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Durch dieses Rundschreiben ist aufgeklärt, wie es kam, daß es auch in Fällen absoluter Schuldlosigkeit und bei aus- gezeichnetsten Verbindungen unmöglich war. Begnadigungen zu erlangen. Der Zar hat sich ja des Rechtes und der Pflicht begeben, selbst die furchtbarsten Ungeheuerlichkeiten der Feld- kriegsgerichte zu korrigieren. Diese Justizmorde werden sich an ihm und seinen Kreaturen noch einmal rächen! Taschen zu! DerNuss. Kurier" schreibt: I» den russische» Finanzkreise» kursiert boS   Gerücht, daß der tussische Finanzminister Kokoffzew seinen Posten verlassen und dann, von dem Zaren mit einer besonderen Mission betraut, sofort die geeigneten Schritte zur Realisierung einer größeren Anleihe ein- leiten wird.' DieSchwarze Bande" bei der Reinwaschung der Mörder von Sirdlce. Die russische Korrespondenz stellt uns die nachstehenden Aus- fuhrungen derNuskoje Snamia", des Organs der schwarzen Bande zur Verfügung: Wage nur die Negierung abzuleugnen, daß die Judcn�und die Revolutionäre dieser Tage aus dem Auslande kolosialc Summen für revolutionäre Zwecke erhalten haben. Das kann die Regierung nicht, denn das Geld ist zugeschickt worden und angekommen. Wir wissen das und haben Beweise dafür; und sollte der Fall eintreten, daß die Forderungen von Sliosberg und Günzburg   erfüllt wenden und die Siedlecer Juden vom Feldgericht befreit werden, dann wird die beleidigte russische Armee das Recht haben, zu glauben, daß revolutionäre Gelder nicht nur für Propaganda unter russischen Matrosen, sondern auch zur Bestechung von höheren Beamten Rustlands verwendet werden. Es wird ein jeder im Recht sein zu sagen, daß die Juden die Vertreterder Regie- rung bestochen haben. So bedenket denn, ihr Herren Minister, in welche Lage Ihr schließlich geratet, wenn Ihr statt mit den frechen Juden Sliosberg und Günzburg  . mit dem beleidigten russischen Offizierkorps zu tun haben werdet." Der Zweck dieser Ausführung ist vollständig klar. Da es akten- mäßig feststeht, daß in Siedlce   Revolutionäre   nicht vorhanden gc- Wesen sind, und da somit der Pogrom sich ganz gnverhüllt als eine barbarische Menschenschlächterei erweist, muß etwas geschehen, um die schuldigen Offiziere zu rechtfertigen. Der Weg, den die schwarze Bande eingeschlagen, ist der, daß die Verhafteten von Siedler, die tatsächlich unschuldig sinch durch die Feldkriegsgerichtc als schuldig verurteilt werden sollen. Dann ist der Beweis geliefert. daß die Offiziere in Siedlce   so handeln mutzten, wie sie gehandelt haben. Deshalb droht die schwarze Bande den Ministern mit dem Zorn der russischen Armee, und sucht die Minister als Bestochene der Juden hinzustellen. Ausfühungen dieser Art sind trotz der Zensur gestattet. Die Zensur existiert nur noch für die liberalen Blätter, nachdem alle weiter links stehenden Blätter bereits unter- drückt sind. Die Stimmung auf dem Laude. Aus dem Bezirke Gdow des Gouvernements Petersburg  wird der Petersburger ZeitungTowarischtj" geschrieben: Je mehr der Spätherbst herannaht, desto nervöser wird die Spannung der Bauern. Die Entrichtung der Steuern war auch früher ziemlich schwach; in der letzten Zeit werden sie aber vollkommen verweigert. Die durch die schlechten Agrar- Verhältnisse hervorgerufene Gärung ist besonders dort intensiv, wo sich Apanagenland befindet. Es empörte die Bauern, als sie in Erfahrung brachten, daß die Apanagen keine Steuern zu leisten verpflichtet sind und dabei große Preise für Heu, Bau- und