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DaS Attentat auf Stolyptn. Unser Petersburger N.- Korrespondent schreibt uns: Die Erplosion war betäubend, wie ein Schufc aus einer grogen Kanone. Sie erzeugte eine so gewaltige Lufterschütterung, daß die 220 Meter entfernte LandungLbrücke in heftiges Schwanken geriet. Augenzeugen, die im Vestibül gestanden haben, erzählen, es wäre ihnen so vorgekommen, als ob sie in die Lust flögen. Die ganze Mittelpartie des zweistöckigen HanseS ist in einen Trümmerhaufen verlvandelt. Von der Explosion wurde die Vorder- wand, ein Teil des Kaniins und mehrere Innenwände zerstört, ein Teil der Seitenwand wurde abgerissen. Vom Hause des Ministers sind nur klägliche Ruinen übrig.' Der Platz, auf dem das Gebäude stand, bot in groszem Umkreise folgenden Anblick: Eine Menge Balken, Bretter. Türen, Fenster bildeten ein unbeschreibliches Gewirr von Trünnnern auf dem Fuhsteige der Strasi«. Näher zur Frei- treppe lag ein umgestürzter viersitziger Landauer, daneben zwei bis drei entwurzelte Bäume, grofze Kübel mit gebrochenen Bäumchen, Ziegel und Stuckhaufen, Papierstöhe, zertrümmerte Möbel, blut« befleckte OsstzierSkleidung, Oelbildcr und allerlei Hausgeräte. Nach der Wirkuug des Geschosses zu urteilen muß es, wie erfahrene Offiziere behaupten, mit Melinit angefüllt gewesen sein. Der Vorsitzende des Ministerrats saß zur Zeit der Explosion in seinem Kabinett. Er wurde nur leicht zur Seite geschleudert und kam mit einer geringfügigen Kontusion des Kopfes davon, die nicht einmal ärztliche Hülfe erforderte. Er wollte sogleich aus dem Zimmer laufen, doch versperrten ihm Leichen, abgerissene Glieder und mensch­liche Eingeweide den Weg: Stöhnen und Hülferufe der Verwundeten, Röcheln der Sterbenden drangeil ihm entgegen und er sprang aus dem Fenster in den Garten. Die Zahl der Verunglückten wird auf 60 geschätzt, meist sind eS Personen aus der höheren Beamtenwelt f ihre Namen sind zum Teil noch nicht festgestellt, von vielen der Verunglückten sind nur einzelne Körperstllcke aufgefunden worden. Als die erste Aufregung sich gelegt hatte, liefen die Soldaten zu dem Wagen, in dem der Attentäter mit der Bombe angefahren war. Aus dem umgekippten Landauer drang Stöhnen. Man fand drei Menschen darin, von denen zwei bald darauf ihren Geist auf- gaben z der dritte jedoch blieb am Leben und wurde in Haft genommen. Kein Mitleid für Min». Petersburg, 22. August. Die Ermordung des Generals Minn wird von der Gesellschaft mit großer Ruhe aufgenommen, da die von ihm gespielte Rolle ihm nirgendwo Synipathien eingetragen hat. DaS Schicksal der beiden Kinder Stolypins, besonders das seiner in großer Gefahr schwebenden löjährigen Tochter bewegt die Gesellschaft aufs lebhafteste.(.Franks. Ztg.") Ei»«euer Gonvernenr für Warschau ? Warschau , 29. August. Wie es heißt, ist General Rennen- kämpf zum Gouverneur von Warschau ernannt worden und soll sich bereits nach Warschau unterwegs befinden. Man befürchtet strenge Repressivmaßregeln. Gestern lvurde abern,als ein Polizei- kommissar von Revolutionären auf der Straße ermordet. Ob General Renncnkampf sich iin Kriege gegen das russische Bolk mehr auszeichnen wird als im Kriege gegen das Heer Japans ? Das Zentralkomitee der russischen Sozialdemokratie über den letzten Massenstreik. Im 5. Brief des ZentralkomiteesAn die Parteigenossen" -- diese Briefe müssen jetzt die unterdrückte Parteipresse not- dürftig ersetzen»vird dasselbe Thema behandelt, worüber einer unserer russischen Korrespondenten im Leitartikel schreibt. Die Aeußerungen der offiziellen Leitung der russischen Sozial- dcmokratie beanspruchen gerade angesichts der Kritik, die ihre letzte Aktion gesunden hat, erhöhtes Interesse. Das Zentral» komitee sagt nun