Nr. 258.
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Vorwärts
9. Jahrg.
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tern spredj- Anschlug 3mt J. Nr. 4186.
Bentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands .
Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2. Donnerstag, den 3. November 1892.
Euere Nationalitäten! tiftischen italienischen Batrioten, au
Joseph Leroux, der französische Gelehrte und Demokrat, hat an das englische Parlamentsmitglied 28. R. Cremer, den Leiter des in London erscheinenden Arbitrator"( der Schiedsrichter") nachstehenden Brief geschrieben, der jetzt in Frankreich unter dem Titel„ Euere Nationalitäten" massenhaft verbreitet wird:
Mein lieber Cremer!
Mit dem lebhaftesten Interesse, verfolge ich allezeit bie Anstrengungen, welche gemacht werden, um für das Problem des Friedens eine Lösung zu finden. Ich sehe, daß man Ihnen in Rom , auf dem Interparlamentarischen Kongreß, das desorganisirende( auflösende und trennende) Prinzip der Nationalitäten als Knüppel zwischen die Beine geworfen hat, um die friedliche Arbeit vieler Jahre zu vernichten. Und es hat wirklich einige Störung in Ihren Reihen hervorgebracht.
Die Frage des Friedens ist, wie alle anderen Dinge, eine Frage der Organisation. Und wenn man ein desorganis firendes Prinzip in eine Organisation wirft, wie man es Ihnen gethan hat, dann ist es schwer, die Organisation ihren Swed erfüllen zu lassen und die Harmonie wieder herzustellen. Ich glaube nicht, daß die Männer, welche das Nationalitätenprinzip in den Friedenskongreß schleuderten, Freunde des Friedens sind, wenn sie auch an dem Interparlamentarischen Kongreß Theil genommen haben. Ich glaube aber, daß fie, mag ihre Absicht gewesen sein, welche sie will, uns und der Sache des Friedens durch ihr offenes Hervortreten einen Dienft ges leistet haben, indem sie zu einer Besprechung zwingen, die unferer Sache nur von Nugen sein kann. Denn das Argument der Nationalitäten ist keineswegs unwiderleglich; es steht im Gegentheil auf sehr schwachen Füßen und verträgt keine ernsthajte Kritit.
Wir wollen den Herren beweisen, daß die Nationalitäten nicht eine Schöpfung der Natur" find, sondern tünstliches Menschenwert. Wenn die menschlichen Wesen, männlichen und weiblichen Geschlechts, zur Welt kommen, werden sie als Menfchen geboren, nicht als Deutsche , Franzosen, Engländer oder Italiener. Die Nationalisten haben etwas gesucht, das ihre Nationalitäten fennzeichne, und sie haben ausgerufen: die Sprache ist's. Auch ein vecteufelt fadenscheiniges Argument! Wenn das menschliche Wesen geboren wird, spricht es teine Sprache mit Ziegen erzogen, würde es nur unartikulirte Laute hervorbringen.
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Kurz, die Nationalitäten sind auf sehr unsicherem und trügerischem Boden aufgebaut. Wenn die Natur Engländer, Deutsche , Italiener, Franzosen hervorbrächte, würde der Kampf zwischen ihnen vermuthlich so lange dauern, wie die Nationen jelber. Allein die Nationen sind, wie sich geschichtlich nachweisen läßt, fehr jungen Datums und das Werk menschlicher Thätigkeit. Die Natur bringt nur Menschen hervor, fennt nur die Menschheit. Und da wir Männer des Friedens nur der Natur folgen, so sind wir auch des Sieges gewiß.
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einem franzöfifchen Patrioten gemacht hätte ein folcher war Gambetta eine kleine Reise seiner Eltern in von Genua Italien nach Cahors in Frankreich , machte aus dem Italiener einen, was man so nennt, großen französischen Patrioten"; und was Herrn Hubbard anbelangt, den französischen Patrioten, so hätte er gerade so gut Italiener werden können, wie der aus Frankreich stammende General Pelloux, der jetzt Kriegsminister von Italien ist.*)
Diefe offenbaren, elementaren Thatsachen entschwinden fortwährend unserem Denken, weil wir das Kostüm, die Hülle für den Menschen nehmen und die Nationalitäten für eine feste Basis, obgleich sie nur durch die Zeit, die Umstände, die Interessen und den Zufall geschaffene Menschenanhäufungen ( agglomerations) sind.