Brennholz von den Bauern forderten. Infolgedessen herrscht zwischen den Bauern und den Angestellten der Apanagen ein gespanntes Verhältnis. Vorläufig hat der Kampf einen ökonomischen Charatter. Etwa vor einen, Jahre war es den Bauern ge- lungen, die damals auf den Apanagengütern geltenden Holz- preise um das Dreifache zu reduzieren. Damals gab die Apanagen-Verwaltung leicht nach, und die begonnene Gärung tvurde lahmgelegt. Jetzt ist die Spannung wieder da. Die Bauern schrecken sogar vor Tätlichkeiten nicht zurück einem Angestellten wurden die Fensterscheiben eingeworfen, dem anderen eine Heuscheune niedergebrannt.... Man be- obachtet in allen Dörfern eine ganz besondere Er- regung. Während der letzten zwei Jahre haben sich Stimmung und Ansichten der Bauern stark ver- ändert. Das Liedersingen und Witzemachen der Dorf- jugend ist dahin. Die Jungen wie die Alten denken energisch über ihre Lage nach. Gespräche über politische Angelegen- heiten sind eine alltägliche Erscheinung und zwar nicht nur auf den sogenannten Abendgesellschaften, sondern auch auf den Wolostjversammlungen. Die provinzielle ZeitungSewero-SaPadny-kraj" meldet, daß in den Dörfern des Bezirkes Bialystock   eine tiefe Gärung vor sich gehe. Die Bauern verüben Ueberfälle auf die Schnapsbuden und nehmen AbHolzungen privater Forsten vor. AuS dem Gouvernement Jaroslawl wird geschrieben, daß in den Bezirken Myschkin  , Mologa   und Uglitfch eine weit an- gelegte Agitation der extremen Parteien eingesetzt habe. In mehreren Dorfgemeinden weigern sich die Bauern, Steuern zu entrichten. Die Semstwo-Kassen sind leer. Besonders revolutionär gestimmt sind die Bauern des Bezirkes Mologa  . Die Lage dort ist so ernst, daß alle Semsky Natschalniki (Landeshauptleute) den Dienst aufgeben. Ein Stellvertreter eines solchen Semsky Natschalnik wurde durch Drohbriefe und beunruhigende Nachrichten aller Art geisteskrank und mußte ins Krankenhaus abgeführt werden. Verhaftungen und Haus- suchungen dauern fort. Aus den, Bezirke Simferopol   kommen Nachrichten von einer starken Gärung der Wolostj Saraimin. Man befürchtet, daß während der Rekrutenaushebung ernste Ereignisse sich ab- spielen könnten. Eine Revision der Reservisten, die in diesen Tagen vorgenommen werden sollte, ist plötzlich verschoben. Man stellt das in Zusammenhang mit der Gärung unter den Bauern. Im Gouvernement Smolensk kam es zu ernsten Aus- schreitungen. Es gibt Verwundete. Die Bauern sind gegen die Landwächter sehr ausgebracht." Aus Lodz  . Lodz  , 10. Oktober. Gestern wurde das Gefängnisgebäude in der Dlugastraße vom Militär stark bewacht und es wurden alle angrenzenden Straßen abgesperrt. Die Maßnahme regte die Be- völkerung sehr auf und allerlei unmögliche Gerüchte wurden sofort in Umlauf gesetzt. In Wirklichkeit fand im Gefängnis eine geheime Feldgerichtssitzung statt. Um 7 Uhr war das Stadtviertel von Pastanten geräumt und vier Kompagnien Infanterie hielten vor dem Gefängnis Posta. Inzwischen wuchs die Aufregung der Einwohner. Schon um 4 Uhr nachmittags legten die Arbeiter sämtlicher Fabriken die Arbeit nieder. Heute in aller Frühe wurden fünf Mann standrechtlich erschaffen. Die Verurteilten wurden unter starkem Militärschutz nach außerhalb der Stadt gebracht. Dort angelangt, kamen sie an eine kleine Wiese, wo bereits fünf Gruben ausgegraben standen. Punkt 5 Uhr 4S morgens tönte das Kam- mando und sofort knallten die Gewehrschüsse. Als der Arzt den Tod festgestellt hatte, legte man die Leichen in die Graben, über- schüttete"sie mit Sand und ebnete dann die Erde ganz glatt. Wer die Erschossenen find, ist unbekannt. Sie stammen nicht aus Lodz  und wurden vorgestern dorthin per Bahn gebracht. Sämtliche Fabriken stehen außer Betrieb, da die Arbeiter streiken. Der Straßen- bahnverkehr ist eingestellt. Das Gefängnis bleibt stark bewacht; das Feldgericht tagt dort weiter.