ungefähr folgendes: Nach der Dumaauflösung und dem Erlasse des Wiborger Auf- rufeS fand das Zentralkomitee es für nötig, mit einem General st reik auf die Dumaauflösung zu ant- warten. Seine Gründe waren: 1. Die Dumaauflösung wird in verschiedenen Bevölkerungsschichten und in der Armee Unwillen er- regen; das gibt die besten Chancen dafür. DaS ganze Volk muß jetzt einsehen, daß auf dem Wege zur Erfüllung seiner Wünsche die zarische Regierung steht; die Dumaauflösung hat daS Volk vor die Aufgabe gestellt, die zarische Regierung zu stürzen. S. Eine all- gemeine Bewegung im Augenblick der Dumaauflösung könnte zur siegreichen Revolution werden; eine verspätete Bewegung würde verfehlt sein und besiegt werden. Im Volke herrschte scheinbare Stille; das Zentralkomitee erklärte sie dadurch, daß die Massen teilweise die Tatsachen noch nicht kannte», teilweise auf den Ruf der Organisationsleitungen warteten und daß die revolutionären Elemente des Volkes un- organisierten, spontanen Ausbrüchen abgeneigt seien. Die Vertreter der anderen revolutionären Parteien und Organi- sationen sprachen sich aus der gemeinsamen Beratung gegen den sofortigen Massenstreik aus. Jnfolgedesien gab das Zentralkomitee der rnfstschen sozialdemokratischen Partei eure neue Parole aus: Schleppende Kampfestaktik, Ent­wich e l u n g der Revolution skr äste in der Gestalt von verschiedenartigen Protesten, Demonstrationen und lokalen Kämpfen. Auf diese Weise würde der Boden für den künftigen Generalstreik vorbereitet werden. Die kurz darauf erfolgenden Ereignisse, die Meutereien, zeigten, daß das ursprüngliche Urteil des Zentralkomitees vollkommen richtig gewesen war. Unter dem Eindruck der Meutereien wurde das Petersburger Komitee mit dem Zentralkomitee über die Notwendigkeit des Streiks einig. Schnelles Handeln tat not. Man mußte sofort die Aufständischen unterstützen. Am selben Tage(1. August) versuchte das Zentralkomitee eine Beratung aller Parteien einzuberufen; auS zufälligen Ursachen war es nicht möglich. Das Zentralkomitee erließ dann allein einen Aufruf an alle Proletarier Rußlands mit der Parole Generalstreik. Das Petersburger Komitee berief auf den 2. August den Petersburger Arbeiterdeputiertonrat ein; aus polizeilichen Ursachen mißlang die Versammlung. Weiteres Zögern war unmöglich; die Arbeiter einiger Fabriten erklärten schon, daß sie für sich allein den Streik beginnen würden. In der folgenden Nacht be- schloffen das Zentralkomitee und die Exckutivkommission des Petersburger Komitees sich an die Rayon-Arbeiterdeputiertenräte zu wenden. Dies geschah am 3. August frühmorgens. Die Rayon-Arb.-Dep.-Räte willigten«in; der Streik begann am 3. August(Freitag). Am 4. August gelang es dem Exekutivkomitee des Arbeiterdeputierten- rates zusammenzukommen; es sanktionierte den Streik und über- nahm die Leitung. Gleichzeitig ivurde mit den anderen Parteien beraten. In der Nacht von, 2. auf 3. August fand die Beratung de? Z. K. mit den Vertretern der Soz. Rev.(Z. K.), des Bundes(Pct. Kom.) der P. P. S.(Polnisch-Sozialdemokratische Partei)<Z. K.) und den Exekutivkomitees der Arbeitsgruppe und Soz.«Dem. Duma- fraktion statt. DaS Zentralkomitee der russischen sozialdemokratischen Partei und die 2 Dumafrakttonen waren von Haus aus für den Streik. Der Bund erklärte, er werde streiken, falls die Mehrzahl der anderen streikt. Die P. P. S. wandte ein: Die Lage der Polen ist sehr gefahrvoll; der Beschluß muß so gefaßt werden, daß die Polen sich mit.einem DemonstrationSstreik begnügen können. Die Soz.