Nr. 221. 23. Jahrgang.2. Beilage des Jomttf Kcrliaer Jlaltijlilntt.Sonnabend, 22. September 1906.Die Breslauer Polizeischlachtvor Gericht.(Telegrkphischer Bericht.— Unber. Nachdr. verb.)ttg. Breslau, 21. September.Vierter VerhandlungZtag.Die Verhandlung nahm heute früh bei unvermindertem An-drang des Publikums ihren Fortgang und zwar mit der Ver-nehmung der Entlastungszeugen. Ihre Zahl ist so groß, dah sichbeim Aufruf der große Schwurgerichtssaal als zu klein erweist,der Vorsitzende läßt deshalb die Tür des benachbarten Beratungs-zimmers der Geschworenen öffnen, das sich ebenfalls rasch mitZeugen füllt. Einer der fehlenden Angeklagten, namensSchuster, ist inzwischen aus dem Hospital entlassen worden.— Staatsanwalt H e n s e l beantragt, ihn verantwortlich zu ver-nehmen und den geladenen Belastungszeugen gegenüberzustellen.Eine Verurteilung Schusters könne allerdings nicht erfolgen.—Die Verteidiger widersprechen diesem Antrage. ES seiprozessual unzulässig, den Mann mitten in die Verhandlungen hin-einzuziehen.— V o r f.: Auch ich bin dieser Ansicht.— DerStaatsanwalt zieht hierauf seinen Antrag zurück.—Ingenieur Schmidt von der Maschinenbauanstalt, der bekundensollte, daß die Arbeiter nur ungern mit arbeiten aufhörten, istvon Breslau verzogen.— Staatsanwalt: Ich unterstelleals unwahr, daß die Arbeiter von den Unternehmern gezwungenwurden, die Arbeit niederzulegen.— Vert. Hein: Einer derAngeklagten hat für Dienstag eine Gestellungsorder, vielleichtkönnten wir ihn vom Erscheinen entbinden.— Vors.: DaS istnach der Strafprozeßordnung nur dann zulässig, wenn nach demErmessen des Gerichts nur eine Strafe von höchstens ö WochenGefängnis zu erwarten steht.Diesen Fall halte ich hier nicht gegeben.— Staatsanwalt: Auch ich halte es für ganz ausgeschlossen,daß der Angeklagte weniger als K Wochen bekommt.In der fortgesetzten Zeugenvernehmung versuchen eine ganzeReihe Angeklagter einen Alibibeweis dahin zu führen, daßsie zu der fraglichen Zeit die Arbeitswilligen nicht hätten be-schimpfen können, weil sie sich zu Hause aufgehaltenhaben. Die hierfür von der Verteidigung geladenen Zeugen,meistens die Ehefrauen und andere Verwandten der Angeklagtenbestätigen das, während die Arbeitswilligen bei ihrer Be-hauptung bleiben.An einen Entlastungszeugen, deren Aussagen übrigensmeistens diametral den Aussagen der Arbeits.willigen gegenüberstehen, richtet ein Mitglied desGerichtshofes die Frage, ob er mit zu den Ausgesperrten gehörthabe.— Zeuge: Jawohl.— Vert. Hein: Aus der Tatsache,daß der Zeuge auch ausgesperrt war, kann man doch nicht folgern,daß er unglaubwürdig ist, so wären ja alle 4000 Ausgesperrten keineklassischen Zeugen.— V o r f.: Ich habe die Glaublvürdigkeit diesesZeugen gar nicht bezweifelt.— Einer der Arbeitswilligen wurdewegen seiner großen Gestalt„Elefant" genannt. Mehrere Zeugenbekunden, daß dies ein allgemeiner Spitzname sei, durch den sichniemand beleidigt fühle.— Vors.: Da hat wohl jeder einenSpitznamen?— Zeuge Drechsler: Jawohl.— Vors.: HabenSie auch einen?— Zeuge: Jawohl, ich heiße„Zwickel".(Heiterkeit.)