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Nr. 221. 23. Jahrgang. 2. Beilage des Jomttf Kcrliaer Jlaltijlilntt. Sonnabend, 22. September 1906. Die Breslauer Polizeischlacht vor Gericht. (Telegrkphischer Bericht. Unber. Nachdr. verb.) ttg. Breslau  , 21. September. Vierter VerhandlungZtag. Die Verhandlung nahm heute früh bei unvermindertem An- drang des Publikums ihren Fortgang und zwar mit der Ver- nehmung der Entlastungszeugen. Ihre Zahl ist so groß, dah sich beim Aufruf der große Schwurgerichtssaal als zu klein erweist, der Vorsitzende läßt deshalb die Tür des benachbarten Beratungs- zimmers der Geschworenen öffnen, das sich ebenfalls rasch mit Zeugen füllt. Einer der fehlenden Angeklagten, namens Schuster, ist inzwischen aus dem Hospital entlassen worden. Staatsanwalt H e n s e l beantragt, ihn verantwortlich zu ver- nehmen und den geladenen Belastungszeugen gegenüberzustellen. Eine Verurteilung Schusters könne allerdings nicht erfolgen. Die Verteidiger widersprechen diesem Antrage. ES sei prozessual unzulässig, den Mann mitten in die Verhandlungen hin- einzuziehen. V o r f.: Auch ich bin dieser Ansicht. Der Staatsanwalt zieht hierauf seinen Antrag zurück. Ingenieur Schmidt von der Maschinenbauanstalt, der bekunden sollte, daß die Arbeiter nur ungern mit arbeiten aufhörten, ist von Breslau   verzogen. Staatsanwalt: Ich unterstelle als unwahr, daß die Arbeiter von den Unternehmern gezwungen wurden, die Arbeit niederzulegen. Vert. Hein: Einer der Angeklagten hat für Dienstag eine Gestellungsorder, vielleicht könnten wir ihn vom Erscheinen entbinden. Vors.: DaS ist nach der Strafprozeßordnung nur dann zulässig, wenn nach dem Ermessen des Gerichts nur eine Strafe von höchstens ö Wochen Gefängnis zu erwarten steht. Diesen Fall halte ich hier nicht gegeben. Staatsanwalt: Auch ich halte es für ganz ausgeschlossen, daß der Angeklagte weniger als K Wochen bekommt. In der fortgesetzten Zeugenvernehmung versuchen eine ganze Reihe Angeklagter einen Alibibeweis dahin zu führen, daß sie zu der fraglichen Zeit die Arbeitswilligen nicht hätten be- schimpfen können, weil sie sich zu Hause aufgehalten haben. Die hierfür von der Verteidigung geladenen Zeugen, meistens die Ehefrauen und andere Verwandten der Angeklagten bestätigen das, während die Arbeitswilligen bei ihrer Be- hauptung bleiben. An einen Entlastungszeugen, deren Aussagen übrigens meistens diametral den Aussagen der Arbeits. willigen gegenüberstehen, richtet ein Mitglied des Gerichtshofes die Frage, ob er mit zu den Ausgesperrten gehört habe. Zeuge: Jawohl. Vert. Hein: Aus der Tatsache, daß der Zeuge auch ausgesperrt war, kann man doch nicht folgern, daß er unglaubwürdig ist, so wären ja alle 4000 Ausgesperrten keine klassischen Zeugen. V o r f.: Ich habe die Glaublvürdigkeit dieses Zeugen gar nicht bezweifelt. Einer der Arbeitswilligen wurde wegen seiner großen GestaltElefant" genannt. Mehrere Zeugen bekunden, daß dies ein allgemeiner Spitzname sei, durch den sich niemand beleidigt fühle. Vors.: Da hat wohl jeder einen Spitznamen? Zeuge Drechsler: Jawohl. Vors.: Haben Sie auch einen? Zeuge: Jawohl, ich heißeZwickel". (Heiterkeit.) Ein anderer Arbeitswilliger soll nach der Be- kundung mehrerer Ausgesperrter eine höhnisches Lachen an sich haben, das nicht auszustehen sei.