-Rev. argumentierten: 1. die Bauern müssen zuerst beginnen; 2. die Militär­bewegung muß sich zuerst für sich selbst entwickeln; 3. der Arbeiter- deputiertenrat muß entscheiden. ES wurde ihnen geantwortet: 1. Die Bauernbewegung wird eine schleppende«nd sporadische sein und kann nicht als Jnitiattvbewegung abgewartet werden, es wird vielmehr die städtische Bewegung ans die ländliche rückwirkcn(Arbeits- gruppe); 3. man kann nicht das Militär im Stich lassen; 3. der Petersburger Arbeitcrdepntiertenrat ist für einen allrussischen Streik nicht kompetent. Am Ende lvurde der allrussische Streik einstimmig beschlossen.(Trotzdem bremsten nachher die Sozialrevolutionäre.) Die bis dahin rückständigen Elemente des Petersburger Prole» tariats beteiligten sich energisch aii#Streik(das rückständige Martin» Gewerk der Putilow-Werke, die Gummimanufaktur, die Zuckerfabrik König, 10 000 �Bauarbeiter, die Pulverwerke in Jschoro und mit ihnen auch die Soldaten des Jschororegiments, 2000 Droschkenkutscher; die Handlungsgehülfen erklärten, sie würden streiken, falls sie ihr Verband auffordert). Am zweiten Tage streikten im ganzen 80 000 Arbeiter, über ein Drittel der Gesamtheit. Die entwickeltsten, am revolutionärsten gesinnten Arbeiter (StaatSwerke: Semjannikowsche, Obuchowsche, Baltische, Puttlew) streikten nicht. Dadurch wurde die Niederlage entschieden. Unter diesem Eindruck nahmen die Pferdebahner, die Droschkenkutscher, dann allmählich die streikenden Fabrikarbeiter die Arbeit wieder auf. Unter den Streikenden und den Soldaten wurde eine heftige Er- bitternng gegen da? revolutionäre Proletariat laut. Die Bau- arbeiter sagten:»Ihr werdet uns nicht mehr zu einem politischen Streik bringen, es sollen künftig die Metallarbeiter kommen, daß wir die Arbeit einstellen sollen." Und die Ursachen? Die Regierung drohte die Staatswerke gänzlich zu schließen. Das wäre noch nicht entscheidend; aber 1. die revolutionären Arbeiter erklärten, sie würden nur in einen entscheidenden Kampfes st reik einwilligen(Bedingungen dazu: Baucrnbewegung, Eisenbahnerstreik; die Eisenbahner aber, unter der Drohung der Strafzüge, konnten nur im letzten entscheidenden Moment sich anschließen). 2. Die Boykottpropaganda hatte die Arbeiter gleichgültig gegen die Dumaauflösung und die damit verbundenen Bewegungen gemacht. ES wiederholte sich in ihren Reden die Argumentation der Streikfcinde, dos Bestreben, sich nur zum letzten Entscheidungskampfe vorzubereiten, das ungenügende Verständnis für die Berücksichtigung der rückständigen Eleiueute und der Armee, die ungenügende Fähigkeit(wie bei der Intelligenz auch), sich einer allgen, einen Bewegung anzupassen. poUtilche Qcbcrficbt Berlin, den 29. August. S40 Jahre lang gegen die gute» Sitten verstoßen k Bekanntlich nahm gelegentlich der vorjährigen Tagung des Vereins für Sozialpolitik einer der Gewaltigen aus dem Ruhr- gebiet, der Generaldirektor Kirdorf, für die Unternehmer das Recht in Anspruch, die Freizügigkeit der Arbeiter nach Belieben einschränken zu dürfen. Die öffentliche Auf- stellung dieser Forderung im Verein für Sozialpolitik sollte gewiß nur einFühler" nach der Richtung sein, ob die von dem Scharf- machertum und dem ostelbischen Junkertum so sehnlichst gewünschte Zeit der gesetzlichen Beschneidung de? FreizügigleitsrechtS der Arbeiter schon gekommen sei; denn wie jetzt durch das Landgericht in Duisburg festgestellt ist, besteht fiir daS rheinisch- westfälische Industriegebiet im Rnhrbecken die von demSozial- Politiker" Kirdorf geforderte Beschränkung des FreizügigkeitsrcchtS der Arbeiter in der Praxis schon seit mehr denn zwanzig Jahren! Die Feststellung dieser ungeheuerlichen und sehr be- achtenswerten Tatsache wurde ermöglicht durch einen Zivilprozeß, den unser Duisburger Arb eitersekretariat für einen gemaßregelten Arbeiter gegen das große EisenhüttenwerkPhönix " ührte, im Effekt sich aber gegen das koalierte Unternehmertum im Ruhrgebiet überhaupt