(Franks. Ztg.) Lodz  , 12. Oktober. Die Behörden haben den hier herrschenden anarchischen Zusiänden nicht zu steuern verstanden. Der Streik dauert fort. Keine Zeitungen erscheinen.'Die Terroristen jagten alle Fleischer ans dem Schlachthause, es herrscht daher Fleisch- Mangel. Viele Einwohner Verlasien die Stadt. Ein Schutzmann wurde durch drei Unbekannte erschossen. Als der Oberst des Wladimirschen Infanterieregiments Obrutfchew Dzielna die Straße passierte, wurden vier Rcvolverschüsfe durch Unbekannte auf ihn ab- gefeuert. Das Attentat mißlang jedoch. Der Kriegsbezirk-Zchef hat den Befehl des Bezirksgouverneurs von Petrikau   veröffentlicht, dem- zufolge alle Industriellen, die ihren Arbeitern während des jetzigen Streiks Lohn bezahlen, 8000 Rubel bezahlen müssen oder mit drei Monaten Gefängnis bestraft werden. Derselbe Befehl erging an die Kaufmannschaft. Warschau  , 13. Oktober.  (Voss. Ztg.") Zu Lodz   ist der Aus st and zum Teil beendet. Bombenfunde. Tiflis  » 12. Oktober. Bei Durchsuchungen in zwei armenischen Kirchen in Schuscha   wurden im Altarraume 29 geladene Bomben. Gewehre, Patronen, Dolche und Säcke mit in Petroleum   getränkten Hobelspänen gefunden, die dazu bestimmt waren, die Kirche in Brand zu setzen. In einer anderen Kirche fand man 17 geladene Bomben. Drei Priester sowie mehrere Angestellte der Kirchen wurden verhaftet. poUrtlche Ucberfuht. Berlin  , den 13. Oktober. Grenzsperre und Fleischteuerung. DieKöln  . Volksztg." scheint bei ihrer Erörterung der Fleischteuerung nach dem Wahlspruch8uum cuique" zu ver­fahren. Nachdem sie in letzter Zeit zur Beschwichtigung ihrer Leserschaft in den Kreisen der Gewerbetreibenden und industriellen Arbeiter für eine Oeffnung der Grenzen unter Einführung der nötigen Sicherheitsmaßnahmen plädiert hat, bringt sie zur Abwechslung in ihrer Mittagsausgave vom 12. d. M. wieder einen für die Herren Landwirte bestimmten Artikel, der beweisen soll, daß die Grenzöffnung eigentlich gar keinen Zweck hat. Der Ruf nach einer ganzen oder teilweisen Oeffnung der Grenzen ist nun das einfachste und bequemste Mittel, um einen Sündenbock für die Teuerung zu haben. Zu einem sehr großen Teil aber handelt es sich lediglich um ein in der Politik geprägtes Schlagwort; die Volkswirtschaft selbst rechtfertigt dieses nicht. Einmal ist die Grenze nicht gegen die Einfuhr von fremdem Vieh gesperrt und sodann ist das Ausland selbst nicht in der Lage, uns erheblich mehr Vieh abzugeben; es ist bereits an der Grenze der Leistungsfähigkeit angelangt. Eine weite Oeffnung der Grenzen im allgemeinen bringt die Gefahr der Verseuchung des wertvollen deutschen   Viehbestandes mit sich. Millionen sind dann verloren und aus der Fleischteuerung entsteht eine Fleischnot. In weiten Kreisen ist man der Ansicht, daß unsere Grenze gegen jede Vieheinfuhr gesperrt sei; was aber total unrichtig ist. Die Statistik gibt über den Wert der Viehemsuhr nach Deutschland  folgendes Bild: 1902 1903 1904 190S �Jungvieh 21.6 Mill.M. 2S.7Mill.M. 24,4Mill.M. 31.9Mlll.M. * Kühe.. 39,2 41,5 34,6 42,1 Ochsen..34 46,7 50 43,2 Schweine 8,4 8,3 7.2 8,4., Dabei ist noch zu beachten, baß wir eine nicht