(Heiterkeit.) Zeuge M a j u n k e sagt aus, er habe sich einmal nicht mehr halten können und dem Zeugen wegen seines höhnischen Lachensein paar runter gehauen".(Heiterkeit.) Vors.: Da sind Sie wohl heute nicht gut aufeinander zu sprechen? Zeuge: O doch, wir sind ganz gute Freunde.(Allgemeine Heiterkeit.) Am Schluß der VormittagSsitzung ereignet sich dann noch ein recht heiteres Vorkommnis. Eine der beiden weiblichen An- geklagten erklärte, sie könne Nachmittag nicht mehr wiederkommen, da sie stündlich ihre Niederkunft erwarte. Vors.: Liebe Frau, halten Sie doch noch ein bißchen aus, sonst müssen wir noch einmal in aller Ausführlichkeit extra gegen Sie verhandeln. Die Angeklagte erklärte sich dann unter all- gemeiner Heiterkeit bereit, nachmittag wieder zu kommen mit dem Hinweis darauf, daß die zweite weibliche Angeklagte eine Hebe- amme sei. Zu Beginn der Nachmittagsitzung teilte Vert. W e i z m a n n mit, daß vier Arbeitswillige den Strafantrag wegen Beleidigung zurückgezogen hätten. Ein Angeklagter bemerkt, ihm sei sehr schlecht. Vors.: Was fehlt Ihnen denn? Angekl.: Ich möchte gern frische Luft schnappen. V o rs.: DaS möchten ja alle.(Heiterkeit.) Der nächste Zeuge. Bezirksleiter des MetallarbeiterverbandeS Schlegel, bemerkt einleitend, daß dkeMiSsperrung den Arbeitern äußerst überrascht kam. Er schildert dann in großen Zügen, wie Ende Februar dieses Jahres die Former und Gießer von Breslau   sich an ihre Arbeitgeber um Lohnerhöhung gewandt hätten und daß infolge der entgegen- kommenden Haltung der Unternehmer auf allen Betrieben bis auf einen eine Einigung erzielt wurde. Dieser eine war die Maschinen- bauanstalt Breslau  , für die Direktor Neumann jede Ver. Handlung mit den Arbeitern ablehnte. Auf ver- schiedene Schreiben, in denen um Unterhandlungen gebeten wurde, antwortete Neumann überhaupt nicht. Schließlich legten ISO Former der Maschinenbauanstalt die Arbeit nieder. Vor s.: Gehörten alle Arbeiter dem Metallarbeiterverbande an? Zeuge: Nein, auch dem Hirsch-Dunckerschen, dem Handels» und Transporta rbeiterlveriband und dem Fabrikarbeiterverband. Alle Arbeiter erklärten sich solidarisch. Vors.: Aber die ganze Be- lvegung ging vom Metallarbeiterverband aus? Zeuge: Ja­wohl. Vors.: Wann legten sie die Arbeit nieder? Zeuge: Am S. April. Zeuge erzählt weiter, daß am K. April eine Deputa- tion der Arbeiter sich zum Direktor Neumann begab, daß dieser aber erklärte, er könne und wolle nichts bewilligen. Die Arbeiter sollten erst die Arbeit wieder aufnehmen und dann lasse er mit sich reden. Die Leitung des Metall» arbeiterverbandeS gab darauf den Leuten den dringenden Rat, die Arbeit wieder auf- zunehmen und mit Direktor Neumann zu verhandeln. Die Arbeiter folgten aber der Weisung des Verbandes nicht, weil sie zu sehr erregt waren über die Nichtachtung, die Direktor Ncumann ihren Wünschen entgegengebracht hatte. Neumann stand auf dem Standpunkt, die Arbeiter wollten eine Machtprobe ver- anstaltcn. Das lag aber den Arbeitern durchaus fern. Am 12. April wurde dann die Aussperrung der Metallarbeiter