richtete. In diesem seit Oktober vorigen Jahres schwebenden Prozesse wurde das Willkürregiment der Industrie- barone, ihre maßlose Ueberhebung gegenüber Recht und Gesetz und daS absolute Versagen moralischer Einwirkungen in unverhülltestcr Form und mit herzerfrischender Deutlichkeit der Arbeiterschaft zu Gemüte geführt. Ein Maschinist K., der laut Entlassnngszeugnis fünf Jahre zur vollen Zufriedenheit und mit bester Führung im Dienste der HüttePhönix" gestanden, hatte dadurch gegen die ge- heiligten Interessen des Kapitals verstoßen, daß er gelegentlich einer Werlstattbesprcchung sich in eine Kommission hatte wählen lassen, die zur Abstellung von Mißständen bei der Betriebsleitung vorstellig werden sollte. Und obwohl K. von der Kommission zurücktrat, bekam er dennoch seine Kündigung. Während der Kündigungsfrist erhielt er dann mehrfach von der hierfür zuständigen Stelle das Ver- sprechen, daß er einenUeberweisungSschein" erhalten werde, d. h. einen Schein, auf dem der Arbeitgebererklärt, daß er gegen die Einstellung des Entlassenen in einem anderen Betriebe nichts einzuwenden hat! Wer nämlich einen solchen Schein des bisherigen Arbeitgebers nicht beibringen kann, erhält trotz der permanenten Arbeitsgelegenheit in den großen Betrieben keine Arbeit, indem die Jndustriekönige am Niederrhein und im Ruhrgebiet sich gegen Zahlung einer Kon- ventionalstrafe von 1200 Mark verpflichtet haben, ohne diesen Schein niemand einzu st ellen! Somit sind also die Arbeiter dem Unternehmer auch nach ihrer Entlassung noch auf Gnade und Ungnade in die Hände gegeben. Da nun K. trotz des vorherigen Versprechens diesen Schein nicht erhielt, so blieb er mehrere Monate ohne Arbeit, obwohl sich Arbeitsgelegenheit genügend bot. Um einen prinziellen Entscheid gegen die stillschweigend ge- duldeten ungesetzlicben Maßnahmen der Schlotbarone herbeizuführen, wurde auf Grund des§ 820 des B. G.-B. und des Z 113 Abs. 3 der G.-O. eine Schadenersatzklage vor dem Ge Werbegericht in Düisburg gegen die HüttePhönix" anhängig gemacht. Indes daS Verständnis für den Standpunlt der Gebieter im Industriegebiet am Niederrhem geht soweit, daß das Gewerbegericht mit einenchristlichen" Beisitzern die Schaden- ersatzpflicht rundweg ablehnte, indem es betonte, daß es den UeberweisungSschein als eine persönliche Empfehlung ansehe, die der Unternehmer einem Arbeiter mitgeben könne oder auch nicht! Daß aber ohne diese sogenanntepersönliche Empfehlung" ein entlassener Arbeiter auf einem anderen Werke keine Arbeit erhält, daS, so meinte das Gewcrbcgcricht, gehe dem Gericht nichts a»! Noch mehr: Als der Vertreter des klagenden Arbeiters darauf drängte, einen Beamten der Thysfenschen Werke in Mülheim eidlich darüber zu vernehmen, weshalb K. trotz erfolgter Annahme nicht eingestellt fei, da erklärte der Vorsitzende kategorisch, das gehöre nicht zur Sache! Und der als Zeuge geladene Fabrikbcamte, der betonte, über diese Frage»nr mit Genehmigung der Betriebs- leitung aussagen zu können(!!), durfte schweige»! Ein solches Ver- 'ahren vor einem Gcwerbegerichte dürfte gewiß einzig dastehen. Anders gestaltete sich nun die Sache in der B erufungS- i n st a n z. Das B e st e h e n der Vereinbarung, wonach die entlassenen Arbeiter innerhalb vier Monate nach ihrem Austritte auf den koalierten Werken keine Arbeit erhalten, konnte angesichts der vorliegenden Beweise nicht bestritten werden. Die gesetzeswidrige Vereinbarung wurde nicht nur zugestanden, sondern sogar noch als Argument gegen die Forderung auf Schadenersatz geltend gemacht. Der gegnerische Anwalt argumentierte nämlich so: Der UeberweisungSschein sei deshalb für die Einstellung der Arbeiter bedeutungslos, weil die Vereinbarimg der Arbeitgeber lediglich besage, daß entlassene