— Ein anderer Arbeitswilliger soll nach der Be-kundung mehrerer Ausgesperrter eine höhnisches Lachen an sichhaben, das nicht auszustehen sei.(Heiterkeit.)— ZeugeM a j u n k e sagt aus, er habe sich einmal nicht mehr haltenkönnen und dem Zeugen wegen seines höhnischen Lachens„einpaar runter gehauen".(Heiterkeit.)— Vors.: Da sind Sie wohlheute nicht gut aufeinander zu sprechen?— Zeuge: O doch,wir sind ganz gute Freunde.(Allgemeine Heiterkeit.)— Am Schluß der VormittagSsitzung ereignet sich dann noch einrecht heiteres Vorkommnis. Eine der beiden weiblichen An-geklagten erklärte, sie könne Nachmittag nicht mehr wiederkommen,da sie stündlich ihre Niederkunft erwarte.— Vors.:Liebe Frau, halten Sie doch noch ein bißchen aus,sonst müssen wir noch einmal in aller Ausführlichkeit extra gegenSie verhandeln.— Die Angeklagte erklärte sich dann unter all-gemeiner Heiterkeit bereit, nachmittag wieder zu kommen mit demHinweis darauf, daß die zweite weibliche Angeklagte eine Hebe-amme sei.Zu Beginn der Nachmittagsitzung teilte Vert. W e i z m a n nmit, daß vier Arbeitswillige den Strafantrag wegen Beleidigungzurückgezogen hätten.— Ein Angeklagter bemerkt, ihm sei sehrschlecht.— Vors.: Was fehlt Ihnen denn?— Angekl.: Ichmöchte gern frische Luft schnappen.— V o rs.: DaS möchten jaalle.(Heiterkeit.)Der nächste Zeuge. Bezirksleiter des MetallarbeiterverbandeSSchlegel, bemerkt einleitend, daß dkeMiSsperrung den Arbeiternäußerst überrascht kam.Er schildert dann in großen Zügen, wie Ende Februar dieses Jahresdie Former und Gießer von Breslau sich an ihre Arbeitgeber umLohnerhöhung gewandt hätten und daß infolge der entgegen-kommenden Haltung der Unternehmer auf allen Betrieben bis aufeinen eine Einigung erzielt wurde. Dieser eine war die Maschinen-bauanstalt Breslau, für die Direktor Neumann jede Ver.Handlung mit den Arbeitern ablehnte. Auf ver-schiedene Schreiben, in denen um Unterhandlungen gebeten wurde,antwortete Neumann überhaupt nicht. Schließlich legten ISOFormer der Maschinenbauanstalt die Arbeit nieder.— Vor s.:Gehörten alle Arbeiter dem Metallarbeiterverbande an?—Zeuge: Nein, auch dem Hirsch-Dunckerschen, dem Handels» undTransporta rbeiterlveriband und dem Fabrikarbeiterverband. AlleArbeiter erklärten sich solidarisch.— Vors.: Aber die ganze Be-lvegung ging vom Metallarbeiterverband aus?— Zeuge: Jawohl.— Vors.: Wann legten sie die Arbeit nieder?— Zeuge:Am S. April. Zeuge erzählt weiter, daß am K. April eine Deputa-tion der Arbeiter sich zum Direktor Neumann begab, daß dieseraber erklärte,er könne und wolle nichts bewilligen.Die Arbeiter sollten erst die Arbeit wieder aufnehmen und dannlasse er mit sich reden. Die Leitung des Metall»arbeiterverbandeS gab darauf den Leuten dendringenden Rat, die Arbeit wieder auf-zunehmen und mit Direktor Neumann zu verhandeln. DieArbeiter folgten aber der Weisung des Verbandes nicht, weil siezu sehr erregt waren über die Nichtachtung, die DirektorNcumann ihren Wünschen entgegengebracht hatte. Neumann standauf dem Standpunkt, die Arbeiter wollten eine Machtprobe ver-anstaltcn. Das lag aber den Arbeitern durchaus fern. Am12. April wurde dann die Aussperrung der Metallarbeiter BreslausPerfekt, da die Former und Gießer der Maschinenbauanstalt sichweigerten, die Arbeit zu den alten Bedingungen wieder auf-zunehmen.