artikeln wird Herrn VohsenWort- klauberei" zum Borwurf gemacht, die Herren der Siedelungs« gesellschaft werden alskluge Geschäftspatrioten" geschildert, die an dem Ausstände der HereroS mit schuld seien, da sie in Wirklichkeit die Besicdelung erschwerten. Die Siedelungsgesellschaft, die sich auf Kosten der Allgemeinheit bereichere, entwickele keine gemeinnützige Tätigkeit, und da die Absicht der Schenker des Landes, nämlich des