Expedition: SW. 19, Benth- Straße 3.
Harmonie geben, denn Jeder hat seinen Mittelpunkt, sein Das heim, sein volles Jch und ist durch das gemeinsame Band, als Gleicher und Freier, mit all seinen Mitmenschen verbunden. Es ist die Schweizer Eidgenossenschaft , es sind die Ver einigten Staaten von Amerita ausgedehnt auf die ganze Menschheit.
So schnell sich diese einfache Abänderung der jetzigen egoistischen, ausschließlichen, beschränkten, eifersüchtigen, haßvollen Nationalitäten verwirklicht, wird auch die Quelle des internationalen Haders verschwinden und der Krieg aus gerottet sein.
Einer der größten Denker dieses Jahrhunderts, Pierre Leroux , hat diese Wahrheit in den Worten ausgedrückt:
" Die Menschheit war thatsächlich vor den Nationen und sie wird nach ihnen sein; die Bestimmung der Nationen ist, die Menschheit zu begründen."
Und im Jahre 1827 verfündigte er in seiner schönen Arbeit über die Europäische Union" die Vereinigten Staaten von Europa .
Wir, die Freunde des Friedens, wir beantworten den Ruf der Hubbard, Imbriani und Genossen: die Nationalitäten! mit dem besseren Ruf: Verbrüderung der Völker, Völkerbund, Bund der Menschheit! Joseph Levoug.
Man nehme den ersten besten Säugling, in Frankreich von französischen Eltern geboren, und schicke ihn nach England. Welche Sprache wird das Kind sprechen? Englisch ; und heranwachsend wird es nicht nur die englische Haltung, sondern auch den englischen Geist, das englische Aussehen, die englische Art annehmen. Dasselbe ist natürlich der Fall mit einem in England von englischen Eltern geborenen Kind, das, ein Jahr alt, nach Paris unter Pariser gebracht, in Pariser Gesellschaft aufwächstes wird französisch sprechen und so pariserisch werden wie irgend ein Pariser . Wäre der große Patriot Dies der Brief, dessen Schreiber nur insofern irrt, als Déroulède, als er ein Jahr alt war, nach Berlin gekommen, er den Urquell des gesellschaftlichen Kriegszustandes in den dort bis zu feinem zwanzigsten Jahr unter Berlinern ge- Nationalitäten erblickt, statt in der wirthschaftlichen blieben und in preußischen Schulen erzogen worden er
spräche natürlich deutsch und wäre, seinen Anlagen gemäß, Spaltung der Menschen in zwei feindliche Klassen, Armeen spräche natürlich deutsch und wäre, seinen Anlagen gemäß, vermuthlich der chauvinistischste der preußischen Chauvinisten und Heerlager. Nicht edelherziger Menschheitstultus, einzig der Sozialismus wird den ewigen Frieden" und die
geworden.
Diese fo einleuchtenden, so augenfälligen Wahrheiten zeigen Berbrüderung aller Völker uns bringen. Nicht das Herz uns die Hinfälligkeit der sogenannten Nationalitätenlehre. Bilift her entscheidende Faktor, sondern die Nothwendig. werden alle als Menschen geboren als Männer oder feit, welche die Menschen zwingt, zu ihrer Rettung den Frauen alle als menschliche Wesen, und wir gehören alle Kapitalismus zu zertrümmern, der den Krieg in Bermanenz der Menschheit. Die Natur hat uns troß der individuellen bedeutet und die Menschen und Völker mit gegenseitigem Verschiedenheiten gleichartig und einartig gefchaffen. Die
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Jdee der brüderlich und schwesterlich in Friede und Liebe Haß erfüllt. Der ewige Friede" ist ein Luftschloß, bis bas geeinten menschlichen Gesellschaft, welche die gesaminte fiegreiche Proletariat ihm auf Erden ein Granitfundament Menschheit umfaßt, ist daher keine Utopie, sie entspricht der errichtet haben wird. Natur und ist folglich zu verwirklichen.