Arbeiter innerhalb vier Monaten auf den koalierten Werken nicht eingestellt werden dürften, also auch mit UeberweisungSschein nickit!" Diese fast kindlich-naive, lediglich von dem Gefühl desUnS kann kein er"-Standpunktes ans erklärliche Verteidigung konnte natürlich einer ernsthaften Kritik nicht standhalten, namentlich nicht in Hinblick auf die Tatsache, daß Dutzende von Gegenbeweisen vor- lagen, wonach m i t UeberweisungSschein überall Arbeit in Hülle und Fülle zu bekommen ist. DaS Landgericht Duisburg erkannte denn auch durch Urteilsspruch das Verhalten der HüttePhönix" ausdrücklich als gegru die guten Sitten»erstoßend an. Der dem Kläger erwachsene Schaden müsse ihm voll ersetzt werden. Zur Festsetzung der H ö h e der Entschädigung wurde die Sache in die Vorinstanz zurück­verwiesen. Charakteristisch für das selbstherrliche Regiment der Industrie- Herren war die Aussage zweier als Zeugen geladener Unternehmer, die bekundeten, daß das gegen die guten Sitten ver- stoßende Sperrshstem schon seit über 20 Jahren besteht, ohne daß dagegen eingeschritten ist! Charakteristisch ist ferner, daß zur selben Zeit, als das Gericht die Handlungsweise des Schlotjunkerttims als gegen die guten Sitten verstoßend brand- markte, dieselben Herren, die es anging, dicht neben dem Gerichts- gebäude in einer besseren Weinstube saßen und nun über ein neu einzuschlagendes Verfahren berieten, weil man wohl oder übel das System der UcberweisungSscheine abschaffen müsse. DaS Ende der Beratung war, daß nunmehr direkt von den Werken aus die Verbindung mit dem bisherigen Arbeitgeber erfolgen soll. Es bleibt also wie bisher( l), nur mit dem Unter- schiede, daß die Arbeiter ihre Uriasbriefe nicht mehr selbst ver- Mitteln, sondern die Herren wollen sich höchstselbst herablassen, bei dem vorherigen Arbeitgeber anzufragen, ob der entlassene Arbeiter eingestellt werden darf oder nicht. Wer etwa glaubt, die HüttePhönix" habe nun ohne weiteres dem Arbeiter seinen Schaden ersetzt, der irrt sich gewaltig. Moralische Anwandlungen unnützer Ballast! Zunächst kam allerdings in dem vor dem Gewerbegerichte erneut anberaumten Termine nach langem Feilschen seitens des Vertreters der Hütte ein Vergleich auf Zahlung von 230 M.(pro Tag 3,80 M.) zustande, aber dann erkannte die Millionen firma den von ihrem Bevoll- m ächtigten geschlossenen Vergleich nicht an! Und als darauf der HüttePhönix" zwei Schreibmaschinen g e- Pfänder wurden, erhob sie gegen die Pfändung erfolgreiche Beschwerde bei demselben Landgerichte, das die Verurteilung ausgesprochen hatte. Die beklagte Firma protestierte in der Be- schwcrde gegen die Ncchtsgültigkeit ihrer eigenen Boll- macht, indem darauf verwiesen wurde, daß die Vollmacht nicht von dem die Firma rechtsgültig vertretenden Prokuristen, sondern nur von dem Hüttendirektor unterzeichnet seil Also eine scheinbare Brüskierung des Hüttendirektors. in Wirklichkeit aber kommt die Sache auf eine Nassührung der Gerichte hinaus. Nachdem somit der Arbeiter nach zehnmonatlicher Prozeß- fiihrung am Ziel, kann er nunmehr seinen Prozeß von vorne be- ginnen. So diktteren es die Gebieter von Kapitals Gnaden! Tie sozialdemokratischen Interpellationen vor dem Züricher Kantonsrat. Zürich , 28. August. Unter kolossalem Andrang des Publikums zur Tribüne, die ge> radezu vollgepfropft war. wurden gestern und heute im Kantonsrat die drei sozialdemokratischen Interpellationen, diejenige betreffend das Streikpostenverbot und das Verbot der De- monstrationsumzüge behandelt. In einer fast zweistündigen mit großer Aufmerksamkeit ange- hörten Rede begründete sie Genosse Greulich. Den Hintergrund bildeten dabei die 10810 Stimmen, die gestern bei der Ersatz- wähl in das Bezirksgericht Zürich der sozialdemokratische