unerhebliche Ausfuhr von Schafen aufzuweisen haben. Die Vieheinfuhr ist nun durch die neuen Handelsverträge nicht beschränkt worden; lediglich das Viehseuchenabkommen mit Oesterreich-Ungarn   gibt nur die Möglichkeit der Präventivsperre statt der bisherigen Sperre nach nachgewiesener Einschleppung der Seuche. Wie hat sich nun die Vieheinfuhr unter der Herrschaft des neuen Zolltarifes ge- staltet? Es liegen eben jetzt die neuesten monatlichen Nachweise vom August vor, die einen Rückblick über daS Halbjahr März- Angust 1906, also das erste Halbstjahr der neuen Handelsverträge, geben. Danach stellt sich in diesen, Zeitraum die Vieheinfuhr in Stückzahl und Schätzungswert folgendermaßen dar: Jungvieh 36 424 Stück im Werte von 12,6 Mill. M. Kühe... 31 430 18,12., Ochsen.. 30 618 17,75 Schweine. 46 465 5,67 Es ist nun zu beachten, daß wir im ersten Halbjahre 1906 gegenüber dem Borjahre eine kleine Ermäßigung der Fleischpreise verzeichnen konnten; jetzt erst setzt wieder eine Steigerung ein. Aber trotzdem ist die Vieheinfuhr unter der Herrschaft des neuen Zolltarifes nicht unter dem Durchschnitt der Einfuhr der vier vorhergehenden Jahre geblieben, sondern hält sich ganz genau an diewn. Weshalb liefert uns aber das Ausland nicht mehr Vieh, wenn die Preise bei uns so hoch sind? Weil es nichts mehr abzugeben hat; es steht an der Grenze seiner Leistungsfähigkeit, wie sich namentlich sehr deutlich aus der Einfuhr von Schweinen ergibt. Rußland   hatte unter der Herrschaft der alten Handelsverträge das Recht, jährlich 70 720 Stück Schweine nach Deutschland   einzuführen. Es nützte dieses Kon- tingent auch stets voll anS und führte von 1902 bis 1905 jährlich Schweine im Werte von 8.4 Millionen, 8,3 Millionen. 7,2 Mill. und 8,4 Mill. Mark Schweine ein. Seit 1. März 1906 aber hat Rußland   das Recht, jährlich 130 000 Stück Schweine über die Grenze zu führen. In der Zeit vom 1. März bis 31. August aber hat es nur 44 672 Stück eingeführt; in diesen sechs Monaten hätte es jedoch 65000 Stück einführen dürfen. Weshalb hat es sein Kontingent nur zu zwei Drittel ausgenützt? Weil es keine Schweine abgeben konnte. Der Handel würde sich dieses rentable Geschäft nicht entgehen lassen. Ein ganz ähnliches Bild zeigt sich in Oesterreich  ; dieses hatte früher gar kein Schweine- kontingent. Seit 1. März 1906 aber hat es das Recht der jährlichen Einfuhr von 80 600 Stück Schweinen. Es war jedoch nicht in der Lage, dieieS Recht voll auszunutzen. Vom 1. März bis 31. August 1906 führte es nur 1524 Stück ein. während es 40 000 Stück hätte einführen dürfen I Also auch hier keine Aus- füllung der Einfuhr, und doch ist der Viehhandel mit Oesterreich sehr gut organisiert I Das Nachbarland hat eben kein überflüssiges Vieh. Was kann uns also da eine Oeffimng der Grenzen nützen? Gar nichts; wohl aber viel schaden I Die von derKöln. Volksztg." erwähnten Ziffern sind zwar an und für sich richtig; nur beweisen sie nicht, was durch sie bewiesen werden soll. Gerade aus jenen Ländern, die vornehmlich in der Lage wären, uns mit dem fehlenden Schlachtvieh zu versorgen, ist nämlich die Einfuhr verboten. Rinder dürfen z. B. weder aus Holland   noch aus Rußland  eingeführt werden, und die Einfuhr aus Dänemark   darf nur über bestimmte Häfen unter Einhaltung lästiger, die Spesen enorm erhöhender Ouarantänevorschriften geschehen, während Schweine lediglich aus Oesterreich   und aus Rußland  eingeführt werden dürfen. und zwar aus Ruß- land nur in Oberschlesien  , nicht in andere deutsche