— Staatsanwalt; Können Sie Auskunst darübergeben, ob für den Fall, daß der Streik bei der Maschinenbauanstaltbeigelegt worden wäre, die Zentrale des Deutschen Metallarbeiter-Verbandes beabsichtigte, mit neuen Forderungen für mtdere Metall-arbciter vorzugehen?— Zeuge: Diese Absicht bestand nicht.—Vert. Ma m r ot h: Wie war denn die Stimmung der Aus-gesperrten? Waren daS alles Leute, die gern gearbeitet hätten?—Zeuge: Jawohl, die Leute klagten vielfachdarüber, daß sie ausgesperrt seien.— Vors.:Wie wollen Sie nun erklären, daß die Ausgesperrten in hellenHaufen nach dem Striegauer Platz zogen? Das kann doch nurgeschehen sein, um diejenigen, die die Arbeit fortsetzten, zu ver-anlassen, auch die Arbeit niederzulegen.— Zeuge: Ich kann dasnur durch die allgemeine Aufregung erklären, die unterden Ausgesperrten herrschte. Besonders die Leute des LinkeschenBetriebes, um den es sich hier handelt, waren erregt, weil sie garnicht von dem Formerstreik betroffen ivaren.— Vors.: Was hates denn aber für einen Zweck, die Arbeiter aufzureizen?—Zeuge: Diese Ausscheitungen, die auch gar nicht ausschließlichvon den Ausgesperrten begangen wurden, schreibe ich auf dasKonto der Aufregung.— Vors.: Sollte nicht die Absicht derAusgesperrten gewesen sein, die Arbeitswilligen zu veranlassen,die Arbeit niederzulegen und damit den Betrieb lahm-zulegen?— Zeuge: Das kann auch möglich sein.— Vert.Simon: Der Vorsitzende warf gestern die Frage auf, weshalbdie Arbeiter gerade um die siebente Abendstunde auf den StriegauerPlatz zogen. Ich stelle hiermit unter Beweis, daß gerade um dieseZeit die Ausgesperrten von der Verbands leitung in der Nähe desStricgauer Platzes kontrolliert wurden, die Arbeiter alsonicht von vornherein die Absicht hatten, auf dem Platz zudemonstrieren.— Bert. M a m r o t h: Ist es nicht möglich, daßdie Leute mit ihren Beleidigungen mehr ihrem Aerger über die Be-vorzugung der anderen Arbeiter Ausdruck geben wollten, die sonstmit ihnen an einer Strippe zogen— Zeuge: Auch das ist möglich.— Vert. Mamroth: Die Erzwingung der Arbeits-niederlegung war also nicht der einzigeZweck dieses Vorgehens?— Zeuge: Nein. Zeugegibt noch an, daß im ganzen etwa 8000 Arbciter ausgesperrt warenund daß die Zahl der Arbeitswilligen sich insgesamt auf 2000beließZeuge Anstreicher Scholz, der um 6% Uhr abends über denStriegauer Platz nach Haufe gehen wollte, wurde ohne jedeVeranlassung von einem Schutzmannmit dem flachen Säbel über den Rücken geschlagenund trug infolgedessen eine Verletzung davon, die einen zwei-monatlichen Aufenthalt im Hospital nötigmachte. Als er dam: aus dem Hospital herauskam, wurde erverhaftet.— Vors.: Sie waren an dem Krawall nicht beteiligt?— Zeuge: Nein.— Vors.: Gehörten Sie zu den Aus-gesperrten?— Zeuge: Ja.— Vors.: Waren Sie im Metall-arbeiterverband organisiert?— Zeuge: Nein, in der Vereinigung der Maler und Tüncher.— Vors.: Weshalb warenSie ausgesperrt?— Zeuge:Weil ich organisiert war.(Bewegung.) Ich habe den Meister gefragt, was gehen mich denndie Former an?