Breslaus  Perfekt, da die Former und Gießer der Maschinenbauanstalt sich weigerten, die Arbeit zu den alten Bedingungen wieder auf- zunehmen. Staatsanwalt; Können Sie Auskunst darüber geben, ob für den Fall, daß der Streik bei der Maschinenbauanstalt beigelegt worden wäre, die Zentrale des Deutschen Metallarbeiter- Verbandes   beabsichtigte, mit neuen Forderungen für mtdere Metall- arbciter vorzugehen? Zeuge: Diese Absicht bestand nicht. Vert. Ma m r ot h: Wie war denn die Stimmung der Aus- gesperrten? Waren daS alles Leute, die gern gearbeitet hätten? Zeuge: Jawohl, die Leute klagten vielfach darüber, daß sie ausgesperrt seien. Vors.: Wie wollen Sie nun erklären, daß die Ausgesperrten in hellen Haufen nach dem Striegauer Platz zogen? Das kann doch nur geschehen sein, um diejenigen, die die Arbeit fortsetzten, zu ver- anlassen, auch die Arbeit niederzulegen. Zeuge: Ich kann das nur durch die allgemeine Aufregung erklären, die unter den Ausgesperrten herrschte. Besonders die Leute des Linkeschen Betriebes, um den es sich hier handelt, waren erregt, weil sie gar nicht von dem Formerstreik betroffen ivaren. Vors.: Was hat es denn aber für einen Zweck, die Arbeiter aufzureizen? Zeuge: Diese Ausscheitungen, die auch gar nicht ausschließlich von den Ausgesperrten begangen wurden, schreibe ich auf das Konto der Aufregung. Vors.: Sollte nicht die Absicht der Ausgesperrten gewesen sein, die Arbeitswilligen zu veranlassen, die Arbeit niederzulegen und damit den Betrieb lahm- zulegen? Zeuge: Das kann auch möglich sein. Vert. Simon: Der Vorsitzende warf gestern die Frage auf, weshalb die Arbeiter gerade um die siebente Abendstunde auf den Striegauer Platz zogen. Ich stelle hiermit unter Beweis, daß gerade um diese Zeit die Ausgesperrten von der Verbands leitung in der Nähe des Stricgauer Platzes kontrolliert wurden, die Arbeiter also nicht von vornherein die Absicht hatten, auf dem Platz zu demonstrieren. Bert. M a m r o t h: Ist es nicht möglich, daß die Leute mit ihren Beleidigungen mehr ihrem Aerger über die Be- vorzugung der anderen Arbeiter Ausdruck geben wollten, die sonst mit ihnen an einer Strippe zogen Zeuge: Auch das ist möglich. Vert. Mamroth: Die Erzwingung der Arbeits- niederlegung war also nicht der einzige Zweck dieses Vorgehens? Zeuge: Nein. Zeuge gibt noch an, daß im ganzen etwa 8000 Arbciter ausgesperrt waren und daß die Zahl der Arbeitswilligen sich insgesamt auf 2000 beließ Zeuge Anstreicher Scholz, der um 6% Uhr abends über den Striegauer Platz nach Haufe gehen wollte, wurde ohne jede Veranlassung von einem Schutzmann mit dem flachen Säbel über den Rücken geschlagen und trug infolgedessen eine Verletzung davon, die einen zwei- monatlichen Aufenthalt im Hospital nötig machte. Als er dam: aus dem Hospital herauskam, wurde er verhaftet. Vors.: Sie waren an dem Krawall nicht beteiligt? Zeuge: Nein. Vors.: Gehörten Sie zu den Aus- gesperrten? Zeuge: Ja. Vors.: Waren Sie im Metall- arbeiterverband organisiert? Zeuge: Nein, in der Ver­einigung der Maler und Tüncher. Vors.: Weshalb waren Sie ausgesperrt? Zeuge: Weil ich organisiert war. (Bewegung.) Ich habe den Meister gefragt, was gehen mich denn die