Kandidat Dr. Enderli erhalten hat. Er unterlag zwar dem bürgerlichen Gegenkandidaten, der mit 11 057 Stimmen gewählt ivurde, allein das große Heer sozialdemokratischer Wähler und die relativ geringe Differenz von 800 Stimmen bildet eine sehr abkühlende Douche auf die größenwahnsinnige Reaktion. Greulich gab einleitend eine Darstellung der Ursachen und des Verlaufs des Streiks der Metallarbeiter in der Automobilfabrik von Arbenz u. Cie. in Albisrieden bei Zürich und er verwies gleich auf die gestern im Bezirk Zürich abgegebenen 10 810 sozialdemokrattschen Stimmen, die beweisen, daß alle Maßregeln der Behörden eine Einschüchterung der Arbeiter nicht vermocht haben. Sodann teilte er den Bürgerlichen mit, daß die so viel angefeindete und gehaßte Züricher Arbeiterunion aus 70 Gewerkschaften mis 10 000 und 20 politischen Vereinen mit 2290, zusammen also aus 86 Organi­sationen mit 13 196 Mitgliedern besteht. Bei der Behandlung des Streikpostenverbots der Regienmg gab Greulich eine treffliche Charakteristik der Streikbrecher, die er mit den militärischen Deserteuren und Verrätern im Kriegsfalle verglich. Das Streikpostenverbot war nur ein Glied in der ganzen Kette von Aktionen der Klassenpolitik der Regie» r u n g, die sich von vornherein zur Sachwaltcrin der Interessen der Unternehmer machte und gegen die Arbeiter Stellung nahm, statt in diesen Kämpfen neutral zu bleiben und über den Parteien zu stehen. Von einem Schutze der Rechte der Streikenden, der Rechte der ehrlichen Arbeitswilligen gegen die schwarze Liste der Bauunternehmer mit 2000 Arbeiternamen durch die Behörden war nirgends die Rede. Bei der Besprechung des eine Verfassungsverletzung invol» vierenden Verbots der Demonstrationsumzüge beleuchtete Greulich die unglaublich perfide Rolle, die dabei in Verhetzung der städtischen und bäuerlichen Bevölkerung gegen die Arbeiter die Presse gespielt hat und er gab einige saubere Mustercheu auS dem Zürcher Bauer" zum besten, der aus der Staatskasse sub- ventioniert wird. Gegenüber den rohen Ausbrüchen des niedersten blöden Chauvinismus gegen die ausländischen Arbeiter, neben denen gleich die Kriecherei vor den reichen Ausländern steht, erinnerte Greulich daran, daß nicht die Sozialdemokraten es sind, die ausländische Arbeiter und Arbeiterinnen, namentlich italienische, gleich waggonweise importieren, sondern die Unternehmer, und daß übrigens die Schweiz auf den steten Zuzug ausländischer Arbeits« kräfte angewiesen sei. Würden wir einmal dazu gelangen, plan- mäßig und energisch über die Schweiz die S p e r r e zu verhängen und durchzuführen, so würde und müßte eine allgemeine Kalamität eintreten. Greulich verwies noch darauf, daß der Regierung, den Ober- richtern, den BezirkSrichtern, den Pfarrern, den Lehrer» usw. die Be» soldungcn erhöht wurden, daß die Unternehmer die fettesten Profite machen und einsacken und daß das alles in Ordnung befunden werde, aber auf einmal alles empört sei, wenn die Arbeiter ebenfalls Er- höhung ihres Lohneinkommens fordern. Aber mit dem BelagerungS- zustand, das hat schon Cavour gesagt, könne jeder Esel regieren. Greulich schloß unter dem Beifall»nserer Genossen mit den Worten: Noch einige Militäraufgebote und wir haben in der Stadt Zürich die Mehrheit. Machen Sie, was Sie wollen. Die Schand- und Gewalttaten der Regierung zu verteidigen lag den beiden Regierungsräten Nägeli und Stößel ob, aber sie taten die? in unsäglich jämmerlicher Weise, so daß man unwillkürlich an die bekannten Worte Oxensticrnas erinnert wurde:Mein Sohn, du ahnst nicht, mit wie wenig Weisheit die Welt regiert wird." Nach Herr» Stößel wurden die Demonstrationsumzüge auf Grund des StraßengesetzeS verboten und so nebenbei auch auSpolitischen Erwägungen"....