— Vors.: Das war sehr vernünftig von Ihnen.Was hat denn der Meister gesagt?— Zeuge: E s sei vonoben herab beschlossen worden, auszusperren.— Vors.: Sie wollten also arbeiten?— Zeuge: Ja, ichhatte besten Willen dazu.— Der Vereidigung dieses Zeugenwiderspricht der Staatsanwalt, weil er dringendder Teilnahme am Aufruhr verdächtig und nur außer Verfolgunggesetzt sei, weil nicht genügendes Beweismaterial gegen ihn vor-lieg«, nicht weil er unschuldig sei. Vors.: Ich mutz aber dochhervorheben, daß der Zeuge außer Verfolgung gesetzt ist.— Vert.Simon ist für die Vereidigung. Trotzdem der Staatsanwalt sichdie größte Mühe gegeben hat, alles Belastungsmaterial vor-zusuchen, hat er doch nicht soviel Material finden können, um denVerdacht gegen den Zeugen zu begründen. Er selbst hat beantragenmüssen, ihn außer Verfolgung zu setzen.— Der Zeuge wird ver-eidigt.Der nächste Zeuge ist der Tischler H i l l e r, der am Abenddes IS. April gegen 7 Uhr den Striegauer Platz passierte. Erhat von einem Schutzmann einen flachen Säbelhieb über den Kopsund einen Säbelstich in die Schulter bekommen und mußte 14 Tageim Hospital zubringen.— Vors.: Der Stich war wohlsehr kräftig?— Zeuge: Jawohl.— Vors.: Waren Sie amKrawall beteiligt?— Zeuge: Nein.— Staatsanwalt: Istes nicht möglich, daß Sie den Stich durchein Versehen des Schutzmanns erhalten habenund daß er Ihnen gar nicht gegolten hat?— Zeuge: Das istausgeschlossen. Ich stand ganz allein und nach einer anderen Personkonnte der Schutzmann gar nicht geschlagen haben.— Ein ZeugeM a j u n k e will von dem Angeklagten„elender Lump",„ver.fluchter Schweinehund" geschimpft und vom Rade gestoßen wordensein. Der in Frage kommende Angeklagte bestreitet das ent-schieden.— V o rs.: Woran erkennen Sie denn den Angeklagtenwieder?— Zeuge: Am Wiederschen.(Heiterkeit.)— Bors.:Erkennen Sie ihn denn ganz bestimmt?— Zeuge: Wenn ernicht einen Bruder hat ist er es.(Sturmische Heiterkeit.)— ZeugeHoppe ist Mitglied des katholischen Arbeiter-v e r e i ns. Er hat gegen den Angeklagten Konietzki Strafantraggestellt, weil dieser in den Ruf:„Hoch lebe der katholische Arbeiter-verein!" ausgebrochen war.— Vors.: Wie konnten Sic sich da-durch beleidigt fühlens— Zeuge: Durch das höhnischeLächeln, mit dem Konietzki diesen Ruf begleitete.— Vert.Mamroth: Wenn Sie sich dadurch beleidigt fühlten, warumhaben Sie denn nicht gleich nach dem Vorgang Strafantrag gestellt,sondern erst nach 4— 5 Wochen?— Zeuge: Der Unterfuchungs-richtcr Firle hat gefragt, ob ich Strafantrag stellen wolle, und ichhabe dann ja gesagt.— Angeklagter Konietzki behautet, nichtgewußt zu haben, daß Hoppe Mitglied des katholischen Arbeiter»Vereins sei. Er konnte deshalb Hoppe gar nicht beleidigen.—Zeuge Wenzel, Vorsitzender des kathosischcn Arbeitervereins,hat den Ruf und das höhnische Lächeln gehört und gesehen undauch, wie Konietzki den Hut schwang. Auch er faßte denRuf als Beleidigung auf.— Dem Zeugen Schäfer soll der An-geklagte Gerbert bei einer Unterredung, die den Zweck hatte, denSchäfer zum Eintritt in den Mctallarbciterverband zu bewegen,in« Gesicht gespien haben, als Schäfer sich weigerte.