Former an? Vors.: Das war sehr vernünftig von Ihnen. Was hat denn der Meister gesagt? Zeuge: E s sei von oben herab beschlossen worden, auszusperren. Vors.: Sie wollten also arbeiten? Zeuge: Ja, ich hatte besten Willen dazu. Der Vereidigung dieses Zeugen widerspricht der Staatsanwalt, weil er dringend der Teilnahme am Aufruhr verdächtig und nur außer Verfolgung gesetzt sei, weil nicht genügendes Beweismaterial gegen ihn vor- lieg«, nicht weil er unschuldig sei. Vors.: Ich mutz aber doch hervorheben, daß der Zeuge außer Verfolgung gesetzt ist. Vert. Simon ist für die Vereidigung. Trotzdem der Staatsanwalt sich die größte Mühe gegeben hat, alles Belastungsmaterial vor- zusuchen, hat er doch nicht soviel Material finden können, um den Verdacht gegen den Zeugen zu begründen. Er selbst hat beantragen müssen, ihn außer Verfolgung zu setzen. Der Zeuge wird ver- eidigt. Der nächste Zeuge ist der Tischler H i l l e r  , der am Abend des IS. April gegen 7 Uhr den Striegauer Platz passierte. Er hat von einem Schutzmann einen flachen Säbelhieb über den Kops und einen Säbelstich in die Schulter bekommen und mußte 14 Tage im Hospital zubringen. Vors.: Der Stich war wohl sehr kräftig? Zeuge: Jawohl. Vors.: Waren Sie am Krawall beteiligt? Zeuge: Nein. Staatsanwalt: Ist es nicht möglich, daß Sie den Stich durch ein Versehen des Schutzmanns erhalten haben und daß er Ihnen gar nicht gegolten hat? Zeuge: Das ist ausgeschlossen. Ich stand ganz allein und nach einer anderen Person konnte der Schutzmann gar nicht geschlagen haben. Ein Zeuge M a j u n k e will von dem Angeklagtenelender Lump",ver. fluchter Schweinehund" geschimpft und vom Rade gestoßen worden sein. Der in Frage kommende Angeklagte bestreitet das ent- schieden. V o rs.: Woran erkennen Sie denn den Angeklagten wieder? Zeuge: Am Wiederschen.(Heiterkeit.) Bors.: Erkennen Sie ihn denn ganz bestimmt? Zeuge: Wenn er nicht einen Bruder hat ist er es.(Sturmische Heiterkeit.) Zeuge Hoppe ist Mitglied des katholischen Arbeiter- v e r e i ns. Er hat gegen den Angeklagten Konietzki Strafantrag gestellt, weil dieser in den Ruf:Hoch lebe der katholische Arbeiter- verein!" ausgebrochen war. Vors.: Wie konnten Sic sich da- durch beleidigt fühlens Zeuge: Durch das höhnische Lächeln, mit dem Konietzki diesen Ruf begleitete. Vert. Mamroth: Wenn Sie sich dadurch beleidigt fühlten, warum haben Sie denn nicht gleich nach dem Vorgang Strafantrag gestellt, sondern erst nach 4 5 Wochen? Zeuge: Der Unterfuchungs- richtcr Firle hat gefragt, ob ich Strafantrag stellen wolle, und ich habe dann ja gesagt. Angeklagter Konietzki behautet, nicht gewußt zu haben, daß Hoppe Mitglied des katholischen Arbeiter» Vereins sei. Er konnte deshalb Hoppe gar nicht beleidigen. Zeuge Wenzel, Vorsitzender des kathosischcn Arbeitervereins, hat den Ruf und das höhnische Lächeln gehört und gesehen und auch, wie Konietzki den Hut schwang. Auch er faßte den Ruf als Beleidigung auf. Dem Zeugen Schäfer soll der An- geklagte Gerbert bei einer Unterredung, die den Zweck hatte, den Schäfer zum Eintritt in den Mctallarbciterverband zu bewegen, in« Gesicht gespien haben, als Schäfer sich weigerte. Der An­geklagte bestreitet das entschieden, Zeuge bleibt unter Berufung auf den Eid bei seiner Bekundung. V o rs.