Polifische Mebericht.
Für uns verknüpft sich die Frage der Nationalität unlösbar mit der Frage des Kriegs. Die Nationalitäten, so wie sie heute bestehen, ausschließlich und getrennt, wie besondere, abgesonderte Welten, sind ein Uebel, sind ein Urquell des Uebels, sind die Ursache des Kriegs. Diese Form der menschlichen Gruppirung muß abgeändert werden. Die Nationen müssen dezentralisirt, Berlin , den 2. November. in jede Stadt, in jede Provinz muß selbständiges Leben eingeführt, überall müssen Mittelpunkte geinigen und materiellen Lebens Zur Wauwanpolitik. Einen frechen Schwindel der geschaffen werden. Man muß die Nation dezentralisiren und Reptilpreffe deckt die Freisinnige Zeitung" auf. Um den föderalisiren, so daß sie aus verbündeten, gleichberechtigten, deutschen Steuerzahlern bange zu machen, wurde in einem felbständigen Gruppen besteht, und dann muß man die ver der bekannten offiziösen Waschzettel ausgeführt, Frankreich schiedenen Nationen mit einander föderaliſiren, also: Bund sei militärisch so fürchterlich stark, daß es bei der Mobilder Gruppen in der Nation, Bund der Nationen, Bundes- machung nicht blos sofort 20 Armeekorps aufmarschiren Die Leutchen machen uns lachen mit ihrem festen Vergemeinschaft, Bundesautonomie( Selbstbestimmung im Bunde). lassen, sondern hinter diesen 20 ersten noch 20 weitere tranen in dieses samose Prinzip der Nationalitäten. Dieses Bundesverhältniß wird den Menschen Frieden und Armeekorps aufstellen könne. Die Die Freifinnige Zeitung" Herren Hubbard und Imbriani so durchdrungen von diesem " Prinzip", welches bewirkt, daß die verschiedenen Bruchtheile*) Hubbard's Vater war Engländer. Der Briefschreiber weist nun nach, daß Deutschland genau in derselben ( fractions) Europa's einander wie Porzellanhunde angloßen, hätte auch den ehemaligen deutschen Kriegsminister Berry du Lage ist. Die Kriegsmacht der anderen Staaten ge= und ein jeder eine Welt für sich und eine der andern feindliche Welt Vernon nennen können, der französischer Herkunft ist, und den wiffenlos übertreiben, die eigene Kriegsmacht verkleinernbilben sollten bedenten, er, Imbriani, daß der jegigen deutschen Reichskanzler, der von Abstammung alles mög- das ist jetzt Taktik der Reptilien. Die nämliche Taktik beigeringfügigste Bufall ihn, statt zu einem
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Feuilleton.
Madbrud verboten.)
irreden- liche sein faun, nur kein Deutscher.
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Roman von Guy de Maupassant . Nachdem sie das Bier ausgetrunken hatten, fragte der Journalist:„ Wollen wir noch eine Stunde lang
bummeln?"
Gewiß, ich bin dabei."
Und sie schlugen wieder die Richtung nach der Made
leine ein.
Red. d. V.
hören. So etwas Aehnliches hatte man ja früher bei Musard; aber es hatte so einen Nebengeschmack von Tanz bums, es war zu viel Tanzluft da, und es war nicht breit, nicht schattig, nicht düster genug. Ein sehr schöner, großer Garten müßte es sein. Es wäre herrlich Ja, wohin willst Du gehen?"
Duroy wußte zuerst nicht, was er sagen sollte. Schließ lich entschied er sich: Ich kenne die Folies- Bergère noch nicht. Ich würde ganz gern einmal hingehen."