Landesteile. Der Import aus Rußland   aber wird zurzeit durch die rcvolittionäre Gärung gehindert, während in Oesterreich   die Schivcinepreise infolge ungünstiger Futtermittel- ernten beträchtlich gestiegen sind. Dennoch würde sicherlich die Einfuhr ven dort einen viel höheren Stand erreicht haben, wenn nicht mit dem 1. März die Viehzölle um ein Mehrfaches erhöht worden wären. Daß nun hierin der Grund zu suchen ist, beweist die Tat- fache, daß die nicht in gleichem Maße beschränkte Fleischein-' fuhr zugenommen hat. Es wurden nämlich eingeführt: Rindfleisch: 1902: 1903: 1904: 1903: 17 000 Tonnen 15 000 Tonnen 17 300 Tonnen 26 900 Tonne» i. W. v. i. W. v. i. W. v. i. W. v. 13 Mill. M. 14,4 Mill. M. 16,4 Mill. M. 23.1 Mill. M. Schweinefleisch: 1902: 1903: 1904: 1905: 38 300 Tonnen 13300 Tonnen 10 600 Tonnen 27 000 Tonnen i. W. v. i. W. v. i. W. v. i. W. v. 40,7 Mill. M. 16,3 Mill. M. 10,1 Mill. M. 27.5 Mill. M. Seitdem ist die Fleischeinfuhr noch gestiegen, obgleich feit dem 1. März d. I. der Vertragszollsatz auf 27 Pf., der all- gemeine Zollsatz auf 45 Pf. pro Kilogramm erhöht worden ist. Die Einfuhr von Rindfleisch stellte sich z. B. im ersten Halbjahr 1906 bereits auf 13 600 Tonnen, die Einfuhr von Schweinefleisch(mit Einschluß von Schinken) aus 31000 Tonnen. Erbauliche Scharfmacherreden. H a l l e a. S.. 12. Oktober. Wegen Verletzung des Urheberrechtes war heute der Genosie Molkenbuhr, Redakteur desV o l k s b l a t t s", von der Straf-- kammer angeklagt, weil er den wesentlichen Inhalt einer Rede ohne Genehmigung des Autors nachgedruckt haben sollte. Am Abend des 19. Mai hatte der Maurermeister Lummert aus Hamburg  . Vorsitzender des dortigen Unternehmervcrbandes, hier vor etwa 60 bis 70 Arbeitgebern in den Kaisersälen eine Rede gehalten, in der er u. a. für eine kraftvoll einsetzende General- aussperrung der Bauarbeiter einttat. Redner mußte aber das Zugeständnis machen, daß sich die Heranziehung auswärtiger Arbetter bei Streiks nicht empfehle. Denn Ausländer(Italiener usw.) wären meistens schlechte Arbeiter, die viel verdürben und wenig leisteten. Ein Auszug jener Rede, die nicht flir die Oeffentlichkeit bestimmt war. erschien unter der Spitzmarke:Niedriger hängen; aus dem Hexenkessel des Unternehmerverbandes für das Baugewerbe" imVolksblatt". Herr Lummert und der Geschäftsführer des hiesigen Verbandes, dem das aufgenommene Protokoll auf der Straße verloren gegangen, nachher aber von unbekannter Seite wieder zugestellt worden war, stellten Strafantrag wegen un­erlaubten Nachdrucks. Redakteur Molkenbuhr erklärte, seinen Ge- währsmann, der ihm das Material zu dem Referat zu- gestellt habe, nicht nennen zu können. Den Abdruck des Auszuges der Rede habe er im Interesse der Arbeiterbewegung für notwendig gehalten. Staatsanwalt Schlutter meinte. daß es sich im vorliegenden Falle um eine ganz geheime Sache gehandelt habe. Die sozialdemokrattsche Partei habe in Beziehung auf Veröffentlichung von geheimen Sachen ein sehr weitesGewissen. Die Strafabmessung liege deshalb mehr auf dem rein moralischen Gebiete und es sei eine Geldstrafe von 1000 M. zu beantragen. Der Verteidiger Rechtsanwall Dr. Landsberg- Magdeburg entgegnete, der Staatsanwalt habe gar keinen Anlaß, im vorliegenden Falle die Moral so sehr zu be- tonen; auch die Unternehmer veröffentlichten geheime Dinge über die Gewerkschaften der Arbeiter, wenn sie ihre Positton dadurch stärken könnten. Jede Partei bringe geheime Sachen ans Tages- licht. Der Angeklagte sei freizusprechen. DaS