(zum Angeklagten): Wenn Sie es wirklich getan haben, so ist daS in der Tat viehisch. Sie sind auch schon so oft vorbestraft und deshalb sollten Sie lieber ruhig sein. Angekl. Gerbert behauptet, daß Schäfer jeden Abend betrunken gewesen sei, was jedoch Zeuge bestreitet. Morgen werden die Verhandlungen fortgesetzt. Hud Induftrie und ftondeh Klagen über Wagenmangel. Schon öfter ist betont worden, eine Vermehrung des Wagenparks der StaatSeisenbahnen sei dringend notwendig. Solcher Behauptung wird man nicht jede Berechtigung absprechen können. Doch immer wieder sind die Produktionsziffern in die Höhe gegangen und gut oder schlecht, der Verkehr wurde bewältigt. Vorher war aber immer schon gesagt worden, die Eiscnbahnverwattung sei an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit aii' gelangt. Recht energisch ist dann auch gefordert worden, die Ber- waltung solle mit größeren Aufträgen herauskommen. Da die Werke, wie stets versichert wird, auf Monate hinaus mit Aufträgen überreich versehen sind, würde die Fertigstellung von Wagen aber noch weit hinausgeschoben werden müssen. ES scheint bei den Klagen nicht der untergeordnete Faktor zu sein, die äugen- blicklichen Rekordpreise zu erzielen I In der Werkspresse gehen übrigens zwei Klagen neben einander her. die nicht recht zusammen harmonieren. Einmal wird geklagt, der Mangel an Arbeitern gestatte nicht die volle Ausnutzung der Konjunktur; dann wieder wird behauptet, der Mangel an Eisen- bahnwagen behindere die volle Ausnutzung der Produktionsmöglich- leiten. Wir halten e« für richtig, daß natürlich für genügende Be- friedigung der BerlehrSansprüche gesorgt wird, daß also Staat und Kommunen während der Hochkonjmiktur mit nicht ganz dringenden Aufträgen zurückhalten. Wenn die Konjunktur abflaut, dann soll mau nach Möglichkeit Arbeiten vergeben. Aber das geschieht in der Regel nicht. Staat und Kommunen glauben gerade so spekulieren zu müssen, Ivie daS Privatkapital, das nur dann unternehiuungs- lustig ist, wenn die augenblickliche Marktlage eine gute Rentabilität der Anlagen verspricht. Heringsfischerci. Auch die Heringsfischerei ist ein Großbetrieb geworden. Aber nicht zum Vorteil der Konsumenten. Die wenigen großen Gesellschaften halten die Preise, sie treiben sie in die Höhe, obwohl der Fang im großen doch wohl lohnender ist, als der Klein- betrieb. Die Emdener Gesellschaften klagen über großen Verlust an Netzen durch Stürme und für das letzte Jahr über verminderten Fang gegenüber 1904/08. Trotzdem kann die Emdener Herings- fischerei Aktien- Gesellschaft 14 Prozent Dividende verteilen; dafür sind aber auch die Preise von 23.64 M. pro Tonne im Vorjahre auf 33 M. hinaufgegangen. Deutschlands   Roheiscuproduktion. Nach den Ermittelungen des Vereins deutscher Eisen- und Stahlinduftrieller betrug die Erzeugung von Roheisen im August 1906 in Deutschland   insgesamt 1064 98/ Tonnen. In den Vorjahren ergaben sich für August folgende Ziffern: 1900: 730 144. 1901: 643 321, 1902: 736 836. 