— Der Angeklagte bestreitet das entschieden, Zeuge bleibt unter Berufungauf den Eid bei seiner Bekundung.— V o rs.(zum Angeklagten):Wenn Sie es wirklich getan haben, so ist daS in der Tat viehisch.Sie sind auch schon so oft vorbestraft und deshalb sollten Sielieber ruhig sein.— Angekl. Gerbert behauptet, daß Schäferjeden Abend betrunken gewesen sei, was jedochZeuge bestreitet.Morgen werden die Verhandlungen fortgesetzt.Hud Induftrie und ftondehKlagen über Wagenmangel. Schon öfter ist betont worden, eineVermehrung des Wagenparks der StaatSeisenbahnen sei dringendnotwendig. Solcher Behauptung wird man nicht jede Berechtigungabsprechen können. Doch immer wieder sind die Produktionsziffernin die Höhe gegangen und gut oder schlecht, der Verkehr wurdebewältigt. Vorher war aber immer schon gesagt worden, dieEiscnbahnverwattung sei an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit aii'gelangt. Recht energisch ist dann auch gefordert worden, die Ber-waltung solle mit größeren Aufträgen herauskommen. Da dieWerke, wie stets versichert wird, auf Monate hinaus mit Aufträgenüberreich versehen sind, würde die Fertigstellung von Wagen abernoch weit hinausgeschoben werden müssen. ES scheint bei denKlagen nicht der untergeordnete Faktor zu sein, die äugen-blicklichen Rekordpreise zu erzielen I In der Werkspressegehen übrigens zwei Klagen neben einander her. dienicht recht zusammen harmonieren. Einmal wird geklagt,der Mangel an Arbeitern gestatte nicht die volle Ausnutzung derKonjunktur; dann wieder wird behauptet, der Mangel an Eisen-bahnwagen behindere die volle Ausnutzung der Produktionsmöglich-leiten. Wir halten e« für richtig, daß natürlich für genügende Be-friedigung der BerlehrSansprüche gesorgt wird, daß also Staat undKommunen während der Hochkonjmiktur mit nicht ganz dringendenAufträgen zurückhalten. Wenn die Konjunktur abflaut, dann sollmau nach Möglichkeit Arbeiten vergeben. Aber das geschieht in derRegel nicht. Staat und Kommunen glauben gerade so spekulierenzu müssen, Ivie daS Privatkapital, das nur dann unternehiuungs-lustig ist, wenn die augenblickliche Marktlage eine gute Rentabilitätder Anlagen verspricht.Heringsfischerci. Auch die Heringsfischerei ist ein Großbetriebgeworden. Aber nicht zum Vorteil der Konsumenten. Die wenigengroßen Gesellschaften halten die Preise, sie treiben sie in die Höhe,obwohl der Fang im großen doch wohl lohnender ist, als der Klein-betrieb. Die Emdener Gesellschaften klagen über großen Verlustan Netzen durch Stürme und für das letzte Jahr über vermindertenFang gegenüber 1904/08. Trotzdem kann die Emdener Herings-fischerei Aktien- Gesellschaft 14 Prozent Dividende verteilen; dafürsind aber auch die Preise von 23.64 M. pro Tonne im Vorjahre auf33 M. hinaufgegangen.Deutschlands Roheiscuproduktion. Nach den Ermittelungen desVereins deutscher Eisen- und Stahlinduftrieller betrug die Erzeugungvon Roheisen im August 1906 in Deutschland insgesamt 1064 98/Tonnen.In den Vorjahren ergaben sich für August folgende Ziffern:1900: 730 144. 1901: 643 321, 1902: 736 836. 