Gericht stellte sich aber auf den Standpunkt des Staatsanwalts und verhängte eine Geldsttafe von 600 M. Der Gerichtssaal wird für manche Staatsanwälte und Richter immer mehr zu einer Arena, auf der sie gegen die Sozialdemokratte unrichtige Vorwürfe zu erheben sich berechtigt fühlen, nachdem der preußische Justizminister ein scharfes Borgehen gegen die Sozial- demokraten empfohlen hat. Man wird es der Staatsanwaltschaft nachfühlen können, weshalb sie sich zum Kampf gegen die Sozial- demolratie ein Kampffeld wählt, wo die von ihr ungerecht und beweislos angegriffene und verdächttgte Partei durch das Gesetz behindert ist sich zu verteidigen. Auch dem Hallenser Staats- anwalt wird der Grundsatz«Vorsicht ist der bessere Teil der Tapferkeit" für sein Privatleben und dazu sollte seine polittsche Betätigung gehören nicht passen. Wie wäre es. wenn er in einer sozialdemokratischen Versammlung, in der ihm volle Redefteiheit sicher ist, seine Anschauungen über Moral zur Diskusston stellt? Im Gerichtssaal, so meinte einmal ein biederer Oberttibunalsrat, sollte der Richter sich vor seinen, dem Angeklagten entgegenstehenden politischen Anschauungen hüten, um unparteiisch sein oder zum mindesten scheinen zu können. Uns soll es recht sein, wenn durch solche Art des Aufttetens von Staats- anwälten in immer mehr Kreise die Ueberzeugung dringt: die heutige Rechtsprechung kann die Aufgabe, Richterin über Handlungen zu sein, um so weniger erfüllen, als sie zur Rächerin der polittschen Ueberzeugung des Angeklagten auf- gerufen wird. Die Anklagesache hat auch, abgesehen von den pikanten Tragi- komödien, mit denen der Vertreter der Anklage sie würzen zu müssen meinte, ein öffentliches Interesse nach anderer Richtung hin. Genosse Molkenbuhr ist wegen vermeintlicher Verletzung des Urheber- rechts verurteilt. Diese Verurteilung ist mit dem Gesetz nicht ver- einbar. Wenn sie es wäre, so wäre eine schleunige Aende- rung des Urheberrechtsgesetzes dringend er- forderlich. Nach dem Gesetz über das Urheberrecht sind Reden nur dann geschützt, wenn siedem Zwecke der Erbauung, der Belehrung oder der Unterhaltung" dienen. Die Scharstnacher. rede gehört hierher nicht. Seine Rede ist eine solche, diebei einer Verhandlung politischer und ähnlicher Versamm­lungen gehalten" wurde. Solche Reden sind nach§ 7ck des Ge- setzeS vom 11. Juni 1870 ausdrücklich dem Urheberrecht ent- zogen. Das Urheberrechtsgesetz von» 19. Juni 1901 hielt eS für selbstverständlich, daß nach der neuen allgemeinen Fassung derartige Reden vor Nachdruck nicht geschützt sind. Wird das Reichsgericht das ungerechte Urteil aufheben? Deutfcbcs Reiche Töbeln-Rosiwcin. Döbeln  , 12. Oktober. Die Nachwahl im 10. sächsischen Reichstagswahlkreise Döbeln- Roßwein findet am Montag, den 22. Oktober, statt. Unsere Partei- genossen haben sofort den Wahlkampf mit der gebotenen Energie aufgenommen, nachdem die Kandidatenfrage durch die Aufstellung des Genossen Karl Pinkau  - Leipzig   eine rasche Erledigung ge- funden hatte. Genosse Pinkau begann mit einer Versammlungs- agition, die ihn im Verlaufe der Wochen in alle Teile des räumlich ausgedehnten Kreises führte. Wenn Versammlungen die Stim- mung der Wähler richtig wiederspiegeln, hat sich unser Kandidat rasch große Sympathie zu erringen verstanden. Neben Pinkau sprachen eine Anzahl sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete Sachsens  . Die Konservativen, Nationalliberalen und Antisemiten, die sich zum gemeinsamen Borgehen einigten, hatten es nicht leicht,