1903: 878 829, 1904: 881 681, 1903: 983 780 Tonneu. In den ersten acht Monaten 1906 beträgt die Erzeugung von Roheisen insgesaint 8 179 340 Tonnen gegen 7 009 316 Tonnen in der gleichen Zeit des Vorjahres. Flucht in die IV. Klasse. Ueber die Wirkungen der Fahrkarten- fteuer berichtet der Handelsvertragsverein:Mau kann jetzt schon konstatieren, daß die Bedenken, die seinerzeit im Reichstage und in der Kommission gemacht wurden, nur allzu begründet waren. So ist in Sachsen  , wo bereits die Eisenbahnstatistik für 1908 vorliegt, seit dem Inkrafttreten der Steuer(1. August d. I.) eine förmliche Flucht der Reisenden aus den höheren in die niederen Klassen, ins­besondere aus der III. in die IV. Klasse eingetreten, so daß die Eisenbahnverwaltung infolge Mangels an Wagen IV. Klasse gar nicht in der Lage ist, alle Reisenden mit Fahrkarte IV. Klasse auch in dieser zu befördern. Die Eisenbahn- Verwaltung selber flüchtet sich mit einer Darlegung dieser Kalamität in die konservative Presse, in der ziffernmäßig die exorbitante Zunahme des Verkehrs in der IV. Klasse nachgewiesen wird. In den Jahren von 1898 bis 1908 ist die Zahl der verkauften Fahrkarten IV. Klasse von 13,8 Mille auf 23,8 Mille gestiegen; sie hat also vom Verkehrszuwachs den allergrößten Teil, beinahe 90 Proz. au sich gezogen. Abgesehen von dieser Masseninvasion in die IV. Klasse, ist aber ganz allgemein seit dem 1. August ein Rückgang deS Per- kehrs bemerkbar, der sicher noch weit größere Dimensionen an- nehmen wird, sobald die neue Personentarifreform. die eine weitere Verteuerung des Reifens mit sich bringt, in Kraft gesetzt sein wird. Aehnliche Nachrichten laufen aus dem Eisenbahndirektionsbezirk Erfurt   ein. Dort hat die Mindereinnahme aus dem Personenverkehr im Eiscnbahndireltionsbczirk Erfurt   in der ersten Hälfte des August d. I. gegen den gleichen Zeitraum des Vorjahres ungefähr mindestens das Dreifache der erzielten Fahrkartenstcuer betragen, waS nur auf Benutzung der niederen Wagenklassen zurückzuführen ist. Wie ferner ein Thüringer   Blatt meldet, werden Fahrkarten I. Klasse fast nicht mehr verlangt, und der internationale Verkehr weist bedenkliche Lücken auf. Eine der schwersten Folgen ist die, daß die Einzelstaaten die Fahrkartensteuer indirekt durch den Ein- nahmeausfall bezahlen. Und den dürften die meisten thüringischen Kleinstaaten bei dem permanenten Geldmangel am wenigsten ver- tragen könne». DaS Publikum wird die Verteuerung um so schmerzlicher empfinden, als andere Staaten, wie Belgien  . Italien  , Frankreich  umgekehrt eine Herabsetzung ihrer Eisenbahntarife planen oder sie schon vollzogen haben. Deutschland   in der Welt voran!" Die größte Ladung Gold, die jemals von Europa   nach Amerika  ging, kam am Mittwoch in New Uork mit dem DampferCarmania" von der Cunard-Linie an. 10 328 800 Dollar in Gold   brachte der Dampfer, um damit den gedrückten New Uorker Geldmarkt zu heben. Eine Wache von drei Mann, die alle sechs Stunden abgelöst wurden, mußte den Schatz während der Reise hüten. Gleich noch Ankunft des Dampfers wurde da« Gold verladen und unter Bedeckung von Schlverbewaffneten feinem Bestimmungsort zugeführt. Finanzielles aus Rußland  . Die Regierung hat eingestanden, daß sie die zuletzt emittierten 80 Millionen Rubel Staatsrente