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Die Folies Bergère ", rief sein Gefährte. Verdammt! Da kommen wir ja in einen wahren Backofen.... Na, meinetwegen! Es ist ja immer ganz luftig da."
Sie machten auf dem Fleck Kehrt, um die Rue du Faubourg- Montmartre zu erreichen.
Die hellerleuchtete Fassade des Etablissements warf ihr strahlendes Licht auf die vier Straßen, die auf sie zulaufen. Eine lange Reihe Droschten stand vor dem Eingang.
Forestier wollte eintreten. Duroy hielt ihn zurück. Wir müssen doch erst Billets nehmen!" Mit einer gewissen Wichtigkeit im Ton erwiderte sein Kamerad:
"
Wenn man mit mir geht, bezahlt man nicht."
Er ging an die Kontrolle, und die drei Kontrolleure grüßten ihn. Der Mittelste reichte ihm die Hand. Der
"
länfig, wie bei den berüchtigten Bismarck- Boulanger- Wahlen
Eeite des Theaters. Unaufhörlich stieg er in kleinen, weißlichen Fäden von all' den Zigarren und Zigaretten all dieser Raucher empor, vereinigte sich zu feinem Dunst, sammelte sich an der Decke an und bildete unter ihrer breiten Wölbung um den Kronleuchter herum uns über dem erften mit Zuschauern dicht befehten Nang einen Himmel von Rauchwolfen.
Sie waren in den weiten Korridor getreten, der zum Rundgang führt. E3 wimmelte dort von geputzten Dämchen, die in dem dunklen Männerstrom vergnügt herumplätscherten. Einige von ihnen warteten auf frische Ankömmlinge und standen vor einem der drei Büffets, hinter denen geschminkte und verblichene Frauenzimmer Er frischungen feilboten. In den hohen Spiegeln hinter ihnen tauchten ihre Rücken und die Gesichter der Vorübergehenden hervor.
Wie ein Mann, der Anspruch auf Beachtung hat, ging Forestier rasch durch die Gruppen hindurch.
Er trat an eine Logenschließerin heran und sagte:„ Die siebzehnte!"
Bitte! hier, mein Herr."
Sie wurden in einen kleinen, offenen Holzkasten, der roth tapeziert war, eingesperrt. Vier Stühle von derselben Farbe standen darin, so dicht beieinander, daß man sich kaum
durchzwängen konnte.
" Was beginnen wir nun?" fragte Forestier. Es heißt zwar, in Paris findet man immer Unterhaltung," es ist aber nicht wahr. Wenn ich am Abend bummeln will, weiß ich nicht, wohin ich gehen soll. Im Bois spazieren gehen, macht nur mit einer Frau Spaß, und man hat nicht immer eine bei der Hand. Jus Konzert mag mein Apotheker mit seiner Frau laufen, für mich ist das nichts. So einen Sommergarten, wie den Park Monceau etwa, Journalist fragte: geben. Er müßte die Nacht über offen sein und man sollte bei guter Musik unter den Bäumen figen bummeln tönnen. Bobes Entree natürlich, um hübsche die Damen heranzuziehen. Man ginge unter elektrischem Licht im Saale. auf tiesbestreuten Alleen und könnte sich hinsehen, wo man Wie ein leichter Nebel verhüllte der Tabaksdampf die Trikots gekleidete Männer, ein großer, ein kleiner und ein wollte, um die Musik von weitem oder aus der Nähe zu entfernten Theile des Raumes, die Bühne und die andere
Haben Sie eine gute Loge?" Gewiß, gewiß, Herr Forestier."
Er nahm das Logenbillet, das man ihm reichte, stieß
gepolsterte, kupferbeschlagene Thür auf, und sie waren
Die beiden Freunde setzten sich. Rechts und links von ihnen zog sich in langer runder Linie eine Reihe ähnlicher Säften bis zur Bühne hin. Männer, wie sie, faßen darin,
aber nur Kopf und Bruſt waren sichtbar.
Auf der Bühne arbeiteten drei junge, in enganschließende
mittlerer, abwechselnd am' Neck.