1903: 878 829, 1904:881 681, 1903: 983 780 Tonneu.In den ersten acht Monaten 1906 beträgt die Erzeugung vonRoheisen insgesaint 8 179 340 Tonnen gegen 7 009 316 Tonnen inder gleichen Zeit des Vorjahres.Flucht in die IV. Klasse. Ueber die Wirkungen der Fahrkarten-fteuer berichtet der Handelsvertragsverein:„Mau kann jetzt schonkonstatieren, daß die Bedenken, die seinerzeit im Reichstage und inder Kommission gemacht wurden, nur allzu begründet waren. Soist in Sachsen, wo bereits die Eisenbahnstatistik für 1908 vorliegt,seit dem Inkrafttreten der Steuer(1. August d. I.) eine förmlicheFlucht der Reisenden aus den höheren in die niederen Klassen, insbesondere aus der III. in die IV. Klasse eingetreten, so daß dieEisenbahnverwaltung infolge Mangels an Wagen IV. Klassegar nicht in der Lage ist, alle Reisenden mit FahrkarteIV. Klasse auch in dieser zu befördern. Die Eisenbahn-Verwaltung selber flüchtet sich mit einer Darlegung dieser Kalamitätin die konservative Presse, in der ziffernmäßig die exorbitanteZunahme des Verkehrs in der IV. Klasse nachgewiesen wird. In denJahren von 1898 bis 1908 ist die Zahl der verkauften FahrkartenIV. Klasse von 13,8 Mille auf 23,8 Mille gestiegen; sie hat alsovom Verkehrszuwachs den allergrößten Teil, beinahe 90 Proz. ausich gezogen. Abgesehen von dieser Masseninvasion in die IV. Klasse,ist aber ganz allgemein seit dem 1. August ein Rückgang deS Per-kehrs bemerkbar, der sicher noch weit größere Dimensionen an-nehmen wird, sobald die neue Personentarifreform. die eineweitere Verteuerung des Reifens mit sich bringt, in Kraft gesetztsein wird.Aehnliche Nachrichten laufen aus dem EisenbahndirektionsbezirkErfurt ein. Dort hat die Mindereinnahme aus dem Personenverkehrim Eiscnbahndireltionsbczirk Erfurt in der ersten Hälfte desAugust d. I. gegen den gleichen Zeitraum des Vorjahres ungefährmindestens das Dreifache der erzielten Fahrkartenstcuer betragen,waS nur auf Benutzung der niederen Wagenklassen zurückzuführenist. Wie ferner ein Thüringer Blatt meldet, werden FahrkartenI. Klasse fast nicht mehr verlangt, und der internationale Verkehrweist bedenkliche Lücken auf. Eine der schwersten Folgen ist die,daß die Einzelstaaten die Fahrkartensteuer indirekt durch den Ein-nahmeausfall bezahlen. Und den dürften die meisten thüringischenKleinstaaten bei dem permanenten Geldmangel am wenigsten ver-tragen könne».DaS Publikum wird die Verteuerung um so schmerzlicherempfinden, als andere Staaten, wie Belgien. Italien, Frankreichumgekehrt eine Herabsetzung ihrer Eisenbahntarife planen oder sieschon vollzogen haben. Deutschland in der Welt voran!"Die größte Ladung Gold, die jemals von Europa nach Amerikaging, kam am Mittwoch in New Uork mit dem Dampfer„Carmania"von der Cunard-Linie an. 10 328 800 Dollar in Gold brachte derDampfer, um damit den gedrückten New Uorker Geldmarkt zu heben.Eine Wache von drei Mann, die alle sechs Stunden abgelöst wurden,mußte den Schatz während der Reise hüten. Gleich noch Ankunftdes Dampfers wurde da« Gold verladen und unter Bedeckung vonSchlverbewaffneten feinem Bestimmungsort zugeführt.Finanzielles aus Rußland. Die Regierung hat eingestanden,daß sie die zuletzt emittierten 80 Millionen Rubel Staatsrente