den Sparkassen aufgezwungen hat. DieTorgowo- Promyschlennaja Gazeta", Organ des Fiuauzministeriums, hat eS erklärt. Es rst aber nicht anzunehmen, daß in den Sparkassen so viel Bargeld vor- Händen gewesen sei. Zweifellos mußten sie irgendwelche Papiere verlaufen, um an deren Stelle die neuemittierte Staarsrente zu übernehmen. Welche Papiere verkauft worden sind, und welche Verluste die Sparkassen tragen mußten, darüber schweigt sich die Regierung wohlweislich aus. Auf die Aufforderung der Presse, die Bilanz der Sparkassen mit dem Verzeichnis der ihnen gehörenden Papiere zu veröffentlichen, ant- worlcte das Ministerium, daß diese Bilanz am Ende deS Jahres veröffentlicht wird In der Tat ist die zuletzt veröffentlichte Bilanz die von 1904(Rjeffch", 14. September). Wenn der Deponent sich über seine Ersparnisse beunruhigt, so wird ihm ein Bericht darüber, was vor zwei Jahren mit seinem Gelde geschehen ist, schwerlich ge« nligen. Unterdessen streckt die Regierung ihre Krallen nach den Sparpfennigen der Masse aus, und im Dunkel des Amtsgeheimnisses verfügt sie vorüber nach Belieben. Kolossale Bodenmobilisation. Ueber den Umfang der Staats- ländereien, die zum Verkauf an die Bauern gelangen werden, hat sich die Regierung ausgesprochen. Sie hat bekannt gemacht, daß zirka 4 Millionen Deßjätincs Ackerland, das bisher verpachtet wunde, und zirka 3 Millionen DcßjätineS Wald(insgesamt 7 Mil- lionen DeßjätineS) den Bauern verkauft werden sollen. Ferner sind noch 2 Millionen DcßjätineS Apanageländereien zum Verkauf bestimmt worden. Die Banerubank hat in den letzten Monaten von den Edellcuten zirka 3 Millionen Deßjätincs erworben. So'ge- langen insgesamt auf den Ländcrmarkt 12 Millionen Deßjätincs! Es ist dies, wie Golubew imTowarisch" nachweist, eine kolossale Bodenmobilisation, der Anfang einer Umwälzung in den Eigen- tumsverhältnisseu auf dem Lande. Der Zweck der Regierung ist klar, sie will für ihre Ländereien Geld bekommen, während das Agrarprogramm nicht nur der linksstehenden, sondern auch der liberalen Parteien die kostenlose Enteignung der Apanage- und Staatsländereien verlangt; sie will eine Masse bäuerlicher Kleinbesitzer ins Leben rufen, welche eine konservative Macht bilden sollen. Indem sie über diese Länder- masse vorzeitig verfügt, durchkreuzt sie die Pläne der linksstehenden und liberalen Parteien, welche die gan�e Bodenreform planmäßig nach einem bestimmten Entwurf durchführen wollen. Die Staatsländereien, die zum Verkauf gelangen, werden auch jetzt, insofern sie Ackerland sind, von den Bauern benutzt, näm- lich als Pachtgrundstücke. DaS von den Bauern gepachtete Land soll durch Kauf zu ihrem Eigentum werden. Zweifellos sind diese Grundstücke den Pächtern meistens notwendig; um daS von ihnen benutzte Land nicht zu verlieren, werden sie gezwungen fein, es zu kaufen. Wahrscheinlich aber wird ihnen ein kleineres Areal verkauft werden, als sie es jetzt pachten; eS wird ein Ueberfchuß an Land bleiben, der für Ueberfiedelung benutzt werden kann. Es ist bemerkenswert, daß die Gouvernements, wo die zum Verkauf gelangenden Staatsländereien liegen, gerade diejenigen sind, wo am wenigsten Landmangel herrscht, und daß dort,