denSparkassen aufgezwungen hat. Die„Torgowo- PromyschlennajaGazeta", Organ des Fiuauzministeriums, hat eS erklärt. Es rstaber nicht anzunehmen, daß in den Sparkassen so viel Bargeld vor-Händen gewesen sei. Zweifellos mußten sie irgendwelche Papiereverlaufen, um an deren Stelle die neuemittierte Staarsrente zuübernehmen. Welche Papiere verkauft worden sind, und welcheVerluste die Sparkassen tragen mußten, darüber schweigtsich die Regierung wohlweislich aus. Auf die Aufforderungder Presse, die Bilanz der Sparkassen mit dem Verzeichnisder ihnen gehörenden Papiere zu veröffentlichen, ant-worlcte das Ministerium, daß diese Bilanz am Ende deS Jahresveröffentlicht wird In der Tat ist die zuletzt veröffentlichte Bilanzdie von 1904(„Rjeffch", 14. September). Wenn der Deponent sichüber seine Ersparnisse beunruhigt, so wird ihm ein Bericht darüber,was vor zwei Jahren mit seinem Gelde geschehen ist, schwerlich ge«nligen. Unterdessen streckt die Regierung ihre Krallen nach denSparpfennigen der Masse aus, und im Dunkel des Amtsgeheimnissesverfügt sie vorüber nach Belieben.Kolossale Bodenmobilisation. Ueber den Umfang der Staats-ländereien, die zum Verkauf an die Bauern gelangen werden, hatsich die Regierung ausgesprochen. Sie hat bekannt gemacht, daßzirka 4 Millionen Deßjätincs Ackerland, das bisher verpachtetwunde, und zirka 3 Millionen DcßjätineS Wald(insgesamt 7 Mil-lionen DeßjätineS) den Bauern verkauft werden sollen. Fernersind noch 2 Millionen DcßjätineS Apanageländereien zum Verkaufbestimmt worden. Die Banerubank hat in den letzten Monaten vonden Edellcuten zirka 3 Millionen Deßjätincs erworben. So'ge-langen insgesamt auf den Ländcrmarkt 12 Millionen Deßjätincs!Es ist dies, wie Golubew im„Towarisch" nachweist, eine kolossaleBodenmobilisation, der Anfang einer Umwälzung in den Eigen-tumsverhältnisseu auf dem Lande.Der Zweck der Regierung ist klar, sie will für ihre LändereienGeld bekommen, während das Agrarprogramm nicht nur derlinksstehenden, sondern auch der liberalen Parteien die kostenloseEnteignung der Apanage- und Staatsländereien verlangt; sie willeine Masse bäuerlicher Kleinbesitzer ins Leben rufen, welche einekonservative Macht bilden sollen. Indem sie über diese Länder-masse vorzeitig verfügt, durchkreuzt sie die Pläne der linksstehendenund liberalen Parteien, welche die gan�e Bodenreform planmäßignach einem bestimmten Entwurf durchführen wollen.Die Staatsländereien, die zum Verkauf gelangen, werdenauch jetzt, insofern sie Ackerland sind, von den Bauern benutzt, näm-lich als Pachtgrundstücke. DaS von den Bauern gepachtete Landsoll durch Kauf zu ihrem Eigentum werden. Zweifellos sind dieseGrundstücke den Pächtern meistens notwendig; um daS von ihnenbenutzte Land nicht zu verlieren, werden sie gezwungen fein, eszu kaufen. Wahrscheinlich aber wird ihnen ein kleineres Arealverkauft werden, als sie es jetzt pachten; eS wird ein Ueberfchuß anLand bleiben, der für Ueberfiedelung benutzt werden kann.Es ist bemerkenswert, daß die Gouvernements, wo die zumVerkauf gelangenden Staatsländereien liegen, gerade diejenigensind, wo am wenigsten Landmangel herrscht, und daß dort,